Ein Bild und seine Geschichte: „Nachdenklich“ von Ruth Lange
Ruth Lange leitet knapp 30 Jahre eine eigene Praxis als Physiotherapeutin, bis sie wegen Schulterschmerzen aufgeben muss. Sie fängt mit dem Malen an, ihrem neuen Lebensinhalt. Doch auch dies muss sie wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung lange Zeit unterbrechen. Sie kämpft sich zurück. „Nachdenklich“ ist das erste Bild, das Ruth Lange in der Zeit „danach“ fertig gestellt hat.
Es ist ein langer Weg bis Ruth Lange, geborene Griesmeier, mit dem Malen beginnt.
Ihre Familie stammt aus Wartin in der Uckermark, nahe der polnischen Grenze. Ruth Lange kommt 1948 zur Welt. Vier Jahre später fliehen die Eltern nach Ostberlin, wollen in den Westen. In Berlin schaffen sie es über die Grenze und kommen zunächst bei Verwandten unter.
Mit vier Kindern geht es anschließend in die westlichen Bundesländer, durch sechs Flüchtlingslager. Bis die Familie schließlich eine Wohnung am Bodensee findet, „die erste eigene Wohnung!“
Das Bild „Nachdenklich“ im Original können Sie im Fenster unseres „FreiRaum“ betrachten. Im Schaufenster in der Hauptstraße 257 in der Innenstadt (gegenüber der Stadtbücherei) zeigen wir fortan Bilder, die eine besondere Vergangenheit haben. Wie das Bild aus dieser Geschichte. Sie können es vom Bürgersteig aus anschauen, ohne Anmeldung, im Vorbeigehen.
Die Serie „Ein Bild und seine Geschichte“ erzählt in loser Reihenfolge von Gemälden, Fotografien oder anderen Exponaten, die eine ungewöhnliche Historie haben. Kennen Sie solch ein Werk? Dann schreiben Sie an redaktion@in-gl.de

30 Jahre selbständig
Ruth Lange wächst am Bodensee auf, beginnt mit einer Ausbildung zur Arzthelferin. Ein Patient erzählt ihr dann vom Beruf der Physiotherapeutin. „Das will ich machen“, beschließt sie. Der Bruder bezahlt die zweijährige Ausbildung, die sie erfolgreich beendet.
Sie lernt ihren Mann kennen, es geht ins Bergische, mit dem Hausbau in Burscheid kommt die eigene Praxis. Aber nach fast 30 Jahren muss sie aufgeben, „die Schulter war kaputt.“
Die physiotherapeutische Praxis habe einen guten Ruf gehabt, erzählt Ruth Lange, manche Patienten würden heute noch anrufen.
Neustart an der Staffelei
Sie sucht sich einen neuen Lebensinhalt und beginnt zur Jahrtausendwende mit dem Malen. So wie ihre Mutter, die zuhause auch immer gemalt habe. Landschaften, Blumen. Aber erst nachdem sie, die Tochter Ruth, aus dem Haus gewesen sei.
Auch Ruth Langes Kinder sind längst aus dem Haus, als sie zum Pinsel greift. „Malen, das liegt in der Familie!“
Die ehemalige Physiotherapeutin nimmt Malkurse. „In Burscheid wohnte eine 70-jährige Dame, Edith Dousier.“ Hier trifft man sich rund vier Jahre lang, jeden Montagabend um 19 Uhr, zum Malkurs.
Es folgen erste Ausstellungen, Aquarelle mit Naturmotiven, ein Werk wird im Studio Dumont gezeigt (siehe Kasten). Ruth Lange nimmt weitere Kurse in Köln, bei einem russischen Maler. „Da bin ich am Wochenende hingefahren, mit der Linie vier von Schleebusch nach Köln“, erzählt sie. Die Kurse finden samstags und sonntags statt, sie übernachtet bei ihrer Tochter. Das ist ihre Auszeit.

Ruth Lange im Studio Dumont
„2005 habe ich ein Bild bei einem Malwettbewerb des Kölner Stadtanzeiger eingereicht. Ein Wartender, vielleicht ein Reisender im Aufbruch?
Mit Tusche und Pipette auf Aquarell-Papier. Mein Mann meinte, das Bild würde nicht passen. Nach zwei Wochen kam plötzlich der Anruf, dass ich unter den 10 Gewinnern der 350 Einsendungen sei. Und dann wurde das Bild im Dumont-Studio ausgestellt.“
Entstehen lassen
Sie malt Bilder um Bilder, teils inspiriert durch Reisen ans Mittelmeer. Ein Bube aus Griechenland, den skizziert sie vor Ort auf einem Markt.
Aber: „Es muss nicht immer fröhlich sein. Die Gestalten auf den Bildern entstehen einfach.“ Engel habe sie viele gemalt, sich von den Fenstern im Altenberger Dom inspirieren lassen, erzählt sie.
Hinzu kommen Aktzeichnungen, aber auch religiöse Motive. Und immer steht der Mensch im Fokus, ein Portrait, der Kopf. Gesichter. Sie male intuitiv, selten geplant. Und meist Frauen.
Bilder weit weg
Dann überfallt sie aus dem Nichts eine neue Krankheit, eine lebensverkürzende Diagnose, „massiv und plötzlich“, wie Ruth Lange im Rückblick erzählt. Die Zeit wird angehalten. An Dinge wie die Malerei ist nicht zu denken.
„Da war das Malen plötzlich ganz weit weg, ich hatte keinen Kopf mehr für meine Bilder“, sagt sie.
Familie Lange verkauft ihr Haus in Burscheid, zieht in eine Wohnung in Bergisch Gladbach. Ohne die vielen Treppenstufen komme sie hier besser zurecht, meint sie. Alle Bilder kommen mit. An den Wänden in der neuen Wohnung hängen Gemälde von früher.
Lange angeschaut
Und ein Bild steht die ganze Zeit auf der Staffelei. Es ist noch nicht fertig: „Nachdenklich“ lautet der Titel. Ein Mädchen, in Gedanken versunken.
Vielleicht lockt es ein wenig? Verlangt die Fertigstellung? „Wir haben uns jedenfalls immer wieder angeschaut“, erzählt Ruth Lange. Sie und das Mädchen auf dem Bild.
Zu diesem Beitrag: Ich lernte Ruth Lange bei einer Reportage über das SAPV-Team des Vinzenz Pallotti Hospitals kennen. Dabei erfuhren wir auch mehr über ihre Malerei. In unseren Gesprächen entwickelten wir gemeinsam die Idee, das Bild „Nachdenklich“ auszustellen und über ihren Weg zu berichten.
„Ein Bild auf der Staffelei hatte es Herrn Crump bei einem Besuch angetan. Und nun geht es damit ins Schaufenster. Ich freue mich“, erklärt Ruth Lange.
Kinder haben motiviert
Vor gut einem halben Jahr greift sie dann endlich wieder zum Pinsel. „Mit grün, weiß und blau bin ich ran an das Bild.“ Es sei ja noch alles da gewesen, die Acrylfarben, die Pinsel.
Ruth Lange vollendet den Hintergrund ihrer Arbeit, die so lange auf sie gewartet hat. Es sei schnell gegangen. „Der Versuch ist nun da, ich freue mich wenn ich wieder etwas hinbekomme“, sagt sie.
Physiotherapie und Malerei – beide Leidenschaften im Leben von Ruth Lange wurden jäh unterbrochen. Woher nimmt sie die Kraft, um immer wieder neu zu starten?
„Es hat sicher damit zu tun dass es irgendwie weitergehen muss“; sagt Ruth Lange, „das man sich nicht fallen lassen will.“ Aber auch die Kinder hätten eine wichtige Rolle dabei gespielt: „Sie haben mich letztlich motiviert wieder mit dem Malen zu beginnen!“