Pfarrer Thomas Werner stand 30 Jahre der ältesten evangelischen Kirchengemeinde in Bergisch Gladbach vor – dem Pfarrbezirk 1 mit der Gnadenkirche. Nun geht er in den Ruhestand und zieht Bilanz. Er spricht über sein Selbstverständnis als Pfarrer, große Erlebnisse im Kleinen, bittere Momente und ein paar Dinge, die er nicht geschafft hat.

Ich bin der dritte Pfarrer in 250 Jahren Gnadenkirche, der die 30 gerissen hat“, schmunzelt Pfarrer Thomas Werner. Lediglich Pfarrer Ludwig Rehse und Pfarrer Helmut Hochstetter seien genau so lange an der Gnadenkirche aktiv gewesen.

Thomas Werner sitzt im Engel am Dom. Der Gemeindesaal wurde 2002 während seiner Amtszeit eröffnet. Kommenden Freitag hängt Thomas Werner nun den Talar an den Nagel. Er scheint mit sich im Reinen zu sein, freut sich auf den neuen Lebensabschnitt.

Ursprünglich habe er Arzt im Entwicklungsdienst werden wollen. „Ich wollte während der Ausbildung lange nicht Pfarrer werden.“ Noch bis zum 8. Semester Theologie habe er Medizin dranhängen wollen.

Doch dann machte er ein Praktikum bei Pfarrer Willi Overbeck in Essen. Und erlebte das Kirche und Gemeinde auch anders geht. Kultur und Gemeinde fallen als Stichworte.

„Heute kann ich mir für mich keinen schöneren Beruf mehr vorstellen“, blickt Werner zufrieden zurück. Der Umgang mit Menschen, die Gestaltung von Gemeinwesen – da habe man als Pfarrer große Gestaltungsmöglichkeiten.

Pfarrer Thomas Werner, Foto: Thomas Merkenich

Zur Person: Thomas Werner
Geboren am 17. Dezember 1957 in der Nähe von Johannesburg/Südafrika
verheiratet, 2 Kinder
Theologie-Studium in Heidelberg, Berlin, Bonn
Vikariat in Köln-Deutz
Seelsorgerische Tätigkeit am Eigelstein und in Köln-Klettenberg
Pastor für Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten in Essen
ab 1. Januar 1992 ev. Pfarrer des 1. Pfarrbezirks Gnadenkirche (Stadtmitte, Rommerscheid, Teile von Sand, Herrenstrunden

Und Thomas Werner hat der Gemeinde seinen Stempel aufgedrückt, hat den einst bürgerlichen Pfarrbezirk zu einem Treffpunkt für die Menschen entwickelt. Zu einem Kulturort, zu einem Ort des Dialogs.

Ungewöhnlich, dass er das in einer bürgerlichen Gemeinde hat umsetzen können. „Die Gemeinde war vor 30 Jahren bereit, etwas neues zu wagen,“ erinnert er sich. Er habe sich damals gegen 45 Bewerber in der Wahl durchgesetzt.

Wort und Tat

Unzählige Mobiles schmücken den Innenhof der Kirche. Pfarrer Werner hat sie vor Jahren in einem Discounter gekauft und mit Angelzubehör so verstärkt, dass sie Wind und Wetter trotzen. Foto: Thomas Merkenich

Wichtig sind ihm Menschen, die ihm etwas vorgelebt haben. Willi Overbeck, Pfarrer im Ruhrgbeiet. Horst Burchhardt aus Essen, Sozialarbeiter. Von ihnen habe er viel gelernt. Und natürlich von seinem Vater: „Der war auch Pfarrer, hat drei Gemeinden und drei Kirchen aufgebaut.“

Diakonie – also der Einsatz für die Mitmenschen – hänge für ihn unmittelbar mit dem Beruf als Pfarrer zusammen. „Wort und Tat“, mit Betonung auf dem und, darum gehe es ihm. Der Einsatz für alte Menschen (Witwen), Kinder und Jugendliche (Waisen) und Flüchtlinge (Fremdlinge) lasse sich schließlich aus der Bibel ableiten.

Flüchtlinge – damit kam zum Ende seiner Amtszeit nochmal ein großes Thema auf die Gemeinde zu. Pfarrer Werner und sein Team, sie haben die Diakonie ernst genommen. Und zum Beispiel die Flüchtlingshilfe zum Ausbruch des Ukraine-Krieges personell unterstützt.

Keine Christen 1., 2. oder 3. Klasse

Auf seine Position als Pfarrer hatte und hat er einen klaren Blick. Es gebe einen Unterschied zwischen vorbildlich und glaubwürdig sein: „Willst Du Vorbild sein, dann hast Du verloren.“ Das halte man nicht durch. Er wollte immer glaubwürdig und authentisch sein.

Das kam in der Gemeinde an, so wie sein Verständnis von Gemeinde. Christen erster, zweiter oder dritter Klasse gebe es für ihn nicht. Jedes Mitglied habe das Recht, evangelischer Christ zu sein und als solcher wahr- und ernstgenommen zu werden.

30 Jahre Pfarrer Thomas Werner
Start am 1. Januar 1992
Pastorale und seelsorgerische Dienste
Meilensteine im Amt unter anderem:
– 1993 Initiative „Kunst und Gnadenkirche“
– 1994 Gründung Mobiler Sozialer Hilfsdienst
– 1994 Gründung der Kulturinitiative Quirl
– 1998 Eröffnung des Quirls
– 1998 Übernahme des Q1 Jugendkulturzentrums
– 2002 Eröffnung Gemeindesaal „Engel am Dom“
– 2004 Gründung „Mensch und Arbeit“
– Übernahme des Spieleverleihs
– Veranstaltung „Fest der Religionen“
– seit 2015 Flüchtlingsarbeit

„Meine Aufgabe als Pfarrer ist es nicht, das Seelenheil zu verkünden, sondern die kommunikativen Prozesse in der Gemeinde zu moderieren – wo auch immer!“

Kleine Begegnungen

Thomas Werner blickt zufrieden zurück, einzelne Highlights mag er gar nicht benennen. „Die letzten 30 Jahre waren für mich wie ein Lichter- und Sternenmeer. Ich habe viel zurückbekommen.“

Rückblickend gehe es dabei nicht so sehr um die großen Aktionen. Um Prominente, die in der Gnadenkirche zu Gast waren.

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Persönliche, kleine Begegnungen, die im verborgenen bleiben, an die erinnert er sich im Gespräch am liebsten.

Werner erzählt von Dankesschreiben, von Kuriositäten auf die er im Alltag als Pfarrer traf, die er aber nicht veröffentlicht wissen will. „Das sind einfach seelsorgerische Dinge, die rühren einen an, die haben nichts an der Öffentlichkeit zu suchen.“

Gleichwohl – in den Erzählungen wird klar: Diese Momente spiegeln sein Verständnis als Pfarrer wider. Nicht die große Bühne, auf die er hin und wieder steigen muss.

„Mein Herz schlägt mit den einfachen Leuten.“

Pfarrer Thomas Werner in der Weihnachtsandacht 2020. Den ganzen Gottesdienst können Sie sich hier anschauen. Foto: Thomas Merkenich

Pfarrer, kein Lehrer

Wer Thomas Werner in Kinder- und Jugendgottesdiensten erlebt hat, der traf auf einen entspannten Pfarrer, der zwischen krähenden Babys und Kinder auf dem Fußboden im Altarraum stand. Der das undogmatisch – vielleicht manchmal ein wenig stoisch – akzeptiert und zum Teil seiner Gottesdienste gemacht hat.

Das hat er sich aber auch erst aneignen müssen.

„Ich bin Pfarrer, kein Lehrer, sitze nicht mit erhobenem Zeigefinger da“, macht er deutlich. Ihm sei es immer wichtig gewesen, Kindern Raum zur Ermutigung geben. „Das habe ich aber erst lernen müssen.“

In der Coronazeit hat Thomas Werner seine Predigten als Podcast veröffentlicht, weitere Ausgaben finden Sie unter „alle Episoden“:

Er sei zwar aus der offenen Jugendarbeit gekommen, aber die Gottesdienste mit Kindern und Jugendlichen, die hätten ihn mehr gefordert als jene für Erwachsene. Über die Jahre sei er aber da hineingewachsen. „Je einfacher man Dinge formuliert, desto besser.“

Schulfusion bitter

Es gibt nur wenige Dinge, auf die er enttäuscht zurückblickt. Die Fusion der Evangelischen Grundschule am Broich mit der Katholischen Grundschule Buchmühle Anfang 2000 ist solch ein Thema.

Um der Tradition der beiden Konfessionsschulen gerecht zu werden, habe er damals um einen christlichen Namen für die fusionierte Schule gebeten. „Das wurde versprochen, aber leider nicht gehalten.“ Das sei für ihn bis heute bitter.

Die christliche Tradition sei damit nicht gewahrt worden. Die fusionierte evangelische Grundschule sei die erste Schule in Bergisch Gladbach gewesen, habe in der Geschichte schon einmal ihren Namen verloren. „Jetzt ist er wieder weg!“

Ansonsten hätte er gerne noch die benachbarte Immobilie Heuser an das Quirls angebunden, und den Innenraum der Gnadenkirche renoviert. Das hat er nicht mehr geschafft.

Sie können über die blauen Punkte verschiedenste Perspektiven ansteuern, und auch den Innenraum der Kirche entdecken. Ein Doppelklick öffnet und schließt eine Vollbildansicht.

Krise der Kirche

Pfarrer Thomas Werner geht in einer Zeit, wo es die Kirche nicht leicht hat. Befragt nach den Gründen, denkt er lange nach.

„Die vertrauenslose Sorge, nur um sich selbst. Die Angst um die Zukunft der Strukturen, nicht um die Zukunft der Kirche“, antwortet er dann. All dies bremse jede Form von Innovation aus. Er nennt keine Konfessionen, aber es ist klar woran er hier im Einzugsgebiet von Köln denkt.

Befragt nach einem Schlüssel zur Lösung der Krise, argumentiert Pfarrer Werner mit Jesus: Er habe die Menschen zur tätigen Nächstenliebe und zum Pflegen der Gemeinschaft angehalten. Wenn man dies tue, brauche man sich um die Kirche keine Gedanken machen.

Nach vorne schauen, nicht vorgeben was die Menschen zu denken haben, sie mitnehmen: „Dann mache ich mir um die Kirche keine Sorgen.“

Und sie brauche auch die Konkurrenz durch andere religiöse Angebote oder Lifestyle-Moden nicht zu scheuen. „Ich suche den offenen Kurs mit anderen Religionen, Konfessionen und Kulturen. Visier hochnehmen, sich mit anderen messen, darum geht’s!“

Die Gnadenkirche am Quirlsberg. Foto: Thomas Merkenich

„Seelsorger werde ich bleiben“

Den Talar hängt er nun an den Nagel, will seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger nicht „in den Füßen herumlaufen“, nicht mehr als Hilfspfarrer aktiv sein. Anfragen nach Trauungen in der Zukunft lehnt er ab. Wer Nachfolgerin oder Nachfolger werde, das wisse er nicht. Hierüber würden die demokratischen Strukturen der Gemeinde entscheiden.

Jetzt geht es erst einmal in Urlaub. Danach kommt er zurück nach Bergisch Gladbach: „Ich bleibe Bürger dieser Stadt, ich bleibe Mitglied dieser Gemeinde und dieses Pfarrbezirks.“

Pfarrer Thomas Werner, Foto: Thomas Merkenich

Auch wenn er sich aus dem aktiven Dienst als Pfarrer verabschiede – „ich bleibe Seelsorger.“ Das sei ihm letztens im Gespräch mit einem älteren Herr klar geworden, der Rat suchte. Den seelsorgerischen Auftrag könne er nicht abstreifen wie einen Talar. Der christliche Auftrag, sein Selbstverständnis, das bleibe.

Was sollen die Leute später mal über ihn erzählen? „Ich bin froh wenn die Leute später sagen – der Werner, der war doch ganz in Ordnung!“ Und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands – ein Job den er sich vor 12 Jahren wohl noch hätte vorstellen können – wolle er auch nicht mehr werden.

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ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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