Heide Hamann bei einer Aufführung von „Der kleine Hirte und der große Räuber“

Heide Hamann bei einer Aufführung von „Der kleine Hirte und der große Räuber“

Das Telefon klingelte. „Hier ist Georg Geist vom Jugendamt Bergisch Gladbach.“, sagte die Stimme in der Leitung. „Meine Frau ist Lehrerin und hat Ihr Puppentheater Lapislazuli bei sich in der Schule erlebt. Sie war begeistert. Wir suchen in Bergisch Gladbach eine Leitung für ein festes Haus. Bitte, setzen sie sich mit Frau Dr. Ursula Abels unserer Kulturreferentin in Verbindung, wenn sie interessiert sind.“

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War ich interessiert?  Ich hatte nie über ein festes Haus nachgedacht. Die Kosten für Miete, Werbung, Nebenkosten schienen mir eine zu große Belastung zu sein.

So wartete ich etwa eine Woche, dann entschloss ich mich, die Rahmenbedingungen zu erfragen.

„Sie schickt mir der Himmel!“, meinte Frau Dr. Abels, als ich mich am Telefon meldete. Die Marionettenspielerin Ruth Schröder, die das Theater bis vor einiger Zeit leitete, hatte alles sehr plötzlich hingeworfen und war ins Ausland gegangen. Ich erfuhr, dass weder Miete noch Nebenkosten anfallen würden. „Und dann suchen sie händeringend jemanden für das Theater? Wo ist denn da der Haken bei der Sache?“, dachte ich mir.

Also antwortete ich vorsichtig, dass ich nicht Puppenspielerin geworden sei, um meine Freiheit an Bergisch Gladbach zu verkaufen. Mir wurde versichert, dass niemand in die Spielplangestaltung, die Anzahl der Vorstellungen oder die Form der Werbung hineinreden würde. Einziger Wunsch war, dass ich Kurse im Puppenspiel gebe.

Der kleine Prinz

Der kleine Prinz

Ein Jahr auf Probe

Das schien mir kein Problem, hatte ich doch schon während meiner Ausbildung meinem Lehrer Rudolf Fischer bei Kursen für Lehrer und Erzieher assistieren müssen. Kurse für Kinder zum Thema Puppenspiel hatte ich innerhalb des Studiums gemacht.

Vorsichtshalber vereinbarte ich, dass ich mich erst einmal ein Jahr zur Probe festlegen wolle, sodass beide Seiten noch die Möglichkeit hätten, alles rückgängig zu machen (es wurde später nie mehr die Probezeit erwähnt, ich war glücklich mit dem Puppenpavillon, und die Stadtverwaltung war zufrieden mit mir).

Im September 1988 haben Rudolf und Erika Fischer vom Darmstädter Puppenspiel, bei dem ich gelernt hatte, den Puppenpavillon  mit „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry eröffnet. Ich war erstaunt, wer alles zu dieser Eröffnung gekommen war. Mit so viel Interesse auch seitens offizieller Stellen der Stadt – Volkshochschule, Bücherei, Verwaltung, Politik – hatte ich nicht gerechnet.

Ein Haus voller Gäste – und Feste

Ich hatte nicht genug Stücke, um allein ein festes Haus zu bespielen. Außerdem hielt ich es für sinnvoll, dem Publikum Einblick in die breite Vielfalt des Figurentheaters zu geben. Deshalb engagierte ich von Anfang an Gastbühnen, sodass ein vielfältiger und interessanter Spielplan zu Stande kam.

Der Nachteil: Der Puppenpavillon war noch nicht sehr bekannt, die Zuschauerzahlen und damit die Einnahmen gering. Den Kollegen wollte ich aber ein angemessenes Honorar zahlen. So musste ich die Einnahmen, die ich durch eigene Vorstellungen erzielte, im erste Jahr für Gagen der Gastbühnen und für Werbungskosten  ausgeben, steckte in den Puppenpavillon viel Arbeit und konnte keinen Gewinn entnehmen. Meinen Lebensunterhalt finanzierte ich durch die Tätigkeit mit meiner Reisebühne.

Kurse für Kinder und Erwachsene

Die Kursarbeit war für mich eine beglückende und interessante Ergänzung meiner bisherigen Tätigkeit. Mit Kindern habe ich Projekte zu den Themen Kolumbus und Südamerika, Umwelt, Märchen, Wasser und vielen anderen gemacht.  Dabei ging es mir immer in erster Linie um die Persönlichkeitsentwicklung der Menschen, mit denen ich gearbeitet (nein: gespielt, man sagt ja „Puppenspiel“ und nicht „Puppenarbeit“) habe.

So hatte ich in einer Gruppe zwei Schwestern, die eine sehr dominant, die andere schüchtern. Ich habe daraufhin das Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“ vorgeschlagen. Die Schüchterne habe ich in den Proben die Rolle von Rosenrot spielen lassen, die dominante Schwester durfte Schneeweißchen spielen. Ohne dass ich belehren musste, haben die beiden sehr viel über ihr Verhältnis zueinander und ihre vorherrschenden Eigenschaften erfahren. Die eine wurde mutiger und etwas extrovertierter, die andere hat gelernt, sich zurück zu nehmen.

Auch bei den Kursen für Erwachsene konnte ich ähnliche Beobachtungen machen. Als nach einem Kurs ein Reporter eine der Teilnehmerinnen fragte, ob sie nun ihren Enkelkindern Puppentheater vorspielen würde, antwortete diese: „Nein, das nicht, aber ich trau mich endlich, zu sagen, was ich möchte. Ich bin mutiger und selbstbewusster geworden.“

Auch die Politik hat Platz im Puppentheater

Mit den Erwachsenen haben wir nicht nur literarische Themen wie „Ein Engel kommt nach Babylon“ oder „Die Bürgschaft“ frei nach Schiller gemacht, sondern auch immer wieder politische Themen aufgegriffen.

So gab es Straßentheater, nachdem in Solingen das Haus einer türkischen Familie angezündet worden war: In diesem Stück haben wir uns mit Ausländerfeindlichkeit beschäftigt. Wir haben im Rahmen eines Stadtfestes zum Thema „Eine Welt“ ein Szenenprogramm  gemacht und während des Jugoslawienkrieges  Straßentheater mit großen Figuren gegen Gewalt aufgeführt.

Immer hatten die Kursteilnehmer viel Raum für eigene Ideen. Ich sah es als meine Aufgabe, durch methodisch-didaktische Hilfestellungen die Improvisationsfähigkeit  und die Spielfreude der Teilnehmer zu fördern.

Die guten Geister des Puppenpavillons

Kleiner Prinz - das Ensemble: Gerd J. Pohl, adsf, Heide Hamann

Kleiner Prinz – das Ensemble: Gerd J. Pohl, Gundula Mehlfeld, Heide Hamann

An einem der Kurse nahm Gundula Mehlfeld teil, die mich einige Zeit später bat, ob sie bei mir lernen könne, da sie ihren Beruf als Erzieherin aufgeben wollte, um Puppenspielerin zu werden. Ich suchte zu der Zeit eine Mitspielerin für die Stücke, die von zwei Personen gespielt werden mussten. Da ich durch die Kurse wusste, wie begabt Gundula war, sagte ich zu.

Es kam zu einer 18 Jahre dauernden Zusammenarbeit, die im Laufe der Zeit zu einer engen Freundschaft wurde. Wir haben miteinander die Stücke für zwei Personen  gespielt, gemeinsam neue Stücke entwickelt und uns gegenseitig Regie geführt. 18 Jahre haben wir intensiv und nah zusammen gearbeitet und nicht einmal gab es Streit oder Spannungen, Jede hat sich an dem Erfolg der anderen gefreut.

Heide Hamann (Mitte) und das Team: Anny Krumbe, Nanda Tillmann, Gerd J. Pohl, Gundula Mehlfeld: Foto: Helga Niekammer

Heide Hamann (Mitte) und das Team: Anny Krumbe, Nanda Tillmann, Gerd J. Pohl, Gundula Mehlfeld. Foto: Helga Niekammer

Auch Anny Krumbe, die gute Seele des Puppenpavillons, hat ganz wesentlich zum Erfolg des Theaters beigetragen. Sie hatte das Büro unter sich, nahm Kartenbestellungen und Aufträge an, sorgte für Ordnung und, falls ich keine Zeit hatte, auch für Sauberkeit und erinnerte mich an alle Termine. Immer geduldig, sowohl dem Publikum, als auch mir gegenüber, hat sie zum Stil des Hauses, der mir sehr am Herzen lag, wesentlich beigetragen.

Der Puppenpavillon wurde mir im Laufe der Zeit nicht nur zum Arbeitsplatz, zu dem ich mit Freude ging, sondern zum Lebensmittelpunkt. Der große, helle freundliche Kursraum lud dazu ein, auch private Feste dort zu feiern. Nach den Abendvorstellungen habe ich das Publikum regelmäßig zu kostenlosem  Imbiss und Getränken eingeladen, um den Abend abzurunden. Sowohl das Publikum, als auch Gundula  Mehlfeld und ich haben dieses Zusammensein genossen. So manche Freundschaft oder gute Bekanntschaft hat sich durch diese Abende ergeben.

Was eine Brandkatastrophe auswirken kann

Ein ganz wesentlicher Einschnitt war es, als 1998 der Theaterraum abgebrannt ist. Eine Doppelsteckdose war defekt, innerhalb von drei Minuten brannte die eine Ecke im Theater lichterloh. Der gesamte Theatersaal ist ausgebrannt, Bühnenbilder und Puppen, die dort gelagert waren, inbegriffen. Es war eine Katastrophe und ich trug mich mit dem Gedanken, nur noch mit meiner Reisebühne zu arbeiten.

Aber ich durfte feststellen, dass mir gar keine Wahl blieb, als weiter zu machen. An einem Samstagnachmittag hatte es gebrannt, schon am nächsten Sonntagvormittag wurde während des Gottesdienstes für das Theater gesammelt. Montags kamen Schulkinder der Realschule und schenkten mir ihr Taschengeld. Spenden von allen Seiten, Hilfe, selbstlos und spontan.

So kam nach dem Brand ein Polizist, Herr Danger, in seiner Freizeit zu mir.  Er hatte von dem Brand im Radio gehört, und da sein Sohn ein Fan meines Theaters sei, wolle er fragen, ob er mir irgendwie helfen könne. Und ob er konnte! Ich bekam nämlich die Erlaubnis, die Puppen, die durch Löschwasser beschädigt waren, aus der Brandstelle zu holen. Ursprünglich war gesagt worden, der Raum darf nicht betreten werden, bevor er untersucht worden ist. Nur auf diese Weise konnten etliche Puppen gerettet werden, denn das Pappmaschee, aus dem viele Köpfe waren, wäre über das Wochenende aufgeweicht.

Nachbarn haben sich eingefunden und die Puppenkleider gewaschen und die Puppen getrocknet. Nanda Tillmann, meine Freundin und Bühnen- und Puppenbildnerin, hat ihren Urlaub abgebrochen, um zu helfen. Herr Trauschieß von der Bensberger Bank kam am Montag in seiner Mittagspause zum Puppenpavillon, um mir zu sagen, dass ich mir keine Sorgen machen solle – die Bank würde mich nicht hängen lassen.

Das Gebäude war durch die Stadt versichert. Donnerstags war der Gutachter der Versicherung da, am darauf folgenden Montag hatte ich schon die Handwerker auf dem Dach. So schnell und ohne Ausschreibung wurden die Aufträge vergeben. Vertreter sämtlicher Parteien hatten signalisiert, dass unbürokratisch und schnell aufgebaut werden sollte; der Leiter des Bauamtes, Herr Monheim, obwohl kurz vor seiner Pensionierung, unterstützte dies nach Kräften und machte das Unmögliche möglich.

Alfred Rass, unser Drucker, hat sich meinen Verteiler geben lassen und alle Zuschauer angeschrieben, um um Spenden zu bitten.

So bekam ich trotz der vielen Arbeit und der Trauer um die Stücke, die unwiederbringlich verbrannt waren, doch die Wertschätzung spüren, die meiner Arbeit entgegengebracht wurde. So etwas erlebt man sonst nur im Nachruf auf Beerdigungen, ich aber durfte es nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten erfahren.

Das Schlimmste am Brand war, es Gundula zu sagen. Wir hatten acht Monate in jeder freien Minute an unserem Stück „Das Hemd eines Glücklichen“ gearbeitet und wollten es zum zehnjährigen Bühnenjubiläum für Erwachsene aufführen. Und nun war an eine Premiere zu dem Zeitpunkt nicht zu denken.

Wir holten die Aufführungen im Januar nach und haben alle Helfer und Spender dazu eingeladen. Acht Tage haben wir jeden Abend gespielt und gefeiert.

Vom zweiten Jahrzehnt im Puppenpavillon ausführlich zu berichten würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. So sei nur beiläufig die Arbeit bei Fritz Roth  im Beerdigungsinstitut erwähnt wo ich mit 1000 Kindern jährlich, jeweils in Klassenstärke, meditative Spielaktionen zum Thema „Leben und Tod“ gemacht habe.

„Die Welt ein wenig heiler und bunter gestalten“

Auch die Arbeit in Grundschulklassen zum Thema Soziales, Gewaltfreiheit, Anerkennung und Verantwortung füreinander war eine sinnvolle und gute Ergänzung zu den Vorstellungen. Als mich einmal jemand fragte, was all diese Tätigkeiten miteinander zu tun hätten, konnte ich spontan antworten:

Sie alle sind Seelennahrung. Sie alle verwirklichen das Motto, was ich zu Beginn meiner Tätigkeit als Puppenspielerin gewählt habe, nämlich: die Welt ein wenig heiler und bunter zu gestalten.“

Das zwanzigjährige Bühnenjubiläum  vom Puppenpavillon und das dreißigste der Reisebühne Lapislazuli  haben wir dann auch in den Januar verschoben, da es gleichzeitig mein Abschied vom Puppenpavillon werden sollte. Ich war 69, und das Spielen ist auch körperlich eine Anstrengung. Hinzu kam, dass ich meinen letzten Lebensabschnitt noch ganz bewusst  gestalten wollte und nicht erst als Pflegefall in eine neue Umgebung wechseln mochte.

So genieße ich jetzt das Dasein als Landfrau und Oma im äußersten Osten Deutschlands. Ich bin erstaunt, wie einfach es war, diesen geliebten Beruf loszulassen und mich neuen Horizonten zuzuwenden. Aber ab und zu holt mich die Sehnsucht ein nach der Arbeit und den Menschen in Bensberg.

Dann blicke ich voll Dankbarkeit zurück auf zwanzig Jahre Puppenpavillon.

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2 Kommentare

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  1. 20 Jahre Puppenpavillon – davon gehören auch einige Jahre uns! Die Zeit, in denen unsere Kinder noch klein waren und wir besonders in der Herbst- und Winterzeit, in eine wundervolle, märchenhafte Welt eintauchen durften, die ich heute oft vermisse.
    Wie verzaubert saß mein Sohn in dem kleinen, heimeligen Theater in dem es plötzlich nach Geburtstag „roch“ und das schönste Geschenk der Welt, ein glitzernder Glasstein war.
    DANKE, dass wir das alles bei Ihnen erleben durften.
    Wir gratulieren von Herzen zum Jubiläum und grüßen Sie als einen Teil „unserer“ Kindheit, den wir so sehr geliebt haben.
    Alles erdenklich Gute,
    Die Lindners

  2. Meine Kinder und ich sind damals ( wenn ich das Alter meiner Kinder nehme, muß es in den ersten Jahren des Puppenpavillons gewesen sein ) sehr gerne in den Vorstellungen gewesen. Wir fanden jede Vorstellung einfach toll. Ich war auch im kleinen Prinzen…unbeschreiblich !!!!