Mit dem Aschure-Fest haben die Aleviten ihre zwölftägige Fastenzeit beendet. Traditionell wird zum Abschluss die Aschure-Speise gegessen. Wir haben die Feier der Alevitischen Gemeinde in Gronau besucht. Und die Familie Demircan berichtet, wie sie die Gebräuche aus zwei religiösen Kulturen mit dem Alltag einer Familie in einer modernen Gesellschaft verbindet.

200 Männer, Frauen und Kinder erheben sich an diesem Sonntagnachmittag im Saal 2000 in Gronau für eine Schweigeminute von ihren Plätzen. Die Mitglieder der Alevitischen Gemeinde Bergisch Gladbach – Frauen, Männer, Kinder – würdigen den Märtyrer Hüseyin. Sie haben sich versammelt, um das Aschure-Fest zu feiern.

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Einige falten die Hände, andere legen die Hand auf das Herz. An einem Tisch vor der Gemeinde hat der Dede, Düzgün Ozata, Platz genommen. Er ist der Geistliche der Aleviten und leitet die Feiern ehrenamtlich an, so wie seine Vorfahren. Neben ihm sitzen Esma und Kemal Yildiz, Vorsitzende des alevitischen Bildungs- und Kulturzentrums Bergisch Gladbach.

Kemal Yildiz, „Dede“ Düzgün Ozata, Esma Yildiz. Foto: Thomas Merkenich

Eingerahmt werden sie von Gemälden der Gründer des Alevitentums. Nur drei Kerzen verweisen darauf, das hier gerade eine religiöse Zeremonie gefeiert wird. Ansonsten sind keine Symbole zu sehen.

Auch der Dede ist weltlich gekleidet – dennoch spürt man den Respekt vor ihm und seiner Bedeutung. Ein Wort des Dede, und das Gemurmel im Saal verstummt.

Fotos: Thomas Merkenich

Aschure – Abschluss des Fastens

Aschure – das Fest bildet den Abschluss des zwölftägigen Muharrem-Fastens, erklärt Cem Demircan aus der alevitischen Gemeinde. Damit gedenke man dem Heiligen Hüseyin. Der wiederum war ein Sohn von Ali – dem ersten Nachfolger des Propheten Mohammed und Namensgeber der Alevitischen Glaubensrichtung, erzählt der 42-jährige Familienvater.

Rund 2.000 Aleviten leben nach Angaben des Bildungs- und Kulturzentrum e.V. in Bergisch Gladbach. Der 1984 gegründete Verein mit Sitz im Gebäude des Saal 2000 in Gronau hat rund 700 Mitglieder und bündelt die Aktivitäten der Aleviten in der Stadt. Sie stammen überwiegend aus der türkischen Stadt Sivas in Zentralanatolien.

Neben religiösen Festen organisiert der Verein einen Frauenchor, Musikunterricht an der arabischen Laute sowie Sprachunterricht. Ein geistliches Oberhaupt, der ehrenamtliche „Dede“, sorgt für die Gestaltung der Feierlichkeiten.

Der Imam Hüseyin kämpfte der Überlieferung nach für sein Volk gegen den sunnitischen Führer Yazid, wurde in der Schlacht von Kerbela mit seinen Gefolgsleuten ermordet. Sein Glaube war für ihn wichtiger als sein Leben. Er wurde zum Märtyrer.

Nur sein Sohn Zeynel Abidin überlebte – und gab den alevitischen Glauben weiter. Zur Erinnerung wird zum Aschure-Fest gemeinsam eine Fruchtsuppe gekocht und verzehrt.

Das Aschure-Fest im Saal 2000 ist noch im Gange: Esma Yildiz, Vorsitzende des alevitischen Vereins, hat nach einleitenden Worten des Dede das Wort ergriffen. In deutscher Sprache erinnert sie an Sinn und Regeln des Fastens – Reinigung von Körper und Geist. An den Sinn des Aschure-Fests – Dankbarkeit, Einheit von Natur, Mensch und Gott.

Sowie an die Ursprünge des Aschure-Speise – sie geht auf ein Rezept des Urvaters Noah zurück. Und ist ein zentrales Symbol der Aleviten für Fruchtbarkeit, Dankbarkeit, Harmonie.

Foto: Thomas Merkenich

14 Frauen, zwölf Zutaten

14 Frauen aus der Alevitischen Gemeinde in Bergisch Gladbach haben zwei Tage zuvor damit begonnen, die Aschure-Speise zuzubereiten. Haben die zwölf Zutaten besorgt, geputzt, geschält, eingeweicht. Am Feiertag der Gemeinde haben sie sich um sieben Uhr getroffen und die Suppe gekocht – eine Variante mit Zucker, eine zweite ohne.

Foto: Thomas Merkenich

In drei großen Kesseln dampft nun die Aschure-Speise, in der Küche des Saales riecht es aromatisch nach Früchten und Nüssen. Die Suppe sollte auch zuhause gekocht werden, erklärt eine der Köchinnen. Das Aroma trage Heil und Glück in die Familien.

Die Zeremonie im Saal geht dem Ende zu: Zwei Köchinnen tragen eine Portion der Fruchtsuppe herein, in einer bemalten Porzellan-Schale, die mit einem Tuch bedeckt ist. Der Dede segnet die Speise mit wenigen Worten. „Diese Portion wird nun unter die anderen gemischt“, erläutert Demircan leise im Hintergrund.

Damit ist die Zeremonie beendet. Männer rollen Servierwagen mit unzähligen Schälchen der Aschure-Suppe in den Saal, verteilen sie an den Tischen. Gemeinsam wird gegessen, ein wenig erzählt, dann löst sich die Festgemeinde schon wieder auf.

Die Aleviten bilden die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in der Türkei. Ob sie zum Islam gehören, ist unter den Vertretern der Religionsgemeinschaft umstritten. Im Fokus stehen der Prophet Mohammed, dessen Schwiegersohn und Cousin Ali sowie die 12 Imame, Nachfahren des Propheten.

Männer und Frauen beten im Alevitentum gemeinsam, jedoch nicht in Moscheen. Die islamische Rechtsordnung Scharia und der Koran spielen keine Rolle. Es gibt keine Pilgerfahrten nach Mekka. Angestrebt wird Vollkommenheit durch Nächstenliebe und Bescheidenheit. Details auf Wikipedia.

Keine starre Regeln

Die Gemeinde in Bergisch Gladbach habe eine Woche nach dem eigentlichen Aschure-Fest gefeiert, das in diesem Jahr auf den 31. Juli gefallen sei, erklärt Cem Demircan im Anschluss. Die Entscheidung sei spontan gefallen, da sich viele Mitglieder noch im Urlaub befänden. Daher hätten auch nur rund 200 Besucher das Fest besucht. Sonst seien es wesentlich mehr.

„Aschure findet regulär immer 21 Tage nach dem Opferfest statt“, erklärt er. Entsprechend verschiebe sich Aschure Jahr für Jahr, da der Gregorianische und der Islamische Kalender nicht deckungsgleich seien.

Er und seine Frau Aysel hatten mich ein paar Tage zuvor auf eine Aschure-Suppe eingeladen, so wie es Brauch ist. „Die Aschure-Speise hat meine Mutter für die Familie gekocht“, sagt Aysel Demircan, als sie kleine Schalen ins Wohnzimmer bringt. Sie selbst würde die Speise nicht mehr jedes Jahr zubereiten. Auch das Fasten würde man nicht mehr so streng handhaben. „In der Gemeinde ist das ok, wenn man sich nicht so streng an die Regeln hält“, erklärt ihr Mann Cem.

Dennoch: Cem und Aysel kennen die Hintergründe des Aschure-Fests sehr genau. Die Überlieferung um die Schlacht von Kerbela. Die Namen der Heiligen, die Bedeutung der Schlacht für das Alevitentum, die Sitten und Gebräuche rund um die Feiertage.

Cem und Aysel Demircan, Foto: Holger Crump

In beiden Welten zuhause

Zwar seien sie beide in Bergisch Gladbach aufgewachsen, hier zur Schule gegangen. „Wir sehen uns als Deutsch-Kurden“, fasst der Familienvater zusammen, der als sachkundiger Bürger in der Lokalpolitik aktiv ist und eine Jugendmannschaft im Fußball trainiert.

Ihre alevitischen Wurzeln würden sie jedoch nicht vergessen, die Traditionen hochhalten und auch an ihre Kinder weitergeben.

Die Bräuche würden sie jedoch weniger praktizieren, wie zum Beispiel das Fasten. Fasten und Job oder bestimmte Erkrankungen seien nicht für jeden miteinander vereinbar. Und Aschure feiere man eben am Abend, wenn es auf einen Arbeitstag falle. Urlaub habe er deswegen nicht genommen.

#darumfeiernwir: In Bergisch Gladbach wird mehr als nur Ostern und Weihnachten gefeiert. Aber nicht jedes Fest wird – so wie die christlichen Feiertage – in der Öffentlichkeit sichtbar. Darum berichtet das Bürgerportal unter dem Hashtag #darumfeiernwir über Feste und Bräuche von Religionsgemeinschaften und Menschen internationaler Herkunft. Und zeigt damit die Vielfalt unserer Stadtgesellschaft auf.

Feiern Sie auch ein Fest, über das wir berichten sollten? Dann melden Sie sich bei de redaktion@in-gl.de.

„Es hat sich im Alltag mit Arbeit, Schule und Freizeit so ergeben“, sagt Demircan. Vermutlich wäre das auch so geschehen, wenn er mit seiner Familie in der Türkei leben würden. Nicht alle Sitten würden noch in die moderen Gesellschaft des 21. Jahrhundert hineinpassen.

Zudem nehme man auch Traditionen aus Deutschland an, wie Weihnachten und Ostern. Hierzu hatte sich seine Familie schon früh geöffnet: „Meiner Mutter war immer wichtig, das wir mit unseren Freunden mitsprechen können, wenn es um hiesige Gebräuche geht.“

Weihnachten, Aschure, Ostern, Opferfest: Sie sind in beiden Welten zuhause. Und auf den großen Cem, die große religiöse Versammlung welche die alevitische Gemeinde in Bergisch Gladbach Anfang 2024 plant, freut sich die Familie Demircan schon jetzt.


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war bis Anfang 2024 Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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4 Kommentare

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  1. Vielen DANK für den Artikel! Ich kannte die Aleviten noch nicht. Was kann es Besseres geben, als Vollkommenheit durch Nächstenliebe und Bescheidenheit anzustreben? Das werden sehr angehme Menschen sein.

  2. Guten Tag und danke für den ausführlichen Beitrag.
    Kurz gehalten in der schlacht in Kerbela ist ein Fehler unterlaufen und zwar Kalif Yazid und nicht Yezid.
    Der Kalif Yazid wollte der nächste Erbfolge der islamischen Geschichte werden.
    Yezid (Ezidi) ist ein ethnische Religion die sehr unterschieden wird.

  3. Dank in-gl lerne ich immer weiter dazu.
    Danke für solche aufklärende Reportagen !