Horst-Jürgen Gedecke hat erlebt, wie sein Arbeitsgerät, der Bandwebstuhl, innerhalb eines Berufslebens aus den Fabrikhallen ins Museum gewandert ist. Heute demonstriert er die alte Technik im Bergischen Museum in Bensberg. Dass sie mittlerweile ein Nischendasein führt, hat nicht nur mit den Produktionskosten zu tun. In dieser neuen Serie stellen wir Handwerker in Wort und Bild vor, die vom Aussterben bedroht sind.

Text: Holger Crump. Fotos/Video: Thomas Merkenich

Horst-Jürgen Gedecke stammt, das verrät der Zungenschlag bereits in den ersten Sekunden, aus Wuppertal. Er ist gelernter Bandweber. 1958 beginnt er bei der Firma Quambusch & Meyri seine Lehre. Sie dauert drei Jahre.

„Eigentlich wollte ich wie der Vater Werkzeugmacher werden“, berichtet Gedecke. Der Besuch in der Bandweberei habe ihn jedoch von diesem Gewerbe überzeugt, das damals noch prosperierend gewesen sei. „Im Umkreis von 100 Metern fanden sich allein zehn Bandwebefirmen“, weiß er.

Bunte Wupper

Das Bergische ist seinerzeit eine Hochburg des Bandwebens. „Es gab viele Garnhersteller in der Region“, meint Bandweber Gedecke. Das habe die Bandweber angezogen. Von Umweltschutz sei damals noch nicht die Rede gewesen. „An der Farbe der Wupper konnte man erkennen, welche Garnfarben gerade produziert wurden“, so seine Schilderung.

Entwicklung der Bandweberei: Die Bandweberei hatte ihren Schwerpunkt im Bergischen Land. 1549 wird sie erstmals als „Lintwirken“ erwähnt und meist hausindustriell von Bauern betrieben. 1883 existieren im Bergischen 5.500 Bandwebstühle. Davon werden noch 4.000 mit der Hand betrieben. Diente damals noch Wasser oder Dampf als Antrieb, kommt ab den 1880er Jahren elektrische Energie hinzu. Noch 1954 gibt es im Bergischen rund 12.000 Hausbandwebereien, 2.700 Bandwebstühle und 280 Bandfabriken. (Quelle: Bergisches Museum).

Die Hälfte der Lehrjahre lernt er in der Flechterei, dann wechselt er zu den Bandwebern. Nach der Ausbildung habe man richtig Geld verdienen können. Wegen des Schichtdienstes, meint Gedecke. Nach einigen Stationen in mehreren Unternehmen wechselt er 1964 auf den LKW.

Das hatte produktionstechnische Gründe. „Je nach Dicke des gesponnenen Fadens konnte in der Bandweberei das Fenster nicht geöffnet werden. Die Luftfeuchtigkeit hätte sonst dazu geführt, dass der Faden reisst“, erklärt der 79-jährige. Hosenschonerbänder beispielsweise, die mit einem dünnen Metallfaden gewebt wurden, seien so empfindlich gewesen. Ein Produkt, das man heute nicht mehr kennt.

Der Mangel an frischer Luft habe ihn früh aus der Bandweberei vertrieben. An die Atmosphäre in der Weberei könne er sich gleichwohl ein Leben lang erinnern.

Geräusche aus alten Zeiten

„Als ich in Rente war kam ich mit meiner Frau hier am Museum vorbei. Ein Fenster war geöffnet und ich sagte: Du, da läuft ein Bandwebstuhl,“ blickt er amüsiert zurück. „Das Geräusch kriegt man nicht aus dem Kopf.“ Seine Frau will es erst nicht glauben.

Im Museum wird sie eines besseren belehrt. Gedecke kommt ins Gespräch mit seinem Vorgänger, der seinerzeit die Bandwebstühle vorführt. Man tauscht sich aus, plaudert über alte Zeiten. Etwas später präsentiert er das alte Handwerk im Museum, seit nunmehr 16 Jahren.

Der Krampenstuhl: Die Produktionssteigerung des Bandwebens erfolgte im 17. Jahrhundert durch den so genannten Krampenstuhl, der in Holland erfunden wurde. Damit konnten parallel rund 20 Bänder gewebt werden.
Städtische Weberzünfte fürchteten den Verlust von Arbeitskräften und strebten damals ein Verbot dieser Maschinen an – jedoch umsonst. Die gesteigerten Exportchancen führten vielmehr zu einem Mangel an Fachkräften. (Quelle: Bergisches Museum).

Dass sein ehemaliges Arbeitsgerät zum Exponat im Museum geworden ist, störe ihn wenig. Er freue sich dass die Technik hier gezeigt würde und damit erhalten bliebe. Dass die Jugend von heute sehe was man seinerzeit zu leisten imstande war.

350 Jahre Bandwebetechnik

Die Technik demonstriert er im Bergischen Museum für Bergbau, Handwerk und Gewerbe an zwei betagten aber voll funktionstüchtigen Bandwebestühlen. Einem 150 Jahre alten, elektrisch betriebenem Jacquard-Bandwebstuhl, sowie einem 200 Jahre alten, handbetriebenem Webstuhl mit Kurbel.

Auf dem elektrisch betriebenem Webstuhl produziert er Bänder mit der Aufschrift des Museums. Anders als heute, wo Stoff meist bedruckt werde, sei der Text früher eingewebt worden, erklärt Gedecke. Das Endprodukt habe – man ahnt es – eine wesentlich längere Lebensdauer.

Lange Lebensdauer, aufwändige Produktion

Viel Zeit nimmt damals jedoch auch die Produktion ein. Denn der zu webende Text (oder das Muster) muss zunächst auf Millimeterpapier aufgezeichnet werden. Es entsteht eine Patronenzeichnung. Ein Kartenschläger wandelt diese in Lochkarten um. Viele Karten, per Schnur miteinander verbunden, ergeben dann die Vorlage für ein Webmuster.

Über einen komplizierten Mechanismus übernimmt der Bandwebstuhl das Lochkartenmuster bei Kette und Schuss – den beiden wichtigsten Fäden beim Weben. Aber das schaut man sich am besten vor Ort im Museum live an. Bei einer Vorführung von Herrn Gedecke.

Solch ein Gewerk nehme gerne acht bis 14 Tage in Anspruch, erklärt der Bandweber. Und es lohne sich nur bei hohen Stückzahlen, da der Webstuhl entsprechend eingerichtet werden müsse. Druckereien würden für solche Projekte lediglich zwei bis drei Tage benötigen. Und auch in kleinen Stückzahlen liefern.

Produktionsdauer und die damit verbundenen Kosten hätten der Bandweberei den Garaus gemacht, nennt Gedecke die Gründen, die zum Aussterben des handwerklichen Bandwebens geführt hätten. Industriell führe die Technik gleichwohl noch ein Nischendasein, mit Maschinen die 60- bis 80-mal schneller seien als seine elektrisch betriebene Bandwebemaschine von Jacquard.

Das Bergische Museum für Bergwerk, Handwerk und Gewerbe
Vorführungen verschiedenster Handwerkstechniken immer sonntags. Infos zu den Vorführungen, Führungen durch das Museum, Ausstellungen, der Museumspädagogik uvm. im Internet unter www.bergisches-museum.de.

Stellenwert des Handwerks

Auch wenn er jahrelang auf dem LKW gesessen hat: Ein Händchen für seinen Werkstoff hat Herr Gedecke noch immer. Und so zaubert flugs er aus einem Seil, das er mit einer Flechtmaschine in seinem Werkraum produziert hat, ein kleines Armband. Per Fingerhäkeln, wie er erklärt.

„Als Verschluss dient ein so genannter Weberknoten“, meint er. Verblüffend, mit wie wenigen Handgriffen aus einer Schnur ein einfaches aber graziles Schmuckstück wird. Gedecke und seine Webstühle werden in dem Moment nahezu eins, verwandeln Garn und Schnur in wertige Gebrauchsgegenstände. Der Wert des Handwerks blitzt in dem Moment deutlich auf und relativiert die Segnungen der industriellen Fertigung in sekundenschnelle.

„Ein Museumsbesucher wollte mal von mir Schnüre für seine Wanderschuhe haben. Die habe ich ihm auch gemacht. Und sie halten immer noch“, ist Gedecke sichtlich Stolz. Die Haltbarkeit sei auch ökologischer. „Aber sagen sie das mal der Industrie, die wollen das schnelle Geld verdienen.“

Er würde heute wieder in die Lehre als Bandweber gehen, ist er sicher. Und jungen Leuten auch heute noch raten: Werdet Bandweber. Es sei ein vielseitiger, interessanter Beruf. Sein Sohn ist jedoch Friseur geworden. Ein Handwerk, das wahrscheinlich länger ausgeübt wird.

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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1 Kommentar

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  1. Toller Bericht, ach ja die gute alte Zeit der Dampfmaschinen ich vermissen wir sie doch alle sehr jetzt ist das Gejammer groß