Zwischen Ehekrise, Einsamkeit und beruflichem Druck: In der Selbsthilfegruppe Liebevollich treffen sich Frauen und Männer, um miteinander Lösungen zu entwickeln, statt allein zu kämpfen. Im Zentrum steht ein Leitsatz: Würdevoll mit sich umgehen, um es auch mit anderen zu können.
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In einer Zeit, in der die Gewalt zunimmt und die Würde der Menschen stark leidet, bietet die Selbsthilfegruppe Würdevollich einen geschützten Raum, um würdevoll mit sich und anderen umzugehen. Hier werden Menschen unterstützt, ihre eigene Würde zu erkennen, zu stärken und zu leben.
Die Selbsthilfegruppe ist Teil des Vereins Liebevollich e. V., den Cornelia Schwöppe im Juni 2023 gründete, „um die Würde wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und Menschen zu unterstützen, seelisch zu gesunden“, wie sie selbst erklärt. Selbsthilfegruppe und Verein verstehen sich als Wegbegleiter für Menschen, die ihre innere Stärke entdecken, ihr Potenzial entfalten und ein selbstbestimmtes Leben führen möchten.
In der Gruppe treffen sich diejenigen, die sich in einer Lebenskrise oder schwierigen Situation befinden und reflektieren möchten, was sie bedrückt oder belastet. Sie suchen nach Klarheit und Lösungen, um wieder mehr Lebensfreude empfinden zu können. „In dieser Gruppe begegnen sich alle würdevoll. Man tauscht sich aus und stärkt sich gegenseitig auf dem eigenen Weg zu mehr Selbstbewusstsein, Selbstachtung und Selbstwirksamkeit“, sagt Schwöppe.
Was bedeutet Würde?
„In allen Worten, die mit ‚Selbst‘ anfangen, ist diese Würde enthalten“, so steht es in der „Gebrauchsanweisung für ein Leben in Würde“ des Vereins Liebevollich. Dazu zählen unter anderem das Selbstbewusstsein, das Selbstvertrauen, die Selbstreflexion oder die Selbstwahrnehmung. Die Gruppenteilnehmer:innen – in der Regel zehn bis zwölf Frauen und Männer zwischen 30 und 70 Jahren – haben das Bedürfnis, dieses Selbst zu leben. „Nur wenn ich würdevoll mit mir umgehe, kann ich mich anderen gegenüber würdevoll verhalten“, heißt ein zentraler Leitsatz dieser Selbsthilfegruppe.
Erkrankungen, Beeinträchtigungen und seelische Krisen belasten das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen sehr. In diesen schweren Zeiten tut ein Austausch in einer mitfühlenden Gemeinschaft gut. In einer Selbsthilfegruppe steht man sich bei und setzt sich für andere ein. Selbsthilfegruppen bilden „ein starkes Netz aus Verständnis, Hoffnung und gegenseitigem Trost, wobei jede Begegnung, jede geteilte Erfahrung und jedes offene Wort den Betroffenen Kraft gibt“, so die Selbsthilfekontaktstelle in Bergisch Gladbach.
Selbsthilfegruppen ergänzen ambulante, stationäre und rehabilitative Versorgungen und entlasten somit unser Gesundheitswesen. Das ehrenamtliche Engagement der Menschen, die eine SHG miteinander gestalten, ist beispielhaft.
Teilnehmen und teilen, miteinander und füreinander, gemeinsam informieren, dies macht die gesellschaftlich wertvolle Arbeit aller Selbsthilfegruppen aus.
Annette Voigt, Gründerin der SHG „mein Darm und ich“, stellt einige der Gruppen in unserer Serie vor – die damit einen guten Überblick über die Selbsthilfegruppen im Rheinisch Bergischen Kreis bietet.
Hintergrund: Selbsthilfegruppen in Rhein-Berg
„Selbstwirksamkeit“ findet sich in dem umfangreichen Informationsmaterial des Vereins häufig und meint beispielsweise, Eigenverantwortung für sich selbst zu übernehmen und das eigene Leben aktiv aus eigener Kraft zu gestalten. Dies setzt die Wahrnehmung eigener Gefühle und Bedürfnisse voraus, d. h., im Einklang mit sich selbst zu sein. „Selbstwirksamkeit“ meint auch, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, um Herausforderungen meistern zu können.
Dabei kann es hilfreich sein, wenn andere Feedback geben und ermutigen. „In meiner Würde bin ich kraftvoll, klar und mutig, mich abzugrenzen. Hier lerne ich, meine eigenen Grenzen zu akzeptieren“, berichtet Sabine. „Liebevoll ist, würdevoll mit mir selbst zu sein. Das musste ich erst lernen. Ich wuchs mit der Moral ‚Liebe deinen Nächsten‘ auf. Doch wo blieb ich dabei?“, erzählt Gudrun, die diese Gruppe schon seit Jahren besucht.
Hilfe zur Selbsthilfe wirkt
Alle begrüßen das breite Spektrum an Themen, die hier in der Gruppe erörtert werden: Themen wie Ehekrise, Einsamkeit, Krankheit, berufliche Probleme, Abgrenzung gegenüber Freunden.
Einer Teilnehmerin fällt es beispielsweise schwer, die Gefühle ihrer Mutter zu verstehen.
Ein junger Mann berichtet, dass ihn seine Gefühle ängstigen und er in der Gruppe lernen möchte, mit diesen Ängsten klarzukommen.
Ein anderer Teilnehmer fragt sich, ob Egoismus grundsätzlich verwerflich sei.
Es sind Themen, bei denen sie nicht weiterkommen und die Unterstützung anderer benötigen. „Jede/r wird hier aufgefangen“, meint jemand anderes. „Es ist schön zu erleben, wie wir mental in dieser Gruppe stabiler werden“, resümieren andere.
In einer Einführungsrunde zu Beginn eines Gruppenabends machen die Anwesenden darauf aufmerksam, dass sie ein Thema haben. Anschließend werden dazu persönliche Erfahrungen und Ideen ausgetauscht.
Wertschätzende Spielregeln
Damit jede/r frei Gefühle äußern und ausleben kann, sind wertschätzende Spielregeln nötig. So bleibt alles Gesagte in der Gruppe; es wird wertfrei zugehört, anstatt zu urteilen. „Ich muss keine Angst haben, Blöße zu zeigen“, erklärt eine Teilnehmerin.
Eine erfahrene Moderation sorgt dafür, dass der Austausch in einem geschützten und respektvollen Rahmen stattfindet. „Die Moderatorin verhält sich dezent und greift nur ein, wenn es nötig ist“, stimmt die Gruppe überein. Alle schätzen die vertrauensvolle und persönliche Atmosphäre, in der es leichtfällt, sich zu öffnen und in der gelacht, gemeckert und auch geweint wird.
Kontakt zu Würdevollich
Um vorherigen E-Mail-Erstkontakt wird gebeten, da die Termine und Wochentage der Treffen in Bergisch Gladbach wechseln: auf jeden Fall zweimal pro Monat, jeweils von 18 bis 20 Uhr.
Informationen gibt es auf der Website und bei Cornelia Schwöppe: schwoeppe@liebevollich.de, Telefon: 02202-979851
Während einer Gruppensitzung werden viele Fragen gestellt, und die Antworten darauf führen zu Klarheit und oftmals zu Lösungsansätzen. Zu diesen Fragen zählen auch die „Reflexionsfragen“, beispielsweise:
- „Wann hast du dich wirklich gesehen und gewürdigt gefühlt?“
- „Wann hast du zuletzt deine eigene Würde oder die eines anderen wahrgenommen und geachtet?“
- „Wie kannst du bewusst darauf achten, andere in ihrer Einzigartigkeit und somit ihrem Wert zu respektieren?“
- „Welche Rolle spielen Selbstachtung und Selbstfürsorge für deine eigene Würde?“
- „Wie sieht das soziale Umfeld aus, in dem du dich wertgeschätzt fühlst?“
Die Motive der Selbsthilfebesucher:innen sind individuell verschieden. Sabine freut sich jedes Mal auf die Gruppe. Sandra empfindet die Gruppe als bereichernd. Steffi schätzt den liebevollen Umgang miteinander. Daniel geht im Anschluss an die Gruppe beschwingt nach Hause: „Ich suche meinen Platz in meinem Leben, und die Gruppe hilft mir dabei. Ich habe jetzt viel mehr positive Energie.“
Gudrun sucht ihre Würde: „Ich weiß, dass ich eine habe. Ich bin hier, damit ich es nicht vergesse.“ Gerda erlebt, dass sich Belastendes in der Gruppe löst: „Ich bin erleichtert und zufriedener, seit ich diese Gruppe besuche.“ Ein anderer Teilnehmer wiederum definiert die Gruppe als Selbsterfahrungsgruppe.
Würde World Cafés und Tag der Würde
Die „Würde World Cafés“ ergänzen die Aktivitäten der Selbsthilfegruppe und finden zweimal im Jahr statt. Zusätzlich veranstaltet der Verein den alljährlichen Aktionstag „Tag der Würde“ in der Fußgängerzone von Bergisch Gladbach.
In den Cafés diskutieren Interessierte rund um das Thema „Würde“, beispielsweise darüber, wie sie die Würde in ihrem Leben bewusst stärken und bewahren können. Jeder Abend besitzt ein eigenes Thema. Die Anwesenden sitzen an runden Tischen und wechseln nach einer bestimmten Zeit ihre Plätze. So lernen sie viele Menschen und deren Meinungen kennen, und das Thema intensiviert sich dank dieser Methode.
„Im öffentlichen Raum erinnern wir uns daran, was die Gesellschaft zusammenhält. Es ist die Würde des Menschen“, sagt Schwöppe zum Abschluss meines Gruppenbesuchs.
Willkommen sind alle, die einen offenen Austausch über ihre derzeitige Lebenssituation suchen, eigene Grenzen kennen und schützen und ihre Würde und Lebensfreude wiederentdecken möchten. Würdevoll zu leben ist ganz einfach zu praktizieren – egal wo, ob beispielsweise im Café, im Bus, auf dem Markt oder bei einem Plausch mit Freunden.
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Alle Beiträge der Serie
„Ich glaube dir“: Selbsthilfegruppe klärt über Endometriose auf
Endometriose ist eine chronische und meist sehr schmerzhafte Erkrankung, von der etwa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter betroffen ist. Die Selbsthilfegruppe „Endo…was“ in Bergisch Gladbach will Tabus brechen, aufklären und Betroffene ermutigen, offen über ihre Krankheit zu sprechen. Wir haben mit den Leiterinnen der Gruppe im Rahmen unserer Serie über Selbsthilfegruppen gesprochen.
ADHS-Selbsthilfe für Erwachsene findet großen Zuspruch
Auch für viele Erwachsene ist ADHS eine große Herausforderung. In Bergisch Gladbach schaffen zwei Selbsthilfegruppen einen geschützten Rahmen für Austausch und Unterstützung – und stoßen auf so großes Interesse, dass jetzt eine weitere Gruppe entsteht. Wir haben uns das Angebot im Rahmen unserer Serie über Selbsthilfegruppen angeschaut.
Der HörBar e.V. hilft, wieder hören zu können
Jeder Fünfte kann nicht gut hören und verstehen. Hörbehinderte vermeiden daher für sie schwierige Situationen wie Einkaufen, Konzerte oder Telefongespräche. Ihre Lebensqualität ist stark eingeschränkt, viele drohen zu vereinsamen. Wer schlecht hört, wird oft missverstanden oder mitunter für eigenbrötlerisch gehalten. Der HörBar e.V. setzt sich daher aktiv für die Menschen ein, die von Hörverlust betroffen sind.…
Gemeinsam stärken: Gruppe gegen Angsterkrankungen
Wenn Angst kein Schutzmechanismus mehr ist, sondern zu einer Erkrankung oder Phobie wird, hat das gravierende Auswirkungen auf die Betroffenen. In einer Selbsthilfegruppe in Bergisch Gladbach werden sie aufgefangen und lernen, ihre Ängste zu bewältigen. Mit diesem Beitrag setzen wir die Serie über Selbsthilfegruppen in Rhein-Berg fort.
Begegnung für alle – für Menschen mit und ohne Behinderung
Menschen mit einer Behinderung sind nach wie vor benachteiligt. Sie begegnen im Alltag vielen Hindernissen, von nicht behindertengerechten Haltestellen oder Toiletten in Restaurants, die nur über Treppen zu erreichen sind. Der Club behinderter Menschen und ihrer Freunde macht es sich seit 1976 zur Aufgabe, die Lebenssituation der Betroffenen nachhaltig zu verbessern.
Auffangen, informieren, begleiten: Die Frauenselbsthilfe Krebs
Die Diagnose Krebs verunsichert und ängstigt die Betroffenen und sie fühlen ihr eigenes Leben bedroht. Der Weg zur Gesundung scheint unendlich schwer. In dieser Krise benötigen sie Gleichgesinnte, die sie auffangen, grundlegend informieren und in ein Leben mit oder nach Krebs begleiten wie in der Gruppe „Frauenselbsthilfe Krebs“. Mit diesem Beitrag setzen wir die Serie…
Sorgen teilen: Selbsthilfe für pflegende Angehörige Demenzerkrankter
Wer einen nahestehenden Demenzerkrankten zu Hause pflegt, ist besonderen Belastungen ausgesetzt, körperlich und seelisch. In einem Gesprächskreis können sie über ihre Sorgen und die eigenen widersprüchlichen Gefühle reden, sich gegenseitig bestärken – und so neue Kraft schöpfen. Mit diesem Beitrag setzen wir die Serie über Selbsthilfegruppen in Rhein-Berg fort.
Mitteilen und teilen: Mein Darm und ich
Schmerzen, Verdauungsprobleme oder Schlafstörungen, das sind nur einige von vielen Symptomen bei einem Reizdarmsyndrom und einer Divertikulitis Erkrankung. Der Alltag der Erkrankten ist erheblich belastet und einschränkt. Für sie bietet diese Selbsthilfegruppe Austausch, Entlastung, Unterstützung und Aufklärung. Dieser Beitrag setzt unsere Serie zu Selbsthilfegruppen in Rhein-Berg fort.
Trauer bewältigen: „New life alone“-Selbsthilfegruppe
Der Verlust des Partners schmerzt unendlich und wird individuell sehr verschieden erlebt und verarbeitet. In der noch recht jungen Selbsthilfegruppe „New live alone“ lernen die Betroffenen, damit zurecht zu kommen – und geben sich gegenseitig Halt. Mit diesem Beitrag setzen wir die Serie über Selbsthilfegruppen in Rhein-Berg fort.
Füreinander: Eine Gruppe für Frauen mit Essstörungen
Eine Essstörung ist eine schwerwiegende Erkrankung. Sie wird von den Betroffenen häufig verheimlicht. In diesem Gesprächskreis können sie jedoch alles Belastende miteinander besprechen. Seit 2018 gibt es dieses Angebot für Frauen in Bergisch Gladbach. Mit diesem Beitrag setzen wir die Serie über Selbsthilfegruppen in Rhein-Berg fort.
Hilfe geben, Hilfe annehmen: Neue Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige
Viele pflegebedürftigen Menschen werden zuhause von Angehörigen und Freunden betreut. Der Alltag dieser Pflegenden ist belastet, fordert heraus und bedeutet eine immens große Verantwortung. In ihrem Anspruch, die Pflegebedürftigen bestmöglich zu versorgen, vergessen die Pflegenden oft sich selbst. Für sie gibt es in Refrath jetzt eine neue Selbsthilfegruppe. Mit diesem Beitrag starten wir eine Serie über Selbsthilfegruppen in…

