Wenn es um Zahlen und Paragrafen geht, sprudelt es aus Lutz Urbach nur so heraus. Jedes Argument sitzt, jeder Einwand wird pariert. Doch wenn sich die Fragen um Politik und Privates drehen, wird der Bürgermeister nachdenklich.

Lutz Urbach

Auch hier verweigert er keine einzige Antwort – doch zunächst horcht er in sich hinein, als ob er sich erst einmal seiner selbst vergewissern will.  Ja, er sei nach knapp einem Jahr im Amt voll und ganz in Bergisch Gladbach zuhause –  aber die Frage, ob für Frau und drei Kinder noch genug Zeit übrig bleibe, die mache ihn doch nachdenklich, sagt Urbach.

Eine gute Stunde hat sich der Bürgermeister, der es locker auf 50 Termine pro Woche bringt, für dieses erste große Bürgerinterview Zeit genommen. Und er nutzt diese Stunde in der guten Stube der Stadt, dem Wintergarten der Villa Zanders, um für seinen Kurs und um Verständnis zu werben. Sehr geduldig erläutert er den sechs Fragestellern, wie das Haushaltsrecht die Entscheidungen von Verwaltung und Politik einschränkt – und warum er auch dort sparen muss, wo es wehtut. Und sogar da, wo es einfach überhaupt keinen Sinn macht. (Lesen Sie hier den Wortlaut)

“Das ist doch so etwas von hirnrissig”, entfährt es Urbach an einer Stelle. Gerade hat er auseinander gedröselt, was freiwillige Aufgaben und was Pflicht für die Kommune ist, wo Sparzwang herrscht und wo noch Spielraum liegt. Doch die Tatsache, dass die präventiv so sinnvolle Offene Kinder- und Jugendarbeit jedes Jahr um zehn Prozent gekappt werden muss, während die “Hilfe zur Erziehung”, die viel zu spät einsetzt, unangetastet bleibt – das will und kann auch der Bürgermeister nicht mehr erklären. (Lesen Sie den Wortlaut.)

Das Interview führten: Milena Gaede,
Schülersprecherin NCG, Jg.stufe 13 Bernd Harjes, FH-Vizepräsident im Unruhestand Hannah Hastrich, Studentin, Lehramt Grundschule Lisa Polotzek, Sonderschulpädagogin Werner Schmitz-Dietsch, Stadtmagazin-Verleger Georg Watzlawek, Journalist

Urbach hatte vor wenigen Tagen sein eigenes Sparkonzept vorgestellt. Der Stadtrat hatte von ihm eine Liste eingefordert, mit der mittelfristig fünf Millionen Euro eingespart werden können. Und zwar ohne Steuererhöhungen. Der Bürgermeister lässt zwar keinen Zweifel daran, dass es für ihn keinerlei Alternativen zu einem strikten Sparkurs gibt. Auch wenn die Gewerbesteuer wieder etwas zunehme werde die Stadt 2010 ein Minus von deutlich über 30 Mio. Euro machen, betont Urbach. Das sei auch im Interesse der eigenen Kinder einfach nicht hinnehmbar. Aber so ganz spielt er das Spiel dann doch nicht mit.

“Alternativen zu entwickeln kann uns keiner verbieten”

L. Urbach, Milena Gaede, Hannah Hastrich

Zwar habe die Verwaltung gemäß Auftrag in einer qualvollen langen Sitzung die geforderte Liste erstellt, berichtet Urbach. Auftrag erfüllt, alles gut? Eben nicht. Noch am gleichen Abend, so der Bürgermeister, habe ihn die Ahnung überfallen, dass die Stadt mit einer solchen Liste “nicht gesund, sondern kaputt gespart” wird. Also machte sich Urbach noch einmal an die Arbeit, setzte sich souverän über die Prämissen der Politik hinweg, rechnete eine “moderate” Steuererhöhung von 1,5 Mio. Euro ein – und konnte damit die schlimmsten Spardiktate wieder von der Liste nehmen.

“Es kann uns doch niemand verbieten, eine Alternative vorzulegen”, gibt sich der Bürgermeister kampfeslustig. Dieses Sparkonzept hat er längst auf der Website der Stadt verkauft, am kommenden Dienstag wird sie im Stadtrat vorgelegt. Dass die Politiker nun über die Sparmaßnahmen des Verwaltungschefs hinausgehen und sich damit zur Zielscheibe der Kritik machen, davon ist kaum auszugehen. (Lesen Sie hier den Wortlaut.)

Kultur, Sport, Jugendarbeit – bluten müssen alle

Dabei hat es auch der Sparplan des Bürgermeisters in sich. Zuschüsse für den Bergischen Löwen werden gekappt, Einrichtungen wie die Villa Zanders gehen in die Obhut der jeweiligen Fördervereine, die Sportvereine müssten gar ganz auf ihre Zuschüsse in Höhe von 110.000 Euro verzichten. Das wird hart – und könnte in einigen Bereichen, wo jetzt private Initiativen einspringen sollen, durchaus zu Überforderungen führen. “Ich würde Ihnen in diesem Punkt gerne widersprechen”, sagt Urbach, “aber ich kann es nicht”. Und einen anderen Weg gebe es nicht.

Alle Themen des Interviews (mit Links zu den Original-Zitaten)

Ganz offen fordert der Bürgermeister von jedem Bürger einen Beitrag zur Sanierung der Stadt ein. So wie er die großen Gewerbetreibenden im persönlichen Gespräch für eine tatsächlich moderate Erhöhung der Gewerbesteuer gewonnen hat, so erwartet er auch von den Grundeigentümern Opfer – und von allen Bürgern Engagement.

Eigeninitiative und Bürgersinn statt Wehleiden und Klagen

Klagen über stinkende Schultoiletten, marode Spielplätze und verwilderte Beete nimmt er zwar entgegen. Er will auch dafür sorgen, dass ein Mindeststandard erhalten bleibt, um die Attraktivität der Stadt bei Familien wie Investoren nicht zu gefährden. Aber, setzt Urbach nach, wenn eine Schule sanierte Toiletten will, solle sie selbst nachweisen, wie sie sicherstellen will, dass die Toiletten in drei Jahren nicht wieder ruiniert sind.

Und auch wenn es um die Neuausstattung von Spielplätzen, die Pflege des städtischen Grüns oder das Streichen von Klassen gehe, sei zunächst der Einsatz der Bürger gefragt. Wo die Stadt das könne, wolle sie solche gemeinsamen Projekte unterstützen.

Richtig in Rage kommt Urbach, wenn es um die Verlagerung von immer mehr Aufgaben von Bund und Land auf die Kommunen geht: “Wir stehen am Ende der Nahrungskette, den letzten beißen die Hunde.” Kreis oder Landschaftsverband könnten ihre Umlagen erhöhen, “nur wir können keine Umlage erhöhen, wir sind die letzten”. Obwohl die Aufgaben gerade im sozialen Bereich massiv ausgeweitet wurden müsse die Stadt derzeit mit 350 Mitarbeitern weniger auskommen als noch in den 90er Jahren. Für die Betreung der 110 Spielplätze stünden gerade noch zwei Beschäftige zur Verfügung. (Lesen Sie hier den Wortlaut zum Thema.)

Stadtentwicklungsgesellschaft soll Dienstag beschlossen werden

Unbeirrt hält Urbach am Vorhaben fest, die umstrittene Stadtentwicklungsgesellschaft in der kommenden Woche im Rat beschließen zu lassen. Nur auf diesem Wege lasse sich der finanzielle Spielraum gewinnen, der für die Erschließung wichtiger Gewerbegebiete dringend nötig sei. Befürchtungen, damit unkontrollierte und riskante Schattenhaushalte aufzubauen wischt er vom Tisch: wenn man die Grundsätze “eines ehrbaren Kaufmanns” anlege, sei das eine solide Sache.

Genauso entschlossen kämpft Urbach für die Sanierung der Fußgängerzone, an der zwar nicht sein Herz hängt, die aber dem Buchhalter in ihm Freude macht: “Hier ist jeder Euro aus Eigenmitteln zehn Euro wert.” (Lesen Sie hier den Wortlaut zum Thema.)

Bernd Harjes: „Ein Ansatz sind private Initiativen, die einspringen. Dann wäre es aber wichtig, dass solche Ansätze wohlwollend unterstützt werden. „

Beim Thema Autobahnanschluss ist ihm vor allem wichtig, dass die Prüfung und Planung zum Bahndamm weiter und endlich zu einem Ende geführt wird, damit irgendwann einmal Klarheit einzieht. (Lesen Sie hier den Wortlaut zum Thema.)

Am Ende ist Urbach zuversichtlich, dass sich in der Kooperation von Politik, Verwaltung und Bürgern der richtige Weg für die Stadt finden lässt. Der Streit über die Schließung einiger Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit habe gezeigt, dass man vernünftige Kompromisse finde, wenn man sich erst mal an einen Tisch setze. Und darin, so der Bürgermeister, “ist Bergisch Gladbach wirklich gut”.

Lesen Sie hier das gesamte Interview im Wortlaut. Hier finden Sie auch zahlreiche Verweise auf weitere Informationen zu den Sachthemen – und Erläuterungen.
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