„Die Stimmung ist völlig anders als vor zwei Jahren“

Gerhard Zorn hat gute Laune. Kein Wunder, sein politischer Wunschposten rückt in greifbare Nähe. Die Wahl zum Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises, da ist sich der SPD-Kandidat absolut sicher, wird erst am 5. Dezember im zweiten Wahlgang entschieden – und er wird sie gewinnen.

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Warum, erklärt er im ausführlichen Interview mit dem iGL Bürgerportal so:

“Ich habe viele Jahre politische Arbeit im Rheinisch-Bergischen Kreis geleistet, ich bin bekannt, ich habe Erfahrung in vielen Fragen, die den Kreis betreffen. Meine Chancen sind sehr gut, auch weil sich die Menschen über die Tatsache ärgern, dass wir überhaupt wählen müssen.”

Tatsächlich hat Zorn drei Bundestagswahlkämpfe gegen CDU-Platzhirsch Wolfgang Bosbach verloren, und auch bei der letzten Landratswahl gegen Noch-Amtsinhaber Rolf Menzel zog er den Kürzeren – allerdings relativ knapp in der Stichwahl. Unverdrossen versucht es der 46-jährige Jurist, der beim Landschaftsverband Rheinland arbeitet, jetzt ein weiteres Mal.

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Und dieses Jahr wittert der Politprofi einen Wechsel: “Die Stimmung ist völlig anders als vor zwei Jahren”, berichtet Zorn im bescheidenen SPD-Ladenlokal an der Mülheimer Straße von seinen zahlreichen Wahlkampfauftritten:

“Die Menschen merken, da kandidiert jemand, der Durchhaltevermögen hat, der Standvermögen hat, der sich engagiert, und der sagt: Ich bleibe sechs Jahre im Amt – wenn ich gewählt werde.”

Geschickt setzt Zorn auf traditionelle sozialdemokratische Themen (Bildung, Arbeit), und ganz offen greift er die Stimmung in der Bevölkerung auf, in der Menzels teurer Abgang mitten in der zweiten Amtszeit für viel Unmut gesorgt hat. “Zorn bleibt” lautet sein griffiger Slogan. Die Botschaft dahinter: Ihr kennt mich, ich kenne Euch – auf mich könnt Ihr Euch verlassen.

Und nebenbei macht Zorn so auch Front gegen seinen Konkurrenten Hermann-Josef Tebroke (CDU), der bei einem Sieg ebenfalls mitten in der zweiten Amtszeit seinen Posten als Lindlarer Bürgermeister aufgeben würde.

„Ich komme auch mit einer CDU-Mehrheit im Kreistag klar.“

Dabei unterscheidet sich Zorn in den Inhalten auf den ersten Blick kaum von Tebroke. So teilen beiden überzeugend den Anspruch, als Landrat über die Parteien hinweg Kompromisse erzielen zu wollen. Aber was bei Tebroke Ausdruck einer überparteilichen, durchaus CDU-distanzierten Grundhaltung ist, ist bei Zorn pure Notwendigkeit: “Ich bin mir bewusst, dass ich einen Kreistag mit einer anderen Mehrheit vor mir hätte”, erklärt der SPD-Mann.

Aber er habe bewiesen, über die Parteigrenzen hinweg Kompromisse erzielen zu können. Zum Beispiel als langjähriger Fraktionschef der SPD im Kreistag, der traditionell von der CDU dominiert wird – und mit der Zorn auch im Falle seines Wahlsieges eng zusammenarbeiten müsste.

Gegen die allgemeine Politikverdrossenheit müsse jeder Politiker auf seine eigene Art angehen. Sein Rezept: Verlässlichkeit. Als “Bürgermeister” des Kreises, wie Zorn den Job in Gänsefüßchen beschreibt, werde er sich an seinen Aussagen messen lassen:

“Ich verspreche im Wahlkampf nicht eine Million dafür und hierfür. Ich verspreche, mich in bestimmten Bereichen zu engagieren. Ich verspreche, bei einer Wahl über die gesamten sechs Jahre im Amt zu bleiben. “

Und, noch einmal, mit Blick auf die Rolle des kommunalen Finanzaufsehers:

“Vorgaben, bei den freiwilligen Leistungen für Kinder und Bildung zu kürzen, wird es mit mir als Landrat nicht geben.”

„Kürzungen bei Kindern und Bildung – nicht mit mir“

Wie Tebroke sieht der nur unwesentlich jüngere SPD-Kandidat die Lösung der kommunalen Finanznot auf höherer Ebene: die Kommunen müssten einfach höhere Schlüsselzuweisungen für die ihnen aufgetragenen sozialen Leistungen bekommen.

Doch während Tebroke diese Mittel von Bund und Land einfordert, nimmt Zorn das rot-grün regierte Land davon aus: Düsseldorf werde “sehr Kommunen-freundlich” regiert und stelle mehr Mittel denn je zur Verfügung. Und mit der Abkehr von der Regel, das Kommunen im Nothaushalt jedes Jahr auf’s neue zehn Prozent der freiwilligen Ausgaben kürzen müssen, habe Düsseldorf den Städten den ersehnten Handlungsspielraum zurück gegeben.

Wer mit beiden gesprochen hat, nimmt beim Thema Sparen dann doch deutliche Unterschiede war. Zorn, der beim Landschaftsverband für die Integration behinderter Kinder zuständig ist, wettert gegen Kürzungen zu Lasten der Kinder.

Tebroke, der vierfache Vater und Finanzwissenschaftler, wird dagegen ganz fuchsig, wenn er diejenigen kritisiert, die sich heute gegen Sparpläne auflehnen und Wohltaten versprechen – zu Lasten kommender Generationen.

Das sagt der Konkurrent:
Hermann-Josef Tebroke - Wort für Wort Hermann-Josef Tebroke: "Erfrischend, konstruktiv, anders" 26 Fragen an Hermann-Josef Tebroke (CDU) Alle Beiträge über Hermann-Josef Tebroke

Im Gespräch präsentiert sich Zorn, der gerne und laut lacht, als Mann der Mitte – und als Freund der Wirtschaft und des Mittelstandes. Im aktuellen Streit zwischen dem Zanders-Betriebsrat und der finnischen Konzernführung von M-real über die Zukunft der Gohrsmühle steht er natürlich auf Seiten der Belegschaft, der er durchaus zutraut, mit Hilfe der Gewerkschaften und der Landesregierung doch noch einen Investor zu finden. Alternative Überlegungen über einen Gewerbepark auf dem Geländer der Gohrsmühle schiebt er als verfrüht zurück.

Helene Hammelrath und Gerhard Zorn beim Zanders-Protest

Über den aktuellen Konflikt hinweg macht sich Zorn für die Interessen der Industrie gerade in Bergisch Gladbach stark. Nicht nur Zanders, sondern auch der Schoko- und Instantpulver-Riese Krüger müsse mit seiner Produktion in der Stadt gehalten werden. Und das, dran lässt Zorn keinen Zweifel, wird nur mit einem Autobahnzubringer über die alte Bahndammtrasse gelingen.

Einwände, das Projekt sei unrealistisch und eigentlich längst tot, lässt er nicht gelten: Die Landesregierung habe Mittel für den ersten Bauabschnitt bis zur Kölner Straße bereitgestellt, damit müsse man jetzt einfach mal anfangen – auch wenn die Planung für den zweiten Bauabschnitt mit der eigentlichen Autobahnanbindung in den Sternen steht.

Wer immer noch über Alternativen nachdenke, so Zorn, der komme frühestens in 15 Jahren zu einem Ergebnis. Und dann, so seine Warnung, könnte auch Krüger längst Bergisch Gladbach verlassen haben. Gewerbe ohne vernünftige Infrastruktur, so sein Credo, wandert ab.

Seinen Wahlkampf betreibt Zorn, der seine Arbeit (und seine Bezüge) beim Landschaftsverband Rheinland vorübergehend auf 50 Prozent reduziert hat, einerseits ganz konventionell. Er absolviert eine Unmenge von Terminen, politischer wie gesellschaftlicher Art. Dabei kann er sich auf besondere Unterstützung verlassen: nicht nur NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, sondern auch SPD-Bundesvorsitzender Gabriel kommen für ihn in den Rheinisch-Bergischen Kreis.

„Im 2. Wahlgang werden die Karten neu gemischt.“

Ein wenig scheinen sich fast die Verhältnisse umzudrehen. Zorn, der Oppositionskandidat, tritt mit dem Selbstbewusstsein des Lokalmatadors auf – und kann es sich sogar leisten, auf Großplakate zu verzichten. Auch hier zeigt sich ein feines Gespür für Stimmungen: denn die Mammut-Plakate in der freien Landschaft werden von vielen Bürgern als Belästigung empfunden. Und die Wähler mit seinem Gesicht bekannt zu machen, kalkuliert Zorn, hat er nicht mehr nötig.

Statt dessen nutzt er intensiv die neuen sozialen Medien, ist bei Facebook und Twitter unterwegs, hat gar eine schicke App entwickeln lassen, ein Miniprogramm allein für “Zorn bleibt” auf dem angesagten iPhone.

Dafür hat er zwar seine Fachleute, aber die Kommunikation betreibt er schon selbst, macht Zorn klar. Die Antworten bei Facebook könnten zwar schon mal ein paar Tage dauern, aber er beantwortet sie selbst. Und auch die Seiten des Bürgerportals verfolgt er persönlich: auf eine Frage, die bei uns aufgeworfen wurde, hatte er sich im Vorfeld des Interviews extra präpariert.

+ Wahlkampfwebseite + Facebook + Twitter + Die Zorn-App

Am Ende, da ist sich der Overather sicher, zahlt sich seine Ortskenntnis und lokale Bekanntheit aus. Der Rheinisch-Bergische Kreis ist zwar eine CDU-Hochburg, hat aber angesichts der geschlossenen Front von  christdemokratischen Bürgermeistern, Landtagsabgeordneten und auch dem Bundestagsabgeordneten eine Neigung für einen SPD-Mann. Und ein Linker ist Zorn beileibe nicht.

Am Ende, das weiß auch Zorn, kommt es auf die Wahlbeteiligung an. Je mehr Stammwähler die CDU mobilisieren kann, desto geringer die Chancen der SPD. Aber die Landratswahl findet zum ersten Mal ganz alleine statt, noch dazu mitten in der Vorweihnachtszeit. Da ist die Gefahr einer peinlich geringen Wahlbeteiligung nicht ausgeschlossen, auch eine Woche vor der Wahl wissen sehr viele Menschen immer noch nicht, worum es geht und wer eigentlich antritt.

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Neben Zorn und Tebroke sind es (abgesehen vom Vertreter der rechtsextremen Partei proNRW) zwei Vertreter des linken Spektrums – die Zorn im ersten Wahlgang Stimmen abnehmen werden.  Das kann Zorns Laune aber nicht trüben:

“Es wird auf jeden Fall eine Stichwahl geben – und da werden die Karten neu gemischt.”

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Fotos: Werner Schmitz-Dietsch

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6 Kommentare

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  1. Hätte schwören können,dass drei Kandidaten im Podium um die Gunst der Wähler buhlten….

  2. Der „Bergische Dom“ ist ein Synonym des Altenberger Doms, logischerweise steht der in Altenberg. Leute, die den Kreis wirklich kennen, wissen das ;-)

  3. Herr Tebrokes Lieblingsort ist der „Bergische Dom“. Aha, und wo ist dieser Dom?…
    Wir brauchen einen kompetenten Landrat, der den Kreis wirklich kennt.

    Herr Tebroke sollte besser nicht die Bürger in Lindlar enttäuschen und dort Bürgermeister bleiben!