Rewe Wintgens in der Schlossgalerie setzt zwar auch nostalgische Akzente, aber auch hier gibt es im Normalbetrieb sehr viele Reize. Foto: Helga Niekammer

Barrieren abbauen und Zugänge schaffen, das ist das Ziel der Stillen Stunde. In drei Einzelhandelsgeschäften kann seit einem Jahr während einer bestimmten Zeit bei gedimmten Licht und reduzierter Lautstärke eingekauft werden. Menschen mit veränderter Reizverarbeitung können dadurch wieder unbeschwerter einkaufen. Nun sucht der Inklusionsbeirat weitere Kaufleute, die das Konzept umsetzen möchten.

Die vielzähligen Reize in Geschäften machen das Einkaufen für viele Menschen unerträglich bis fast unmöglich. Davon sind besonders Personen mit einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen, aber auch viele andere Gruppen. Um diesem Problem zu begegnen, hat der Inklusionsbeirat vor genau einem Jahr die sogenannte Stille Stunde ins Leben gerufen.

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Das Projekt ermöglicht es Menschen mit einer veränderten Reizverarbeitung, bei reduzierter Lautstärke, gedimmten Licht und einer ruhigen Atmosphäre einkaufen zu gehen – immer dienstags zwischen 16 und 18 Uhr in einigen wenigen Einzelhandelsgeschäften

Neben zwei Rewe-Filialen unter der Leitung von Ursula Wintgens in Bensberg und einer Edeka-Filiale unter der Leitung von Markus Hetzenegger in Sand ist auch der „Büggel – bergisch unverpackt“ -Laden von Stefanie Marx-Bleikertz in der Innenstadt mit von der Partie.

Der Maßnahmen-Katalog

Die Arbeitsgruppe – bestehend aus dem Inklusionsbeirat, Markus Hetzenegger und Ursula Wintgens – hat einen Maßnahmen-Katalog entwickelt, durch den die Reize während des Einkaufens verringert werden sollen. Ein Großteil der Maßnahmen sei bereits umgesetzt worden. Manche seien hingegen noch in Planung, beschreibt Monika Hiller, Inklusionsbeauftragte der Stadt Bergisch Gladbach.

Bereits an den Eingängen der Geschäfte wird auf die Stille Stunde hingewiesen: Durch ein Informationsschild wird auf die wichtigsten Maßnahmen eingegangen und darum gebeten, sich während des Einkaufens ruhig zu verhalten.

Es werde darauf geachtet, die Lautstärke in den Geschäften zu reduzieren. Auf Musik und Durchsagen werde ganz verzichtet. Die Kassengeräusche und Telefone stelle man so leise wie möglich. „Sollten Kunden Gespräche führen, werden sie durch das Personal darauf hingewiesen leiser zu reden“, erklärt Hetzenegger.  

Markus Hetzenegger

Gleichzeitig werden Gerüche minimiert und Reinigungsarbeiten nicht in der Zeit der Stillen Stunde durchgeführt. Auch die Beleuchtung werde reduziert und flackernde Lichter abgestellt. „Das ist allerdings nicht in allen Bereichen, wie beispielsweise in der Fleisch- und Käsetheke, möglich“, ergänzt Hetzenegger.

Gedränge an den Kassen soll vermieden werden und auch die Öffnung weiterer Kassen ist bei längeren Schlangen angedacht. Die Regale werden nur mit gewöhnlichen Einkaufswagen eingeräumt, um auf die recht lauten Rollcontainer und Hubwagen zu verzichten.

Hier findet die Stille Stunde findet dienstags zwischen 16 und 18 Uhr statt:

EDEKA Frischemarkt Hetzenegger
   Herkenrather Str. 70
   51465 Bergisch Gladbach

REWE Ursula Wintgens
   Schloßstraße 53
   51429 Bergisch Gladbach

REWE Ursula Wintgens
   Sattlerweg 8
   51429 Bergisch Gladbach

BÜGGEL – bergisch unverpackt
   Paffrather Str. 5
   51465 Bergisch Gladbach

In jedem Geschäft werden die Maßnahmen je nach Möglichkeiten umgesetzt. Auch Personalschulungen finden statt: „Alle, die bei uns im Geschäft neu anfangen, werden über das Projekt informiert“, beschreibt Hetzenegger.

Generationenübergreifendes Angebot

Das Angebot wird aber nicht nur von Betroffenen genutzt. Personen jeden Alters kommen zur Stillen Stunde, um in Ruhe einzukaufen. Sie nutzen die Ruhe, um sich vom Alltag zu erholen. „Durch die ruhige Atmosphäre verhalten sich die Kunden automatisch auch ruhiger, sie passen sich der Situation an“, sagt Hiller.

Die Rückmeldungen aus den Geschäften seien aber fast durchweg positiv. Auch viele Menschen, die nicht betroffen sind, loben das Projekt und die Umsetzung, beschreibt Hetzenegger. Man höre sogar von Personen, die für die Stille Stunde in Bergisch Gladbach eine weitere Anfahrt in Kauf nehmen würden.

„Teils kommen Eltern auf mich zu und bedanken sich, dass sie mit ihren Kindern wieder einkaufen gehen können“, berichtet Hetzenegger.

Monika Hiller (links) und Katherina Kaul (rechts)

Auch Katharina Kaul, die das Projekt initiiert hat, hat diese Erfahrungen gemacht. Sie habe sich mit einer Mutter unterhalten, der es nun wieder möglich ist, mit ihrem Sohn einkaufen zu gehen. „Wir ermöglichen es Menschen durch wenige Maßnahmen wieder in die Geschäfte zu kommen,“ beschreibt Kaul.

Das mache für sie Inklusion aus. Menschen passen sich füreinander an, ohne selbst Einschränkungen erfahren zu müssen. „Inklusion betrifft uns alle. Wenn jeder in seinem Alltag etwas dazu beiträgt, kann viel erreicht werden“, macht Kaul deutlich, die bei InBeCo, der Servicestelle für Inklusion in der Freizeit der KJA arbeitet.

Natürlich gebe es auch immer Menschen, die Kritik äußern, aber diese seien laut Hetzenegger in der Minderheit. „Das Thema bewegt viele und regt zum Nachdenken an“, sagt Hiller.

Einfach mal machen“

Ganz nach dem Motto „Einfach mal machen – es könnte ja gut werden“ hatten Hiller und Kaul das Projekt in die Wege geleitet. „Es bringt nichts, alles bis in das letzte Detail zu planen, man muss manchmal einfach loslegen“, sagt Kaul.

Mit Wintgens und Hetzenegger hätten sie zwei Einzelhändler gefunden, die mit Herzblut bei der Sache sind. Sie haben den Inklusionsbeirat von Anfang an tatkräftig unterstützt, ohne dass Überzeugungsarbeit geleistet werden musste. Noch immer finden regelmäßige Treffen statt, um sich über die derzeitige Situation auszutauschen, sagt Hiller.

Weitere Geschäfte werden gesucht

„Wir wünschen uns für die Zukunft natürlich, dass wir noch mehr Kaufleute von diesem Projekt überzeugen können“, erklärt Hiller. Das Interesse der Kunden sei definitiv vorhanden, doch es fehlen Geschäfte, die es in die Tat umsetzen.

Kontakt habe man nun zu den Zentralen der Rewe- und Edeka-Märkte aufgenommen, um das Projekt auch über die Stadtgrenzen hinaus zu tragen. Hetzenegger plant die Umsetzung des Projektes nun auch in seiner Filiale in Dürscheid.

Ein Ausbau des Angebotes würde all denjenigen helfen, die durch eine zu weite Anfahrtsstrecke von dem Projekt ausgeschlossen, oder zeitlich verhindert sind. Daher hoffe man, dass sich in der Zukunft noch mehr Kaufleute der Stillen Stunde anschließen werden.

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5 Kommentare

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  1. Über diese Stille Stunde sollten viele Märkte einmal nachdenken.
    Ein Markt in Untereschbach tut sich mit seiner “ Musikbeduddelei“ in meinen Ohren besonders hervor.
    Wenn man schon genötigt wird, aufgrund permanenter Umräumerei seine benötigten Lebensmittel ständig woanders zu suchen und wertvolle Zeit verliert, dann auch noch mit einem nervtötenden Rap Song in aggressiver Form attackiert wird, reicht es.
    Einkaufswagen abgestellt. Flucht ergriffen und einen Lebensmittel Markt in Hoffnungsthal angesteuert.
    Was denken sich einige Marktbetreiber eigentlich hierbei?
    Vielleicht sollte ich zukünftig die Wintgens und Hetzenegger Märkte direkt ansteuern.
    Alleine schon um deren Projekte zu unterstützen.

    1. Vielleicht hat der Marktleiter den Namen HIT falsch verstanden ;)

      Aber sie haben Recht, der Laden ist wirklich grausig geworden in den letzten Jahren und kann sich glücklich schätzen, im Ort keinen Rewe oder Edeka als Konkurrenz zu haben.

    2. Auf die Nerverei mit Musik verzichten dankenswerterweise ja schon viele Supermärkte. Edeka in Gronau und Rewe in Refrath zeigen z.B., dass es ganz ohne geht.

      Wie wohltauend das ist, merkt man bei einem Besuch bei Penny, wo man permanent vom „Einkaufsradio“ behelligt wird, das an bemitleidenswertem Musikgeschmack und intellektueller Dürftigkeit der Textbeiträge kaum noch zu unterbieten ist.

  2. Vor dem Herrn Hetzenegger habe Ich größten Respekt.
    Er kümmert sich um die Menschen denen der Alltag schwer gemacht wird.

    Schon am Eingang sieht man das man seinen Pfand Bon spenden kann.
    Dann die vielen regionalen Produkte und Bilder. Und die Freundlichkeit.
    Und auch immer die Aktionen z.B der Einkaufswagen für die Ukraine oä.

    Und die Stille Stunde ich denke da hat er einen neuen Maßstab gesetzt
    Viele Läden und Einrichtungen könnten dem ein Beispiel folgen.
    Aber nein ich mache keine Werbung auch der Laden hat so seine Macken

    Nur ist es ein Beispiel. Nehmen wir z.b. das Rathaus der Stadt Bergisch Gladbach.
    Es hat ein Podest mit großen Stufen vorne.
    Eine Rampe gibt es nicht. Das Zentrale Wahrzeichen der Stadt ist nicht Barrierefrei für Menschen im Rollstuhl.
    Lediglich ganz Hinten müssen die Menschen rein. Das ist schon heftig Abweisend und diskriminierend. Eine Rampe würde vielleicht 10.000 Euro einmalig kosten. Ein Furz im Vergleich zu anderen Kosten.

    Aber klar die meisten Konzern-Läden denken halt an Macht und Geld.
    Da sind denen Menschen mit Behinderung oder Psyschichen Dingen halt egal.

    Ich fände es sehr toll wenn man solche Läden und Veränderungen unterstützt
    Es ist ein kleiner Schritt in die Richtige Richtung.