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Wo sind sie denn alle, die immer meckern, nörgeln und sich beschweren, dass sie nie gefragt werden!?!”

Eine gute Frage, die eine Teilnehmerin der Dialogveranstaltung in der VHS gleich zu Beginn aufbrachte. Eine Moderatorin und gleich zwei Vertreter der Bundesregierung waren nach Bergisch Gladbach gekommen, um den Bürgern den Puls zu fühlen. Doch nur gut 20 von denen waren der Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel  zu einem politischen Gespräch am Samstagvormittag gefolgt. Und die, nun ja, gehörten zum Kreis der üblichen Verdächtigen.

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Dennoch (oder gerade deshalb) wurde es eine gute, intensive Veranstaltung. Mehr als 100 dieser Runden führt die Bundesregierung unter dem Titel „Gut leben in Deutschland – Was uns wichtig ist” durch, um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wie die Bevölkerung ihre Lebensqualität einschätzt.

Daher bekamen die Teilnehmer in Bergisch Gladbach zunächst die Aufgabe, zu notieren, was für sie dieses „gut leben” ausmacht. Rasch sammelten sich Begriffe, die in kleinen Gruppen diskutiert und präsentiert wurden.

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Dabei schälten sich vier große Bereiche heraus, die zum Teil weiter erörtert wurden. Die Ergebnisse, wie sie VHS-Chefin und Gastgeberin Birgitt Killersreiter protokolliert hat:

Grundbedürfnisse: Wohlstand, Befriedigung der Grundbedürfnisse, Kinder und Jugendschutz, Infrastruktur

Vielfalt, Solidarität und Toleranz: Solidarität, Migration und Integration, Vielfalt, Bildung und Information, Kultur, Lebenserwartung, Geist der Toleranz, Zusammenarbeit (Respekt, Familie und Arbeit)

Es gibt unterschiedliche Erwartungen an Politik und gesellschaftlichen Gruppen. Vielfalt sollte als Bereicherung begriffen werden. Toleranz erfordert Gegenseitigkeit. Die Grenzen der Toleranz (z.B. Datenschutz, Datenvorratsspeicherung, Abhörgewohnheiten BND) müssen in Diskussionen ausgelotet werden.

Dazu benötigt man Rahmenbedingen. Grundlage ist das Grundgesetz. Bildung ist der Schlüssel zur Beteiligung. Das bedeutet große Gewichtung auf Ethikunterricht, Diskussionskultur und Politische Bildung legen. An neutrale Bildungsorte denken und weniger an „Tendenzorten“ (z.B. Kirchenangebote, politische Stiftungsangebote) „eingefärbte“ Bildung vermitteln.

Funktionierender Staat und Demokratie: geordneter Staat, keine Korruption, unabhängige Justiz, mehr Demokratie von unten, Markt der Märkte einschränken (Banken, Monopole)

Gefordert wurde mehr Vertrauen in die Basis zu haben (Kommunalverwaltung) und weniger Vorgaben von oben. Einerseits soll Förderalismus gestärkt werden, andererseits ist Förderalismus, wenn es um außergewöhnliche Kraftanstrengungen und einheitliche Entscheidungen geht, hinderlich.

Es gibt die Macht der Finanzen. Geld ist vorhanden, nur die Umverteilung funktioniert nicht. Das Geld muss generell in Bildung investiert werden und nicht in Leuchtturmprojekte, die nach Ablauf nicht mehr existieren.

Der politische Austausch zu Themen soll das Ziel einer sinnvollen Einigung haben. Dabei ist es hilfreich, sich nicht an Parteienvorgaben zu halten, sondern einfach nur den „Menschenverstand“ einzuschalten. Kompromisse verwässern immer das Ergebnis.

Fachlichkeit stärken, einerseits für Bürger*innen (Demokratie lernen), andererseits auch für die Fachverwaltung. Das bedeutet Weiterbildung, Sozialisation, Bewusstseinsschärfung.

Demokratie stärken von unten bedeutet, lernen, ernst nehmen, mehr Volksabstimmungen einführen.

Demokratie ist auch anstrengend und bedeutet Beziehungsarbeit, sich mit zu wenig Ressourcen (Finanzen) zu arrangieren. Demokratie leben ist ein dauernder Kampf und erfordert immer auf die Grundrechte der Bürger*innen zu achten, und das Grundgesetz einzuhalten.

Klare Verantwortlichkeiten darstellen und leben, aber auch einmal etwas wagen! Unkonventionell denken, handeln, kreativ sein in Lösungen ohne Parteivorgaben und Mut haben Lösungen auch anzuwenden.

Zusammenleben in Frieden, Freiheit, Sicherheit: hohe Sicherheit von innen und außen, Regeln für ein friedliches Zusammenleben, „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, relativ hohe Meinungsfreiheit

Bildung (ethische, moralische Bildung), kognitives Wissen erwerben und Umgangsformen lernen ist unbedingt notwendig.

Respekt ist wichtig
+ gegenüber den Mitmenschen, indem Argumente statt Gewalt angewendet werden.
+ gegenüber Recht und Gesetz und diese müssen auch angewendet werden.
+ gegenüber anderen Lebensarten sofern diese Lebensarten sich gesetzeskonform verhalten

Für Sicherheit zu sorgen soll im „Gewaltmonopol“ des Staates bleiben. Mitmenschen müssen Leib, Leben und Eigentum achten. Notwehr soll angewendet werden – aber nicht Selbstjustiz! Die Mitmenschen achten aufeinander und setzten sich füreinander ein (Zivilcourage).

Freiheit ist wichtig, aber nicht grenzenlos. Meine Freiheit endet an deiner Freiheit. Meinungsfreiheit ja, aber keine Beleidigungen, Freiheit ist nicht grenzenlos und Gesetzesüberschreitungen z.B. im Internet (Kinderpornografie, Aufrufe zur Gewalt usw.) sperren.

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Der Schlüsselbegriff ist Bildung – über das Schulghetto hinaus

In der Abschlussrunde trat immer deutlicher hervor, dass Bildung für alle gefundenen Hauptkategorien wichtig ist. Genau das, so die Teilnehmern, müsse die Bundesregierung in den Fokus nehmen. Bildung müsse raus aus dem „Schulghetto“. Bildung sei eine langfristige Investition, dafür sei eine langfristige verbindliche Politik notwendig.

Das Ergebnis überraschte auch Killersreiter. Zunächst, so bilanziert sie, hätte sie befürchtet, es ginge bestimmt um die maroden Kassen, Straßen und Brücken oder gar um den Autobahnzubringer.

Demokratie ist harte Arbeit – für uns alle

Was tatsächlich rauskam sei hingegen „eine Freude einer jeden Erwachsenenbildnerin: Gut leben in Deutschland hat zum Ergebnis, dass alle Dinge, die wir haben und genießen wollen von unser aller Mitarbeit abhängen. Das Zusammenleben und die Demokratie ist „harte Arbeit“ und kann nur bewältigt und wertgeschätzt werden, wenn die Menschen in unserem Land gebildet sind. Mit Bildung sind nicht nur die Schulen gemeint – es geht um lebenslanges Lernen.”

Killersreiter fasst weiter zusammen: „Demokratie ist ein Geschenk, tausende Menschen wollen deswegen hier in unser Land. Demokratie ist anstrengend, wir müssen sie uns jeden Tag aufs Neue erarbeiten. Und die Bundesregierung ist aufgefordert ein deutliches Zeichen zu setzen und damit sind nicht nur die Finanzen gemeint. Es geht um Kompetenz, Kreativität, Lösungsorientiertheit und Effektivität.”

Das hört sich ausgezeichnet an. Und ist das Ergebnis eines dreistündigen Dialogs von gut 20 Bergisch Gladbachern, die allesamt gut gebildet, gut versorgt und fast alle gut über 50 Jahre sind.

Aber ist das repräsentativ für Bergisch Gladbach?

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Journalist, Volkswirt und Gründer des Bürgerportals. Mail: gwatzlawek@in-gl.de.

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