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Menschen mit Demenz genießen Auszeit mit Kunst und Musik in der Villa Zanders

Für Menschen mit Demenz und deren Angehörige bietet das Kunstmuseum Villa Zanders einmal im Monat eine Begegnung mit Kunst an. Dabei geht es nicht nur um einen Einblick in die aktuellen Ausstellungen, um Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Sondern einfach auch um eine schöne Zeit für alle im Museum, wie das Bürgerportal bei einem Besuch erlebt.

Text: Holger Crump. Fotos: Thomas Merkenich

„Veronika, der Lenz ist da!“ Museumspädagogin Claudia Betzin drückt beherzt in die Tasten ihres Akkordeons. Die Besucher:innen des Kunstmuseums Villa Zanders sitzen im Kreis um Betzin und singen kräftig mit. Im Gegensatz zu den jüngeren Teilnehmer:innen beherrschen die Älteren meist den Text und die Melodie.

Dabei leiden einige von ihnen an Demenz. Doch die Erfahrung zeigt: An Dinge von „früher“ erinnern sie sich in der Regel gut. Nur Aktuelles ist meist schnell vergessen. „Wir wollen an Erinnerungsinseln der Besucher:innen anknüpfen“, erläutert Sabine Elsa Müller vom Kunstmuseum Villa Zanders. Dazu spreche man verschiedene Sinne an.

Bilder und Musik aus den jungen Jahren riefen starke Emotionen hervor, sie seien der Schlüssel zur Welt der Betroffenen. Wie gut dies funktioniert, erleben wir bei unserem Besuch an diesem Dienstagnachmittag.

Foto: Thomas Merkenich

Kunst, Kaffee, Kuchen

Acht Besucher:innen sind mit Begleitung ins Kunstmuseum gekommen, um ausgewählte Kunstwerke zu betrachten, um darüber zu sprechen. Dann wird gesungen, anschließend gibt es Kaffee und Kuchen.

„Dementia + art“ nennt sich das inklusive Format. Einmal im Monat bietet das Museum die Führung an. Gruppen können nach Anmeldung auch zwischendurch kommen.

Mitarbeiter:innen und Museumspädogik des Kunstmuseum hätten dazu bereits 2016 eine spezielle Schulung in Köln durchlaufen, erklärt Claudia Betzin. Dort hat der Autor Jochen Schmauck-Langer die für das Angebot namensgebende Organisation dementia + art auf die Beine gestellt. Sie kümmert sich um Teilhabe-orientierte Vermittlung von Kunst und Kultur.

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„Lebt sie noch?“

Los geht es mit einer kurzen Einführung im Foyer der Villa Zanders. Claudia Betzin, selbst Künstlerin, erzählt von der Geschichte des Hauses, deutet auf das Portrait der Erbauerin Maria Zanders, das an der Wand hängt. Leitet in einfachen Worten über zum Kunstmuseum und dessen Aufgaben.

Und dann geht es auch schon in den ersten Stock, zur Ausstellung „Künstlerinnen-Komplex“ von Carola Willbrand.

Diese Arbeiten eignen sich gut für die Führung, berichtet Betzin, da Willbrand mit Stoff und Faden arbeite. „Das knüpft an den Lebenshintergrund der Besucherinnen an“ ergänzt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sabine Müller.

„Lebt Frau Willbrand denn noch?“, fragt eine Besucherin. „Ja, in Köln“, sagt Betzin, sie sei 71 Jahre alt und arbeite jeden Tag im Atelier. Alter, das wird hier zur Frage der Perspektive.

Betzin deutet auf eine Figurengruppe zu Beginn der Ausstellung. Die Besucher:innen, die auf Klappstühlen oder ihrem Rollator sitzen, recken die Köpfe. Entdecken Materialien, zeigen auf den Teppich mit Stickerein.

Foto: Thomas Merkenich

Zustimmendes Nicken, wenn Betzin vom „roten Faden“ spricht, der sich durch Willbrands Werk zieht, so wie durch das Leben. „Haben Sie früher auch genäht und gestickt?“ – „Nicht nur früher, jetzt auch noch“, kommt es keck aus der Gruppe zurück. Gelächter.

Erfrischende Auszeit

Weiter geht es zu einer raumfüllenden Skulptur, die von der Decke hängt – das „HimmelsHöllenKleid“ von Carola Willbrand. An der Wand gestickte und geschriebene Schrift. „Wie Kinderschrift“ sagt ein Besucher, der die Führung mit seiner Frau besucht.

Eine Frau blickt vergnügt umher und summt vor sich hin. „Sie singt schon ihr ganzes Leben“, sagt ihr Sohn, der sie begleitet.

„Was ist das für ein Material?“ deutet eine Dame auf die Skulptur. Betzin berichtet über Lumpen, aus denen das Papier produziert wurde. Schlägt den Bogen zur Papierstadt Bergisch Gladbach.

„Gefällt ihnen sowas?“ will sie wissen. „Nicht unbedingt!“ kommt es postwendend von einer Besucherin zurück. Das Bedürfnis nach Kunst geht mit der Erkrankung nicht verloren – die Meinung auch nicht.

Andere erforschen die Skulptur, entdecken aufgenähte Figuren. Spätestens hier wird deutlich, dass die Konfrontation mit Kunst wohltuend ist, dass sie den Blick auf andere Dinge lenkt. Sie wirkt erfrischend, diese kleine Auszeit: Das Betrachten von Kunst, die Erläuterungen von Betzin, das Ambiente des Hauses, das Zusammensein mit anderen.

Meiers Kättche

Der letzte Raum der Ausstellung zeigt Portraits wichtiger Weggefährtinnen von Willbrand. Darunter auch eine Tante Käthe. Eine Verwandte, die zentral für den künstlerischen Weg von Carola Willbrand gewesen ist.

Inklusive Angebote im Kunstmuseum Villa Zanders

Kunstlabor – praktisches, kunstnahes Arbeiten für junge Menschen mit und ohne Behinderung ab 13 Jahren, jeden zweiten Samstag im Monat

dementia + art – Museumsbesuch für Menschen mit Demenz, jeden zweiten Dienstag im Monat

Barrierefreier Zugang: Das Kunstmuseum ist für Rollstuhlfahrer:innen über eine Rampe am Nordeingang (gegenüber Rathaus) zugänglich, ebenso sind alle öffentlichen Räume barrierefrei zugänglich.

Claudia Betzin greift zum Akkordeon, stimmt „Ming eetste Fründin“ an. Im Text taucht das „Meiers Kättche“ auf. Vielleicht haben die Bläck Fööss gar Willbrands Tante Käthe besungen? Man weiß es nicht.

Es wird laut und kräftig gesungen, viele der Besucher:innen brauchen den in großer Schrift gedruckten, ausgeteilten Text nicht. Das Singen macht Spaß, auch uns Journalisten. Es bringt uns zusammen, zaubert ein Lächeln auf die Gesichter, hier und da wippt ein Fuß, schunkelt man versonnen hin und her.

Etwas anderes als Spielfilm gucken

Beim Kaffee im grünen Salon im Erdgeschoss kommt das Gespräch schnell in Gang. Aber weniger über gesundheitliche Beschwerden, wie man es sonst gerne bei solchen Gelegenheiten hört. Der Fokus hat sich verschoben.

Eine Besucherin malt Mandalas, freut sich über die Inspiration durch das Kunstmuseum. Eine andere hatte gar mal eine Ausstellung in der Villa Zanders. Die Erinnerung fällt schwer, aber man könne ja nochmal etwas zusammen machen, schlägt sie Claudia Betzin vor.

Foto: Thomas Merkenich

Ein Teil der Besucher:innen kommt aus dem Hans-Hermann-Vos-Haus in Wipperfürth, eine Einrichtung des DRK für Menschen mit Demenz. Die Betreuerin berichtet begeistert von einem ähnlichen Ausflug nach Köln. „Da haben wir uns ein Bild von Max Liebermann angesehen, das kennen die Leute“, sagt sie.

Ein Museumsbesuch, das sei etwas anderes als einen Spielfilm anschauen, erzählt ein anderer Besucher. Und das Ehepaar von vorhin ist sich einig: „Wir kommen wieder!“

Einfach eine schöne Zeit – es kann so einfach sein.

Die ganze Fotoreportage zur Veranstaltung:

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