Die “emanzipatorische” Gruppe Conflict aus Bergisch Gladbach fährt ja schwere Geschütze auf, wenn sie (auf einem Flugblatt an die Anwohner der Agnes-Miegel-Straße in Refrath) die bedeutendste ostpreußische Dichterin als Wegbereiterin von Ausgrenzung, Unterdrückung, Massenmord und Krieg bezeichnet.
Selten wurden so viele völlig absurde Behauptungen über eine Person der Zeitgeschichte in nur einem Satz verpackt.
Genau das Gegenteil ist richtig: Die Werke Agnes Miegels sind geprägt von tiefer Menschlichkeit, von Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden. Auch antisemitische Aussagen gibt es in ihrem Werk und in ihrer Korrespondenz an keiner Stelle. Sie hatte einen jüdischen Freundeskreis. Nach dem Zusammenbruch der Hitler-Ära hörte sie entsetzt von dem unvorstellbaren Unrecht, Gewalttaten und Konzentrationslagern.
Zum Zeitpunkt der Machtergreifung der Nazis galt Agnes Miegel längst als bedeutendste deutsche Balladendichterin. Diese hohe Wertschätzung vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die NS-Zeit reichte bis in die Zeit der Bundesrepublik, als sie weitere bedeutende Literaturpreise erhielt und von vielen Verehrern – darunter 1961 der damalige SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt – in ihrem Haus in Bad Nenndorf besucht wurde.
Der wichtigste deutsche Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zählt einige ihrer Balladen zu den wichtigsten Werken deutscher Literatur.
Zwar war sie tatsächlich (wie viele Millionen andere Deutsche) Mitglied der NSDAP geworden – allerdings erst sehr spät, nämlich 1940. Das spricht nicht gerade für die Theorie von der “begeisterten Nationalsozialistin”. Es gibt zwar einige wenige Gedichte, welche sie für das Reichspropagandaministerium schrieb und die auch die von Goebbels verlangten Elogen an Hitler enthalten – viel häufiger und wichtiger sind jedoch im Werk Agnes Miegels von 1933 bis 1945 die veröffentlichten Vorahnungen von Weltenbrand, Untergang des Regimes und Verlust ihrer Heimat Ostpreußen.
Mit der Frau des bedeutenden Widerstandskämpfers Carl Friedrich Goerdeler war Agnes Miegel befreundet.
Nach dem Krieg distanzierte sie sich eindeutig vom Nationalsozialismus und gab ihrer Hoffnung auf ein neues besseres Deutschland Ausdruck.
Ihr Entnazifizierungsurteil lautete 1949 ganz klar: Unbelastet. Wörtlich hieß es: Motive wie Handlungen haben niemals NS-Geist verraten.
Die Vorwürfe gegen Agnes Miegel sind also allesamt an den Haaren herbeigezogen. Sie entbehren jeder Grundlage.
Die Literaturwissenschaftlerin und Miegel-Biographin Dr. phil. Marianne Kopp aus Stadtbergen gilt als die auch international bedeutendste Miegel-Expertin. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten über Leben und Werk der Dichterin veröffentlicht. Frau Dr. Kopp hat auch maßgeblich an dem aktuellen Referenz-Gutachten über die Dichterin mitgewirkt, welches – im Unterschied zu anderen Gutachten – die neuesten Forschungsergebnisse berücksichtigt.
Weitere Informationen:
- “Propaganda für den großen Feldherrn sieht anders aus”, Interview mit Detlev Suhr, HAZ
- Was Sie über Agnes Miegel wissen müssen, 1.12.2010
- Alle Beiträge zum Thema
Nach Rücksprache bei meinem Kollegen Peter Schlösser (damals Stadt-Pressesprecher) und beim Stadtarchiv hier die Fakten:
Erstmals sind Straßennamen direkt nach 1945 untersucht worden (u.a. mit dem einleuchtenden Ergebnis, die Adolf-Hitler-Straße umzubenennen). Dann erschien 1988 unter kommunaler Ampelkoalition (mit Holger Pfleger als Bürgermeister) das Buch von Dr. Johann Paul, „Vom Volksrat zum Volkssturm – Bergisch Gladbach und Bensberg 1918 bis 1945“, mit einer anschließenden allerdings nicht systematischen Überprüfung von Straßennamen.
Ergebnis: die Umbenennungen des Carl-Diem-Weges, der Rückkampstraße und der Heinrich-Lersch-Straße.
2002 gab es einen verwaltungsinternen Auftrag an das Stadtarchiv, fragwürdige Straßennamen zu untersuchen. Das Ergebnis gab aber keine Empfehlungen, weitere Umbenennungen ins Auge zu fassen.
Ferner regte immer wieder Giselher Schmidt die Straßennamendiskussion an unter anderem mit der Forderung, den Langemarckweg und den Hindenburgplatz umzubenennen (mehrfach wurde darüber in der „Freizeitbörse“ und der „Bergischen Illustrierte“, Vorgängerinnen von „Franzz“ ausführlich und mit vielen Leserbriefen berichtet).
Im Stadtarchiv gibt es das von eben diesem herausgegebene Buch „Bergisch Gladbach – Stadtgeschichte in Straßennamen“, das fundierte Hintergründe und Erläuterungen zu unseren Bergisch Gladbacher Straßennamen liefert.
Lieber Herr Bennewitz, lieber Herr Dr. Kauer,
mein Kommentar zu Punkt 3, lieber Herr Bennewitz, entspricht exakt den Fakten. Wer nicht offen für das NS-Regime eintrat (sprich: Parteimitglied wurde), konnte leicht als Gegner eingestuft werden – und was das in der NS-Diktatur bedeutete, muß hier wohl nicht näher erläutert werden. Nachteile, was die persönliche Karriere anbelangt, waren da noch harmloseste Form.
„Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ – diese Maxime der NS-Diktatur bedeutete, daß Widerstand niemals offen erfolgen konnte. Eine offene Distanzierung – das war meine Formulierung – vom Regime war, lieber Herr Dr. Kauer, während der NS-Zeit gar nicht möglich, weil sie die sofortige Verhaftung zur Folge gehabt hätte. Widerstand oder Distanzierung konnte nur im Verborgenen bzw. im Untergrund erfolgen. Agnes Miegel hat in ihren literarischen Werken der NS-Zeit immerhin den Mut gehabt, die drohende Katastrophe in etlichen Texten vorherzusagen.
Niemand konnte sich in der NS-Zeit – wie Sie meinen – offen „gegen die Nazis wenden“, lieber Herr Bennewitz. Es gab nur Anpassung oder Widerstand. Sie verwechseln offensichtlich die Möglichkeiten in einerm demokratischen System, in dem Sie leben, mit den Verhältnissen in einer der brutalsten Diktaturen der Menschheitsgeschichte. Wer in der NS-Zeit gegen das Regime agieren wollte, mußte ungeheuren Mut aufbringen und gewaltige Risiken eingehen. Ich habe deshalb volles Verständnis dafür, daß meine Großeltern nicht dem Widerstand angehörten. Und ich wiederhole mich an dieser Stelle ganz bewußt: Deshalb haben sie noch lange kein Unrecht begangen.
Zum Helden, der auch bereit ist, sein eigenes Leben zu opfern, eignen sich in jedem Volk nur wenige.
Das Beispiel „Thomas Mann“, lieber Herr Bennewitz, ist im übrigen geradezu der Beweis für den Zwang, der von der NS-Diktatur auf Künstler und Literaten ausgeübt wurde: Thomas Mann konnte eben nur aus dem sicheren amerikanischen Exil ohne Gefahr für sich und seine Familie Kritik am NS-Regime äußern.
Sehr geehrter Herr Suhr,
ich empfinde ihren Kommentar zu Punkt 3 mindestens als absolut grotesk, ebenso auch sachlich falsch. Sie schreiben da: „Die meisten wurden Mitglied der Partei, um persönliche Nachteile bei Karriere, Bildung etc. zu vermeiden. Deshalb haben sie noch lange kein Unrecht begangen.“
Ein solcher Satz spottet all denjenigen Hohn, die sich damals gegen die Nazis gewandt haben und nicht in die NSDAP eingetreten sind.
Doch, es ist absolutes schreiendes Unrecht, wenn man zur Gewährleistung der eigenen Vorteile in eine Partei eintritt und damit Geschehnisse toleriert, die von dieser Partei verübt und von ihrem Führer befohlen werden. Wenn sich damals mehr Menschen dazu entschlossen hätten, diesen Schritt nicht zu gehen, wäre die Geschichte damals unter Umständen anders verlaufen. Im Zusammenhang mit dem von Ihnen angeführten angeblichen Zwang der Nazis auf Künstler und Literaten möchte ich ausdrücklich auf Thomas Mann hinweisen: Dieser hat nach seiner Emigration in die USA von dort aus mit seinen Radioansprachen „Deutsche Hörer!“ gegen das Regime gearbeitet.
Zu dem Kommentar von Herr Höring braucht man wohl keine weiteren Äußerungen zu tätigen, zu müßig bin ich seiner eigenen fortwährenden „Scharfmachungen“ bei Facebook.
Hallo Herr Suhr,
nur einen kleinen Kommentar zu IhrenErwiderungen.
Ich habe selbst in meiner verwandschaft Menschen gehabt, die sich in ihrer spezifischen Art und Weise vom Nationalsozialsimus und in dieser Zeit „distanzieren“ konnten und haben. Dies hat ja Frau Miegel – wie sie selbst sagen – nicht getan.
Übrigens, der in Ausschwitz ermordete Ehemann meine Tante (die sich distanzieren konnte) ist als Widerstandskämpfer offiziell anerkannt. Für ihn hat die Stadt Köln es verweigert, eine Straße in Köln-Lövenich nach ihn zu benennen. Diese Ablehnung führte zu großen Konflikten in der Bevölkerung, die selbst in der Süddeutschen Zeitung wiedergegeben wurden
Grüße Ihr Christian Kauer
Lieber Herr Außendorf,
wer nur den völlig einseitigen Artikel in dem von Laien erstellten und ohne Fachredaktion auskommenden Internet-Lexikon „Wikipedia“ liest, stößt natürlich unweigerlich auf dieses eine Zitat. Wohlgemerkt: Es handelt sich bei dem Gedicht um eine Auftragsarbeit des NS-Propagandaministeriums mit von Goebbels verlangten Lobsprüchen auf Hitler. In der NS-Diktatur konnte ein Autor nicht – wie wir heute – einfach „Nein“ zu Aufträgen solcher Art sagen.
Vielleicht sollte man eine Dichterin, die 200 Gedichte und etwa ebenso viele Prosawerke geschrieben hat – und zwar von den ersten Gedichten 1896 bis zu ihrem Tode 1964 – eher nach der Aussage ihre Gesamtwerkes beurteilen, statt irgendetwas scheinbar Belastendes herauszugreifen. Leider ist letzteres aber die Arbeitsweise der meisten Wikipedia-Schreiber.
Wer sich ein bißchen eingehender mit dem Thema beschäftigt, findet bei Agnes Miegel in der NS-Zeit übrigens häufig Aussagen von Weltenbrand und Untergang des Regimes – z.B. in dem Gedicht „Dem Schirmer des Volkes“ (1939):
„Wenn aus deinem First die Flammen steigen
wird des weißen Mannes Welt entbrennen
wenn sich deine Sonnenfahnen neigen
sinkt die Nacht über das Abendland!“
Im Jahre 1940 – also noch vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion – sieht Agnes Miegel in einem Sammelband des Diederichs-Verlages auch den Verlust ihrer Heimat Ostpreußen voraus:
„Und so sage ich jetzt, wo der Abschied näher kommt zu dem Land zwischen Weichsel und Memel, wie der Samurai zu der edlen Braut, der er sich vor dem Schrein seiner Ahnen verlobt: ich vermähle mich dir für die nächsten vier Inkarnationen.“
Diese pessimistischen Aussagen sind alles andere als Propaganda für Hitler und das NS-Regime. Sie stellen stattdessen eine erstaunlich mutige Infragestellung des „Tausendjährigen Reiches“ dar.
Nur um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen: der letzte Satz unter meinem vorangegangenen Kommentar ist ironisch gemeint.
Gedicht „An den Führer“
„Laß in deine Hand,
Führer, uns vor aller Welt bekennen;
Du und wir,
nie mehr zu trennen
stehen ein für unser deutsches Land.“
Agnes Miegel, 1940
Gedichtzitat bei: Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 409.
Manche Straßenschilder haben so eine kleines Zusatzschild darunter mit Erklärung zur Person, vielleicht passt das Gedicht da grade noch drauf!
Alle Straßennamen in Bergisch Gladbach wurden bereits vor einigen Jahren aufwändig auf mögliche Nazinähe der Namensgeber überprüft. Einige Straßen wurden anschließend umbenannt. Der gesamte Prozess ist abgeschlossen und im Stadtarchiv dokumentiert.
Sehr geehrter Herr Dr. Kauer,
zu Ihrem Kommentar einige Anmerkungen:
zu 1.: In der Zeit des Nationalsozialismus konnte sich niemand offen von dem System distanzieren. Es handelte sich um eine der brutalsten Diktaturen. Wer sich distanzierte bzw. Kritik äußerte, wurde eingesperrt. Kritik und Distanzierung ohne Gefahr für Leib und Leben war erst nach dem Ende des Regimes möglich.
zu 2.: Agnes Miegel ist erst 1949 entnazifiziert worden, weil sie die schnelle Instant-Entnazifizierung der zahlreichen Wendehälse als verlogen empfand.
zu 3.: Einer „Entnazifizierung“ mußte sich Agnes Miegel stellen, weil sie – wie Millionen andere Deutsche – Mitglied der NSDAP geworden war. Die meisten wurden Mitglied der Partei, um persönliche Nachteile bei Karriere, Bildung etc. zu vermeiden. Deshalb haben sie noch lange kein Unrecht begangen. Agnes Miegel trat sehr spät der Partei bei (1940). Daher darf man sich durchaus fragen, ob dieser Beitritt ganz freiwillig war.
zu 4.: Ich bin deshalb der Agnes-Miegel-Gesellschaft beigetreten, weil ich mithelfen möchte, das völlig einseitige und damit falsche Bild, das linke und linksextreme Gruppen von der Dichterin zeichnen, zu korrigieren. Ich bin von niemand abhängig und orientiere mich bei dem was ich schreibe an den Fakten. „Interessenvertreter“ bin ich tatsächlich – und zwar genau wie Sie – als Vertreter der eigenen Interessen.
zu 5.: Der literarische Wert der Werke Agnes Miegels steht zwar nicht in der Kritik – wegen ihrer literarischen Werke sind die Straßen schließlich nach ihr benannt worden. Umbenennungen von Agnes-Miegel-Straßen haben aber natürlich zur Folge, daß die Erinnerung an die Dichterin und ihre Werke weitgehend ausgelöscht wird.
Deutsche Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler werden im Ausland hoch geschätzt – nur die Deutschen selbst haben Probleme mit den bedeutenden Gestalten ihrer Geschichte. Das ist schon eine absurde Situation.
Glücklicherweise setzt sich inzwischen allgemein die Auffassung durch, daß ideologisch motivierte Straßenumbenennungen – wie im Falle von Agnes Miegel – falsch sind.
Sorry,
ich kann nicht bewerten, ob Agnes Miegel eine „glühende“ Verehrerin des Nationalsozialismus war oder nicht. Aber es gibt für mich Fakten, die Fragen offen lassen.
1. Sie hat sich erst nach der Nazi-Zeit vom Nationalsozialismus distanziert, demnach sie ja in der Zeit von 1933-45 eine gewisse Zugehörigkeit verspürt haben muss.
2. Nach der Nazi-Zeit haben sich auf einmal sehr viele vom Nationalsozialismus distanziert, keiner wollte als Unterstützer genannt werden.
3. Die Entnazifiszierung bezog sich nur auf jene Personen, die aktiv und „schädlich“ in der Nazi-Zeit tätig waren; deswegen sind auch die allermeisten Überprüften „entlastet“ worden. Für die ist dann auch der spöttische Begriff „Persilschein“ erkoren worden.
4. Das Herr D. Suhr zu einer anderen Bewertung als der kritischen über A. Miegel kommt, ist verständlich; immerhin ist er ja Interessenvertreter der entsprechenden Agnes-Miegel-Gesellschaft. Was soll er deshalb auch anderes schreiben?
5. Der literarische Wert von Frau Miegel mag ja vorhanden sein und steht ja auch nicht in der Kritik
Abschließend: Nur durch die öffentliche Diskussion wird dieses Thema zerredet. Wenn aber keine klärende Aufarbeitung erfolgt, oder möglich ist, sollt man doch sicherlich eionen vernünftigen Konsens find – wie immer er auch aussehen mag
Vielen Dank für diese Ausarbeitung! In der Tat erfrischend, mal nicht immer nur linke Scharfmacher zu lesen!