„einerseitsandererseits“ lautet der Titel der neuen Ausstellung in der Galerie Schröder & Dörr. Claudia Betzin zeigt Installationen und Druckgrafiken, in der sie unkonventionelles Ausgangsmaterial mit dem Sampling von Strukturen kombiniert. Virtuos variiert die Künstlerin Schnitt und Druck zu vielfältigen Unikaten, die als Tableaus, Solitäre oder Rauminstallationen überzeugen.
Text: Holger Crump. Fotos: Thomas Merkenich
Im Fokus der neuen Ausstellung von Claudia Betzin stehen die beiden Werkgruppen Rheingold und alloverblue. Raffiniert komponierte Arbeiten in Holzdrucktechnik. Einzelblätzter, hergestellt im Handabzug, allesamt Unikate.
alloverblue – der Titel gibt auch die farbige Tonalität vor. Seit Anfang vergangenen Jahres arbeite sie vorwiegend in Blau, berichtet die Künstlerin. Ausgangsmaterial sind Papierseiten von Atlanten, die sie im transparenten Holzdruck mit Öldruckfarbe bearbeitet (27 x 39 cm).

Sampling
Heraus kommen Drucke mit Tiefe, limpide, durchscheinende Schichten von Farbe und Blatt, mit Mikrostrukturen und Rhythmen im Farbauftrag. Es wirkt organisch, aus der Distanz fast wie der Blick durch eine Videowall auf den blauen Planeten. Und doch lockt jedes Blatt zu näherer Betrachtung, fordert die Betrachtenden zum hinein- und wieder herauszoomen auf.
Im Druck finden sich erratische Aussparungen, welche die Fläche strukturieren. Es sind Samples von Strukturen, also Kopien aus dem kunstexternen Bereich, welche Betzin im Alltag findet: „Bei alloverblue handelt sich um Risse im Asphalt, die ich von unterwegs mitbringe.“ Und die sie in einen neuen Kontext bringt. Hierzu überträgt sie die Strukturen als Schnitte auf ihre Druckplatten aus Holz.
Blau – vielleicht steckt das Meer dahinter, Ebbe und Flut, ein Kommen und Gehen. Klima, Wasser.
Claudia Betzin
Knapp zehn Druckplatten habe sie für alloverblue gefertigt. Und damit zunächst eine Serie mit einschichtigem Druck produziert, die flexibel angeordnet werden kann. Betzin schlägt in der aktuellen Ausstellung ein Tableau von 7 x7 Drucken vor.
„Ich habe bei der Hängung ein wenig gepuzzelt“, schmunzelt sie. In der Gesamtkomposition nimmt sie Strukturen der Drucke auf, führt hier und da die Anatomie über die Blätter hinweg fort. Setzt aber auch bewusst „optische Pausen“ mit Drucken ohne Schnitte dazwischen.
Und entwickelt so ein Wandbild, das in einer anderen Location ganz anders aussehen könnte. Wie im Kunsthaus Rhenania, wo sie die Arbeit in 2022 zuerst gezeigt hat.
einerseitsandererseits
Installationen und Druckgrafik
von Claudia Betzin
Galerie Schröder und Dörr, Wingertsheide 59, 51427 Refrath
2. Juni bis 26. August 2023 – Vernissage 2. Juni, 20 Uhr
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14 bis 18.30 Uhr, Samstag 11 bis 14 Uhr, geschlossen während der Galerieferien vom 8. Juli bis 6. August
Kontakt: 02204 64 170
Mail: schroeder-doerr@netcologne.de
Mehr Infos: Claudia Betzin im Netz

Mehrschichtiger Druck
Das Prinzip entwickelt sie mit einer „light“-Version weiter: Zwei- bis drei Farbschichten druckt Betzin dafür übereinander, von dunkel bis hell reicht die Skala des Blau. Auch hier sind ihre Samples der Asphaltrisse zu sehen, der Druck präsentiert sich durch ausgesparte Flächen nochmals vielschichtiger. Die Arbeit ist neu, für die Ausstellung in der Galerie entwickelt. Das Tableau ist im Format 4 x 8 zu sehen, ergänzt um ein Fries aus zehn dunklen Blättern.
Rheingold (18 x 26 cm), eine kleine Serie am Eingang der Ausstellung, setzt auf das gleiche Kompositionsprinzip in der Fläche. Wobei als Grundlage ein Klavierauszug aus Wagners Oper dient. Den habe sie bei ihrem Auszug aus dem Atelier in der Alten Dombach gefunden, berichtet Betzin.
Die Strukturen im Druck von Rheingold entstammen einer Felsformation aus Neuseeland. Auch diese Muster werden gedreht, gespiegelt, überlagert. Betzin zeigt Einzelblätter und zusammengehörige Druckgrafiken als Diptychon.
Egal was ich mache, es geht immer um Schichtung.
Claudia betzin
Immer wieder tun sich Analogien zur Musik in den Arbeiten von Claudia Betzin auf: Themen werden bearbeitet, variiert, verdichtet oder gespreizt, übereinander gelegt. Sie tauchen im neuen Kontext auf, ergänzen sich mit anderem Material, sind auf vielen Ebenen zu finden – ein Moll und Dur in Farbe und Druck.
Bezüge lassen sich lesen wie in einem Quintenzirkel – dem musikalischen Ordnungsprinzip, das Tonarten ordnet und Intervallverwandtschaften abbildet.
Wer Claudia Betzin kennt weiß um ihre musikalische Begabung. Die Ähnlichkeiten in Kunst und Komposition sind nicht zufällig: „Musik und Kunst haben mich seit früher Kindheit begleitet“.
Druba – Burda
Was zu ihren Rauminstallationen unter dem Titel Druba führt: Stoffbretter, die mit Schnitten bearbeitet sind. Deren Strukturen stammen von Schnittmustern, die beim Nähen genutzt wurden und früher zum Beispiel in Burda-Heften zu kaufen waren. „Fast wie Notenlinien“, meint Betzin mit Blick auf die Muster. Druba, das ist ein Anagram von Burda.
Betzin inszeniert das Material als hängende Rauminstallation mit jeweils 2 x 10 oder 3 x 10 Elementen, die durch Nylonfäden auf Abstand gehalten werden. Markant die Schnitte in das Material, teils das Material durchbrechend, teils nur einseitig durchgeführt.
Bei Druba überträgt sie ihr Spiel mit der Struktur – das sie beim Druck in der Fläche auslotet – gekommt in den Raum. Bietet dem Betrachter auf den verschiedenen Seiten ein Wechselspiel aus Muster (einerseits) und Dekonstruktion (andererseits). Ein cleveres Vexierspiel, das den Betrachter fordert. Das Suchprozesse in Gang setzt, Fragen nach dem Entstehungsprozess auslöst.
Hinterfragen der Sehweise
einerseitsandererseits: Claudia Betzin liebt das Spiel mit dem Ausgangsmaterial, setzt das Große gegen das Kleine, improvisiert gekonnt mit Struktur und Zufall (dem Bauplan der Natur). Und überrascht mit dem Blick dahinter: Schnitte locken mit Einsichten, Installationen bieten Durchsichten.
Die Künstlerin entlarvt damit nicht zuletzt tradierte Sehweisen, die mitunter nach Komposition und Konstruktion verlangen und Erfahrung bedient sehen wollen. Claudia Betzin setzt insofern auch einen Schnitt beim Zuschauer. Und fordert zur Überprüfung der individuellen Betrachtungsweise heraus.
Toller Artikel zu einer tollen Ausstellung!