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Behindert sein, behindert werden: Von Vorurteilen

Manchmal ist etwas scheinbar so, ist aber in Wirklichkeit ganz anders, passt aber dann irgendwie nicht in das vorgesehene Vorurteil. Also tun wir oft so, als ob es so ist, wie es scheinbar sein soll, berichtet unsere Kolumnistin Monika Hiller.

Wie gut kennen Sie Menschen mit Behinderung? Können Sie sich vorstellen, dass auch für sie alles normal ist?

  • Sind für Sie Menschen mit Mobilitätseinschränkung an den Rollstuhl „gefesselt“? 
  • Sind für Sie Menschen mit Behinderung immer hilfsbedürftige Wesen?
  • Sind für Sie Menschen mit Behinderung immer unglückliche, arme Menschen?
  • Arbeiten Menschen mit Behinderung immer in einer Werkstatt speziell für Menschen mit Behinderung oder etwa auch auf dem ersten Arbeitsmarkt?
  • Leben Menschen mit Behinderung immer entweder noch bei Ihren Eltern oder in Einrichtungen?
  • Können in Ihren Augen Menschen mit Behinderung ein selbständiges Leben führen?

Vorurteil ist wie folgt definiert: „Nicht objektive, oft auch von feindseligen Gefühlen bestimmte Meinung, die sich jemand ohne Prüfung der Tatsachen voreilig, im Voraus über jemanden oder etwas gebildet hat.“

Folgende Szene:

Die Sonne scheint. Es ist angenehm warm. Meike und Frank sitzen auf einer Bank vor einem Gebäude, inmitten eines landschaftlichen Kleinods. Meike ist gehbehindert und kleinwüchsig, Frank normal groß, keine Behinderung. Neben der Bank steht ein Rollstuhl. In dem Gebäude befindet sich eine Gastronomie, welche das Ziel ist für viele Wanderer, aber auch für Gäste, die mit dem Auto ankommen. 

Wie mag wohl die Einschätzung der meisten Gäste sein, die Meike und Frank auf der Bank sitzen sehen und sie nicht kennen?

Vielleicht in etwa so:

Da sitzt der Pfleger mit seinem Schützling auf der Bank. 

Es ist ein herrlicher Sommertag und es bot sich die Gelegenheit, abseits des Pflegeheims oder wo auch immer die Frau lebt, einen Spaziergang zu machen. 

Vielleicht sind im Umkreis noch mehr von Ihnen unterwegs? 

Zur Autorin: Monika Hiller ist kleinwüchsig und gehbehindert. Sie ist als Inklusionsbeauftragte der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach für Inklusion und Abbau von Barrieren zuständig. Die Texte dieser Serie sind reale Geschichten und sollen für das Thema „Barrieren“ sensibilisieren.

Oder ob das ein Ausflug der Werkstatt für Menschen mit Behinderung ist? Der Transporter auf dem Parkplatz gehört sicherlich dazu. 

Wie bewundernswert ist doch dieser Pfleger, dass er diesen Beruf gewählt hat und wie nett er sich um die Frau kümmert. 

Schön, dass sie auch mal etwas anderes sieht! Hoffentlich kann sie das überhaupt wahrnehmen. 

Ob sie auch geistig einschränkt ist? 

Toll, dass er das macht. Ich könnte das nicht! 

Hoffentlich sind die anderen von denen nicht in der Gaststätte, wir wissen nicht, ob wir damit umgehen können und irgendwie stört das ja auch. 

Ich bin total tolerant Menschen mit Behinderung gegenüber, aber bitte nicht in meinem direkten Umfeld!

Überspitzt

Zugegeben, es ist überspitzt und vielleicht nicht jeder, der die Beiden sieht, nimmt diese Einschätzung in Gänze so vor, aber ich bin mir sicher, ein Stück weit wird es so sein, oder? Zumindest wirft es Fragen auf.

Aber würde jemand die Situation so einschätzen, wie sie tatsächlich ist? Die beiden genießen die Sonne, dass stimmt! Aber dass Meike mit ihrem Ehemann Frank auf der eigenen Bank sitzt? Ihnen das Gebäude gehört, sie hier leben und die Gaststätte verpachtet haben? Und noch vieles mehr?

Unterschätzt

Warum werden Menschen mit Behinderung oft unterschätzt? Ist es nicht allmählich Zeit, das zu ändern? Allerdings müsste man sie dafür kennenlernen dürfen und wollen …

Menschen im Rollstuhl sind nicht an diesen gefesselt, es ist der einzige Weg, dass sie sich fortbewegen können und nur das ermöglicht ihnen Teilhabe am Leben!

Menschen sind keine hilfsbedürftigen Wesen, sie sind Menschen, die lediglich manchmal Hilfe brauchen!

Menschen mit Behinderung sind nicht ständig unglücklich, sie leben ihr Leben auf ihre Art und das bedeutet nicht gleichzeitig arm und unglücklich. Sie haben gelernt, mit dem Alltag umzugehen und es bereitet ihnen nicht diese Schwierigkeiten.

Menschen mit Behinderung können durchaus auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten, wenn man Ihnen Chancen gibt und … sie leben ein eigenständiges Leben in der eigenen Wohnung, vielleicht hier und da mit der Hilfe einer Assistenz!

Menschen mit Behinderung sind Menschen wie du und ich!

Hinweis der Redaktion: Monika Hiller hat gemeinsam mit Katharina Kaul von Inbeco, einer Beratungsstelle der Katholischen Jugendagentur, einen Podcast zum Thema Inklusion gegründet; dort sprechen die beiden regelmäßig über „Geschichten aus dem Alltag“:

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