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Barbara De Icco Valentino, Fachanwältin für Verkehrsrecht

Auch Fußgängern kann die Schuld für eine Kollision mit einem Fahrzeug zugeschrieben werden. Im Einzelfall ist der jeweilige „Verursachungsbeitrag“ der Beteiligten entscheidend.

Von Barbara De Icco Valentino

Im Verkehrsrecht hält sich ein hartnäckiger Mythos: Der Stärkere hat immer Schuld.

Diese pauschale Redewendung höre ich von Mandaten/innen immer wieder. Schließlich geht es in meiner täglichen Arbeit oft um die Regulierung von Fahrzeug- oder Personenschäden nach einem Verkehrsunfall – und um die Frage: Wer trägt die (Haupt-)‌Schuld? Gerade Fußgänger, die von einem motorisierten Fahrzeug angefahren wurden, glauben oft, dass ‚automatisch‘ der Autofahrer die Kollision zu verantworten habe.

Aber Achtung, so einfach ist es nicht! Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.

Fußgängerin missachtet das Vorfahrtsrecht

Eine 47-jährige Frau überquerte mit ihrem angeleinten Hund eine innerstädtische Straße. Dabei übersah sie ein von rechts kommendes Motorrad. Sie kollidierten. Die Fußgängerin wurde auf die Fahrbahn geschleudert und zog sich schwere Verletzungen zu. Der Hund verstarb noch am gleichen Tag.

Die geschädigte Fußgängerin klagte und verlangte von der Motorradfahrerin und deren KFZ-Haftpflichtversicherung Schadensersatz. Doch sie unterlag in erster Instanz vor dem Landgericht Essen. Ihre Klage wurde vollständig abgewiesen. Denn das Gericht sah nach Ende der Beweisaufnahme die Schuld an der Kollision völlig bei der Klägerin, da sie das Vorfahrtsrecht des herannahenden Motorrads missachtet habe. Die Motorradfahrerin habe nicht davon ausgehen müssen, dass die Klägerin nach Betreten der Fahrbahn die Straße ohne Zwischenstopp vollständig überquert. Ein fehlerhaftes Brems- und/oder Ausweichverhalten der Beklagten stellte das LG Essen somit nicht fest.

Mangelnde Aufmerksamkeit

Gegen die Entscheidung des LG Essen legte die Klägerin Berufung ein, so dass das Oberlandesgericht Hamm über den Sachverhalt rechtskräftig entschieden hat (Urteil vom 6.4.2017– 6 U 2/16).

Das Gericht wägte ab, welche genauen Faktoren zur Unfallursache beigetragen hatten. Der sogenannte „Verursachungsbeitrag“ der Geschädigten war eindeutig: Sie hatte gegen ihre Verpflichtung als Fußgängerin verstoßen, eine Straßenseite nur unter sorgfältiger Beachtung des Fahrzeugverkehrs zu wechseln (§ 25 Abs. 3 StVO).

Das heißt, sie hätte nicht nur vor dem Betreten der Straße den Verkehr in beide Richtungen beobachten müssen, sondern auch während des Überquerens. Spätestens jedoch ab der Fahrbahnmitte hätte sie nach rechts schauen müssen, um sich zu vergewissern, dass sie auch den restlichen Teil der Straße ohne Gefahr passieren kann. Doch das hat die Klägerin nach Auffassung des Gerichts nicht getan.

Aber: Das OLG Hamm sah den „Verursachungsbeitrag“ zur Kollision – anders als das LG Essen – nicht allein bei der Fußgängerin. Auch die Fahrerin des Motorrads habe den Unfall mitverursacht.

Fahrerin schätzt Situation falsch ein

Der Ansicht der Vorinstanz, dass die Motorradfahrerin davon ausgehen konnte, dass die Fußgängerin auf der Fahrbahnmitte noch einmal innehält und schaut, mochte das OLG Hamm nicht folgen. Im Gegenteil: Für die Motorradfahrerin habe es keinen Anlass gegeben, darauf zu vertrauen, dass die Klägerin in der Fahrbahnmitte anhalten und den von rechts kommenden Verkehr vorbeilassen würde.

Zudem hätte sie an dem Blickverhalten der Fußgängerin erkennen können, dass diese zu keinem Zeitpunkt den rechtsseitigen Verkehr beachtet hat. Dies sowie die geringe Breite der Fahrbahn hätten die Motorradfahrerin veranlassen müssen, ihre Geschwindigkeit bereits zu drosseln, als die Klägerin die Fahrbahn betrat. Aus Sicht des OLG Hamm lag somit ein „Reaktionsverschulden“ der Motorradfahrerin vor (ein leichter Geschwindigkeitsverstoß kam noch hinzu).

Das Gericht kam sodann zu dem Ergebnis, dass die Beklagte den Unfall zu einem Drittel, die Klägerin immerhin zu zwei Drittel verschuldet hat.

Lassen Sie sich verkehrsrechtlich beraten

Fast täglich sehe ich auf meinem Weg in die Kanzlei Fußgänger, die unaufmerksam und abgelenkt die Straße überqueren. Allein für Ihre eigene Sicherheit, sollten Sie als Fußgänger stets den Straßenverkehr beobachten; als Fahrer eines Fahrzeugs sollten Sie wiederum auf Fußgänger und deren Blickverhalten achten, gegebenenfalls die Geschwindigkeit reduzieren und bremsbereit sein.

Meine Empfehlung: Sollten Sie doch mal in eine Kollision verwickelt werden (sei es als Fußgänger oder Fahrer), verlassen Sie sich nicht auf Mythen. Ziehen Sie möglichst unmittelbar nach dem Unfall einen Anwalt zurate!

Für eine verkehrsrechtliche Beratung und Vertretung stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.

Ihre Barbara De Icco Valentino

Barbara De Icco Valentino ist Fachanwältin für Verkehrsrecht in der Kanzlei Leonhard & Imig. Sie ist Ihre Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um das Verkehrsrecht (u.a. für Schadenregulierung, Autokauf, Ordnungswidrigkeiten und Strafsachen) und Medizinrecht. Des Weiteren ist sie Vorstandsmitglied im Automobilclub Deutschland e.V. (Ortsclub Köln linksrheinisch).

Leonhard & Imig Rechtsanwälte steht seit 50 Jahren für Rechtskompetenz in Bensberg.

Die renommierte Traditionskanzlei bietet seriöse und vertrauensvolle Rechtsberatung in allen Fragen des Arbeits- und Sozialrechts, Familien- und Erbrechts, Miet- und Wohnungseigentumsrechts, Bau- und Architektenrechts, Verkehrsrechts, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts sowie Medizinrechts. Sie wurde 1969 in Bensberg gegründet und hat heute ihren Sitz in zentraler Lage zwischen Schlossstraße und Bahnhof.

Die Anwälte bei Leonhard & Imig leben klassische Werte wie Aufrichtigkeit und Bodenständigkeit. Bürger und Unternehmen aus dem Bergischen sowie dem rechtsrheinischen Köln profitieren von ihrer langjährigen Erfahrung und der breit gefächerten Fachanwaltsexpertise.

Weitere Informationen zum Team und den Arbeitsschwerpunkten finden Sie auf der Website.

Leonhard & Imig Rechtsanwälte
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1 Kommentar

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  1. Dass sich im Verkehrsrecht der Mythos durchsetzt, dass der Stärkere immer Schuld sei, lässt sich in vielen Beispielen verdeutlichen. Ich finde, dass man stets die Gesamtsituation betrachten sollte und nicht, dass der Autofahrer immer Schuld sei. Hoffentlich wird da zukünftig mehr drauf geachtet.