Die einen gehen in der Adventszeit Einkaufen, die anderen sorgen dafür, dass die Ware über den Ladentisch geht. Wie Anne Helgers auf dem Weihnachtsmarkt Stadtmitte. Die ehemalige Managerin verkauft Weihnachtsschmuck aus dem Erzgebirge und lernt dabei auch einiges über die Wertschätzung für diese Beschäftigung. Wir haben sie bei ihrem „Mikroabenteuer“ an der winterfrischen Luft begleitet.

Text: Holger Crump. Fotos: Thomas Merkenich

„Der erste Ansturm ist schon vorüber!“ Anne Helgers steht in ihrem großen Verkaufsstand mit Weihnachtsartikeln aus dem Erzgebirge. Auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Konrad Adenauer-Platz. Es ist Nikolaustag, nebenan in der Fußgängerzone läuft der Wochenmarkt. An diesem Vormittag ist viel los in der Stadt. Trotz Kälte und Nieselregen.

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Ihren Stand mit Erzgebirgekunst gebe es seit 38 Jahren auf dem Markt, erzählt Helgers. Der Inhaber Werner Steek aus Bochum – „ein echtes Ruhrpott-Original“ – habe damit irgendwann seine Passion für Holzspielzeug verwirklicht, erzählt sie, und über Generationen hinweg Kontakte zu den Herstellern im Erzgebirge aufgebaut.

Und so über die Zeit das Angebot des Weihnachtsstandes mit Originalprodukten aus dem Erzgebirge aufgebaut. Verkauft werden Hersteller wie Müller/Seifen, Hubrig, Christian Ulbricht oder Wendt & Kühn. Das sagt aber nur Eingeweihten und Sammlern etwas.

Foto: Thomas Merkenich

Mikroabenteuer Weihnachtsmarkt

Die Artikel kennen dagegen die meisten – zumindest vom Sehen. Es gibt leuchtende Herrnhuther Sterne, drehbare Pyramiden, bunte und ernst dreinblickende Nussknacker, pittoreske Räuchermännchen, ein quirliges Engelsorchester und vermummte Winterkinder. Warm leuchtende Holzbögen und funkelnde Sterne, aromatische Duftkegel, elegante Engel und kernige Bergmänner. Kremsewagen, Kastenschlitten, Hasenstall, Kurrende. Alles „echt erzgebirgische Handarbeit“.

Im vergangenen Jahr ist Helgers dazugekommen und betreut seither den Stand auf dem Weihnachtsmarkt in Bergisch Gladbach. Angefangen hat das alles jedoch in Übersee: „Wir waren gerade auf Verwandtenbesuch in den USA, als uns über Freunde die Nachricht erreichte, dass der Stand hier auf dem Weihnachtsmarkt dringend Leute zum Verkauf sucht“, erzählt Helgers. Ansonsten hätte er womöglich schließen müssen.

Anne Helgers hat früher bei Bayer Leverkusen im Management gearbeitet und betreute das internationale Zulassungsgeschäft im Agrarbereich. Arbeitete in Brasilien, der Schweiz, Afrika. Und ging dann in Rente.

Weihnachtsmarkt – das wäre doch ein Mikroabenteuer, habe sie im Urlaub gedacht, als sie die Nachricht von der Suche nach Verkäufern auf dem Weihnachtsmarkt erreichte. Mit Mikroabenteuer meint sie kleine Dinge, die man im Alltag einfach mal verändert. Für neue Impulse.

„Je kleiner desto komplizierter“

„Aus dem Weihnachtsmarkt ist dann eher ein Makroabenteuer geworden“, lacht Helgers herzlich. Im letzten Jahr – ihrer ersten Saison – hatte sie richtig gut zu tun, dabei ihr Verkaufstalent entdeckt. Und auch in der neuen Adventszeit läuft es gut an. Das verkaufen macht ihr Spaß, das sieht und hört man.

Für jeden Kunden hat sie einen netten Satz parat. Die ihrerseits gerne ins Plaudern kommen: Wie die Frau, die mit ihren Töchtern die Weihnachtsdeko neu kauft – die alte Ausstattung war vom Hochwasser im Sommer 2021 zerstört worden.

Haben sie ein Räuchermännchen als Ärztin?

Kundin am stand von Anne helgers

Helgers kennt einige der Käufer schon vom sehen. Manche kommen öfter, darunter auch Sammler der Stücke aus dem Erzgebirge. „Was gibt es Neues bei den Winterkindern?“ lautet dann die fachkundige Frage. „Es ist ein neuer Hirte dabei“, sagt Helgers dann. Oder sie verweist auf Sondereditionen bei den Musikengeln.

Foto: Thomas Merkenich

Die Objekte sind – je nach Geschmack – ziemlich hübsch, aber alles andere als ein Schnäppchen. Da muss man auch mal was erklären. Helgers führt ihre Kunden durch das Angebot, fragt nach den Wünschen, fragt nach dem Budget. Und erklärt Details: „Schauen Sie, das ist noch echte Handarbeit.“ – „Das ist massives Holz, da wurde auf den Verlauf der Maserung geachtet.“ – „Je kleiner desto komplizierter ist es in der Herstellung.“

Ein Engel mit Trompete als Investition

Auch das Design oder Ausstattungsdetails wie eine Krone, die Haltung von Figuren oder die Lackierung sind wichtig und werden erläutert. Beim Preis winken dann doch einige ab. Andere kennen und schätzen die Handarbeit aus dem Erzgebirge und sind gerne bereit, für ein Stück mehr zu investieren.

„Das ist in 30 Jahren noch genauso schön wie am ersten Tag“, sagt Anne dann zu einer Kundin, die gerade einen imposanten Engel mit Trompete gekauft hat, der auf einer Mondsichel sitzt. „Zehn Euro pro Jahr sind da eine überschaubare Investition.“

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Wichtig ist ihr auch der Service: So nehme der Stand auch Reparaturen an und habe seltene Ersatzteile wie Tüllen für Kerzen oder spezielle Glühbirnchen im Angebot, sowie Räucherkegel für die Räuchermänchen. Nur Wunderkerzen gibt es nicht.

Foto: Thomas Merkenich

„Mit oder ohne Po?“

Dann piepst mal wieder die Kasse, der nächste ist dran. Die Betreiber der Stände gegenüber können einem fast schon Leid tun, sie erleben weitaus weniger Zuspruch als der Stand mit der Erzgebirgekunst.

Anne kennt zu vielen Artikeln die Hintergründe. Ihre Augen strahlen, wenn sie Zeit findet davon zu erzählen. Wie von den beiden Studentinnen Wendt und Kühn, die vor rund 100 Jahren das Engel-Ensemble entworfen haben und einen ersten Preis für figürliches Design auf der Weltausstellung erhalten haben.

„Sie haben eine Lackierung erfunden, die wirkt, als seien die Holzfiguren aus Porzellan.“ Anne Helgers deutet mit dem Finger auf einen Engel.

Da wird mit Kunden dann auch mal gefachsimpelt: „Ein Engel mit sieben oder elf Punkten? Mit oder ohne Po?“ So betrachtet ist das dann schon eine ernste Sache, dieser Kauf von Weihnachtsdeko aus dem Erzgebirge.

Der Schwibbogen

Richtig ins schwärmen gerät sie beim Schwibbogen – geschwungene Handwerkskunstaus Holz, die meist im Fenster stehen, mit Kerzen oder Elektroleuchten und unterschiedlichsten Motiven. Sie sollen an die hölzernen Stützen der Stollen im Bergbau erinnern, der über Jahrhunderte für Arbeit im Erzgebirge gesorgt habe, erzählt Anne.

In der ursprünglichen Version ist als Zierde ein Bergmann zu sehen. Daneben eine Frau, die Spitzen klöppelt, ein Drechsler, der Spielzeug herstellt. Ein Verweis auf die Industrie, die sich im Erzgebirge nach dem Aus des Bergbaus entwickelte und bis heute Bestand hat.

Wert und Wertschätzung

Als Agraringenieurin in einem Großkonzern hat Anne Helgers vermutlich eher spannende und angenehme Seiten der Welt kennengelernt. Ihren neuen, temporären Job im Weihnachtsstand macht sie nicht wegen der Bezahlung. Sie hat Freude daran, nimmt aber auch neue Erkenntnisse mit: „Ich habe hier nochmal ein Gefühl für den Wert von Arbeit bekommen“, sagt Anne Helgers.

Ihnen verkaufe ich nichts!

anne helgers zu einem querulanten, der überzogene forderungen stellte und übergriffig wurde

Und für die Wertschätzung, die mitunter mit bestimmten Berufen verbunden sei, die Art wie man behandelt werde. „Leider kommt es dann schon vor, dass eine gewisse Herablassung an den Tag gelegt wird“, sagt sie dann, ihre Worte vorsichtig abwiegend. „Nur weil ich hier im Verkauf arbeite.“

Und dann erzählt sie von einer Kundin mit ziemlich dreisten Forderungen nach Preisabschlägen, die in wütenden Angriffen auf sie als Person mündeten. Man merkt deutlich: Das nimmt sie mit, und dämpft ein wenig die Freude, mit der sie sonst am Werk ist und auf ihre Kunden zugeht.

Das sei eben auch eine Facette ihres Mikroabenteuers am Stand auf dem Weihnachtsmarkt, „es ist nicht die Regel, aber es kommt vor, bei Erwachsenen und bei Kindern“.

Die Kehrseite von Weihnachten

Plötzlich ein großes „Hallo“ am Stand – die Mädchen und Jungs von der Jugendfeuerwehr ziehen am Stand vorbei Richtung Bühne. Dort tritt gleich der Nikolaus auf, aus der Ferne ist Blasmusik zu hören. Wir stoßen indes mit einem Glühwein an, ihren Posten verlassen kann Helgers nicht um dem Treiben zuzusehen. Außer für gelegentliche, dringende Gänge. „Dann passen die Verkäufer an den anderen Ständen mit auf!“

Später kommt die Feuerwehr nochmal vorbei, dann gibt es Weckmänner. Die werden gerne genommen und gleich auch gemampft. Auch die Kunden vor dem Stand schnappen sich die süßen Stuten. Und einmal mehr entspannen sich schöne Gespräche über den Verkaufstresen hinweg.

Die Kunden von außen blicken von außen auf das Bunte, das Heimelige am Stand. Auf Weihnachten als große Verlockung, als Shoppingvergnügen. Während Helgers hinter den Kulissen Unmengen von Kartons, Ersatzteilen, Kerzen, Glühbirnen und Kabeln im Blick hat.

Die Kehrseite von Weihnachten – vielleicht ist es sowas wie das Lager im Erzgebirgestand. Welches unermüdlich Ware aus neutralen Verpackungen ausspuckt. Damit es froh und besinnlich und bunt unter dem Weihnachtsbaum wird.

„Ob ich das nochmal mache?“

Das muss am Ende wieder alles eingepackt werden. Am 23. Dezember um 21 Uhr ist der Weihnachtsmarkt vorüber. „Dann sind wir mindestens bis Mitternacht mit dem Abbau beschäftigt“, sagt Helgers. Danach würden die Buden demontiert, an Heilig Abend soll der Platz wieder leer sein.

Über vier Wochen Weihnachtsmarkt liegen dann hinter ihr. Mindestens neun Stunden am Tag, an denen Anne im Erzgebirgestand einen Artikel nach dem anderen präsentiert, über den Scanner gezogen, in einen Karton gebettet hat.

Die Adventszeit ist für sie Arbeitszeit. Raum für andere Dinge bleibt da nicht. „Schon einen Baum zu kaufen wird da zur Herausforderung!“ Hat sie dann noch Lust, am Heilig Abend zu feiern? Nach einem Monat Weihnachtsmarkt?

„Ich werde erst einmal ausschlafen“, lacht sie. Ihre Frau habe einen Baum im Garten aufgestellt und mit den Nachbarn geschmückt. Vielleicht wird ihre Weihnachtszeit ja etwas intensiver. Einfach weil sie so kurz ist.

Der Job am Erzgebirge-Stand: Er macht Anne Helgers sichtlich Spaß. Aber die Adventszeit ist für sie futsch – wie für alle anderen, für die Weihnachten schlichtweg Hochsaison im Job ist. „Ob ich das im nächsten Jahr nochmal mache? Ich weiß es nicht!“ sagt sie zum Schluss ein wenig nachdenklich.

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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