Susanne und Frank Weber lieben Karneval. Jahrelang liefen sie mit Freundesgruppen bei den Zügen in Bärbroich und Herkenrath mit, hatten dafür an mehreren Wochenenden eine Karnevalswerkstatt im Wohnzimmer, wo sie zu zehnt oder fünfzehnt aufwendige Kostüme herstellten. Jede Session (mindestens) ein neues. Auch die Kinder waren von Geburt an dabei, Sohn Tim mit zwei Monaten auf seinem ersten Zug. Die Kinder sind inzwischen groß – aber mit vielen Anekdötchen und Bildern lassen wir die Geschichte dieser jecken Familie Revue passieren.

Valentinssträußchen, Maibaum, Zirkus, Karussell, Laterne. Alles Kostümideen, die Susanne Weber noch umsetzen will. Verrückt? Vielleicht. Aber Susanne und ihr Mann Frank haben Erfahrung mit verrückten Kostümen: Auf ihrem Dachboden stehen 30 Umzugskartons voll davon.

Darin sind zum Beispiel jecke Hühner, Karnevalslaternen, Quietschenten und Bickendorfer Büdche, inklusive Bauchladen sowie mit Chipstüten, Süßigkeiten und Kaffeebechern beklebtem Hut.

Sind die Webers die jeckste Familie Bergisch Gladbachs? Gut möglich. Das war schon so, bevor die Kinder kamen. Susanne ist in der Kölner Südstadt aufgewachsen, ihre Grundschule lag am Zugweg. Frank kommt aus Stammheim. Seine Eltern bastelten alle Kostüme selbst, seine Schwester heiratete am 11.11.2011 – natürlich verkleidet.

Karnevalswerkstatt

Da haben sich zwei gefunden. Und dann kamen noch zwei dazu: Erst Laura, dann Tim. Tim war zwei Monate alt, als er auf seinem ersten Zug mitging, als kleiner Pirat.

Viele Jahre liefen Susanne und Frank mit Freundesgruppen von 20 bis 25 Leuten in Bärbroich und Herkenrath mit. Susanne war die Ideengeberin für die Gruppenkostüme. Umgesetzt wurden sie immer ab Jahresanfang – in einer regelrechten Karnevalswerkstatt.

Fast jedes Wochenende trafen sich zehn, 15 Leute bei Webers zu Hause. Auf Biertischen wurde geschnitten, gemalt, genäht, geklebt, verziert. Auch die Kinder machten mit: Beide können nähen, Laura schneiderte sogar ihren Puppen passende Kostüme.

Kurz vor Karneval wurde es jedes Jahr aufs Neue knapp. „Wir müssen uns am Schluss eigentlich immer Urlaub nehmen, um fertig zu werden“, sagt Frank. „Dann gibt es Büchsenwürstchen und Kartoffelsalat aus dem Supermarkt, zum Kochen hat keiner mehr Zeit“, ergänzt Susanne und lacht.

Lebkuchen-Bäckerei

Es war schon ein Running Gag in ihrem Freundeskreis, dass Susanne sagte, dieses Mal würde das Kostüm nicht so teuer und ginge ganz schnell – und dass es immer anders kam. Bis auf einmal: „Das Lebkuchenkostüm haben wir an einem Nachmittag gemacht.“

Frank holt es vom Dachboden. Zwei Lebkuchenherzen, eins für vorne und eins für hinten, aus Schaumgummi-Platten, mit braunem Stoff überzogen und mit Blumen aus einer Billig-Blumenkette beklebt. Die Zuckerverzierungen sind aus Silikon gemacht.

Tochter Laura als „Tigermaus“-Lebkuchenherz

Susanne hatte die Idee dazu schon im Sommer gehabt. Auf der Kirmes hatte sie die Lebkuchen an einem Süßigkeiten-Stand studiert: „Ich wollte mir Anregungen holen, sehen, wie die Zuckerrosetten gemacht sind und was die so drauf schreiben.“ Ihre Aufmerksamkeit missfiel dem Standbesitzer. Nach einer Weile fragte er misstrauisch, ob sie vom Ordnungsamt sei.

Weil das Kostüm dann so schnell ging, hatte Susanne die geniale Idee, Lebkuchenherz-Orden als Wurfmaterial herzustellen. An die 1000 Stück. Über Wochen wurde bei Webers und anderen Freunden gebacken, Löcher gestanzt, eingefädelt, getrocknet, verziert. Das ganze Haus roch nach Lebkuchen.

Weckmänner, Käffchen und Seifenblasen

Denn: Das Wurfmaterial war immer an die Kostüme angepasst. Als Karnevalslaternen verteilten sie St.-Martins-Weckmänner mit Pfeifen, eigens beim Bäcker im Sonderformat bestellt.

Frank Weber

Als Bickendorfer Büdche hatten sie hartgekochte Eier und Mini-Brötchen im Bauchladen, an die Erwachsenen gaben sie Kaffee in kleinen Bechern aus. „Das Kostüm ist auch super für den Kneipenkarneval“, sagt Susanne: Im Bauchladen könne man alles abstellen.

Als Pustefix-Dosen – gebastelt aus Schaumstoffplatten und Lackstoff in den typischen Farben – verschenkten sie auf dem Herkenrather Zug Seifenblasen, die sie auf Anfrage vom Hersteller günstiger bekommen hatten.

Das war aber noch nicht alles: Sie mischten selbst Seifenblasen-Flüssigkeit an, die sie in großen Eimern im Bollerwagen transportierten, und zogen den ganzen Zug über Riesen-Seifenblasen hinter sich her.

Dabei tropfte jede Menge Flüssigkeit auf den Boden. Frank erzählt: „Irgendwann hielt die Polizei neben uns an. Der eine machte die Tür auf, streckte den Fuß raus, rutschte ein paarmal mit dem Schuh über den Boden und meinte dann: Geht noch.“

Die Kinder

Die Kinder gingen von Anfang an mit. Erst im Kinderwagen, dann im Fahrradanhänger, noch später im Bollerwagen, wenn sie nicht mehr selbst laufen konnten. Susanne erinnert sich, wie Laura, wenige Monate alt, einen ganzen Zug lang an einem einzigen Zwieback herumkaute.

Bevor Tim da war, ging die Familie einmal im Pippi-Langstrumpf-Gruppenkostüm: Susanne als Pippi, Frank als das Pferd kleiner Onkel und Laura als Äffchen Herr Nilsson.

Als die Kinder größer waren, stellten sie, wieder zu Hause, mit ihren Puppen und Teddybären die Züge nach. Susanne grinst und zuckt mit den Schultern: „Ihnen blieb nichts anderes übrig als jeck zu werden.“

Bauer im Kinderdreigestirn

Tim (mit Pfauenfedern) im Zentrum der Aufmerksamkeit

Da wundert es nicht, dass Tim in der vierten Klasse Teil des Kinderdreigestirns wurde. Die Webers waren gerade von der Laurentiusstraße nach Hebborn gezogen. Die Kisten waren noch unausgepackt, als Susanne auf dem Elternabend der Grundschule von der Direktorin angesprochen wurde: Sie müssten einmal über ihren Sohn reden.

Susanne befürchtete schon das Schlimmste – dabei wollte die Rektorin nur wissen, ob Tim vielleicht Interesse hätte, beim Kinderdreigestirn mitzumachen. Es war November, eine Woche vor der offiziellen Vorstellung des Dreigestirns, und der Bauer fehlte noch.

Gleich am nächsten Morgen fragte Susanne ihren Sohn: „Er hat noch im Bett Ja gesagt.“

Um die 75 Auftritte absolvierte „Bauer Tim“ in dieser Session. „Es war manchmal echt anstrengend, aber immer schön“, sagt Susanne. „Auch für uns Eltern.“

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Un-Organisierter Karneval

Durch die Zeit im Kinderdreigestirn kamen Susanne und Frank in Kontakt mit dessen Trägerverein, der Großen Bensberger KG. Beide halfen über viele Jahre bei der Proklamation des Kinderdreigestirns und boten Bastelaktionen an.

Auch sonst machen die Webers viel mit – aber ohne Verpflichtung, denn aktive Mitglieder sind sie nie geworden. Das Drumherum im organisierten Karneval, von der „Taufe“ über die einjährige Bewährungszeit bis hin zur Uniform, sei „nicht so unseres“, sagt Frank. Allerdings gelten die beiden als „aktivste Inaktive“, ergänzt er und lacht.

Vor einigen Jahren wurden sie aber doch noch aktive Mitglieder eines Karnevalsvereins, der einige dieser alten Regularien abgelegt hatte: Unger Uns. Mit Unger Uns haben sie letztes Jahr am Rosenmontagszug teilgenommen, dieses Jahr ziehen sie beim Wieverfastelovendszoch des Reiter-Korps „Jan von Werth“ vom Chlodwigplatz bis zum Alter Markt. Als Eichhörnchen – eines der Kostüme aus der Karnevalswerkstatt, das sie damit wiederbeleben. Natürlich mit Nüssen als Wurfmaterial.

Legendäre Karnevalsparty

Am Freitag steigt dann die seit vielen Jahren legendäre Karnevalsparty bei Webers. Diese hatte einst sonntags als After-Zoch-Party begonnen, denn die Familie wohnte lange Jahre am Zugweg in der Laurentiusstraße.

Mit dem Umzug nach Hebborn verlegte es sich irgendwann auf den Freitag. Natürlich gibt es jedes Jahr ein Motto, an dem sich die Einladungen und Kostüme orientieren. Dieses Jahr ist das „1001 Nacht“, und jeder Einladungskarte lag ein kleiner „fliegender Teppich“ bei.

Selbst von der Pandemie ließen sich die Webers nicht unterkriegen. Im ersten Coronajahr feierten sie mit Freunden am Bildschirm, selbstverständlich mit Motto und passenden Kostümen. Sie schauten sich gemeinsam die Stunksitzung und die Puppensitzung an.

Im zweiten Jahr veranstalteten sie eine „Trapper-Party“ im Garten, mit zwei Feuerstellen und zehn Leuten, die als Cowboys oder Cowgirls kamen – und eine als Kuh.

Zäsur Corona

In einer Hinsicht war Corona aber doch eine Zäsur: Die Karnevalswerkstatt und das Züge-Laufen mit dem Freundeskreis sind eingeschlafen. Wobei da sicher auch der veränderte Alltag eine Rolle spielt, glaubt Susanne.

War sie früher als Sachbearbeiterin bei der Stadt eher unbeschwert, sehe das inzwischen als Abteilungsleiterin anders aus. Auch Frank hat in den letzten Jahren Führungsverantwortung übernommen, ist Teamleiter bei der Telekom geworden. Und so gehe es auch den Freund:innen: „Sie arbeiten eigentlich alle in verantwortlichen Positionen, in gestandenen Berufen“, sagt Susanne.

Auch die Kinder sind mittlerweile aus dem Haus. Laura ist 27, macht ihren Doktor in Physik in Bonn. Tim, 23, studiert Grundschullehramt in Heidelberg.

Prinzessin und Krokodil

Der Karnevalslust der Eltern tut das allerdings keinen Abbruch. Und auch die Ideenmaschine Susanne läuft immer noch. Dieses Jahr werden die beiden Prinzessin und Krokodil, nach dem Lied von den Höhnern („Pass op, pass op, Prinzessin! Dat Krokodil well dich fresse!) – Susanne als Krokodil, Frank als Prinzessin.

Denn genau das ist für Susanne und Frank Karneval: aus Konventionen und Etiketten aussteigen, blödeln, alles nicht so ernst nehmen. Aber auch Toleranz gehört zu Karneval – nicht umsonst ist das Thema in vielen Liedern. Ebenso wie das generationenübergreifende Feiern, das Miteinbeziehen von Außenstehenden.

Tipps für den Gladbacher Karnevalszug

Bei einem Zug wollen Susanne und Frank lieber am Rand stehen als selbst mitzulaufen: dem Gladbacher Karnevalszug. Wegen der vielen schönen Fußgruppen, die es dort zu sehen gibt.

Frank findet, hier kann man eigentlich überall auch noch relativ spontan einen guten Standort finden, ohne gedrängt zu stehen – außer an den Hotspots in der Fußgängerzone und am Marktplatz. Susanne empfiehlt, sich einen Platz zu suchen, wo die Sonne hinkommt, wenn sie denn scheint. Sie selbst stehen immer in der Laurentiusstraße.

Und schließlich hat Frank noch einen Tipp für Fortgeschrittene: „Ich gucke immer, was die Gruppen Besonderes werfen, und dann rufe ich genau das. Auch wenn es Spülbürsten sind. Dann rufe ich: „Wir haben viel dreckiges Geschirr!‘ Die Gruppen freuen sich, und ich kriege eigentlich immer was.“

Karneval sind auch die Büttenredner:innen, die den Alltag auf die Schippe nehmen. Die Tanzgruppen mit ihren mitreißenden Choreographien. Das gemeinsame Singen und Schunkeln zu den melancholischen Heimatliedern oder den Party-Quatschhits. Die bunten Farben in der dunklen Jahreszeit.

Karneval ist wie in dem Lied „Hück steiht de Welt still“ von Cat Ballou, findet Susanne:

Hück steiht de Welt still för ’ne kleine Moment
Wenn mer öm sich röm alles verjiss
Hück steiht de Welt still un us ’nem kleine Aurebleck
Weed Iwigkeit, wenn mer he zesamme sin

(Heute steht die Welt still für einen kleinen Moment
Wenn man um sich rum alles vergisst
Heute steht die Welt still, und aus einem kleinen Augenblick
Wird Ewigkeit, wenn wir hier zusammen sind)

Darauf dreimol Gläbbisch, Alaaf!

ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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9 Kommentare

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    1. Interessant, dass Sie das der Leserschaft (Vorsicht: Gendergerechte Sprache!) meinen mitteilen zu müssen.

      1. Man kann das ja mitteilen – die Redaktion ist sicher für jedes Feedback dankbar und die Meinungen zu diesem Thema sind durchaus geteilt. Aber warum gerade bei diesem Artikel? Sicher, da kommen zwei Wörter mit Binnen-Doppelpunkt vor, aber sonst dominiert das generische Maskulinum und die beiden gegenderten Formen machen eher den Eindruck, als habe man sie beim Überarbeiten vergessen.

        Immerhin: Die Genderformen und damit der geschilderte Abbruch kamen erst gegen Ende, also hat Clemens nicht allzu viel verpassst.

      2. Es sollte mittlerweile bekannt sein, dass die überwiegende Mehrheit das Gendern ablehnt. Warum werden wir damit immer wieder zwangsbeglückt???

      3. Niemand zwingt Sie, unsere Beiträge zu lesen. Von Zwang kann daher keine Rede sein. Und von Glück offenbar auch nicht.

      4. Worauf beruht die Annahme, dass „die überwiegende Mehrheit das Gendern ablehnt“? Gibt es dazu belastbare Nachweise/offizielle Umfragen?

      5. Tatsächlich lehnt eine Mehrheit das Gendern ab, auch wenn solche Meldungen vielleicht ein Sommerlochthema sein könnten:
        https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/mdrfragt-umfrage-ergebnis-deutliche-ablehnung-von-gendersprache-100.html

        Zum Glück gibt es in diesem Artikel auch Begriffe im generischen Maskulinum und (!) im generischen Femininum. Quitscheente (Quitscheenterich?), Doktor (Doktrix?) und Weckmann (Weckfrau?) entziehen sich irgendwie dem Movieren ins andere Geschlecht als dem generischen.