Foto: Holger Crump

Weltweit feiern die Baha’i Mitte Oktober den Geburtstag der Begründer ihrer Religion, genannt Báb und Baha’u’llah. Auch die Gemeinde der Baha’i in Bergisch Gladbach traf sich am Montag, um den offiziellen Feiertag mit einer kleinen Andacht zu würdigen. Religiöse Feiern finden bei dieser noch relativ jungen Religionsgemeinschaft eher im privaten Rahmen statt – ohne Klerus, Rituale oder Symbole.

„Wie Sie sehen – kein Weihnachtsbaum!“ Thomas Reinartz schmunzelt bei der Begrüßung im Haus der Familie Zivari. Ein gutes Dutzend Vertreter:innen der lokalen Baha’i-Gemeinde haben sich an diesem Montagabend vor Ort versammelt, um ein zentrales Fest der Baha’i zu feiern: Die Geburtstage Baha’u’llahs und des Báb, den beiden Gründern und Verkündern der Baha’i-Religion.

Dieses Fest findet überall auf der Welt am 16. Oktober statt. Hier in Bergisch Gladbach als kurze Andacht, mit Texten und etwas Musik von einer CD. Einfach und bescheiden, ohne besondere Rituale oder Symbole. Es ist eines von neun großen Festen, welche die Baha’i im Jahreszyklus feiern.

Junge Religion

Die Baha’i-Religion hat ihre Wurzeln im Islam (so wie das Christentum seine Wurzeln im Judentum hat) und beruht auf Offenbarungen der aus dem heutigen Iran stammenden Gelehrten Sayyid Ali Muhammed (1819 bis 1850) und Mirza Husain Ali Nuri (1817 bis 1892), genannt Báb (arab. Tor) und Baha’u’llah (arab. Herrlichkeit Gottes). Báb war ein Offenbarer und Wegbereiter für die Offenbarung Baha’u’lláhs, vielleicht ähnlich wie Johannes der Täufer.

Báb und Baha’u’llah werden auch Zwillingsoffenbarer genannt. Die Religion ist relativ jung. Daher sind die Schriften der beiden Offenbarer gut erhalten. Sie bilden die Grundlage des Baha’i-tums.

Thomas Reinartz ist einer der Baha’i in Bergisch Gladbach. Foto: Holger Crump

Rund 15 bis 20 Baha’i gibt es in der Stadt, und das schon eine ganze Weile. Ende September feierten sie „50 Jahre geistigen Rat“ in Bergisch Gladbach. Der neunköpfige geistige Rat – das ist die lokale Organisation der Baha’i – verwaltet die Gemeinde und nimmt administrative Aufgaben wahr.

„Der geistige Rat wird einmal jährlich in geheimer Wahl gewählt“, erklärt Reinartz. Und treffe Entscheidungen stets im Sinne und zum Wohle der gesamten Gemeinde, nie ausschließlich zum Wohle der Baha’i.

Kein Klerus

Die Gastgeberin verteilt an diesem Montagabend Texte unter den Teilnehmer:innen. Die haben sich mittlerweile im Wohnzimmer im Kreis versammelt. Frau Zivari hatte zuvor die Beiträge aus den Heiligen Schriften der Baha’i ausgesucht und den Ablauf der kurzen Andacht festgelegt.

„Diese Aufgabe übernimmt stets die gastgebende Familie“, macht Reichartz klar. Die Baha’i würden keine Räumlichkeiten für Andachten unterhalten, es gebe auch keinen Klerus der die Schriften darlege. Die Baha’i würden dies vielmehr im Selbststudium und der Lektüre der Heiligen Schriften tun.

Die Baha’i: Einheit der Offenbarungen, Einheit der Menschen

Die monotheistische Religion der Baha’i glaubt an die Einheit der göttlichen Offenbarung und damit an die Einheit aller Religionen. Entsprechend treten auf der Welt von Zeit zu Zeit göttliche Offenbarer auf, um den Menschen die Religion und das Wissen von Gott zu offenbaren, aber immer in veränderter Form, passend zur Entwicklung der menschlichen Gesellschaft (Evolutionsgedanke). So hat das Judentum die zwischenmenschliche Beziehung geregelt, das Christentum führte die Nächstenliebe ein, mit den Muslimen kam die Einheit der Nation.

Die Baha’i betonen die Zusammengehörigkeit der globalen Zivilisation, woraus die Gleichheit aller – Männer, Frauen, Ethnien – resultiert. Die Anhänger setzen sich daher vor allem für bessere Lebensbedingungen, Bildung und Weltfrieden ein, für den geistigen und materiellen Wohlstand aller.

Die Religion kennt keine ausgeprägten Rituale und auch keinen Klerus. Die Gläubigen sind gehalten, sich durch tägliche Lektüre der Offenbarung zu schulen und ein privates Pflichtgebet zu verrichten. Das Jahr ist geprägt durch 19 Monate zu 19 Tagen, zu deren Beginn sich die Gläubigen zu Andacht, Beratung und Bewirtung privat treffen. Am 16. Oktober werden die Geburtstage der beiden Gründer Báb und Baha’u’llah gefeiert.

Stille Übereinkunft

Die Andacht beginnt, Thomas Reinartz liest einen kurzen Text vor, erklärt den Anlass dieses Feiertages. Es ist die Rede von den Offenbarern, den Gottesboten für das Zeitalter der menschlichen Reife, welche die Grundlage für eine Vereinigung der Völker gelegt hätten. Der universelle Charakter des Baha’i-tums – er wird an vielen Textstellen deutlich.

Auch in den Passagen, welche die anderen Gemeindemitglieder anschließend vortragen: „Gib, dass die Religionen in Einklang kommen. Eine Familie, ein Heim, vollkommene Harmonie“, heißt es etwa. Es herrscht Ruhe, manche lauschen mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen den Beiträgen aus den Heiligen Schriften der Offenbarer, deren Geburtstag heute gefeiert wird.

Überhaupt liegt eine wohltuende Gelassenheit über der Runde. Die Anwesenden strahlen eine besonnene Selbstverständlichkeit aus. Eine stille Übereinkunft über das, worum es hier gerade geht. Verbunden mit einer unvoreingemommen Herzlichkeit, mit der man sich begegnet.

Moderne Sprache

Die Sprache der Heiligen Schriften ist erstaunlich modern, spricht den Zuhörer unmittelbar an. Die historischen Texte seien auf Persisch, Arabisch und teils auch Türkisch entstanden, erklärt Simin Reinartz. Die autorisierte Übersetzung erfolgte durch einen Verwandten von Baha’u’llah ins Englische, dann in andere Sprachen.

Baha’i in Bergisch Gladbach
Infos zur Geschichte der Baha’i in Bergisch Gladbach, den Aktivitäten und Kontaktmöglichkeiten auf den Webseiten der Religionsgemeinschaft

Das kommt ganz anders an als beispielsweise Schriften aus dem Alten Testamenet, wo viel mit Gleichnissen gearbeitet wird. „Diese alten Texte wandten sich an Menschen, die weder Lesen noch Schreiben konnten“, sagt Stefan Spiegel, ein weiteres Gemeindemitglied. Die Schriften der Baha’i seien indes eine Offenbarung für die Jetztzeit, das mache sich auch in der Sprache bemerkbar. „Man spürt den Gegenwartsbezug“, ergänzt Simin Reinartz.

„Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger“, heißt es an einer zentralen Stelle in den Schriften. Immer wieder geht es um Güte, Vorhersehung, Einheit, Gerechtigkeit, universelle Sprache.

Die Themen hallen in der Musik nach, die zwischendurch von CD erklingt und wie eine Erzählung aus den Zeiten der Gründung der Baha’i durch den Raum schwebt.

„Frühling für mich“

Nach 30 Minuten ist die Andacht vorüber, rasch kommen Gespräche auf. „Ich bin Baha’i in der dritten Generation“, sagt Simin Reichartz. Über ihren Vater sei sie zur Religion gekommen, der aus dem Iran stamme: „Mit 15 Jahren habe ich mich dafür entschieden.“ Das ist auch der frühestmögliche Zeitpunkt, an dem man „sich erklären“ kann.

Und das läuft so wenig ritualisiert wie die Feste der Baha’i ab. Eine kurze Erklärung an den Nationalen Rat der Baha’i in Deutschland genügt.

Sally Gramss-Zivari (Bild rechts) bei der Lesung während der Andacht, Foto: Holger Crump

„Ich war katholisch durch und durch“, erzählt Thomas Reinartz. Die Baha’i habe er über seine spätere Frau Simin kennengelernt. Irgendwann kam die Erkenntnis: Wenn er an Jesus glaube, müsse er Baha’i werden, schließlich habe Jesus auf eine Rückkehr der Offenbarer hingewiesen.

„Das war wie ein Frühling für mich“, berichtet er begeistert von seinem Wechsel der Glaubensgemeinschaft. Und lädt prompt zu Andachten ein, die in Präsenz aber auch Online stattfinden. Eine freundliche Zugewandtheit, vielleicht gar ein gewisses Sendungsbewusstsein, das gehört bei den Baha’i anscheinend auch dazu. Auch wenn Reinartz betont: „Wir bieten das nur an, mit seinem Herzen muss jeder selbst folgen.“

Nun lebt Reinartz in zwei Kalendern. Dem Gregorianischen und dem Baha’i-Kalender, der 19 Monate zu 19 Tagen vorgebe. „Unsere Mitarbeiter freut es“, erzählt der Inhaber einer Arztpraxis schmunzelnd, „sie hatten heute wegen unseres Feiertages auch einen halben Tag Urlaub.“ Dafür schiebe er an Heilig Abend Notdienst.

Hierarchische Organisation

Auf Ebene der Gemeinden bildet der Geistige Rat der Baha’i die unterste Entscheidungs- und Verwaltungsebene. Er umfasst neun Mitglieder, und wird jährlich in geheimer Wahl gewählt. Der Rat entsendet zwei Abgeordnete in den Bezirk Köln-Bonn, aus dem sich wiederum der Nationale Geistige Rat in Deutschland rekrutiert. Im Gegensatz zu den anderen Räten dürfen in den Nationalen Geistigen Rat ausschließlich Männer gewählt werden.

Kurze Geschichte

1817: Geburt des Baha’u’llah
1819: Geburt des Báb
1844: Erklärung des Báb in Shiraz
1844 bis 1892: Offenbarungen der „Heiligen Schriften“ des Bahai-Glaubens (Báb und Baha’u’llah).
1892: Tod des Baha’u’llahs
1907: Erste Baha’i-Gemeinde in Deutschland
1953: Gründung des Geistigen Rates in Deutschland
1973: Gründung des Geistigen Rates in Bergisch Gladbach
2023: 50 Jahre Geistiger Rat in Bergisch Gladbach

Das Baha’i-tum – es ist eine junge Religion. Davon zeugen auch die Fotos, die an diesem Abend gezeigt werden. Etwa von Verwandten, welche die direkten Nachfahren von Báb und Baha’u’llah noch kennenglernt haben.

Wie der Urgroßvater der Gastgeberin, Mirza Ali-Muhammad Varqa. Er war Baha’i-Dichter und Apostel von Baha’u’llah. Und habe, genau wie sein zwölfjähriger Sohn, seine Überzeugung mit den Leben bezahlt, berichtet Gastgeberin Zivari.

Auch diese Geschichten werden am Geburtstag von Báb und Baha’u’llah in der Baha’i-Gemeinde in Bergisch Gladbach erzählt.

#darumfeiernwir: In Bergisch Gladbach wird mehr als nur Ostern und Weihnachten gefeiert. Aber nicht jedes Fest wird – so wie die christlichen Feiertage – in der Öffentlichkeit sichtbar. Darum berichtet das Bürgerportal unter dem Hashtag #darumfeiernwir über Feste und Bräuche von Religionsgemeinschaften und Menschen internationaler Herkunft. Und zeigt damit die Vielfalt unserer Stadtgesellschaft auf.

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ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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