Grundsätzlich arbeiten Bergisch Gladbachs Kommunalpolitiker ehrenamtlich. Mit Ausnahme des hauptamtlichen Bürgermeisters sitzen im Stadtrat nur Feierabendpolitiker. Als Ausgleich für ihre Mühe erhalten Ratsmitglieder und sachkundige Bürger allerdings eine Aufwandsentschädigung, Sitzungsgelder und Erstattungen. Dabei kommt ein Betrag von mehr als 400.000 Euro pro Jahr zusammen.
Diese Zahlungen sind durch die Debatte, wie viele sachkundige Bürger der Stadtrat der neuen Fraktion „Die Linke mit Bürgerpartei GL” zubilligt, in die Aufmerksamkeit gerückt. Ratsmitglieder aus den Reihen von CDU, SPD und Grünen hatten vor allem der Bürgerpartei von Frank Samirae vorgeworfen, eigene Unterstützer auf Kosten der Stadtkasse zu alimentieren. „Abzocker” lautetet ein Zwischenruf in der Sitzung.
Das wirft Fragen auf:
- Um wieviel Geld geht es insgesamt?
- Wieviel Geld nimmt der einzelne Lokalpolitiker mit nach Hause?
- Welche Summe hat der Stadtrat durch diese Entscheidung eingespart?
Soviel vorab: Auf den Euro genau lassen sich nur pauschale Summen nennen, konkrete personenbezogene Angaben verhindert der Datenschutz. Daher muss man mit Durchschnittswerten und freiwilligen Aussagen einzelner Ratsmitglieder auskommen.
Dabei wird klar: Die Durchschnittssummen sind eher knapp bemessen, zudem bleibt oft nur ein kleiner Teil im Portemonaie der Ratsmitglieder. Viele von ihnen verzichten zudem auf einen Teil der Ansprüche. Das heißt aber auch, dass einige Ratsmitglieder und sachkundigen Bürger offenbar herausholen, was herauszuholen ist. Dabei können im Einzelfall dann doch erkleckliche Summen zusammen kommen.
418.366 Euro für das gesamte Stadtparlament und die Beiräte
An alle Mitglieder des Stadtrates, die sachkundigen Bürger sowie an die Mitglieder des Senioren-, Inklusions- und Integrationsbeirates wurden nach Angaben der Stadtverwaltung im vergangenen Jahr 418.366 Euro ausgezahlt. In Form von Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgeldern, Fahrtkosten und Verdienstausfall. Im Vorjahr war die Summe minimal höher.
Auf die Höhe der individuellen Zahlungen haben die ehrenamtlichen Lokalpolitiker keinen Einfluss, das wird in der NRW-Gemeindeordnung festgeschrieben, Details dokumentieren wir unten.
Die Stellschraube für den Rat: Zahl der sachkundigen Bürger
Wer von den Zahlungen profitiert, entscheidet zunächst der Wähler. Der Stadtrat kann nur an einer Stelle mehr oder weniger großzügig sein: in der Entscheidung, wieviele sachkundige Bürger jeder Fraktion zugestanden werden. Die bekommen zwar keine pauschale Aufwandsentschädigung, können aber Sitzungsgelder und Verdienstausfall geltend machen.
Hintergrund: Sachkundige Bürger werden von den Fraktionen vorgeschlagen und können … laut § 58 Abs. 3 der Gemeindeordnung vom Rat gewählt und in die Ausschüsse entsandt werden. Damit sollen die Ausschüsse die Möglichkeit bekommen, zusätzlichen Sachverstand dazu zu holen. Sie werden von Fraktionen auch genutzt, um Nachwuchskräfte auf die Arbeit im Rat vorzubereiten. Ein Sachkundenachweis wird nicht verlangt.
Bislang hatte die Linke sieben sachkundige Bürger entsandt, weitere drei waren von der inzwischen aufgelösten BfBB nominiert worden, die mit der Linken kooperiert hatten. Die Bürgerpartei GL durfte keine sachkundigen Bürger stellen, weil sie nur mit dem Einzelratsmitglied Samirae im Rat vertreten war.
Nun, nachdem Samirae der Linken-Fraktion beigetreten war, wollte diese Gruppierung 22 sachkundige Bürger entsenden, 120 Prozent mehr als zuvor. Dem schob der Stadtrat auch aus Kostengründen einen Riegel vor und begrenzte die Zahl der Sachkundigen für kleine Fraktionen auf neun Personen.
Damit verhinderte der Stadtrat die Zahlungen für 13 sachkundige Bürger aus den Reihen von „Linke mit Bürgerpartei GL”. Wie hoch die entsprechende Summe ist lässt sich nur näherungsweise kalkulieren. Aber versuchen wir es.
46.584 Euro für 44 Sachkundige
2015 gab es 44 sachkundige Bürger. Dabei nominierte die CDU 4, die SPD 8, die Grünen 0, die FDP 9, die Linke 11 und die AfD (später Alfa) 12. Insgesamt wurden 2015 an die sachkundigen Bürger 46.584 Euro ausgeschüttet.
Damit ergibt sich ein Pro-Kopf-Salär im Jahr von 1060 Euro. Im Schnitt eine bescheidene Summe für den Aufwand, den diese Bürger, die in bis zu drei Ausschüssen mitarbeiten und in der Regel auch an den Fraktionssitzungen teilnehmen, betreiben.
Die Einsparung, die der Rat mit der Begrenzung der Zahl der sachkundigen Bürger erreicht hat, beläuft sich damit bei Durchschnittsannahmen auf rund 13 x 1060 = 13.780 Euro.
Allerdings, die 1060 Euro pro Kopf sind ein Durchschnittswert. Ein sachkundiger Bürger könnte auch deutlich mehr herausholen, 4600 Euro sind locker drin (s.u. Idealtypus 2), im Extremfall auch noch etwas mehr. Angenommen, dass alle jetzt verhinderten 13 Sachkundigen zu diesem Extremabrechnern gehört hätten, dann würde das Einsparvolumen schon fast 60.000 Euro betragen.
Womit auch Frage Nummer 3 beantwortet wäre.
Der Löwenanteil geht an Ratsmitglieder
Bleibt Frage 2: Was nimmt ein Lokalpolitiker mit nach Hause? Immerhin 413.787 Euro und damit 99 Prozent der Gesamtausgaben gingen an den Stadtrat, nur 4569 Euro flossen an die Mitglieder der drei Beiräte (Integration, Inklusion, Senioren).
Innerhalb des Stadtrates wiederum ging der Löwenanteil von 365.936 Euro an die 62 Ratsmitglieder. Das sind pro Kopf und Jahr 5.902 Euro.
Schauen wir uns die Zahlungen an den Stadtrat genauer an, dann fällt auf, dass hier knapp die Hälfte auf die pauschalen Aufwandsentschädigungen entfallen, die jedem Mitglied automatisch zustehen. Ein Viertel des Geldes wurden in Form von Sitzungsgeldern ausgezahlt. Nur knapp sechs Prozent sind dem Verdienstausfall zuzurechnen.
20 Prozent der Gesamtsumme für die Führungskräfte
Ein weiteres Fünftel der Gesamtsumme ging in Form zusätzlicher Aufwandsentschädigungen an die Führungskräfte im Rat: die drei stellvertretenden Bürgermeister sowie die (stellvertretenden) Fraktionsvorsitzenden. Das waren immerhin fast 70.000 Euro für eine überschaubare Personengruppe.
Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD erhalten dadurch viermal soviel wie normale Ratsmitglieder. Bei Fraktionen mit mehr als zehn Mitgliedern erhält zudem ein stellvertretender Vorsitzender den doppelten Satz (das ist bei der SPD der Fall), bei mehr als 20 Mitgliedern (wie bei der CDU) können zwei stellvertretende Vorsitzende den doppelten Satz abrechnen.
Alle Zahlungen jenseits eines Freibetrages von 177 Euro im Monat (bei Fraktionschefs ein mehrfaches davon) müssen versteuert werden, nur die Auslagen für Fahrkosten sind steuerfrei.
Datenschutz: Keine Angaben über einzelne Personen
Wie hoch die Zahlungen an einzelne Ratsmitglieder oder sachkundige Bürger waren, teilt die Stadtverwaltung aus Datenschutzgründen nicht mit.
Aufgrund der allgemeinen Angaben lässt sich nur idealtypisch nachvollziehen, welche Ansprüche bestimmte Lokalpolitiker haben. Ob und in welchem Umfang sie Kann-Leistungen wie den Verdienstausfall oder die Erstattung von Fahrtkosten überhaupt beantragt haben, bleibt ebenfalls offen. Viele Ratsmitglieder sagen von sich, dass sie noch nie einen Verdienstausfall berechnet hätten.
Soviel könnten einzelne Lokalpolitiker beziehen
Bei den folgenden Beispielen gelten diese Annahmen: 5 Ratssitzungen, 18 Ausschusssitzungen (bei Mitgliedschaft in 3 Ausschüssen), 40 Fraktionssitzungen. Auch Arbeitskreise der Fraktionen können abgerechnet werden, die lassen wir hier aber außen vor; maximal wären für Ratsmitglieder 80 (!) Fraktionssitzungen drin.
Bei den Summen handelt es sich um Jahresangaben. Bitte klicken Sie auf die jeweilige Zeile, dann öffnen sich die Detailangaben.
Zur Erinnerung und zur Sicherheit: bei diesen Beispielen handelt es sich NICHT um reale Personen, sondern um hypothetische Idealtypen.
Weitere Bezüge für Sonderaufgaben und Doppelmandate
Hinzu kommen, gerade für die Führungskräfte, noch einige Bezüge aus Aufsichtsräten. So bezieht zum Beispiel Klaus Orth (SPD) für sein Mandat als Aufsichtsratschef der Belkaw 5800 Euro im Jahr, die anderen sieben Ratsmitglieder (darunter auch SPD-Fraktionschef Klaus Waldschmidt) und der Bürgermeister jeweils 2600 bzw. 2800 Euro.
Andere Ratsmitglieder sind als Geschäftsführer oder Pressesprecher für ihre Fraktionen tätig und beziehen dafür ein Gehalt, das aus den Leistungen der Stadt an die Fraktionen (Basisbetrag plus Pauschale pro Mitglied) gezahlt werden.
Weitere Ratsmitglieder haben weitere Mandate, sitzen zum Beispiel als sachkundige Bürger in der Versammlung des Landschaftsverbandes Rheinland. Einige Personen sind (vor allem bei Linke und Alfa) sowohl im Stadtrat wie im Kreistag als Mitglieder bzw. sachkundige Bürger tätig.
Was am Ende übrig bleibt
Die Frage, wie viel Geld die Kommunalpolitiker mit nach Hause nehmen, ist damit allerdings immer noch nicht beantwortet. Denn von den ausgezahlten Mittel geben sie einen Teil gleich wieder für Benzin oder für Blumensträuße und andere Ausgaben im Rahmen ihrer Tätigkeit aus. Ein weiterer Teil fließt mehr oder weniger freiwillig an die eigene Fraktion oder Partei. Einige Lokalpolitiker spenden die Zahlungen zum Teil oder komplett.
Wir haben daher alle Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat um eine Stellungnahme zu den finanziellen Vergütungen gebeten.
Aus den Antworten wird klar, dass es erstens am einzelnen Lokalpolitiker liegt, wieviel Geld er beansprucht. Und zweitens, wieviel er von dem Geld für sich behält. Wir dokumentieren die Stellungnahmen in Auszügen.
Das sagen die Politiker selbst
Hinweis der Redaktion: Weitere Selbstauskünfte nehmen wir gerne auf. Bitte per Mail an info@in-gl.de
Dokumentation: Die Ansprüche der Lokalpolitiker
Entschädigungsanspruch der Ratsmitglieder
Quelle: Hauptsatzung der Stadt Bergisch Gladbach
- Sitzungsgeld
- 19,60 € je Sitzung (§ 1 Abs. 2 Ziffer 1b EntschVO NRW)
- bei einer Sitzung über 6 Stunden, wird ein weiteres Sitzungsgeld ausgezahlt (§ 9 Abs. 3 Satz 4 Hauptsatzung)
- pro Tag dürfen maximal 2 Sitzungsgelder ausgezahlt werden (§ 9 Abs. 3 Satz 5 Hauptsatzung)
- es werden maximal 80 Fraktionssitzungen im Jahr ausgezahlt (§ 9 Abs. 1 Hauptsatzung)
- Fahrtkosten
- B. 0,30 € je mit PKW gefahrener Kilometer (§ 6 Abs. 1 Landesreisekostengesetz NRW)
- es wird maximal die Strecke von der Wohnanschrift bis zum Sitzungsort und zurück bezahlt (§ 5 Abs. 1 EntschVO NRW)
- Verdienstausfall
- Voraussetzung: vollständig ausgefüllte und unterschriebene Erklärung eines Verdienstausfalles
- Regelstundensatz 10,00 €, höchstens jedoch 20,00 € (§ 9 Abs. 4 Hauptsatzung)
- täglicher Höchstbetrag beträgt 80,00 €
- Fraktionssitzungen können maximal 80 pro Jahr abgerechnet werden.
- Gruppierung:
- Unselbstständige
- Selbstständige
- Personen mit Haushalt
- Kosten für Kinderbetreuung
- pauschale Aufwandsentschädigung
- 285,60 € pro Monat
- zusätzliche Aufwandsentschädigung erhalten stellvertretende Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende und in Abhängigkeit von der Fraktionsgröße stellvertretende Fraktionsvorsitzende
Berechnung nach § 3 Abs. 1 EntschVO NRW in Verbindung mit §1 Abs. 2c EnschVO NRW: stellvertretende Bürgermeister erhalten den 1,5 Satz, Fraktionsvorsitzende den 2-fachen, Fraktionsvorsitzende einer Fraktion mit mehr als zehn Mitglieder den 3-fachen und stellvertretende Fraktionsvorsitzende den 1-fachen Satz zusätzlich)
Entschädigungsanspruch der sachkundigen Bürger/Einwohner
- Sitzungsgeld
- 30,00 € je Sitzung (§ 2 Abs. 1 EntschVO NRW)
- bei einer Sitzung über 6 Stunden, wird ein weiteres Sitzungsgeld ausgezahlt (§ 9 Abs. 3 Satz 4 Hauptsatzung)
- pro Tag dürfen maximal 2 Sitzungsgelder ausgezahlt werden (§ 9 Abs. 3 Satz 5 Hauptsatzung)
- es werden maximal 40 Fraktionssitzungen im Jahr ausgezahlt (§ 9 Abs. 2 Hauptsatzung)
- Fahrtkosten
- B. 0,30 € je mit PKW gefahrener Kilometer (§ 6 Abs. 1 Landesreisekostengesetz NRW)
- es wird maximal die Strecke von der Wohnanschrift bis zum Sitzungsort und zurück bezahlt (§ 5 Abs. 1 EntschVO NRW)
- Verdienstausfall
- Voraussetzung: vollständig ausgefüllte und unterschriebene Erklärung eines Verdienstausfalles
- Regelstundensatz 10,00 €, höchstens jedoch 20,00 € (§ 9 Abs. 4 Hauptsatzung)
- täglicher Höchstbetrag beträgt 80,00 €
- Gruppierung:
- Unselbstständige
- Selbstständige
- Personen mit Haushalt
- Kosten für Kinderbetreuung
- Keine zusätzliche pauschale Aufwandsentschädigung (dafür höheres Sitzungsgeld)
Hallo Herr Watzlawek,
tolle Recherche, gut dargestellt, hervorragendes Beispiel für aufklärenden Journalismus.
Beste Grüße und weiterhin viel Erfolg!
Super!
Aufwändig und umfangreich recherchierter und dokumentierter Artikel!
Tolle Arbeit! Danke.
Danke für den Hinweis. Den Passus, der von der Regelung auf Landesebene abweicht, haben wir tatsächlich übersehen. Der Text wurde angepasst, der Idealtypus „kleiner Fraktionschef“ gestrichen.
Guten Morgen Herr Watzlawek,
eine kleine Korrektur zum Absatz „20 Prozent der Gesamtsumme für die Führungskräfte“ und dem Idealtypus 5.
Stellv. FV erhalten erst ab 10 Mitgliedern eine zusätzliche Entschädigung.
Siehe hierzu Hauptsatzung §9 Abs. 5
(5) Die stellvertretenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nach § 67 Abs. 1 GO NRW
und die Fraktionsvorsitzenden – bei Fraktionen mit mindestens 10 Mitgliedern auch eine
stellvertretende Fraktionsvorsitzende oder ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender, mit
mindestens 20 Mitgliedern auch zwei stellvertretende Fraktionsvorsitzende und mit mindestens
30 Mitgliedern auch drei stellvertretende Fraktionsvorsitzende – erhalten neben
den Entschädigungen, die ihnen als Ratsmitgliedern nach § 45 GO NRW zustehen, eine
Aufwandsentschädigung nach Maßgabe der jeweils geltenden Entschädigungsverordnung.
Eine Aufwandsentschädigung wird nicht gewährt, wenn das Ratsmitglied hauptberuflich
tätige Mitarbeiterin oder Mitarbeiter einer Fraktion ist.