Monika Hiller ist Inklusionsbeauftragte der Stadt Bergisch Gladbach. Foto: Thomas Merkenich

Zu Weihnachten erzählt Monika Hiller, die Inklusionsbeauftragte der Stadt Bergisch Gladbach, eine eigene Weihnachtsgeschichte. Sie handelt von einem Engel und einem Geschenk. Doch wer braucht gerade dieses Geschenk wirklich, für wen passt es ganz genau?

Es fehlt nur noch ein wenig Geschenkband und etwas Deko, dann hat sie das Geschenk verpackt. Liebevoll mit rotem Weihnachtspapier umhüllt. Sie ist mit ihrem Werk zufrieden. Jetzt muss es nur zu seinem Empfänger. Aber wer soll das sein? Ella weiß es nicht so genau.

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Sie weiß lediglich, irgendwo auf dieser Welt gibt es jemanden, der dieses Geschenk brauchen würde. Ella ist ein Engel. Sie schaut sich das ganze Jahr das Treiben auf der Erde an. Menschen, die sich gerne haben, Menschen, die sich hassen, Menschen, die alleine sind mit allen Ihren Schmerzen, Sorgen, Ängsten und Nöten, Menschen, die glücklich und Menschen, die unglücklich sind.

Ella blickt zum wiederholten Mal nach unten auf die Erde. Wo ist nur der Empfänger meines Päckchens? Wie sehr sie sich auch anstrengt, sie kann ihn nicht finden. Keine Hinweise. Jedenfalls nicht von oben. Das macht es nicht leichter, nicht genau zu wissen, wen es erreichen sollte. Also muss sie wohl auf die Erde, sonst würde das Päckchen nicht ankommen. 

Gott sei Dank können Engel fliegen. So macht sich Ella an einem Tag in der Weihnachtszeit auf den Weg zur Erde, um ihr Päckchen zu überbringen.

Ihr Ziel ist eine kleine Großstadt im Irgendwo. Sie landet in der Fußgängerzone. Sehen kann man sie nicht, da sie ein Engel ist. Es herrscht geschäftiges Treiben, letzte Einkäufe für Weihnachten: Geschenke, Parfum, Lebensmittel für das Weihnachtsessen. 

Zur Autorin: Monika Hiller ist kleinwüchsig und gehbehindert. Sie ist als Inklusionsbeauftragte der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach für Inklusion und Abbau von Barrieren zuständig. Diese Serie soll für das Thema „Barrieren“ sensibilisieren.

Monika Hiller hat ihre Geschichte aus dem Alltag auch in einem kleinen Buch zusammengefasst, das bei der Stadt als PDF heruntergeladen oder in gedruckter Form kostenlos erhältlich ist.

Kummer

Ihr Blick fällt auf einen jungen Mann auf der Bank. Sie setzt sich zu ihm. Der Trubel in der Fußgängerzone scheint ihn nicht zu beeindrucken. Er schaut verloren in eine Ecke. Irgendwie traurig. Ella weiß, dass seine Freundin ihn verlassen hat. In seinen Gedanken ist er noch in der gemeinsamen Zeit. Weihnachten alleine zu sein, macht ihm Angst.

Ella würde ihm gerne helfen, doch ihr Päckchen ist nicht das richtige für ihn und ihm gut zureden kann sie nicht. Sie weiß, da muss er alleine durch und sie weiß, mit der Zeit wird sich die Lücke schließen und er wird eine neue Liebe finden und wieder glücklich sein.

Ella seufzt, immer noch kein Empfänger ihres Päckchens in Sicht. „Die Person muss doch irgendwo sein“, denkt sie sich. 

Streit

Dort hinten am Rathaus streiten sich zwei Menschen sehr heftig. Schade, findet Ella. Das Leben ist zu kurz für einen solchen Streit, gerade an Weihnachten. Eines Tages wird es zu spät sein, für eine Versöhnung. Das weiß sie aus ihrem Blick im Himmel nur zu gut. Sie kann nur hoffen.

Die Dunkelheit macht sich breit und der Duft des Weihnachtsmarktes, gebrannte Mandeln und Glühwein wehen zu ihr herüber. 

Liebe

Aus der Ferne sieht sie ein älteres Ehepaar. Sie wirken sehr glücklich. Mit Respekt gehen sie miteinander um, ein liebevoller Blick, ein inniges Gespräch, das gemeinsame Lachen. Nein, sie brauchen das Päckchen auch nicht. Sie haben das Wichtigste im Leben, nämlich die Liebe!

Verzeihen

Dann vielleicht die junge Frau, die mit ihrem Hund frierend auf dem Boden in der Fußgängerzone sitzt und bettelt? Ella kennt ihre Geschichte. Ihr Absturz aus eigentlich guten Verhältnissen, der Streit mit dem Vater. Drogen, falsche Freunde, Obdachlosigkeit.

Auch in diesem Jahr wird sie Weihnachten nicht mit ihrer Familie verbringen. Zu zerrüttet das Verhältnis. Sie kann ihrem Vater nicht verzeihen. Ella wünscht sich für die junge Frau, dass sie es irgendwie schaffen wird. Gewissheit gibt es nicht.

Weiter geht ihre Suche. Sie trifft auf Kinder, die schon alles haben, auf junge Menschen; sie sich nichts aus Weihnachten machen, auf Demonstranten, die sich für das Klima einsetzen und noch viele mehr. Aber für niemanden ist ihr Päckchen. 

Ella seufzt. Es ist so wichtig, dass sie den Empfänger findet, aber der Heilige Abend ist nicht mehr weit. Wird sie je erfolgreich in ihrer Suche sein?

Respekt

Wenn Ella kein Engel wäre, wäre sie sicherlich mit der jungen Frau im Rollstuhl zusammengestoßen. Die junge Frau rollt die Fußgängerzone entlang und wirkt nachdenklich. Keineswegs unzufrieden, eben einfach nur nachdenklich. Ella weiß, worum es geht.

Mila, so heißt die junge Frau, denkt darüber nach, warum es in dieser Gesellschaft immer noch so etwas Besonders ist, anders zu sein. Mit anders meint sie ihre Behinderung. Warum tun sich Menschen bisweilen so schwer, sie in ihrer Mitte aufzunehmen? Sie so zu nehmen, wie ist. Mit allen ihren Fehlern, aber auch mit ihren Fähigkeiten. Sie möchte nicht auf ihre Behinderung reduziert werden!

Sie wünscht sich, dass Ihre Behinderung ein Teil von ihr wird, so wie ihr blondes Haar. Ihre Behinderung soll sie einfach nicht davon abhalten, das Leben zu genießen. Doch immer wieder stößt sie auf Barrieren. In dieses Geschäft kommt sie nicht rein, weil sich dort eine Stufe am Eingang befindet oder diese Gaststätte kommt nicht für eine Pause in Frage, nicht, weil Toiletten im Keller sind. 

Doch Mila ist stark. Sie weiß, dass es sich lohnt, niemals aufzugeben. Sie weiß, sie kann es schaffen, den Menschen zu zeigen, dass ein Leben mit Behinderung nicht armselig oder bemitleidenswert ist, sondern dass Menschen mit Behinderung durchaus ein selbstständiges und schönes Leben haben. Und dass sie Träume, Wünsche und genaue Vorstellungen von dem haben, was sie möchten oder nicht möchten. Sie möchte sich verlieben, glücklich sein und noch so vieles mehr, was junge Frauen in ihrem Alter machen.

Ella weiß nun, was zu tun ist. Sie erledigt ihre Päckchen-Aufgabe und kehrt in den Himmel zurück. Keinesfalls möchte sie den Moment verpassen, wenn die Menschen auf der Erde ihre Geschenke auspacken. Ihr Blick richtet sich in diesem Jahr besonders auf Milas Familie.

Dort liegt Ellas Päckchen zwischen all den anderen. Mila bekommt von ihren Eltern und Großeltern viele nützliche Dinge: Hier ein Therapiegerät, da etwas Praktisches für den Rollstuhl. Alle sind begeistert von so vielen Ideen. Das würde Milas Leben sicherlich erleichtern! Doch was möchte Mila eigentlich?

Der Moment ist gekommen, als Mila das Päckchen auspackt. Verwundert, wo es überhaupt herkommt, ist ihre Neugierde groß. Aus dem roten Weihnachtspapier kommt ein großer, hübscher Flacon von dem Parfum zum Vorschein, das sie schon immer haben wollte. Ihre Augen strahlen. 

Sicherlich, Parfum ist kein außergewöhnliches Geschenk. Und so manch einer hätte es unter „einfallsloses Last-Minute-Geschenk“ abgehakt. Aber für Mila bedeutet es viel mehr. Es ist symbolisch. Es ist dieses Gefühl, dass ihr Wunsch respektiert wurde. Frei von Ihrer Behinderung. Kein Zubehör für den Rollstuhl, kein Therapiegerät oder Hilfsmittel. Einfach ein wunderbares Parfum für Mila.  

Und wenn sie es benutzt, ist sie eine junge Frau!

Ella lächelt Mila zu und Mila lächelt strahlend zurück. Manchmal sind Engel eben unter uns.

Alle Beiträge der Serie

ist selbst kleinwüchsig und gehbehindert. Sie ist Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach und als Inklusionsbeauftragte für Inklusion und Abbau von Barrieren im Stadtgebiet zuständig. Die Texte dieser Serie sind reale Geschichten und sollen auf humoristische Weise für das Thema „Barrieren“...

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3 Kommentare

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    1. Herr Bollen, ich pflichte Ihnen bei es ist wirklich eine sehr schöne Geschichte. Dabei gehen meine Gedanken zurück an die langen Jahre in den ich meine Tochter versorgte. Auch heute sage ich, für die Verbesserung der Lebensverhältnissen dieser Mitmenschen gibt es noch viel Luft nach oben. Gerade die Weihnachtszeit stimmt uns dazu ein . Vielleicht sollten wir auf die 4000 Euro Prämie für E-PKW zugunsten der Verbesserungen nutzen. Denn wer sich diese teuren Schlitten leisten kann, sollte jetzt nicht weinen.