Der Komponist und Pianist Roland Vossebrecker hat die „Initiative Klimagerecht leben“ in Bergisch Gladbach gegründet. Im Interview erklärt er, warum der Klimawandel eine so große Ungerechtigkeit ist. Nicht nur dem Globalen Süden gegenüber, sondern auch unseren Kindern gegenüber. Und erläutert, wie wir uns gerechter verhalten können.
Herr Vossebrecker, Sie haben in diesem Sommer die „Initiative Klimagerecht leben“ gegründet. Was hat Klima mit Gerechtigkeit zu tun?
Roland Vossebrecker: Sehr viel – unser Wohlstand in den westlichen Ländern beruht ganz wesentlich auf der Verbrennung von Kohle, das hat die Industrialisierung erst ermöglicht. Allerdings hat das auch ganz massiv zum Klimawandel beigetragen.
Darunter leiden aktuell hauptsächlich Menschen in den Ländern des Globalen Südens: In Pakistan steht ein Viertel des Landes unter Wasser, in Ostafrika herrschen seit vier Jahren Dürre und Hunger.
In Zukunft werden auch unsere Kinder und Enkel massiv darunter leiden. Das sind eklatante Ungerechtigkeiten, die wir so nicht mehr hinnehmen wollen.
Viele Kinder sehen, dass ihnen vonseiten der Erwachsenen eine Ungerechtigkeit sondergleichen widerfährt. Wie kann man ihnen dieses Verhalten erklären?
Ich denke, als erstes mit Ehrlichkeit: Wir haben’s versemmelt. Es reicht aber nicht, unsere Fehler zuzugeben, wir müssen sie auch versuchen zu korrigieren. Sonst müssen wir uns zu Recht die Frage gefallen lassen: Ihr habt es doch gewusst – warum habt ihr nichts getan? Ich persönlich schäme mich, dass ich das erst so spät begriffen habe.
Wir sehen einfach nicht richtig hin,
welche Folgen unser Lebensstil hat.
Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich leite seit vielen Jahren regelmäßig Bildungsreisen nach Auschwitz und in andere ehemalige Mordlager. Irgendwann habe ich angefangen, mich intensiver mit den Tätern zu beschäftigen.
Ein Zitat hat mich besonders aufgerüttelt. Ein Fahrer, der in Auschwitz Materialien über das Gelände fuhr, aber auch Menschen von den Bahnrampen zu den Mordstätten, hat vor Gericht ausgesagt: Er hätte gewusst, dass die Leute unschuldig seien. Deshalb habe er immer versucht, nicht richtig hinzusehen. Das war die Lebenslüge der ganzen damaligen Generation.
Und dann wurde mir klar: Das ist heute immer noch unsere Lebenslüge. Wir sehen einfach nicht richtig hin, welche Folgen unser Lebensstil hat. Je mehr ich auf meinen Bildungsreisen darüber spreche, desto mehr nehme ich mich selber in die Pflicht. Sonst wäre ich ja ein Heuchler.
Die Initiative Klimagerecht Leben hat sich am 18.6.2022 gegründet. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite oder im Newsletter. Demnächst soll ein eigener Blog mit Beiträgen rund um das Thema Klimagerechtigkeit hinzukommen. Mehr Beiträge zur Initiative finden Sie hier.
Roland Vossebrecker ist Komponist und Pianist, engagiert sich aber schon seit vielen Jahren mit Benefizkonzerten für die Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam. Zudem organisiert er mit dem Bildungswerk Stanislaw Hantz Reisen nach Auschwitz und Lodz.
Und wie geht das konkret, klimagerecht zu leben?
Die meisten Menschen denken jetzt an die Reduktion von CO2. Der Gerechtigkeitsbegriff geht aber noch viel weiter. Wir laden ein, einen Vertrag mit sich selbst abzuschließen. Dieser umfasst sechs Punkte:
1. CO2-Einsparung. Das ist natürlich absolut notwendig. Etwa durch eine Umstellung der Ernährung, der Mobilität und des Energieverbrauchs.
2. Konsumkontrolle und Fairness. Der ganze Kram, den wir besitzen und vielfach kaum benutzen, muss produziert, verpackt, verschifft und am Ende entsorgt werden. Allzu oft in den Ländern des Globalen Südens. Beim notwendigen Konsum – Kleidung, Nahrung – achten wir auf faire und nachhaltige Produktion.
Wir wollen den Klimaschutz nicht privatisieren.
Da ist die Politik gefragt.
3. Klimagerechtes Spenden. Wir tragen der Ungerechtigkeit des Globalen Nordens gegenüber dem Globalen Süden Rechnung, indem wir unseren Reichtum ein Stück weit teilen. Peter Singer, ein australischer Philosoph, schlägt als Richtwert fünf Prozent des Einkommens vor – daran orientieren wir uns. Das ist aber natürlich nach unten und nach oben offen, je nach Möglichkeit. Auf unsere Webseite listen wir einige Hilfsorganisationen auf, die auf dem Gebiet arbeiten.
4. Politisches Engagement. Wir bilden uns nicht ein, mit unserer konsequenten Lebensgestaltung das Klima retten zu können. Wir wollen den Klimaschutz nicht privatisieren. Da ist die Politik gefragt, und deshalb gehört die politische Arbeit für uns selbstverständlich dazu.
5. Überzeugungsarbeit. Wir möchten natürlich gerne mehr Menschen dazu einladen, sich auf ein klimagerechtes Leben einzulassen. Unser Traum ist, dass das irgendwann der Normalfall wird.
6. Inspiration. In einer Gruppe wie unserer ist es einfacher, sich gegenseitig zu einer klimagerechten Lebensgestaltung zu inspirieren.
Jetzt laden Sie für diesen Donnerstag zu einer „Stillen Demo“ ein – worum geht es da?
Wir leiden aktuell unter mehreren Krisen, Corona-Pandemie, Krieg, Inflation … Nun rufen manche Menschen zu einem „Wut-Herbst“ auf. Da geht es unserer Meinung nach vor allem darum, schlechte Stimmung zu machen und die Demokratie auszuhöhlen.
Die Stille Demo „Solidarität statt Wut-Herbst“ beginnt am Donnerstag, 10.11.2022, um 16.30 Uhr auf dem Konrad-Adenauer-Platz. Mehr Infos
Dem wollen wir etwas entgegensetzen, ganz ohne Wut und ganz still: ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die von diesen Krisen am schlimmsten betroffen sind. Dabei werben wir auch um Spenden. Für Pakistan, Ostafrika. Aber auch für obdachlose Menschen in Deutschland und für die Tafel.
Vielen Dank für das Gespräch.
Sehr geehrte Frau Geyer, haben Sie das Buch: “ Wie das Wetter Geschichte macht- Katastrophen und Klimawandel von der Antike bis heute-, von Ronald D Gerste, gelesen. In sehr packenden Kapiteln zeigt Gerste die geschichtsbildende Kraft des meteorologischen Zufalls. Im Ausklang des Epiloges nimmt er auch Bezug auf eine für die Religionen der Welt schwer verdauliche Anschauung von Aldous Huxley, Schriftsteller und Philosoph. Über eine Einschätzung von Ihnen würde ich mich freuen.