In einer Frage besteht in Bergisch Gladbach Konsens, bei Parteien, Rat, Verwaltung und Bürgern: Die Stadt benötigt sehr viel mehr bezahlbaren Wohnraum. Für die Flüchtlinge, die bleiben werden. Für Zuwanderer aus anderen Regionen Deutschlands. Für diejenigen, die bereits jetzt nichts mehr finden. Insgesamt geht es mittelfristig um 10.000 Menschen.
Zehn Anträge liegen dem Stadtrat zum Thema vor, ein „Runder Tisch bezahlbarer Wohnraum” mit Vertretern der Wohnungswirtschaft hat getagt, die Stadtverwaltung prüft und untersucht. Doch bewegen wird sich in der nächsten Zeit nicht viel. Das wurde am Dienstag und am Donnerstag bei den Sitzungen des Stadtplanungsausschusses und des Ausschusses für Soziales, Wohnungswesen (und einiges anderes) deutlich.
Baurat Stephan Schmickler hatte ein umfangreiches Papier (siehe unten) vorbereitet, das folgende Bereiche detailliert auflistet:
- alle Anträge zum Thema
- alle Arbeitsaufträge an die Stadtverwaltung inklusive Bearbeitungsstand
- die wesentlichen Handlungsfelder (und ihre Blockaden).
Um Schmicklers Fazit vorwegzunehmen: „Was man aktuell machen kann, haben wir gemacht oder aber angestoßen. Jetzt brauchen wir erst einmal den neuen Flächennutzungplan und ein wohnungsbaupolitisches Konzept. Das dauert natürlich etwas.”
Wenn man sich den Fahrplan für die Aufstellung des neuen Flächennutzungsplans (FNP) anschaut, ahnt man wie lange:
Gerade wird der Vorentwurf erarbeitet. Offiziell startet das Verfahren am 30.8. bei einer Sondersitzung der drei beteiligten Ausschüsse. Im Herbst gibt es Bürgerbeteiligungen. Bis Sommer 2017 wird der endgültige Plan erstellt, noch einmal vorgestellt und ein Jahr lang in der Offenlage diskutiert. Ein Beschluss ist für den Herbst 2018 angestrebt.
Ohne Flächennutzungsplan kommt die Stadt jedoch nicht wirklich voran. Dafür liefert die Vorlage des Baurats viele Argumente und aufschlussreiche Daten. Die gesamte Vorlage ist weiter unten dokumentiert, aber schauen wir uns die wichtigsten Details mal an.
Es fehlen mittelfristig Wohnungen für 10.000 Menschen
Bergisch Gladbach muss demnach in den kommenden 15 Jahren ungefähr 5000 Menschen mit Wohnungen versorgen, die nach allen Prognosen vor allem aus Köln nach Bergisch Gladbach ziehen werden – und außerdem eine Zahl von Flüchtlingen in gleicher Größenordnung. 10.000 Menschen, dafür werden wenigstens 2.500 Wohnungen gebraucht.
Aktuell werden nach Angaben von Schmickler in Bergisch Gladbach pro Jahr allenfalls 200 Wohnungen gebaut, gebraucht werden aber 500. Und dann werden auch noch die „falschen” Quartiere gebaut: angesichts sehr hoher Grundstückspreise investieren private Bauherren fast ausschließlich in teure Eigentumswohnungen. Und nicht in Sozialwohnungen, nicht in kleine Wohnungen, nicht in Wohnungen für große Familien zu günstigen Preisen.
Daher wird die Stadt große neue Wohngebiete ausweisen müssen, um ausreichend bezahlbares Bauland für wirklich viele Mehrfamilienhäuser zur Verfügung stellen zu können. Genau dafür aber ist ein neuer Flächennutzungsplan (der alte ist 37 Jahre alt) die Voraussetzung.
Wer Bauland ausweist wird mit Widerstand rechnen müssen
Denn, das sagt Schmickler aus langer Erfahrung vorher: Bei der Ausweisung von Bauland (und von Gewerbeflächen, um den neuen Bewohnern Arbeitsplätze bieten zu können), ist mit „erheblichen Widerstand vieler Interessensgruppen zu rechnen.” Stehen der FNP und die daraus folgenden Bebauungspläne nicht auf sehr sicheren Füßen ist mit vielen Prozessen und langem Stillstand zu rechnen.
Allerdings, und darauf weist auch Schmickler immer wieder hin, sind im Baulückenkataster der Stadtverwaltung mehr als 1000 Grundstücke erfasst, die eigentlich sofort bebaut werden könnten. Eigentlich, denn die privaten Besitzer zeigen trotz aller Bemühungen keine Neigung, ihre Grundstücke zu bebauen oder an Investoren zu verkaufen.
Warum nicht? Weil sie das Geld aus dem Verkaufserlös in Zeiten negativer Zinsen nur schlecht anlegen können – und weil sie zu Recht auf weiter steigende Grundstückspreis rechnen. „Diese Grundstücke”, so der Baurat, „sind praktisch nicht zu mobilisieren.”
Die Stadt selbst besitzt nur noch wenige Grundstücke. Und die sind laut Schmickler allesamt mit irgendwelchen faktischen oder rechtlichen Restriktionen belegt, die eine Bebauung derzeit verhindern.
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft kommt
Ein Ergebnis, dass zumindest der Stadtplanungsausschuss so nicht akzeptieren wollte. Er hatte Schmicklers Vorlage, die dieser eigentlich erst im Sozialausschuss vorlegen wollte, in öffentlicher und nichtöffentlicher Sitzung intensiv diskutiert und der Verwaltung auf Vorschlag von CDU und SPD weitere Aufträge aufgebrummt. Wie Schmickler im Sozialausschuss referierte handelt es sich um drei Punkte:
- soll die Verwaltung „forciert prüfen”, welche Flächen für die Bebauung geeignet sind. Das wird sie machen. Das Ergebnis: siehe oben
- soll die Verwaltung mit der Rheinisch Bergischen Siedlungsgesellschaft abstimmen, ob diese nicht auf städtischen Grundstücken bauen kann. Dazu Schmickler: Die RBS fange erst bei Grundstücken ab 1000 Quadratmetern an; von den ohnehin mit Restriktionen belegten städtischen Grundstücken fallen nach diesem Kriterium bereits 2/3 raus. Zudem habe die RBS mit ihren beiden Projekte in Hand und in der Märchensiedlung bereits genug zu tun.
- soll die Verwaltung die notwendigen Vorlagen für eine politische Diskussion liefern, ob eine eigene städtische Wohnungsbaugesellschaft Sinn machen kann.
Eine solche Wohnungsbaugesellschaft, neben der RBS und auf eher kleinere Flächen konzentriert, hatte Bürgermeister Lutz Urbach schon im Herbst ins Gespräch gebracht. Und, soviel verriet Schmickler, „daran wird gearbeitet, da werden bald Dinge kommen.” Die Realisierung könne schnell gehen, wenn das politisch gewollt werde.
Aber – und da beißt sich die Katze in den Schwanz – , auf welchen Grundstücken soll sie denn bauen?
Schmicklers ominöse Liste
Allerdings: einige Ratsmitglieder aus der SPD warfen nach einem Bericht von KSTA/BLZ Schmickler in der nichtöffentlichen Sitzung des Planungsausschusses vor, eine Liste von 16 braureifen Grundstücken für die geplant städtische Wohnungsbaugesellschaft (siehe unten) zurückzuhalten.
Eine solche Liste, so Schmickler, gebe es nicht. Im Sozialausschuss sprachen die SPD-Vertreter den Punkt auch nicht mehr an.
Keine Basis für Enteignungen, kein Geld für Aufkäufe
Für Enteignungen, das stellte der Baurat auf Nachfragen klar, sehe er keine Grundlage. Die Stadt habe zwar Vorkaufsrechte – aber die können sie auch nur dann ausüben, wenn tatsächliche Kaufverträge vorliegen. Und bislang habe der zuständige Stadtentwicklungsbetrieb (SEB) dafür auch keinen Etat.
Was bleibt? Keine Hoffnung auf rasche Lösungen, aber drei große Aufgabenfelder für Politik und Verwaltung:
- die Aufstellung des Flächennutzungsplanes, der Bebauungspläne und die Erarbeitung eines wohnungsbaupolitischen Konzeptes
- die Grundstücksbeschaffung
- die Förderung des Wohnungsbaus durch die RBS und die noch zu gründende stadteigene Wohnungsbaugesellschaft.
Damit beginnt die Argumentation aber von vorne. Die Schaffung von erschwinglichem Wohnraum in Bergisch Gladbach ist offenbar die Quadratur des Kreises.
Dokumentation: Der komplette Bericht von Baurat Stephan Schmickler
seit längerer zeit bemühte ich mich, der Stadt eine Wohnung in Lückerath anzubieten (gute Wohnlage). Inzwischen teilt mir eine Mitarbeiterin der Stadt telefonisch mit, daß der Stadt weniger Flüchtlinge zugewiesen wurden und daher zusätzlicher Wohnraum nicht mehr angemietet wird.
Hallo Herr Baurat Stephan Schmickler,
ich habe die Mitteilungsvorlage, Drucksachenvorlage 0021/2016 ausführlich gelesen.
Zitat:
‚Diese Überlegungen, die von einem Einwohnerzuwachs von 5000 Personen durch die auch vom Land NRW prognostizierte allgemeine Bevölkerungsentwicklung sowie von weiteren 5000 Personen durch die aktuellen Flüchtlingszuwanderungen ausgehen, wurden
zwischenzeitlich mit der Bezirksregierung Köln abgestimmt‘.
Bei einer Einwohnerzahl von ca. 100.000 Bürgern ergibt sich daraus auf die BRD hochgerechnet eine zu erwartende Flüchtlingszuwanderung von ca. 4 Millionen.
Frage: Ist diese Zahl mit der Bundesregierung abgestimmt?
Zitat:
Es erscheint allerdings
aus Sicht der Stadt Bergisch Gladbach durchaus sinnvoll, neben den Aktivitäten der
Rheinisch-Bergischen Siedlungsgesellschaft auch eigene Aktivitäten zu entfalten, um
einen weiteren Akteur an den Markt zu bringen und einen zusätzlichen Effekt für den
Markt zu erreichen.
Frage: Planen Sie einen Wechsel in diese zu gründende oder bereits gegründete Wohnungsbaugesellschaft?
Mit freundlichem Grß
Jürgen Niemann