Der CAP-Markt in Paffrath lebt Inklusion: Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten in dem Supermarkt Seite an Seite. Die Atmosphäre ist herzlich und familiär, das schätzen nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch viele Kund:innen. Wir haben Emine Altunkilic, die für Hygieneprodukte verantwortlich ist, aber auch alles andere kann, eine Schicht lang begleitet.
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Energisch schüttelt Emine Altunkilic den Kopf und nimmt die Packung mit den roten Weintrauben aus dem Regal. „Mein Kollege hat die bei den Äpfeln einsortiert. Das geht nicht, das sieht nicht schön aus“, sagt sie und räumt die Trauben ein ganzes Stück weiter nach rechts.
„Ich bin schon von Anfang an hier im Laden und kenn mich am besten aus beim Obst und Gemüse. Da hab‘ ich mein System und setze mich durch“, sagt die 38-Jährige selbstbewusst. Sie stellt sich als Emine vor, „die Kollegen nennen mich Mine oder Minchen“.

Emine arbeitet seit über 17 Jahren im CAP-Markt in Paffrath. Auf den ersten Blick ein gewöhnlicher Supermarkt – lediglich etwas kleiner als üblich – mit frischem Obst und Gemüse, Milchprodukten, Tiefkühl- und Konservenwaren, Brot, Getränken, Wurst- und Fleischtheke sowie vielen Artikeln des täglichen Bedarfs.
Die individuellen Talente und Stärken
Tatsächlich ist der CAP-Markt ein Ort der gelebten Inklusion. Hier arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung Seite an Seite. 11 der 18 angestellten Mitarbeiter:innen (darunter drei Auszubildende) haben eine Beeinträchtigung. Aber das spielt im Arbeitsalltag kaum eine Rolle, wie Marktleiter Willi Mehl betont. „Hier zählt der Mensch. Nicht das, was jemand nicht kann, sondern was möglich ist.“
Mehl hat den Markt im Jahr 2008 mit eröffnet. Zuvor leitete der 60-Jährige eine Supermarkt-Filiale mit 70 Mitarbeitenden und einer sechsmal so großen Verkaufsfläche. Berührungsängste mit behinderten Menschen habe er nie gehabt. „Aber ich musste anfangs lernen, dass es völlig verschiedene Behinderungen gibt und jeder neben individuellen Eigenheiten vor allem bestimmte Talente mitbringt. Einer ist vielleicht nicht so helle, dafür aber bärenstark.“
Vertraute Atmosphäre
Der Umgangston der Kolleg:innen untereinander wirkt mitunter flapsig, aber unglaublich herzlich. Wer den Supermarkt betritt, spürt schnell, dass hier eine vertraute Atmosphäre herrscht. „Emine ist heute aufgeregt, weil die Presse zu Besuch ist“, sagt der Marktleiter feixend in Richtung seiner Angestellten. „Pass auf, sonst leg ich dich übers Knie“, antwortet Emine schlagfertig und lacht laut. Emine lacht viel in ihrer Schicht.

Die 38-Jährige flitzt in einem solchen Tempo durch die Gänge des Supermarktes, dass wir kaum folgen können. Sie verschwindet hinter einer schweren Tür und kommt kurze Zeit später mit einem großen Rollwagen aus dem Kühlhaus, auf dem sich grüne Kisten mit Salatköpfen, Paprika und Äpfel stapeln.
Zielsicher steuert Emine damit vorbei an Regalen, Kund:innen und Kolleg:innen Richtung Eingangsbereich. Dort räumt sie Kiste für Kiste aus, sortiert Früchte und Gemüsesorten an die vorgesehenen Stellen. „Was kosten die Mandarinen?“, fragt ein Kunde. „3,49“, antwortet Emine wie auf Knopfdruck.
Deutschlandweit gibt es 108 CAP-Märkte. Der Name leitet sich aus dem englischen Begriff Handicap ab. Ziel ist die Inklusion von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt.
Der CAP-Markt in Bergisch Gladbach wird von der Caritas RheinBerg als Inklusionsbetrieb geführt und bietet Menschen mit und ohne Beeinträchtigung faire Beschäftigungsmöglichkeiten.

Hintergrund: Der CAP-Markt
„Eigentlich ist meine Abteilung die Hygiene-Abteilung. Für die bin ich zuständig und mache einmal in der Woche die Bestellungen. Aber ich bin hier das Mädchen für alles“, erklärt die 38-Jährige. „Ich mache auch alles gern: Waren einräumen, bestellen, Kasse.“
Sie nimmt einen Obstbeutel, steckt drei etwas verschrumpelte Auberginen hinein, knotet die Tüte zu und legt sie in einen Korb mit reduzierten Waren. „Die kosten jetzt 99 Cent. Alles, was ich selbst nicht mehr essen oder kaufen würde, soll ich aussortieren, sagt der Chef.“
Zeit für einen Plausch
Eine Kundin mit Rollator betritt den Laden. „Guten Morgen, Liebelein“, ruft Emine ihr fröhlich zu. „Wir haben leckere Avocado.“ – „Ich koche heute Suppe, dafür brauche ich keine Avocado“, antwortet die Kundin lachend. „Okay, wann gibt’s Essen bei dir? Dann mache ich meine Pause und komme zu dir rüber“, schlägt Emine vor. Die beiden Frauen lachen.
„Ich wohne seit zehn Jahren mit meinem Mann in Paffrath. Hier ist es einfach klasse, nicht so anonym“, schwärmt die 72-Jährige. Emine und ihre Kolleg:innen seien immer hilfsbereit und freundlich. Die Atmosphäre sei anders, herzlicher als in den sonstigen Supermärkten und vor allem deutlich entspannter.
Fast täglich komme die Stammkundin. Zehn Minuten brauche sie zu Fuß mit ihrem „Porsche“ – sie deutet auf ihren Rollator. „Für mich ist das auch ein Lauftraining. Aber das Sortiment hier ist auch einfach gut.“ Wenn doch einmal etwas fehle, bestellen die Mitarbeiter es gleich. „Das gibt es nicht überall.“

Bestellungen für den nächsten Tag
Emine steuert ihren Rollwagen zurück durch den Laden. „Obst und Gemüse ist voll. Den Rest bringe ich ins Lager und fülle später nochmal auf“, erklärt sie. Ihre Schicht dauert heute von 10 bis 19 Uhr, dazwischen hat sie zweimal 30 Minuten Pause.
Nun stehen die Bestellungen für den nächsten Tag an, die Liste muss Marktleiter Mehl bis 12 Uhr an den Lieferanten schicken. „Wieviele Mangos?“, fragt Mehl. „Eine Kiste würde ich nehmen“, antwortet Emine. „Ingwer?“- „Reicht noch.“
So arbeiten sich der Marktleiter und die Angestellte Produkt für Produkt durch die Liste. Frische Waren werden täglich, sogenannte Trockenware wie Reis, Mehl oder Nudeln einmal in der Woche bestellt.
Etiketten für Angebote drucken
Ein paar Meter weiter sortiert Emines Kollegin Sabrina Pfahl konzentriert Joghurt, Quark und Käse in die Kühltheke. Die neuen Produkte kommen nach hinten, die mit dem kürzeren Haltbarkeitsdatum nach vorne. Dort, wo Lücken entstanden sind, zieht sie Artikel behutsam vor, so dass diese bündig mit dem Regalfach abschließen.
Pfahl arbeitet hochkonzentriert und schweigend. Im Büro druckt die 43-Jährige Etiketten für Produkte, die im Angebot sind. Der Frischkäse von Buko kostet aktuell 0,99 Euro, die Butter von Kerrygold 1,99 Euro.
„Ich mache am liebsten die Mopro, das ist meine Abteilung“, sagt sie später in einer Pause. Die 43-Jährige ist für die Abteilung für Molkerei- und Tiefkühlprodukte zuständig. Sie sei gern im CAP-Markt, die Kollegen seien nett, die Kunden auch.
Nun scannt Pfahl Frischkäse, Kräuterbutter, Joghurt und andere Produkte mit kurzer Haltbarkeit. „Sachen, die bald ablaufen, verkaufen wir 40 Prozent billiger.“ Sie scannt diese, lässt das Gerät den neuen Preis berechnen, auf rot-leuchtende Preisschilder drucken, die sie auf die Produkte klebt.
Wir trauen den Menschen hier etwas zu, das tut ihnen gut.Marktleiter Willi Mehl
„Emine und Sabrina sind Vorzeige-Mitarbeiterinnen. Sie sind hier gewachsen und haben sich toll entwickelt“, schwärmt Marktleiter Mehl. Kosteten früher Dinge wie der Arbeitsweg mit dem Bus oder der Umgang mit Menschen große Überwindung, sind sie heute beide tragende Säulen des Teams, leiten ihre eigenen Abteilungen in dem Supermarkt. „Wir trauen den Menschen hier etwas zu, das tut ihnen gut.“

Im Unterschied zu Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, wo diese nur ein sehr geringes Gehalt bekommen, werden alle Mitarbeiter:innen des CAP-Marktes angelehnt an den Tarifvertrag des Einzelhandels bezahlt. Der CAP-Markt arbeitet nicht gewinnorientiert. „Man kann mit einem Supermarkt in dieser Größe kein Geld verdienen. Aber man kann Leben verändern“, sagt Mehl.
Auch wenn der Supermarkt als Inklusionsbetrieb Zuschüsse des LVR erhalte: „Am Ende des Jahres muss eine schwarze Null stehen. Aber das schaffen wir, da bin ich ganz entspannt.“ Betrieben wird der Supermarkt von der „mitten im leben GmbH“, einem Tochterunternehmen der Caritas RheinBerg. Das Sortiment kommt von Edeka.
Schwierige Lage am Arbeitsmarkt
Der CAP-Markt setzt damit einen Gegentrend: Denn für Menschen mit Behinderung hat sich die Arbeitsmarktsituation laut Inklusionsbarometer der Sozialorganisation „Aktion Mensch“ im vergangenen Jahr weiter verschlechtert. So erfüllen immer weniger Unternehmen die vorgegebene Beschäftigungsquote von behinderten Menschen und zahlen stattdessen Ausgleichszahlungen. Zudem lag die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung fast doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote.
Inzwischen sitzt Emine an einer der beiden Kassen. Pausenvertretung für einen Kollegen. Routiniert zieht sie die Waren über den Scanner. „Das macht 32,89. Haben Sie Payback?“, fragt sie ihre Kundin.
Nachdem sie weitere Kund:innen freundlich begrüßt, bedient und mit einem „Schönen Tag noch“ verabschiedet hat, ist ihr Kollege aus der Pause zurück. „Können Sie bitte an die andere Kasse gehen? Sonst hat mein Kollege nichts zu tun“, ruft Emine einem Mann zu und lacht ihr lautes Lachen, das noch oft durch den Markt schallen wird.
„Es geht uns nicht nur darum, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen, sondern eine Nahversorgung zu bieten, insbesondere für ältere und eingeschränkte Menschen“, erläutert Marktleiter Mehl.
Sozialer Treffpunkt
Der Markt fungiere auch als sozialer Treffpunkt. „Viele unserer Kunden kennen sich untereinander, halten einen Plausch, auch mit unseren Angestellten. Manche kommen sogar zweimal am Tag, weil sie einsam sind“, so Mehl. Der persönliche Kontakt sei allen sehr wichtig. Wer nach einem bestimmten Artikel suche, werde zum entsprechenden Regal gebracht und nicht quer durch den Laden geschickt.

Der CAP-Markt beliefert täglich Großkunden wie Kitas, Werkstätten und Caritas-Wohnhäuser, bietet darüber hinaus auch einen Lieferservice für private Kund:innen an. Telefonisch geben sie die Wunschartikel durch, die ihnen nach Hause gebracht werden.
CAP-Markt
Neue Nussbaumer Straße 2
51469 Bergisch Gladbach (Paffrath)
02202/ 96 47 51 3
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8 bis 19 Uhr, Samstag 8 bis 14 Uhr
Internetseite
In Emines Abteilung, dem Gang mit Hygiene-Artikeln, wartet später noch ein voll bepackter Rollwagen mit wilder Mischung: Katzenstreu trifft auf Waschpulver, Kaffeefilter auf Fertig-Kartoffelpüree. „Herrjemine“, ruft die 38-Jährige. In der nächsten halben Stunde wuselt sie durch die Gänge, verschwindet immer wieder hinter Regalen.
Im Laufe des Tages legen die Mitarbeiter:innen weite Strecken zurück. Rollwagen werden geschoben, Paletten und Kisten gestapelt, Waren verräumt, Regale neu einsortiert. „Acht bis neun Kilometer läuft man so am Tag, das hat eine Kollegin mit ihrem Handy gemessen“, berichtet Emine.
Im Marktleiterbüro kann Emine sich nun etwas erholen: Sie zählt das Geld in einer Kasse mit einer Zählmaschine. „Man zählt immer, bevor man sich an die Kasse setzt und danach, wenn man die Kasse wieder im Tresor verschließt.“ 400 Euro müssten als Wechselgeld immer drin sein. „Und es darf nicht mehr oder weniger Geld drin sein, als wir eingenommen haben – aber ich habe immer eine Nullkasse.“ Dann stimmt also alles.
Die Einnahmen werden regelmäßig zur Bank gebracht. Den Schlüssel zum Tresor haben neben dem Marktleiter und seiner Stellvertreterin nur einzelne Mitarbeiter. Emine gehört dazu.
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An dieser Stelle mal ein herzliches Lob für die lesenswerte Berichterstattung aus der Arbeitswelt, bei der ein Einblick hinter die Kulissen gegeben wird und die Betroffenen zu Wort kommen. Über die Arbeitswelt, gerade in unserem lokalen Umfeld, wird viel zu wenig berichtet. Deshalb ein Kompliment für diese Serie des Bürgerportals. Frau Stolzenbach, aber auch der Fotograf Thomas Merkenich, leisten hier anerkennenswerte Arbeit!
Hier in der Kleinstadt in der ich wohne hat sich der CAP – Markt nur 1 Jahr gehalten; er hatte keine Chance gegen die anderen Supermärkte (Rewe, Edeka, Aldi, Netto).
Menschen, die Dinge nicht nur tun, für die sie auf dem ersten Blick überhaupt nicht geeignet erscheinen, sondern sogar richtig gut hinbekommen… Sind das nicht die eigentlichen Stars in einer gesunden Gesellschaft?
Als Stammkunde vom ersten Tag an, freue ich mich jedes Mal, von einer Kassiererin abkassiert zu werden, welche aufgrund ihrer Handbehinderung eigentlich gar kein Kleingeld abzählen kann … und sie hat sich bei mir noch nicht einmal verzählt.
Was wir Nichtbehinderten in diesem besonderen Markt auch fürs Leben lernen können, ist, dass Zeit keine Rolle spielt und Geld nur einen funktionalen Wert hat und keinen Sinngebenden. Was jedoch nicht bedeutet, dass hier das Preis/Leistungsverhältnis nicht stimmen könnte – im Gegenteil…
In diesem tollen Laden kaufe ich regelmäßig ein : es gibt alles auf kleinstem Raum : es ist übersichtlich sortiert , ein sehr guter Metzger ,Eier und Nudeln von Steffens, ein gekühlter Schrank mit Fertigessen -und so ein nettes Personal – empfehlenswert!
Mir geht’s Herz auf! Ganz großartig!
Das war interessant.