Anuradha Koirala und Winfried Kill im Rathaus Bensberg. Foto: BONO

Der Dokumentarfilm „Die Mutter Nepals“ von Natalie Amiri und Steven Priovolos erzählt die bewegende Geschichte der Menschenrechtsaktivistin Anuradha Koirala und ihres unermüdlichen Einsatzes gegen Menschenhandel. Zugleich wird das Wirken der Sonja Kill Stiftung aus Bergisch Gladbach hervorgehoben. Eine Geschichte, die zeigt, wie über Ländergrenzen hinweg Menschen für die gleiche Sache kämpfen.

Immer mehr Gäste strömen in den Bensberger Rathaussaal, zur Filmvorführung von „Die Mutter Nepals“. Eingeladen haben der Bergisch Gladbacher Verein BONO-Direkthilfe und die ortsansässige Sonja Kill Stiftung. Das Besondere an diesem Sonntagabend ist der Besuch von Anuradha Koirala, der Menschenrechtsaktivistin aus Nepal, deren Lebenswerk der Film feiert.

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Seit mehr als 30 Jahren kämpft Koirala mit ihrer Non-Profit-Organisation Maiti Nepal gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution an der nepalesisch-indischen Grenze. Zehntausende Opfer hat die Hilfsorganisation gerettet, betreut an HIV/AIDS erkrankte und sterbende Frauen und Mädchen, beschult Kinder in der hauseigenen Teresa Academy und leistet Aufklärungsarbeit in den Dörfern über die Gefahren des Menschenhandels. 

Was aber wäre aus Maiti Nepal ohne Hilfe aus Bergisch Gladbach geworden? Seit mehr als einem Vierteljahrhundert bestehen die nepalesisch-bergischen Beziehungen. Es begann damit, dass Gereon Wagener 1997 in Nepal wandern ging. Doch was er emotional mitnahm, war die Begegnung mit der 14-jährigen Gina. Das Mädchen sei HIV-positiv und habe fünf Jahre als Zwangsprostituierte hinter sich, wurde ihm berichtet.

Dem studierten Betriebswirt wurde klar: „Es gibt Tausende Ginas“. Er beschloss, sein Leben umzukrempeln und zu helfen. Maiti Nepal existierte zu dem Zeitpunkt seit vier Jahren, in bescheidenen Räumlichkeiten. Manchmal reichte das Essen nicht mal mehr für Koiralas Sohn aus. Als sie vor laufender Kamera davon erzählt, laufen der toughen Aktivistin die Tränen herunter. 

„Eine Welt ohne Menschenhandel schaffen“

Menschenhandel ist in Nepal ein großes Problem. 5.000 bis 10.000 Frauen werden nach Schätzungen der Hilfsorganisation Plan International jährlich nach Indien verschleppt und dort als Sexsklavinnen oder Zwangsarbeiterinnen ausgebeutet. Armut, mangelnde Perspektiven, Analphabetismus und eine 1750 km lange offene Grenze zu Indien leisten dem Menschenhandel Vorschub.

Heute verschiebt sich der Menschenhandel auch in die Golfstaaten und nach Afrika – im Zusammenhang mit Arbeitsmigration, berichtet Koirala. „Join hands with me and make this world trafficking free”, beendet Koirala ihre Rede vor dem Bensberger Publikum: „Schließt euch mir an und lasst uns eine Welt ohne Menschenhandel schaffen.“

Anuradha Koirala bei einer Präsentation in München. Foto: BONO

Koirala ist Hindu, hat aber eine römisch-katholische Schule besucht. Dort fand sie die Inspiration ihres Lebens: das Wirken von Mutter Theresa. Wie sie wollte sie ihr Leben der Sorge um andere widmen. Einige Male hat sie ihr Vorbild auch persönlich getroffen, erzählt mir Koirala. Diese habe sich nicht davor gescheut, selbst mit anzupacken, zu wischen, zu putzen.

Nach einer gewaltvollen Ehe ist Koirala alleinerziehend, arbeitet als Lehrerin in Nepals Hauptstadt Kathmandu. 1991, als in Nepal die ersten demokratischen Wahlen stattfinden, verlässt sie ihre Stelle und mietet zwei Räume.

Jetzt will sie ihre Idee verwirklichen. Nachbarn spenden Kleidung und Essen für die Frauen und Kinder, denen sie Obdach bietet. 1993 gründet Koirala die Organisation Maiti Nepal. So kann sie ihr Projekt besser absichern, kann Gelder einwerben, sagt sie. „Maiti“ heißt „Wo ich geboren wurde“, also das Elternhaus. Doch die Redewendung gilt nur für Mädchen, sagt Koirala.

Bensberger Nachbarn: „Klotzen, nicht kleckern“

Gereon Wagener wendet sich 1999 an Pfarrer Heinz-Peter Janßen aus Bensberg und Moitzfeld. Ob die Pfarrei Maiti Nepal mit unterstützen könne? Schnell kommt der Geistliche zu dem Schluss, das „hier klotzen, nicht kleckern“ gefragt sei, erzählt er nach dem Film.

Und schlägt Wagener vor, sich an den Unternehmer Winfried Kill zu wenden. Der Gründer der Aktiengesellschaft Indus ist praktisch ein Nachbar. Janßen weiß, dass dessen Stiftung, die Sonja Kill Stiftung, vor allem auf lokaler Ebene sozial aktiv ist. „Ich dachte aber, das könnte passen“, erinnert er sich und schmunzelt. „Man könnte sagen, es war ein Zufall, eine Eingebung.“ 

Der Unternehmer hatte die Sonja Kill Stiftung nach dem Tod seiner Tochter gegründet, um ihre Erinnerung zu bewahren. Sonja war mit 21 Jahren bei einem Verkehrsunfall gestorben. Bereits im Oktober 1999 reist Winfried Kill mit seiner Frau Rosemarie nach Nepal – und zeigt sich von Anuradha Koirala und Maiti Nepal beeindruckt.

„Zuerst hat sie uns die schlimmsten Fälle gezeigt“, erinnert sich Rosemarie Kill im Rathaussaal. „Eine Frau, deren Arm mehrfach absichtlich gebrochen wurde und eine, auf der man Zigaretten ausgedrückt hatte.“ Winfried Kill verspricht zu helfen. Und seine Frau ergänzt: „Wenn mein Mann etwas verspricht, hält er es auch.“ 

Rosemarie und Winfried Kill vor Ort. Foto: BONO

„Einfach nicht zu bremsen“

Er habe damals nicht richtig verstanden, wie das gemeint war, erzählt Gereon Wagener vor Publikum und lächelt Rosemarie Kill in der ersten Reihe an. Dann zeigt Wagener das nächste Foto seiner Präsentation, die dem Film vorausgeht.

Jetzt versteht es auch das Publikum: Kill hat große Pläne, will ein richtiges Zentrum aufbauen. Koirala bittet er um einen Entwurf. Sie zeichnet zwei U’s auf ein Blatt Papier – zwei Gebäudeflügel, die einander gegenüber liegen, sodass in der Mitte ein geschützter Hof entsteht.

Winfried Kill erwirbt ein Grundstück, auf dem Maiti Nepal den Gebäudekomplex durch ein lokales Architektenbüro errichten lässt. Gereon Wagener wird zum Projektleiter ernannt. Insgesamt sieben Jahre verbringt er in Nepal. Hier lernt er seine Frau kennen, eine Schweizerin. 2002 gründete er in Bensberg die BONO-Direkthilfe, die ebenfalls eine starke Partnerorganisation für Maiti Nepal wird. Und Wageners Englisch? Hat bis heute einen unverkennbar nepalesischen Akzent. 

200 Personen in dem einen Gebäudeflügel, 200 Personen in dem anderen, eine Klinik, ein Hospiz, die Teresa Academy – ohne den Einsatz Winfried Kills und der Sonja Kill Stiftung wäre das nicht möglich gewesen. „Wenn jemand so vielen Menschen Schutz bietet, dann muss man ihn verehren“, sagt Koirala. Es war ihre Idee, die Filmvorführung in Bensberg, nach Stationen in München und Thun. Mittlerweile ist Kill zu gebrechlich, um zu reisen. 

Foto: BONO

Anfangs, als die Gäste sich im Saal einfinden, findet die 76jährige Anu Didi, dass Winfried Kill anders sitzen muss, damit er die Leinwand besser sehen kann. Didi – das heißt „große Schwester“, eine Art Ehrentitel, der Freunden und Familie vorbehalten ist.

Gereon Wagener wiegelt ab. Nach einigem Hin- und Her werden schließlich doch Stühle hin- und hergerückt und Winfried Kill verschoben. „Ich kenne niemanden, der eine so natürliche Autorität hat wie Anu Didi“, hatte Gereon Wagener bei unserem Treffen am Vormittag gesagt. „She is unstoppable“, sagt auch Filmemacher Steven Priovolos in seiner zweiminütigen Videobotschaft: Sie ist einfach nicht zu bremsen.

Jetzt sitzt Koirala an Winfried Kills Seite und achtet darauf, dass es ihm gut geht. Maiti Nepal ist bis heute eines der zentralen Projekte der Sonja Kill Stiftung. 

Als der Film endet, sind die Menschen berührt. Bei indischem Pakora und Mangolassi lassen sie den Abend ausklingen. Für Anuradha Koirala geht es schon am nächsten Tag zurück nach Nepal.

Mehr Informationen finden Sie auf den Webseiten der Soja Kill Stiftung sowie der BONO Direkthilfe. So können Sie sich selbst beteiligen.


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ist freie Journalistin, Autorin und Regisseurin.

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  1. Hut Ab ! Es gibt zwei Arten von Unternehmern. Die einen werden erfolgreich und prahlen dann von dicken Uhren, Großen Reisen oder schnellen Autos. Sie feiern Partys und verlieren sich.
    Und dann gibt es solche die erfolgreich werden und dann das Geld und Ihre Zeit nutzen um anderen zu Dienen. Sie wissen das sie eine Verantwortung tragen und das man anderen helfen sollte :) Genau so wie hier.

    Tolles Projekt. Langfristig müsste man aber an den Ursachen arbeiten. Der Grund für ein großen Teil des Elends ist neben falscher Politik auch falsches Wirtschaften. Die Bigplayer nutzen Ihre Marktmacht aus. Das ist Neokolonialismus.
    Heute hat man kein Fell mehr oder irgendein Sklave. Aber man trinkt Kaffee oder Kleidung aus Bangladesh, Indien und co.
    Aus dieser stärkeren Position heraus nehmen sie die Aufträge. Und dann nehmen sie nur die Menschen und die Aufträge die am günstigsten eine gewisse Qualität bieten.
    Die lokalen Fabriken wollen sich gegenseitig übertrumpfen und schrauben dann die Kosten runter. Heißt: Die lassen die Leute für ein Hungerlohn arbeiten. Für 300 Euro oder weniger, 12, 16, 17 Stunden., ohne Schutzausrüstung Egal. Hauptsache der Preis stimmt.
    Das ist doch die eigentliche Ursache von so viel Armut in der Welt.

    Schnell ein Markenlogo drauf und wumms. Gewinn. Das traurige ist das die Gewinne wiederum nicht nach Indien, Nepal, Bangladesh und co landen sondern in Noble Französische Gegenden.
    Um die wirklichen Ursachen anzugehen solle man gucken wie man ärmere Staaten und ärmere Menschen auf Augenhöhe begegnet und fair mit Ihnen handelt.
    Die Frauen brauchen Bildung, Persönliche Bildung sowie auch richtige Perspektiven :)
    Dennoch ist auch ein kleines Projekt hier und da sehr wichtig. TOP