Hinter dem gemeinsamen Kandidaten Frank Stein steht eine Ampelkoalition, die GL auf den Kopf stellen könnte. Gerade noch hatten sich SPD, Grüne und FDP heftig über den FNP gestritten, doch jetzt entdecken sie gemeinsame Inhalte und Werte, mit denen sie die CDU aus dem Chefsessel drängen wollen.
Schon seit Anfang des Jahres reden die Spitzen der drei lokalen Parteien miteinander, aber noch immer sind auch Eva Gerhardus (Grüne), Anita Rick-Blunck (FDP) und Andreas Ebert (SPD) selbst überrascht, wie gut sie menschlich und inhaltlich miteinander klar kommen. Das zeigte sich deutlich beim Pressegespräch am Mittwoch, als sie im Bock ihren gemeinsamen Vorschlag für die Bürgermeisterkandidatur Frank Stein vorstellten.
Dieses Bündnis steht – über das persönliche, pragmatische Verhältnis miteinander hinaus – auf sechs Pfeilern, ohne die diese nicht nur für Bergisch Gladbach ungewöhnliche Konstruktion nicht möglich wäre.
1. Der Frust über die CDU und Lutz Urbach
Erstens eint die drei Parteien der Frust über den von ihnen gleichermaßen empfundenen Stillstand der Stadt, die von der Substanz zehre und noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sei. Verantwortlich dafür sei natürlich die Dominanz der CDU und der amtierende Bürgermeister Lutz Urbach.
Darauf zieht sich selbst die SPD zurück, die mit der Union in einer „großen Kooperation” eng verbunden ist. Fraktionschef Klaus Waldschmidt wirft Urbach direkt vor, die Kooperation von Anfang an nicht unterstützt, sondern Sand ins Getriebe geworfen zu haben.
2. Gemeinsame Ideen – zum Beispiel beim FNP
Zweitens haben die drei Partner inhaltliche Gemeinsamkeiten gefunden, die die Basis für eine enge Zusammenarbeit bilden – und im Grundlagenpapier unter dem Titel „Kräfte bündeln – Bergisch Gladbach kann mehr” dokumentiert werden. Immerhin 16, großzügig formatierte Seiten.
Ein gutes Beispiel ist der Wohnungsbau/FNP: Alle drei Parteien stellten fest, dass sie Beschlüsse verabschiedet hatten, mehr Wohnungen in den Innenstadtbereichen zu bauen – und zwar über städtischen Parkflächen. Damit, so SPD-Chef Ebert, verfüge die Stadt plötzlich doch über bebaubare Fläche und könne relativ rasch 300 Wohneinheiten realisieren.
Gleichzeitig wollen alle drei Parteien das Zanders-Gelände möglichst rasch umwandeln und auch dort Wohnungen bauen.
Beide Entwicklungen zusammen führten dazu, dass man die neuen Flächen in den Außenbereichen, die der FNP bereitstellt, gar nicht in Anspruch nehmen müsse. Und damit ist das heikle Thema „FNP” plötzlich vom Eis.
Aber auch bei den Themen Klimaschutz, ÖPNV, Digitalisierung, Bildung, Radverkehr und vielen anderen Themen liegen die Partner nach eigener Einschätzung eng beieinander – und in Opposition zur CDU.
Die Vorstellung von Frank Stein können Sie sich in unserem Video komplett anschauen:
3. Leuchtturmprojekte und Chefsachen
Drittens darf jede Partei ihr Lieblingsthema als „Leuchtturmprojekt” vorantreiben und sich bei ihren eigenen Wählern profilieren. So kümmert sich die FDP um das Thema Kinderbetreuung und Bildung, die Grünen um Klima und Verkehr, die SPD um den Wohnungsbau.
Frank Stein hat gleich eine ganze Handvoll von Schwerpunkten, bei denen von keiner der drei Partnern Widerspruch zu erwarten ist:
- Ein Ende der Provisorien für Grundschulen und Offenen Ganztag, hier sollen innerhalb von fünf Jahren mindestens 150 Millionen Euro investiert werden.
- Die Sanierung der Straßen, die in einem nicht akzeptablen Zustand seien. Aber nicht als einfache Wiederherstellung, die Straßen sollen „neu gedacht”, für den ÖPNV und den Radverkehr fit gemacht werden.
- Die Förderung der eigenen Mitarbeiter der Verwaltung, durch bessere Arbeitsbedingungen und daher auch durch ein neues Stadthaus.
- Die Stärkung der Feuerwehr, durch eine Lösung für die Feuerwache Süd in Bensberg.
- Eine solide Finanzierung aller Projekte, durch Verzicht auf konsumptive Ausgaben, durch die Konzentration auf Investitionen, die über günstige Kredite generationengerecht finanziert werden. Eine Steuererhöhung schließt Stein als Ultima Ratio nicht völlig aus; aber erst, wenn alle andere Möglichkeiten (Ausgaben streichen, strikte Kostendisziplin) ausgeschöpft seinen.
4. Posten verteilt
Auch eine Verteilung der Spitzenposten in der Verwaltung, die Besetzung der Wahlbeamten, haben die drei Parteien bereits ausgehandelt. Dabei geht es um den Bürgermeister und die im Moment zwei Beigeordneten (Harald Flügge, CDU und Frank Stein, SPD). Bernd Martmann (Grüne) ist derzeit Co-Dezernent und geht bald in den Ruhestand, dann soll diese Position ebenfalls zu einem Beigeordneten aufgewertet werden.
Nach der Wahl soll jede der drei Parteien einen Wahlbeamten stellen: die SPD den Bürgermeister, Grüne und FDP erben den Posten, den Stein dann freimacht und die Martmann-Nachfolge. Werden in der Legislaturperiode weitere Beigeordnetenposten frei (wenn also Harald Flügge kein zweite Amtszeit bekommt), soll auf Grundlage der Kommunalwahlergebnisse entschieden werden.
Bei allen anderen Stellenbesetzungen, so das Papier, soll die Fachkompetenz wichtiger als die Parteizugehörigkeit sein.
5. Keine Stichwahl
Viertens gibt es in NRW nach aktuellem Stand bei der Bürgermeisterwahl am 13.9.2020 keine Stichwahl mehr. Damit hätte jede eigene Kandidaturen der drei Parteien dem Bewerber der CDU geholfen: durch eine Zersplitterung der Nicht-CDU-Stimmen hätten dem CDU-Mann womöglich schon 30 Prozent zum Wahlsieg gereicht.

6. Frank Stein
Fünftens und wohl ausschlaggebend ist der Umstand, dass mit Frank Stein ein pragmatischer, sozial-liberal denkender Mann mit fast 20 Jahren Verwaltungserfahrung in Großstädten zur Verfügung steht, dem ohne weiteres zugetraut werden kann, Bergisch Gladbachs Verwaltung mit mehr als 1000 Bediensteten zu führen.
„Wir haben zuerst geschaut, was uns wichtig ist. Und dann, wer das am besten umsetzen kann,” erläutert die Grüne Gerhardus. Und genau dafür sei der 56-Jährige Stein genau der richtige gewesen, „da war das Parteibuch nicht mehr wichtig”. Was sie so offen nicht sagt: die Grünen haben niemanden von diesem Kaliber, den sie in das Rennen hätten schicken können.
Frank Stein selbst, der vor gut zwei Jahren noch gesagt hatte, er wechsele nicht von Leverkusen nach Bergisch Gladbach, um doch noch Bürgermeister zu werden, erklärt seinen Stimmungswandel so: Er sei von den drei Parteien gefragt worden und habe dann genau geprüft, ob er sich dieser Aufgabe stellen wolle und könne. Zudem mache er sich ernsthafte Sorgen um den Zustand der Gesellschaft – und wolle sich jetzt nicht wegducken. Auch wenn er „einen gehörigen Respekt” vor diesem Amt habe.
Das weitere Verfahren
Jetzt haben zunächst die Mitgliederversammlungen der Parteien das Wort; das schreibt schon das Parteiengesetz vor. Die Termine Anfang November stehen bereits fest.
Vor allem bei den Grünen könnte es kontroverse Diskussionen geben, räumt auch Gerhardus ein. Ein klarer Gegner der Unterstützung des Kandidaten Stein ist zum Beispiel Ko-Fraktionschef Dirk Steinbüchel: das Thema FNP ist für ihn keineswegs erledigt. Er kritisiert zudem das Vorgehen, das den Grünen wichtige Möglichkeiten nehme, sich im Wahlkampf zu profilieren. Die Grünen sollten mit einem eigenen Kandidaten viele Stimmen sammeln und dann – möglichst als stärkste Fraktion in Koalitionsverhandlungen gehen. Mit dieser Meinung stehe er nicht alleine da, daher werde die Mitgliederversammlung am 8.11. spannend.
Klar ist, dass jede Partei ihr eigenes Wahlprogramm aufstellt und ihre eigene Wahlkampagne fahren wird. Darüber hinaus wird es eine vierte Kampagne geben, vom „Team Stein” für den Kandidaten. „Mir ist es wichtig, nicht als SPD-Kandidat anzutreten, sondern als Kandidat aller drei Parteien”, betont Stein.
Wenn es dann am 13. September 2020 für eine Mehrheit reichen sollte, sind keine langen Koalitionsverhandlungen mehr nötig. Denn im Grundlagenpapier haben sich die Parteivorstände und Stein festgelegt:
„SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vereinbaren nach der Kommunalwahl im Rat der Stadt Bergisch Gladbach zusammen zu arbeiten und auf Grundlage der Wahlergebnisse eine Koalitionsvereinbarung zu schließen.”
Aber auch dieser Vereinbarung muss noch von den Mitgliedern der Parteien gebilligt werden.
Weitere Beiträge zum Thema:
.
Gut gebrüllt. Löwe Ullmann, wenn auch, wie immer, nicht sofort verständlich.
Tja, wer hätte das gedacht. Bei der CDU gehen wohl sämtliche Ä . . . . . mit Grundeis, hatte man doch die SPD lange Zeit als Juniorpartner verstanden und hingestellt und mit ihr alles im Rat bestimmen können. Jetzt quasi eine Palastrevolution. Wieder ein Beispiel, wie sehr Politik von Empathie oder Antipathie abhängen kann. Mit Urbach und Metten konnte Herr Waldschmidt das Possenspiel der GroKo mitspielen, ohne sie wird man zum Bürgermeistermacher wie die ehemalige FDP lange im Bund sowas für einen Kanzler machte. Das ist natürlich ebenso Kalkül wie von der FDP und den Grünen, die beide keinen Bürgermeisterkandidaten aufzustellen in der Lage gewesen wären – nicht mal einen mit winzigen Chancen. Wenn Herr Steinmüller meint, etwas derartiges hätte den Grünen gestanden und auch der Partei mehr Profil gegeben, so vermute ich, glaubt er auch ans Christkind. Den Grünen kann muss man wohl erst auf die Erfolge Ihrer Schwestern in anderen Städten und Ländern aufmerksam machen. Die sind auch nicht mit Verweigerungen so weit gekommen.
Man darf gespannt sein, wie sich die klassischen Wertekanons der bisher so verschiedenen Parteien übereinbringen lassen bzw. die klassischen Gegnerprofile zusammengelegt werden können. Alles hier Geschriebene liest sich, als wenn man mit diesem neuen Bündnis Hoffnung für BGL bekommen könnte. Eine SPD, die, Ihres Seniorpartners beraubt, sich an ungewohnte Mehrheitsverhältnisse gewöhnen müsste, die sie nur noch zu einem Drittel mit beeinflussen kann, Grüne, die sich plötzlich in die Lage versetzt sehen, eigene Ideen und Programme durchzusetzen, was bisher äußerst rar war und eine FDP, die es nicht gewohnt ist, gefragt zu werden und erst mal Profil ansetzen muss.
Vielleicht aber steht dieses ganz neu zusammengekommene Bündnis für den Weg, BGL aus der öden, zukunftsfeindlichen und uninspirierten Zukunft einer GroKo herauszuführen und endlich das zu tun, wozu Kommunalpolitiker gewählt werden: Dem Volk zu dienen und nicht den Interessen großkopferter Unternehmer, Bauspekulanten und Bauunternehmen hinterher zu laufen.
Nur einen Vorteil haben jetzt die freien Wähler noch: Sie müssen sich keiner Parteidirektive beugen, die evtl. aus dem Kreis, dem Land oder gar aus Berlin kommen könnte.
Der angekündigte Ampelsturm auf den schwarzen Erbhof verspricht immerhin unterhaltsam zu werden.
Sehr zu Recht und mehr als nur erfreulicherweise stelllt der durchaus erstaunliche Dreibund eine im Wahlerfolgsfall baldige Revision des mildestenfalls als peinlich zu bewertenden „FNP” in Aussicht, der dann endlich doch zum Ausdruck einer ganzheitlich intelligenten und zeitgemãssen Stadtentwicklung geraten soll.
Gerade hier stellt sich aber auch die Frage:
Was, zum Teufel, hat insbesondere die nun plõtzlich zu fortschrittlichstem Aufbruch entschlossene SPD bisher daran gehindert, gerne auch da schon Seiit’ an Seit’ mit ihren jetzt neuen Aliierten – und vor allem im Verbund mit der reichlich vorgetragenen Expertise aus der Bürgerschaft – sich dem traurig Iideen-, konzeptions- und planlosen „FNP”-Gestümpe entgegenzustellen, anstatt in „Grosser Kooperation” mit dem nun künftigen Scheidungspartner nicht nur alles durchzustimmen, sondern dabei teils selber noch betonköpfiger als dieser in Erscheinung zu treten?
Aber gut, besser spät als nie, und wahrscheinlich spielt hier auch sowohl die politsportliche Lust eine Rolle, das schwarze Monopol endlich wieder einmal zu knacken, als auch der aus „hõherer Sphäre“ übernommene Frust an der Großen Koalition. Zudem gebietet natürlich das Wegfallen der bürgermeisterlichen Stichwahl strategische Konsequenzen.
Mõglicherweise hat auch die aus dem massiven bürgerschaftlichen Widerstand gegen das bisher als „FNP“ bezeichnete Etwas heraus neu belebte Freie Wählergemeinschaft, getragen eben vom entsprechenden Bündnis der Bürgerinitiativen, mit ihrer erklären Absicht, zu den kommenden K-Wahlen anzutreten, einen Teil der Motivation für das nun frisch vorgestellte „Revolutionsprojekt” beigetragen.
Ich hoffe, man bleibt bei den aufgefrischten Freien Wählern dennoch bei der Stange und versucht mit allen Kräften, selber ein relevantes Gewicht iim dann neuen Stadtrat 2020ff. zu werden – Damit die notwendige, sinnvolle und jedem klaren Verstand im Grunde selbstverstãndliche Revision des „FNP” bzw. das Aufstellen eines solchen Plans, der den Namen verdient, auch tatsâchlich umgesetzt wird, bevor wirklicher (und mehr als) Flurschaden in GL entsteht.