Um drei Euro steigt der Hartz IV-Satz zum Jahreswechsel. Am starken Andrang in den Ausgabestellen des Vereins Die Tafel in Gladbach und Bensberg wird das nicht viel ändern, macht Vorstand Markus Kerckhoff bei einem Besuch vor Ort klar. Die Hilfe der Tafeln sei dringend notwendig, zur Bekämpfung der Armut wäre mehr Prävention aber viel besser.

Eine lange Schlange hat sich am Samstag des vierten Advents an der Ausgabe- und Sortierstelle der Tafel in Bergisch Gladbach gebildet. Hier decken Bedürftige ihren Bedarf an Nahrungsmitteln. Der Eingang zu dem kleinen Ladengeschäft der Tafel liegt etwas zurück, in einem Hinterhof. Die Menschen stehen Schlange, bis hoch an die stark befahrene Kalkstraße.

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Menschen mit Kinderwagen sind da, mit großen Taschen, meist sind sie allein. Es ist ein düster-nebliger Tag. Die leeren Blicke der Bedürftigen sind auf die hell scheinenden Fenster der Tafel gerichtet, auf die Rücken der Wartenden in der Schlange.

Es herrscht Ruhe, nur hier und da ist ein leises Handy-Gespräch zu hören. Kein Gedränge, obwohl die Nachfrage groß und die Wartezeit länger als üblich ist.

Bis zu 5 Tonnen Lebensmittel wöchentlich

„Die Nachfrage nach unserem Angebot hat sich in der Pandemie nicht gewandelt, sie ist unverändert hoch“, erklärt Markus Kerckhoff. Der Apotheker gehört zum Vorstand der Tafel. Er sitzt mit Fleece-Jacke in der Küche der Tafel und sorgt an diesem Samstag für einen reibungslosen Ablauf, klärt Probleme, ist Ansprechpartner für die ehrenamtlichen Helfer der Tafel.

Markus Kerckhoff mit Marlene Hoffmann, die den Verein bereits seit Gründung der Tafel unterstützt, Foto: Holger Crump

Die Ehrenamtler wuseln durch den Verkaufsraum, registrieren die Tafel-Kunden, kümmern sich um die Warenausgabe. In der Küche hantiert Marlene Hoffmann. Sie ist seit 2007, dem Gründungsjahr der Tafel, mit dabei. „Der gute Geist der Tafel“, stellt Kerckhoff die emsige Dame vor. Sie hat immer einen Kaffee parat, verteilt kleine Stücke Christstollen.

„Wir geben vier bis fünf Tonnen Lebensmittel pro Woche heraus. Möglich machen dies rund 130 Ehrenamtler:innen und sechs Bundesfreiwillige“, zählt Kerckhoff die Fakten auf.

Ihre „Kunden“, wie sie bei der Tafel heißen, würden für Haushalte unterschiedlicher Größen einkaufen. Von Alleinstehenden bis zu Familien mit 15 Köpfen reiche das Spektrum.

Lebensmittel für 200 Euro

Die Abgabe der Tafel an Lebensmitteln richtet sich nach der Haushaltsgröße: Je mehr Personen, desto mehr Nahrungsmittel. Der Preis bleibt gleich. Zwei Euro kostet der Einkauf, auch „Abgabe“ genannt.

Einmal pro Woche dürfe man neuerdings wieder einkaufen, bis vor kurzem war nur zweimal im Monat gestattet, Corona-bedingt. „Die Kunden erhalten theoretisch Lebensmittel im Wert von 200 Euro pro Monat“, macht der Vorstand klar. Das würde jedoch kaum einer der Kunden in Anspruch nehmen.

Die Ziele der Tafel
Lebensmittelverschwendung vermeiden
Arme Menschen unterstützen
Unabhängig von politischer oder religiöser Orientierung bzw. Einflussnahme
www.bergisch-gladbacher-tafel.de

„Im Schnitt kommen die Kunden nur 1,5 mal im Monat vorbei“, sagt Kerckhoff. Das habe auch damit zu tun, dass den Betroffenen wenig Erfahrung in der Selbstfürsorge hätten. Die Einteilung eigener Ressourcen oder die Zubereitung von Nahrungsmitteln seien oft nicht bekannt oder vermittelt worden.

„Da ist es dann auch mal der gewaschene und abgepackte Salat aus dem Supermarkt oder das völlig überteuerte Fertiggericht, das zum Monatsbeginn gekauft wird, wenn Geld da ist“. Erst wenn das Budget knapper werde fänden die Kunden den Weg in die Tafel.

900 feste Kunden

Über 5.000 Kundenausweise seien bislang ausgegeben worden, rund 900 Menschen würden zum festen Kundenstamm gehören, sagt Kerckhoff. Die Armutszahlen in Deutschland ließen sich ohne weiteres auf Bergisch Gladbach übertragen: Circa zehn Prozent der Menschen seien betroffen, die Kinderarmut liege gar bei 25 Prozent.

Große Familien, Alleinerziehende, alleinlebene Senioren und Menschen mit Migrationshintergrund würden zu den Gruppen gehören, die besonders anfällig für Armut seien.

Sebastian Peters unterstützt über seinen Bundesfreiwilligendienst die Arbeit der Tafel. Während des Besuchs des Bürgerportals war er das Bindeglied zwischen Lager und Verkaufsraum und stellte den Warenfluss der Abgaben sicher, Foto: Holger Crump

Einen Kundenausweis der Tafel gibt es für Hartz IV-Empfänger oder Menschen mit niedrigem Einkommen. Der Ausweis wird gegen einen entsprechenden Nachweis ausgestellt. „Da gelten feste Regeln. Wenn sich die Situation des Kunden bessert, dann beenden wir auch die Unterstützung.“

Die Tafel e.V. in Bergisch Gladbach – Daten und Fakten

Gründung am 18. August 2007 in der Kalkstraße
Zweigstelle seit dem 28. Juli 2011 in der Reginharstraße, Bensberg
Seither Kundenausweise an 5.424 Haushalte mit insgesamt 10.995 Personen ausgegeben
Abgabe von Lebensmitteln an durchschnittlich 354 Haushalte mit 968 Personen innerhalb von zwei Wochen
113 Vereinsmitglieder im Verein Bergisch Gladbacher Tafel e.V.
Kooperation mit 45 Geschäften und einem Lebensmittelhersteller
Unterstützung durch 120 ehrenamtliche Mitarbeiter, im Durchschnitt jeweils 12 Stunden im Monat,
Rund 17.300 Stunden ehrenamtliche Arbeit im Jahr in der Tafel
Sechs Bundesfreiwillige
Finanzierung ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und den Abgaben der teilnehmenden Haushalte (2 Euro pro Abgabe)

Viele Unterstützer

Zahlreiche Unternehmen aus der Region unterstützen die Tafel in Bergisch Gladbach. Mit Fahrzeugen oder Transportbehältern. Und natürlich mit hochwertigen Lebensmitteln, teils passgenau abgepackt für die Bedarfe der Kunden.

Drei Fahrzeuge würden je zwei fest geplante Touren pro Tag fahren, um die Ware einzusammeln. In der Kalkstraße werde die Ware dann geprüft und sortiert und für die Ausgabe vorbereitet.

Der Andrang an diesem Samstag zeigt: Das muss flott gehen, immer wieder werden Körbe mit Salat oder Gemüse vom Lager in den Verkaufsbereich getragen. Die Schlange draussen vor dem Eingang wächst dennoch rasch. Eine Ehrenamtlerin kommt und berichtet vom Unmut der Wartenden.

Und der kommt nicht ganz zu unrecht auf: Die Kunden sind in Gruppen eingeteilt, kaufen während rollierenden Zeitfenstern in der Tafel ein. So kommt jeder einmal als Erstes an die Reihe. Heute haben sich wegen des Andrangs die Zeitfenster nach hinten verschoben.

„Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen“, meint Kerckhoff. Die Ausgabe erfolge nicht flott genug. Er wird mit den Ehrenamtlern sprechen, damit der Prozess wieder reibungsloser vonstatten gehe.

Markus Kerckhoff vom Vorstand des Vereins Die Tafel e.V. vor der Reinigungsanlage für die Lebensmittelkörbe, Foto: Holger Crump

Hängematte versus Barmherzigkeit

Die Ehrenamtler der Tafel arbeiten unter 2G-Regeln mit FFP2-Maske. Für die Kunden gelte 3G. Eine Kontrolle findet nicht statt, ohne Lebensmittel muss keiner nach Hause gehen. „Wir lassen niemanden stehen“, erklärt Kerckhoff.

Auch für Kunden, die sich unter Corona nicht organisieren wollen oder vielmehr nicht können, würde man eine Regelung finden. Das nicht können klingt mitunter lapidar. Es ist aber eines der zentralen Probleme der Tafel-Kunden.

„Eigentlich ist unser Angebot kontraproduktiv“, erzählt Markus Kerckhoff. „Jede Hilfe sollte Hilfe zur Selbsthilfe sein. Günstig Essen kaufen macht indes abhängig. Es ist eine soziale Hängematte.“

Aber: Viele ihrer Kunden hätten kaum das Vermögen, sich selbst zu helfen. Es sei ihnen nie vermittelt worden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und das beginne oft schon bei der Organisation des täglichen Bedarfs. „Da ist der Zug abgefahren. Unsere Hilfe ist daher im Sinne der Barmherzigkeit einfach nur notwendig“, konstatiert Kerckhoff.

Falsche Scham

Hungern müsse in Deutschland niemand, „nur für den Fall, dass ich mich selbst dafür entschieden habe.“ Die Angebote für Bedürftige seien reichlich, das Wirtschaftssystem produziere genügend Überschuss, den man den Bedürftigen zur Verfügung stellen könne.

Freilich mit einem hohen Aufwand, schaut man auf das Heer der Ehrenamtler in den vielen Hilfsorganisationen der Stadt.

Und nicht jeder Bedürftige nutzt die Angebote. Gerade bei älteren Menschen herrsche eine falsche Scham: Der Gang zur Tafel käme für einige Menschen einem Outing gleich, es nicht geschafft zu haben, schildert Kerckhoff.

„Da anstellen? Dann sieht jeder dass ich gescheitert bin“, heißt es dann oft. In Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden stelle man daher für Betroffene Warenlieferungen zusammen und kümmere sich darum dass es vor Ort ankomme. Damit auch jene versorgt werden, für die das Risiko bei der Tafel erkannt zu werden noch schwerer wiegt als der Hunger.

Genug für alle

Im Lager der Tafel, Foto: Holger Crump

Einen Wettbewerb um Waren und Lieferanten zwischen den einzelnen Hilfsorganisationen sehe er nicht, sagt Kerckhoff. „Es ist genug für alle da!“ Er sieht gleichwohl Unterschiede in der Professionalisierung der Angebote. Hygiene, Organisationsgrad, Erfahrung, Seriosität, Zahl der Mitarbeiter – das seien für ihn Punkte die für die Tafel sprächen.

Warum braucht man überhaupt die Tafeln?

Anstieg der Arbeitslosigkeit, Jobverlust durch Corona, gestiegene Lebenshaltungskosten, Nachfragesog durch andere Gesellschaftsgruppen – das sind für Kerckhoff Argumente, die vielleicht auf Verbands-Ebene gelten mögen. Das seien Argumente, die eine Nachfrage suggerierten, um eigene Angebote zu rechtfertigen.

Mehr Prävention

Er sieht das Problem indes viel grundsätzlicher: „Viele Kunden könnten auf Angebote wie die Tafel verzichten, wenn man früh Prävention betrieben hätte“, sagt der Tafel-Vorstand.

Er nennt mit Blick auf die Migranten vor allem Schulpflicht und Spracherwerb als zentrale Elemente, um später sein Leben abseits der Hilfsbedürftigkeit aktiv gestalten zu können. Stattdessen würde die Gesellschaft Menschen für Jobs im Niedriglohnsektor „produzieren“, die dann wiederum auf Angebote wie die Tafel zurückgreifen müssten.

Foto: Holger Crump

Aber auch individuelle Einstellungen führten zur Bedürftigkeit. Manche würden nur Rechte, aber keine Pflichten kennen, wird Kerckhoff deutlich. Da werde die Chancengleichheit falsch verstanden. Hinzu kämen fehlende Grundrechte für Kinder.

Hier müsse man ansetzen, um die Bedürftigkeit aus sich selbst heraus in den Griff zu bekommen. „Mehr Prävention gleich weniger Reparatur“, so sein Credo.

Und Kerckhoff verschwindet wieder in den Räumen der Tafel. Damit die Schlange der Kunden heute endlich kürzer wird.

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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1 Kommentar

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  1. Traurig das es in einem der reichsten Länder der Erde nötig ist,aber gut das es die Tafel gibt.