15 Gedichte zum 20. Geburtstag von Wort & Kunst
Am 22. 11. 2014 feiert Wort & Kunst sein 20jähriges Bestehen. Der Verein versteht sich als Förderverein der Stadtbücherei und als Zusammenschluss Bergisch Gladbacher Autorinnen und Autoren. In den zwei Wochen vor der Geburtstagsfeier hängen in Bergisch Gladbach und Bensberg 15 Fahnen mit Gedichten der Autoren im öffentlichen Raum.
Diese Auswahl aus vorgelegten Gedichten beschreibt das Spektrum des lyrischen Schaffens innerhalb von Wort & Kunst: Tiefsinnige Gedichte hängen neben amüsanten, Naturimpressionen neben Kulturkritik … Aber lesen Sie selbst. Mehr Infos zum Hintergrund finden Sie hier. Und ganz unten noch ein Hinweis auf einen literarischen Spaziergang.
Sternentänzer,
aus Wind und Sonnenschein gezeugt,
aus Musik und Phantasie geboren
streifst Du dieses Leben nur.
Verklungen Deine Lieder,
trauriger Rebell,
und Deine Schuhe sind zertanzt.
Grenzgänger zwischen allen Welten
gebierst Du Dich,
verlierst Du Dich
und sinkst zurück in den
All-Einen Großen Traum.
Ellen Patas
—
Herbstwind
fegt die Dörfer leer
und ordnet neu
und groß die Welt:
ein Khanpalast
endloser Zimmerffluchten.
Wolkenwelten türmen sich,
und ungehalten raschelt Maisfeld
mit Zornesfalten über
frechen Pflug,
der ihm die Würde raubt.
Menschenherrschaft ist nun strittig,
und der Milan zeigt
besonders rote Federn,
Falken rütteln wieder
wie zu Hause auf der Stelle,
Elstern jagen Krähen,
und ein Schwarm lässt
auf dem Feld
die Rücken silbern glänzen.
Der junge Bauer
biegt vergnügt
den Schnurrbart auf
und lässt ihn schon
vom Winter träumen.
—
Herausforderung
Neues ertasten
in wogendem Spiel
von Farbe und Form
Erstarrtes lösen
Vergangenes lassen
Ausblicke weiten
Strukturen beleben
Durchblick voll Hoffnung
Ahnung künftiger Welt
Klangwelten zaubern
Bewegung erleben
in wiegendem Tanz
Gerda Duckheim
—
du fragst wie ein gedicht
aussehen soll
wie wolken etwa
in die man sich hineinlegt
einfach so
manche sind so laut
da brauchte man ohrenschützer
andere sind wie lämmer
die über den mondzaun hüpfen
wieder andere frauen mit daunenlippen
umrankt von glockenreben
mitunter sind sie wie schmirgelpapier
manche aber haben den klang von äolsharfen
sagte der dichter
und er tanzte über den zebrastreifen
wo ihn ein reim überrollte
—
schloss bensberg
weißgeschminkte mauern
arme weit geöffnet
hundert fenster schieben brauen hoch
straffe mich unter scharfem blick
lege uniform an und stell mich ins glied
durchzählen hieß es
fahnen flatterten im wind
betrete die welt der endlosen flure
hilft hier ein schrei
der kargen zimmer mit dem schweiß in der luft
und langsam bröselt der putz
rette mich ins fürstengemach
blick über laub und schieferpfannen
am horizont die hörner des doms
—
Durchfall
Es wird dem Menschen nie gefallen,
im Leben einmal durchzufallen,
auch hasset voller Herzenswärme
er einen Durchfall der Gedärme.
Doch gleichfalls schwer das Herz ihm klopft,
wenn jene Därme sind verstopft.
Nicht hart, nicht weich, es gilt der Mitte
zumeist des Menschen stille Bitte.
Günther Paffrath
—
quillt hervor
tritt zutage
fließt dahin der lebensbach
aus tieferen schichten gespeist
gluckst gurgelt
wellt schwillt
netzt ufer ufert aus
schwemmt schäumt
und stürzt voran
steigt wächst
drängt wirkt
gewinnt bedeutung
breitet sich
weitet sich
verliert sich
namenlos
in dem
einen
großen
weltenmeer
—
Hommage ans Endliche
Das Wahrnehmen ist es
dieses leichte
Hinhören
das dem bloßen
Klang
für einen Augenblick
voll Duft
das Leben schenkt
berührt
von durch Wolken
wandernder Sonne
einen Flötenton
mit unbekanntem Ziel
in der Stille
ruhig
ausmessen
Josef Zeller
—
Sprache
Die Sprache ist mein
Unermesslicher Schatz
Ich hab umso mehr
Je länger ich grabe
Die Sprache ist mein
Unerschöpflicher Schatz
Ich heb umso mehr
Je länger ich lebe
Jutta Reyle-Schindlmayr
—
babel modern
digitaler
tanz der
buchstaben vom nachrichtenturm
in alle länder der
erde
festen
boden verlassend
schweben sie himmelwärts
mit den botschaften irdischen
lebens
Marianne Dreiocker
—
Was bleibt
das Verbrechen steht
steht in der Zeit
wird nie vergehen
Vergangenes bleibt
Zeit mildert Wut
Zeit heilt Wunden
Zeit lindert Wehen
Zeit tilgt Erinnern
das Verbrechen steht
die Schuld bleibt
Schuld treibt Vergessen
Schuld erstickt Zeit
Vergessen schweigt
Vergessen leugnet
Vergessen entzweit
kein Vergehen
kein Vergelten
kein Vergeben
kein Verstehen
Schuld schreit
das Verbrechen steht
Schuld sucht Flucht
ewigt Fluch
tötet Zeit
Schweigen schreit in Ewigkeit
—
let me entertain you
besser wär’s
wir würden
mal eben
die welt retten
doch nicht wissend
wo es lang geht
wo der hammer hängt
und uns der kopf steht
machen wir was
wir am besten können
und lassen die musik spielen
bis der kahn absäuft
—
sanduhr umstellen
im herbst wächst wild das fell
erdfarbene instinkte strecken fühler aus
bald fallen letzte spätsommerfetzen
blütensärge schwimmen flussab
ins flammende meer
holzstapel wachsen an wänden
waschbärgraue tage
aufgeschlagen liegt ein buch
jemand erzählt seine geschichte
zu kurz der zipfel zeit
um tiefer nachzugraben
im echo vergangener tage
wer wollte die welt anhalten
tage und nächte neu bemalen
ein glas wein steht in der abendsonne
einer kommt und trinkt es aus
—
Dichter-Nebel
unter uns Menschen schwebt er
in den Wolken sein Schiff
droht leicht aus dem Ruder
zu laufen
Nebelhörner blasen sich einen
Weg durch die Waschküche
hart backbord ruft er
durchs Standrohr in den Maschi-
nenraum brüllt:
halbe Kraft voraus. Voraus?!
Rundum eingepackt steht er in
einem Kokon aus Kondenswörtern
hält starren Blicks Ausschau
nach Leuchtfeuern
auf Felsen im Satzbau
dichter Nebel zieht ihm klamm
ins Genick kalte Suppe und hartes Brot
wie er es dreht und wendet
am Ende steht
ein Dichter-lebeN
Rüdiger Posth
—
blick über bensberg
mohnröte
am novemberhimmel
schwalben verlassen
das land
luftlinien schreiben
die richtung vor
hör nur
das läuten
der glocken
Wilhelmina Heinemann
—
Die Fahnen sind eine Form für Wort & Kunst, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Auch an einem weiteren Format können alle Interessierten teilhaben: Am 15. 11., ab 15 Uhr beginnt ab dem Denkmal vor der Post ein Literarischer Spaziergang durch die Bergisch Gladbacher Innenstadt.