Kurz bevor Lisa Spielmann in Elternzeit geht, hat sie ein neues Lied herausgebracht: ein „Danke“ an den Menschen, der für sie zum Mentor und Bonusvater wurde. Wir haben mit der Musikerin darüber gesprochen, was Familie für sie bedeutet und wie sie sie geprägt hat – von der eigenen Kindheit bis zum eigenen Kind, von ihrem Wahlvater bis zur Crew ihres „Spielmannslands“.

Im Scheinwerferlicht. Auf der Bühne. Das ist Lisa Spielmanns Welt. Meine nicht. Aber jetzt sitze ich mit Lisa (wir duzen uns gleich) im Scheinwerferlicht, auf der Kante einer Bühne. Ich hatte gefragt, ob ich sie zu Hause besuchen dürfte, um ein Porträt über sie zu schreiben. Sie hatte vorgeschlagen, dass wir uns stattdessen im Bergischen Löwen treffen. Dort arbeitet sie seit 15 Jahren als Tontechnikerin, dort hat sie schon für ihre eigenen musikalischen Projekte geprobt und Musikvideos gedreht. Das ist ihre Welt.

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Lisa Spielmann trägt kurze, rotbraune Haare, bunte Wollsocken in klobigen Schnürschuhen, ein salbeifarbenes Cordhemd, unter dem sich ein Babybauch wölbt. Kurz bevor sie in Elternzeit geht, hat die Musikerin einen neuen Song veröffentlicht: „Danke (mir fehl’n die Worte)“ – ein „ehrliches Dankeschön“ an den Menschen, der für sie wie ein Vater wurde.

Foto: Thomas Merkenich

Eine Liebeserklärung an Wahlfamilie, kurz bevor sie ihre eigene Familie gründet. Zufall?

Lisa lächelt. „Ich hatte das Gefühl, jetzt ist ein guter Moment, um ein Kapitel abzuschließen und dann frisch ein neues aufzumachen. Da lag es sehr nah, nochmal über meine eigene Geschichte nachzudenken.“ Sie lässt sich Zeit mit ihren Antworten, spricht ruhig und in einem angenehmen Ton. Es macht Spaß, ihr zuzuhören.

Familie, sagt sie, ist für sie weit gefächert. Blutsverwandte, aber auch gute Freunde könnten zu Familie werden. Die Menschen, mit denen sie seit 2020 an ihrem Solo-Musikprojekt zusammenarbeitet, sind inzwischen wie Familie. Und eben der Mann, für den sie das Lied geschrieben hat. Darüber möchte ich nun mehr wissen. Lisa beginnt zu erzählen.

Vom Schulabbruch zum „Lebenspraktikum“

Sie war in der 12. Klasse auf der IGP, als sie, wie sie mit einem leichten Lächeln sagt, „von der Schule gebeten wurde“. Eigentlich war alles ok gewesen, aber: „Ich bin irgendwann nicht mehr so richtig hingegangen.“

Sie hatte andere Dinge im Kopf. Wusste nicht wohin. Alles kam ihr schwer vor, sie war traurig, ja „lebensunlustig“. Und da kam der Vater von zwei ihrer Freundinnen. Er schlug ihr vor, ein Jahrespraktikum bei ihm zu machen, dann hätte sie zumindest Fachabitur. Lisa richtet sich auf, ihre Augen leuchten, als sie das erzählt. Der Vater war bildender Künstler, Kunst und Musik waren Lisa schon immer wichtig gewesen.

Foto: Thomas Merkenich

Also begann sie ein Jahrespraktikum, das sich aber anfühlte wie ein „Lebenspraktikum“. Sie arbeitete nicht nur bei ihm im Atelier oder an Installationen wie dem „Pfad der Sehnsucht“ bei Pütz-Roth, sondern auch beim Museum Ludwig in der Schreinerei. Sie lernte, wie man eine Mappe für ein Kunstprojekt zusammenstellt – aber auch, wie man Socken richtig aufhängt.

Weißt du eigentlich
dass ich immer an dich denk
jedes Mal wenn ich Socken
an die Wäscheleine häng

Ich habs so gehasst
dass du mir die ganze Welt erklärst
und so geliebt
dass sich endlich jemand schert
um mich „Danke (Mir fehl’n die Worte)“

Fast das ganze Jahr lang wohnte sie auch bei der Familie. Die beiden Freundinnen wurden ihr zu Schwestern, irgendwann sagte sie aus Versehen „Papa“ zu deren Vater – ihrem Mentor und „Bonusvater“. „Das ist für mich der Beweis, dass man sich Familie aussuchen kann.“

Nach dem Praktikum absolvierte Lisa Spielmann eine Ausbildung zur gestaltungstechnischen Assistentin, studierte Design und anschließend Musik und Medien in Düsseldorf. Bei künstlerischen Fragen ruft sie bis heute ihren Wahlvater an, obwohl dieser inzwischen in Wien lebt.

Als er ihr Debütalbum mit dem Song „Danke“ als Bonustrack hörte, schickte er ihr eine Sprachnachricht, in der er vor Freude und Rührung weinte.

Ich hab noch nie
zu jemanden Papa gesagt
nur aus Versehen – zu dir

Endlich gemerkt, dass jemand mal bleibt
dass jemand mal bleibt

Uh, Uh, Uh
Ich wollte Danke sagen
und wenn die Worte fehlen
dann bleibt einfach Musik „Danke (Mir fehl’n die Worte)“

Kindheit im Altenheim

Lisas leibliche Eltern hatten sich früh getrennt, die Mutter war mit ihr von München ins Rheinland gezogen. Zum Vater hatte Lisa lange kaum Kontakt. Doch das hat sich in den letzten Jahren geändert. „Inzwischen könnte ich auch ihm Danke sagen“, erzählt sie und lächelt. Als Erwachsene hat sie es geschafft, eine gute, stabile Beziehung zu ihm aufzubauen.

Damit möchte sie auch anderen Mut machen. „Man denkt, das bedeutet einem nichts. So habe ich es mir eingeredet. Wenn der kein Interesse hat, habe ich auch kein Interesse. Ich glaube, es wäre sehr leicht gewesen, für immer getrennte Wege zu gehen. Aber dann habe ich erfahren, dass Dinge sich doch ändern können.“

Lisas Mutter arbeitete als Sozialpädagogin in einem Altenheim, eröffnete dort später ein Café. Für Lisa ein zweites Zuhause. Zeitweise war sie jeden Tag nach der Schule da, aß mit den Bewohner:innen zu Mittag. Half später mit ihrer Schwester im Café aus. Und wurde immer eingespannt, wenn die Mutter das Akkordeon auspackte und Musik anstimmte – und das war oft.

Lisa Spielmann richtet sich wieder auf, stimmt zwei Lieder an: „Wochenend und Sonnenschein“, „Rote Lippen soll man küssen“. Wir lachen beide. Lisa sagt: „Ich kenne diese ganzen alten Schlager, und ich liebe sie. Und ich glaube, dass man das meiner Kunst tatsächlich anmerkt.“

Das Spielmannsland

Als sie anfing Musik zu machen, dachte sie, sie müsste etwas Ernstes machen. Jazz vielleicht. Aber irgendwann gestand sie sich zu, sich an die „Schlager-Altenheim-Schule“ zu erinnern. „Ich liebe diese einfachen Melodien, die im Kopf bleiben.“

Mehr Infos und Musik von Lisa Spielmann gibt es auf ihrer Website.

Nach vielen Jahren als Frontsängerin verschiedener Bands startete Lisa 2020 ihr eigenes Musikprojekt, das „Spielmannsland“. Deutscher Indie-Pop in der Tradition von Nena, Clueso oder Grönemeyer. Ausgerechnet 2020, das Jahr, in dem Corona kam. Doch sie ließ sie sich nicht davon stoppen. Schrieb Songs und produzierte sie selbst, drehte auch gleich Musikvideos und gestaltete Merchandise-Artikel dazu.

So wurde 2020 auch das Jahr, in dem sie von Deutsch FM zur „Newcomerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Es folgten Awards bei über 20 Filmfestivals für ihr Musikvideo „Aufm Deich“, der Songtext wurde im Unterrichtsmaterial für den 10. Jahrgang des Landes Niedersachsen veröffentlicht.

Musikerin und Mutter: ein Mysterium

Und nun beginnt ein neues Kapitel. Eine neue Dimension von Familie, von der Lisa Spielmann bislang nur eine vage Vorstellung hat. „Ich habe die Hoffnung, dass sich das einfach entwickelt?“, sagt sie mit einem Fragezeichen am Ende und lacht. Für eine konkrete Vorstellung fehlen ihr Rollenvorbilder: Musikerinnen, die Kinder haben, sind rar. Oder sie sprechen nicht darüber – aus Angst, „gestrichen“ zu werden.

Noch exotischer sind übrigens schwangere Tontechnikerinnen. „Es gibt sowieso nur eine Handvoll Frauen in dem Beruf, und ich bin glaube ich die einzige mit Babybauch“, sagt Lisa und lacht.

Lisa Spielmann ist nicht nur auf, sondern als Tontechnikerin auch hinter der Bühne aktiv. Foto: Thomas Merkenich

Dass die Angst der anderen realistisch ist, hat Lisa selbst schon erlebt: Ein Gala-Auftritt wurde ihr abgesagt, mit der Begründung, dass das figurbetonte Kleid ja jetzt nicht mehr passen würde.

Hinzu kommen körperliche Aspekte – wie lange kann Frau in der Schwangerschaft gut atmen? – und rechtliche Fragen: Zu einem großen Festival durfte eine Freundin ihr Baby nicht mitbringen, obwohl der Partner es die ganze Zeit betreut hätte.

Ein positives Gegenbeispiel ist Carolin Kebekus, die 2023 nicht nur offen über ihre Schwangerschaft sprach, sondern sie gleich zum Thema ihres Programms „Funny Bones“ machte. Die dieses Jahr auch mit Kind (und ihrem Partner als Betreuer) auf Tour ging. Die aber auch regelmäßig sexistische Hassnachrichten erhielt.

Angst und Hoffnung

So zögerte Lisa anfangs, ihre Schwangerschaft öffentlich zu machen. Dachte aber nach einer Weile: „Nee, das kann ich nicht sein, dass ich auch so eine bin, von der man das nicht mitbekommt.“

Hassnachrichten hat sie bisher nicht erhalten. Aber immer wieder ungefragte Erwartungsäußerungen, dass sie damit ja nun erstmal „raus“ sei aus dem Musik-Business.

Foto: Thomas Merkenich

Sie sagt: „Ich habe Angst, dass man isoliert wird und sich nur noch ums Kind kümmert und die ganzen anderen Bereiche verkümmern.“

Sie sagt aber auch: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich richtig aufhöre zu arbeiten, weil das Kreative ja die ganze Zeit in mir ist. So ist mein Leben, so verarbeite ich meine Probleme. Das kann nicht sein, dass das dann verebbt.“

Und sie sagt: „Aber dem Kind würde ich schon wünschen, lange jemanden zu Hause zu haben.“

Von ihrem Partner – ebenfalls Musiker – wünscht sie sich, dass er ein liebevoller Vater wird. Einer, der zuhört und Gefühle anerkennt. „Jemand, der da ist und nicht die ganze Zeit weg.“

Oft spricht Lisa Spielmann so, wie sich auch eine Liedzeile anhören könnte. Simpel, aber irgendwie besonders. Eingängig.

Vielleicht schreibt sie ja mal etwas über ihr neues Familienleben. Über ihre Rolle als Mutter und Musikerin. Vielleicht wird sie damit selbst zu dem Rollenvorbild, das ihr gerade noch fehlt.


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ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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