UPDATE: Der Autor des Briefes hat inzwischen zugestimmt, mit vollem Namen genannt, siehe unten.
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In den Grundschulen sind sie inzwischen an der Tagesordnung, doch der Betreuungsbedarf vieler Familien hört nicht mit dem 4. Schuljahr auf. Daher wollen das Land – und folglich auch die Stadt – den Offenen Ganztag (OG) auch im Sekundarbereich 1 (5. bis 7. Klasse) ausbauen.

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Harsche Kritik am Jugendamt

Kampagne des Bundesbildungsministeriums

Soweit, so gut. Doch am Vorgehen der Stadtverwaltung und vor allem des Jugendamtes entzündet sich nun eine heftige Debatte – verbunden mit einer vernichtenden Kritik am bisher erreichten. Und diese Kritik kommt aus berufenem Munde.

Der Reihe nach. In der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 27.10. (Tagesordnung) forderte die Stadtverwaltung von den Ausschussmitgliedern, dass der Planungsauftrag für den Ausbau der Offenen Ganztagsschule (OGS) an das Jugendamt übertragen werden soll. Das Argument: das Amt ist bereits für die OGS in den Grundschulen zuständig, alles andere würde jetzt zu einem Planungschaos führen. Dieser Antrag soll nun auch am 23.11. im Ausschuss für Bildung, Kultur, Schule und Sport (Tagesordnung) von den Ratsmitliedern abgesegnet werden – obwohl sich der Vertreter der Schulen im Jugendhilfeausschuss “mit Händen und Füßen” dagegen gewehrt habe.

Genau an diesem Punkt setzt nun die Kritik an. Hans Jakob Müller, Vorsitzender der Elternpflegschaft der Montessori-Gemeinschaftsgrundschule in Bensberg und Fachanwalt für Familienrecht, fordert in einem Brief an die Ausschussmitglieder die Lokalpolitiker auf, sich der Verwaltung in den Weg zu stellen:

“Ich kann daher nur dringend an die Mitglieder des Ausschusses appellieren, nicht in diesen vergifteten Apfel zu beißen und der Verwaltung einen Planungsauftrag in der vorliegenden Form zu erteilen. (…)  Nehmen Sie also Ihre Aufgabe war, kontrollieren Sie Ihre Verwaltung, insbesondere das Jugendamt, hinterfragen Sie die Zahlen. Es darf doch nicht sein, dass auch die Fortsetzung des offenen Ganztags von vorneherein verhunzt wird und Sie der Verwaltung in Form des beantragten Planungsauftrags auch noch die Exkulpation dafür liefern.”

Die Quellenlage

Der Brief liegt uns im Original vor.

Die Beschlussvorlage der Verwaltung an die beiden Ausschüsse (0520/2010) ist entgegen den üblichen Gepflogenheiten nicht im Ratsinformationssystem aufzufinden. Sie können hier aber die Drucksache_520_2010 als pdf herunterladen (sorry, seitenverkehrt – aber das lässt sich über Datei/bearbeiten ändern). Die entscheidenden Passagen finden sich unter den Punkten 5.2 (Raumkonzept) und 6 (Bedarfsermittlung).

Da es sich um eine Debatte mit großer Tragweite und erheblichem öffentlichen Interesse handelt dokumentieren wir die wichtigsten Kritikpunkte des Anwalts  (um Sie dann nach Ihren Erfahrungen und Ihrer Meinung zu fragen).

Kritik des Elternvertreters/Familienrechtsexperten im Einzelnen:

  • Bedarf an Plätzen im OG in der Sek. 1 wird systematisch unterschätzt:
    “Im Offenen Ganztag an den Grundschulen in Bergisch Gladbach befinden sich zur Zeit 2.270 Kinder (S. Angaben zum Haushalt 2010/2011). Es bestehen Wartelisten. Die von der Verwaltung genannte Zahl von 1.938 Kindern ist veraltet. (…)
    Die angeblich durch eine Elternumfrage ermittelte Zahl des Bedarfs von über 80 % ist ebenfalls veraltet. Die Verwaltung selbst ist in der Mitteilungsvorlage für die Sitzung des Ausschusses für die Gleichstellung von Mann und Frau am 03.06.2009 (Drucksachen-Nr. 230/2009) zu dem Ergebnis gekommen, „der ganztägige Besuch der Grundschule ist nicht mehr der Ausnahmefall, sondern der Regelfall“. (…)
    Mehr als 85% der Kinder vor der Einschulung besuchen eine ganztägige Betreuung. Darauf stellen sich die Eltern ein. Bei vielen Familien ist heute die Sicherung des Lebensstandards nicht mehr anders möglich als durch die Arbeit beider Elternteile. Der erste Rückschlag für diese Eltern kommt dann mit der Einschulung, weil zur Zeit für 4.109 Grundschulkinder nur 2.270 Plätze – also lediglich etwas über 50% – im Offenen Ganztag zur Verfügung stehen.
  • Annahme, dass Betreuungsbedarf mit Alter der Kinder abnimmt, ist falsch:
    “Sieht man sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Aufsichtspflichten der Eltern gegenüber Kindern im Alter zwischen 10 und 13 Jahren an, so ist einem klar, dass diese Kinder nicht über mehrere Stunden hinweg unbeaufsichtigt bleiben dürfen. Gerade mit dem Einsetzen der Pubertät in den Klassenstufen 6 und 7 ist ein erhöhter Betreuungsbedarf vorhanden. (…)
  • OG im Grundschulbereich als Verwahranstalt für Hartz-IV-Empfänger:
    “Die Qualität der Arbeit im Offenen Ganztag an den Grundschulen ist mit einem Wort gesagt miserabel. Das ist weniger auf die personelle Qualifikation der dort beschäftigten Kräfte zurück zu führen als auf den Umstand, dass die Einrichtungen zum Teil mit mehr als 20% ihrer ursprünglich geplanten Kapazität überbelegt sind. So werden in einer Einrichtung, die auf 145 Kinder ausgelegt ist, mehr als 170 Kinder verwahrt. (…)  Kinder, deren Eltern es sich finanziell leisten können, werden aus der Betreuung abgemeldet. (…)  Der Offene Ganztag driftet in Richtung einer Stigmatisierung als Kinderverwahranstalt für Hartz-IV-Empfänger.
  • Das Jugendamt hat Bergisch Gladach als Kinder- und Familien-freundliche Stadt bereits aufgegeben
    “Das Jugendamt verfolgt die Einstellung, das Problem der fehlenden Betreuungsplätze werde sich mit der Zeit durch sinkende Kinderzahlen erledigen. Das heißt im Klartext: wir gehen davon aus, dass die Stadt Bergisch Gladbach für Familien mit Kindern nicht so attraktiv ist, dass ein Zuzug in Betracht kommt oder hier ansässige Familien Kinder zur Welt bringen. (…) Wir schaffen uns mit fallenden Kinderzahlen selbst ab und der Letzte macht das Licht aus und die Tür zu.”

Jetzt sind Sie an der Reihe

Man sieht: Hans Jakob Müller weiß, wovon er spricht – und er hat eine klare Meinung.
Aber hat er auch Recht?

Wie ist Ihre Meinung

  • über die Offenen Ganztagsschule im Grundschulbereich?
  • Sehen Sie Bedarf für eine Ganztagsbetreuung auch nach der 4. Klasse?
  • Halten Sie das Jugendamt für geeignet, diese Pflichtaufgabe der Stadt in die Hand zu nehmen?

Bitte nutzen Sie das Kommentarfeld unten.

Weitere Informationen:

des Bürgerportals. Kontakt: info@in-gl.de

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