Die Schlosstreppe ist weitgehend fertig, der eigentliche Umbau der Schlossstraße steht aber noch aus. Foto: Helga Niekammer

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Mitte Oktober findet an verschiedenen Orten der Stadt ein bemerkenswertes Kunst-Event statt: Die Galerie im Wiesengrund der Künstlerin Jutta Dunkel lädt ein zum „Bilder enthüllen“. Sechs Künstler:innen präsentieren ihre Werke an zwei Tagen im öffentlichen Raum. Zunächst per Sprache, dann durch die zeitgleiche Ausstellung an unterschiedlichen Orten. Ein spannendes Projekt einer fiktiven Galerie.

Neben Jutta Dunkel sind die Künstler:innen Veronika Moos, Rolf Hinterecker, Michael Kramer, Michael Wittassek sowie Hiroko vertreten. „Bilder enthüllen“ findet in zwei Etappen statt – genannt Denken 1 und Denken 2.

Erst das Wort, dann das Werk

Für Denken 1 treffen sich die Zuschauer am Samstag, 16. Oktober, um 15 Uhr an der Schlosstreppe in Bensberg. Die Künstler:innen enthüllen ihr Werk, zunächst jedoch nur auf der Textebene. Sie rezitieren, lesen vor, assoziieren, bieten Bezüge zu ihrem Werk an, regen Imagination an. Eine außergewöhnliche Zeremonie, eben weil die Werke noch nicht gesehen werden können.

Am Folgetag, Sonntag 17. Oktober, wird die Stadt zum Galerieraum. Nun werden die „Bilder“ wortwörtlich enthüllt. An sechs Orten der Stadt inszenieren die Künstler:innen zwischen 11 und 16 Uhr ihre Arbeiten, laden zum Besuch der zeitgleich stattfindenden Ausstellung ein.

Wer mag, kann die virtuelle Galerie mit einer geführten Rundfahrt unter der Moderation von Doro Corts erleben. Treffpunkt ist um 11Uhr in der Kornstrasse, nach aktuellem Stand erfolgt die Rundfahrt in Eigenregie der Teilnehmer:innen.

Die Platzierung der Kunstwerke im Stadtraum

Pssst: Keine Details vorab!

Es liegt in der Konzeption des Projekts, dass vorab keine Details zu den gezeigten Kunstwerken bekannt werden. Auch Jutta Dunkel, die das Projekt gemeinsam mit Michael Wittassek entwickelt hat, weiß nicht konkret welche Arbeiten die Künstler:innen zeigen werden. Ihre Galerie im Wiesengrund arbeite auf diese Weise, erklärt die Künstlerin.

„Bilder enthüllen“ – ein Projekt der galerie-im-wiesengrund.de
Details zu den einzelnen Orten der Ausstellung, den teilnehmenden Künstler:innen sowie dem Ablauf der beiden Tage gibt es auf dem Flyer zum Projekt. Er steht zum Download bereit auf den Webseiten der Galerie im Wiesengrund.
„Bilder enthüllen“ ist ein Projekt im Rahmen des Programms Kultursommer 2021 der Stadt Bergisch Gladbach.

Einen ersten Anhalt, was die Zuschauer:innen erwarten können, bietet immerhin ein Blick auf die Werke der teilnehmenden Künstler:innen:

  • Schwerpunkte der Arbeiten von Jutta Dunkel sind Zeichnungen, Installationen, Fotos, Texte sowie die Leitung der Galerie im Wiesengrund.
  • Veronika Moos arbeitet vornehmlich im Bereich textile Kunst.
  • Malerei, Objekte, Performances und Skulpturen gehören zum Oeuvre von Rolf Hinterecker.
  • Michael Kramer, Bildhauer und Maler, Kunst im öffentlichen Raum.
  • Die Projekte von Michael Wittassek loten Fotografie und deren Grenzen aus.
  • Hiroko studierte Bildhauerei und japanische Malerei, Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die expressive Malerei.
Der Flyer des Projekts „Bilder enthüllen“ verweist auf die Orte, an denen die Kunst inszentiert wird

Inspiriert von Balzac

„Bilder enthüllen“ – das ist ein experimentelles Kunstprojekt frei nach Balzacs Künstlernovelle Das unbekannte Meisterwerk. In dem Text geht es um die Erwartungshaltung an den Künstler. Und dies ist auch eines der zentralen Themen des Projekts „Bilder enthüllt“.

Denn die Enthüllung der Werke zunächst per Sprache schürt eine gänzlich andere Erwartung an die Künstler:innen und ihre Ausstellung: Die Hinführung zum Werk per Wort fordert den Betrachter, setzt Imagination frei, bildet die Grundlage für Assoziationen, lockt ihn vielleicht auf eine falsche Fährte. 

Das Objekt der Betrachtung ist ja noch unbekannt. Und das ist der entscheidende Unterschied zu gängigen Ausstellungen im Museum oder in der Galerie. Hier gibt es von den ausgestellten Exponaten eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung auf Seiten der Interessenten. „Bilder enthüllen“ fordert mithin vom Betrachter eine ungleich höhere Offenheit und Rezeptionsbereitschaft, und dies auf mehreren Ebenen.

Bilder enthüllen – Denken 1 und 2
Denken 1: 16. Oktober, 15 Uhr, Schlosstreppe Bensberg
Denken 2: 17. Oktober, 11 bis 16 Uhr, Stadtraum Bergisch Gladbach
11.00 Uhr Veronika Moos, Kornstraße
11.45 Uhr Rolf Hinterecker, Schlodderdicher Weg / Am Dännekamp
12.30 Uhr Jutta Dunkel, Verbindungsweg Paffrather Kombibad / Paffrather Mühle
13.15 Uhr Michael Kramer, An der Gohrsmühle / Höhe Einfahrt Zanders
14.00 Uhr Michael Wittassek, Maria Zanders Anlage
14.45 Uhr Hiroko, Strunde-Quelle, Herrenstrunden

Denn auch die Rezeption des Projekts ist anders: Die Ausstellung kann nie als Ganzes betrachtet werden. Sie findet im öffentlichen Raum statt, die Stadt wird quasi zur Galerie. Will der Besucher sie komplett erfassen, muss er sich bewegen. Kunst wird so auch räumlich erfahrbar.

Denken erfordert ein Netzwerk, die Kunstwerke bilden ein Ausstellungs-Netzwerk: „Bilder enthüllen“ wird so auch zu einer Allegorie über Rezeption und Realisation von Kunst.

Galerie im Wiesengrund

„Bilder enthüllen“ ist eines der raren Projekte der Galerie im Wiesengrund, die Jutta Dunkel 1992 gemeinsam mit dem bereits verstorbenen Künstler Peter Rech gegründet hat. Zu Beginn war die Galerie in der Plankgasse in Köln angesiedelt.

Die Galerie im Wiesengrund steht für die Vernetzung von Künstler:innen, Jutta Dunkel will die verschiedenen Ebenen von Kunst sichtbar machen. „Kunst findet ja nicht nur auf dem Kunstmarkt statt“, sagt sie. „Es gibt zum Beispiel auch politische Kunst, oder das Konzept der Sozialplastik bei Beuys.“

Galerie im Wiesengrund: Die Bezeichnung der Galerie lehnt sich an den Philosophen Theodor Wiesengrund Adorno an. In „Kulturkritik und Gesellschaft“ hinterfragt dieser die Möglichkeiten der Kunst.

„Kann man nach Auschwitz noch Kunst, Musik und Literatur machen? Lässt sich diese Frage heute beantworten?“, so formuliert es Jutta Dunkel. „Wer entscheidet, was wertvoll, was wertlos ist?“

Text und Philosophie sind weitere Elemente, welche die Arbeit der Galerie prägen. Seit 2015 ist sie in Bergisch Gladbach ansässig, entzieht sich aber auch hier vor Ort dem klassischen Gattungsbegriff der „Galerie“. Nicht nur weil sie am Markt vorbei arbeitet, den Begriff Kunst nicht auf den materiellen Gegenwert eines Werks reduzieren will.

Fiktive Galerie

Jutta Dunkel in ihrer Ausstellung der Villa Zanders („Es wird einmal gewesen sein“ Jutta Dunkel – Martin Rosswog, August bis November 2020)

Denn die Galerie im Wiesengrund kann überall agieren, kann auch als Salon in den Wohnzimmern der Betrachter stattfinden, in Kirchen, Ateliers oder Werkstätten. Oder wie bei „Bilder enthüllen“, im öffentlichen Raum.

„Die Galerie verfolgt die Idee einer fiktiven Galerie, die keinen oder tausend Orte belegt, überall oder nirgends zuhause ist, eine Utopie, eben ein Nicht-Ort, der vielleicht irgendwann, irgendwo real werden könnte. Ein unserer Zeit angemessenes Projekt“, erklärt Jutta Dunkel in einem Text über ihre Galerie.

Das flexible Konzept der „Wandergalerie“ zeigt: Hier kommt die Kunst zum Betrachter, und nicht der Betrachter zur Kunst. Das macht Kunst trotz Corona zugänglich, denn der öffentliche Raum ist (noch) bespielbar.

Das Konzept der Galerie – ist es ein Konzept für die Zukunft?

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Holger Crump

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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