Winfried Junge zeigt seine postkartengroßen Collagen in der Villa Zanders. „kleinzeug“ ist eine komplexe Ausstellung an der Schnittstelle von Kunstgeschichte und tagesaktuellen Diskursen. Schon die Eröffnung barg kontroverses Potential.

Am Donnerstag wurde die Ausstellung des oberbergischen Künstler Winfried Junge im Kunstmuseum Villa Zanders feierlich eröffnet. Mit Unterstützung der VR Bank werden 130 Exemplare der neuen Serie seiner Collagen-Postkarten in den Kabinettsräumen der Villa gezeigt.

Petra Oelschlägel, Direktorin des Kunstmuseums, und der stellvertretende Bürgermeister Josef Willnecker begrüßten die vielen Ausstellungsgäste. Sie erläuterten das nunmehr etablierte Format der Kabinettausstellungen. Dann folgte eine kontroverse Laudatio von Falk Reuter, Winfried Junges früherer Kollege an der Schule in Wipperfürth.

Josef Willnecker begrüßt das Publikum und führt ein in das Museumskonzept

Spannendes Forschungsfeld für Kinder und Schüler

Dieses Ausstellungsformat sei geschaffen für die Präsentation der Künstler aus der Region, erläutert Willnecker. Es diene aber auch der Kunstvermittlung an Schulen, erklärt Willnecker stolz. Das heißt, hier können Bergische Schüler mit ihren diversen Blickweisen auf die jeweilige Ausstellung spielerisch Kunstkompetenzen erwerben und zugleich ihre eigenen Arbeiten präsentieren. Ein längst nicht selbstverständlicher, höchst experimenteller Vorstoß eines Kunstmuseums. Das Format verspricht also Erneuerung aus künstlerischer, kunstwissenschaftlicher und aus pädagogischer Sicht.

Ein spannendes Forschungsfeld ganz im programmatischen Sinne von „Warum sehen verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge im gleichen Kunstwerk?

Josef Willnecker läßt sich von der Verunsicherung der Kunst inspirieren

Aktuell werden hier die Arbeiten von Winfried Junge aus Lindlar gezeigt. Ein Künstler, der lange als Kunstlehrer am Gymnasium unterrichtete. Eine in jederlei Hinsicht interessante Konstellation.

Willnecker schließt seine Begrüßung mit einer persönlichen Interpretation der Werke von Winfried Junge als eine bewußte „Verunsicherung in ungewohnten Kompositionen, die die Phantasie des Betrachters anregen“. Eine interessante Formulierung, die über jedwede Verunsicherung durch Ungewohntes nachdenken läßt.

Ein leider sehr unscharfes Bild von Petra Oelschlägel aus den hinteren Reihen

Eine Bühne für Kleinkram

Auch Petra Oelschlägel, Direktorin des Kunstmuseums, begrüßte die Gäste zur 3. Kabinettsausstellung und erklärte, daß die Kabinetträume traditionell der Stiftung Walther Lindgen gewidmet sind. Seit kurzem erst wurde die Präsentation der Sammlung zu Gunsten anderer Formate umgestaltet: „Neben dem pädagogischen Vermittlungsansatz einerseits, ginge es vor allem darum, den Künstlern aus der Region mit großer Ausstellung und eigenen Werkskatalog eine Bühne zu ebnen“.

Der Titel „Kleinkram“ weise gemäß Duden auf „Banalitäten, Kleckerkram“, ein mit Bedacht gewählter Titel, eines sprachaffinen Künstlers findet Oelschlägel.

Seit den 80ern versandte der damalige Gymnasiallehrer Winfried Junge handgefertigte Collagen in Hochformat, alle in Postkartengröße an Freunde, Bekannte und Verwandte, mehr als 3000 Stück. Vor vier Jahren waren ihm die Originale schließlich zu kostbar, um sie zu Verschenken und er versandte ab dato ausschließlich Reproduktionen.

Winfried Junges Collagen wirken wie Reproduktionen und sind dennoch Unikate in handwerklicher Perfektion geklebt

Eine Auswahl dieser Neuserie von etwa 130 Stück aus insgesamt 1089 Exemplaren, ist nun in den beiden Ausstellungsräumen der Kabinettsausstellung zu sehen. Seitdem Junge die Originale selbst behält führt er ein Collage-Werkverzeichnis mit Durchnummerierungen.

Für Junge wurde die Technik der Collage eine „Mobile Technik“- da er „jederzeit an jedem Ort neue Materialien fand, womit er wieder neue Bilderwelten erschaffen konnte“, führte Oelschlägel weiter aus.

Winfried Junge entwickelte eine mobile Technik für seine Postkarten, die er lange auch verschickte

„Seine Motive spannen einen Bogen von Motiven der Kunstgeschichte bis zum aktuellen Tagesgeschehen. Durch Junges präzise Arbeitsweise, die sich zum Beispiel darin zeigt, absolut keine Klebespuren zu hinterlassen, ist man beinahe überzeugt vor abfotografierten Postkarten zu stehen,“ erläutert Oelschlägel.

Wie alle anderen Gäste ertappte ich mich nach Arbeitsspuren zu suchen und ich war ebenso verblüfft, wie glatt und glänzend die Oberfläche auch beim nahen Betrachten erscheint. Man sieht Nuancen im Kontrast, zum Teil winzige farbliche Abgrenzungen, also feinste Ausschnitte, die der Künstler in einer Engelsgeduld perfekt platziert und fixiert haben muss.

Ikonen der Kunstgeschichte fragmentarisch zerstückelt und neu zusammengesetzt

Petra Oelschlägel sieht „in diesen kleinen Schnipseln Universen entstehen“. Abschließend lobt sie „die Bescheidenheit des Künstlers, die nichts überbewertet“. Keine der 130 Postkarten trägt einen Titel , „der Betrachter solle eigene Namen finden“.

Eine Unterrichtung in Bildinterpretation

Kritische Sichtweisen

Die zeremonielle Lobrede hielt Falk Reuter, mit dem Winfried Junge bis 2015 Lehrer war am Erzbischöflichen St.-Angela-Gymnasium inWipperfürth. Reuter verlas die wichtigsten Stationen des beruflichen und künstlerischen Werdegangs seines Kollegens.

Winfried Junge, Jahrgang 1949, studierte von 1969 bis 1974 Kunst an der Akademie Düsseldorf sowie Kunstwissenschaft und Philosophie an der Universität zu Köln. 1971/72 war Jung tätig als „freiberuflicher Designer und gestaltete für Neckermann die Kataloge. Ein Brotjob“, wie Reuter scherzhaft hinzufügte.

Von der Fotografie kam er zu großflächiger Malerei und schließlich zu den Collagen im Kleinformat. Etwa 2500 Originale verschickte er damals, während er zwischen der Heimat und Frankreich pendelte.

Es folgte eine irritierende Komposition aus Presse- und Medienkritik im Allgemeinen, die in den Zusammenhang zu den gestalterischen Prinzipien der ausgestellten Collagen gestellt wurde. Warum auch immer, ich dachte kurz, dies wäre eine Performance.

Als ich Reuter später drauf ansprach, sagt er mir, dass er selbst kein Künstler sei. Wie schade. Ich konnte dem Gedankengang vor allem wegen seiner allgemeinen, undifferenzierten Ausführungen zu großen Teilen nicht folgen. Im Nachhinein kann ich meine Mitschriften der Formulierungen zwar nur bruchstückhaft aneinanderreihen, inzwischen finde ich es dennoch wichtig, den Gedankengang anzusprechen.

Ist die Presse- und Medienwelt tatsächlich so bruchstückhaft wie Winfried Junges Collagen?

Sinngemäß ging es in Reuters Einleitung, bevor er zu den Collagen überleitete, um eine „Hochglanzwelt“, „eine Zerstückelung, wie die Welt sich präsentiert“, „Nachrichtensendungen im Format von fünf bis 10 Minuten oder gar Infospots“ bis hin zu dem „Präsidenten, der in 280 Zeichen twittert“. Es würden „unzulängliche Inhalte vermittelt“ und „die Form wird dem Inhalt nicht gerecht“. Es würden heute „Fotos aus den Kontext gelöst, Versatzstücke verbunden und Bedeutung ginge verloren oder wäre verändert“.

Im teils leidenschaftlichen Gespräch einiger Künstler und Autoren im Publikum darüber, deutete sich eine kontroverse Diskussion an, denn, darin waren sich diese Zuhörer einig , „nie zuvor gab es so umfassende, gut aufbereitete, für Jedermann zugängliche Informationen wie heute.“

Ich würde mir sehr wünschen, dass sich diese Diskussion fortsetzt. Das Bürgerportal betrachtet sich als Kommunikationsplattform und ist sicher ein guter Ort dafür – das Kommentarfeld unten steht allen offen.

Unterrichtung in Betrachtung

Dann machte Reuter eine Bildbesprechung, wie sie vielleicht auch das Publikum noch aus dem Kunstunterricht kennt. Jeder Ausstellungsbesucher sollte nun das Hochglanzbild zur Hand nehmen, dass auf der Frontalbestuhlung auslag, um den kunstwissenschaftlichen Unterrichtung des Redners zu folgen.

Zu sehen war das Motiv, dass auch auf dem Flyer zur Ausstellung abgebildet war. In einer sehr detaillierten Analyse wurde jedes Element in seiner eindeutigen Bildfunktion untersucht und in den logischen Zusammenhang gebracht.

Leider saß ich, wie damals im Kunstunterricht, in einer der hintersten Reihen, und der Schwatzpegel der Nachbarn ermöglichte nur bruchstückhafte Informationen, die sich schwerlich in einen lesbaren Aufsatz reproduzieren lassen.

Eine Bildinterpretation, die Schülern Spaß machen könnte. Am Beispiel mit Papagei (ganz rechts) wurden die gestalterischen Prinzipien von Falk Reuter durchdekliniert.

Ganz stark vereinfachend ausgedrückt, handelt es sich bei dieser Collage um eine Art Prunkstilleben mit Vanitasmotiven in Komposition mit konstruktivistischer Malerei von Piet Mondrian. Leider sind den Werken keine Begleittexte angefügt, obwohl diese Informationen scheinbar grundlegend sind für das Verständnis.

Das ist jedoch ein gutes Stichwort, um auf den umfangreichen Katalog des Künstlers zu verweisen, den man in limitierter Auflage käuflich erwerben kann.

Es blätterten viele Ausstellungsbesucher im Katalog, sicher auch, um mehr Hintergründe  zur künstlerischen Intention zu finden.

Endlich erkannte ich, wer der Künstler war, denn Winfried Junge signierte stundenlang sehr gewissenhaft jeden einzelnen der Kataloge und war leider kaum mit einem tieferen Gespräch von mir abzulenken. Ich hatte das Bild vom mystifizierten, pressescheuen Künstler vor Augen, der das Reden gern anderen überlässt. Ich hätte gern mehr erfahren, mit ihm darüber philosophiert, welche Entwicklungen in einem Langzeitprojekt von 40 Jahren passieren.

Wenn man mehr über den Künstler erfahren möchte, empfiehlt es sich, den Katalog zu kaufen.

Dafür hatte ich das Glück, Falk Reuter vorgestellt zu werden, welcher dann so freundlich war, mir einige Fragen zu beantworten.Wir plauderten über das Kennenlernen, über die damalige Lehrerschaft. Was war der Schlüsselmoment für den Künstler seine Kunst nicht mehr zu verschenken? Welche Rolle spielte das Senden, welche der Empfänger?

Brigitta Gerke-Jork und Falk Reuter begegnen sich als ehemalige Schülerin und Lehrerkollege des Künstlers.

Brigitta Gerke-Jork bedauert sehr, dass sie nun keine Originale mehr zugeschickt bekommt. Sie wurde mir vorgestellt, als eine ehemalige Schülerin, sogar Mitglied der damals regelmäßigen Treffen der 8er Lehrertruppe. Bis heute pflegt sie einen engen Kontakt mit ihrem ehemaligen Kunstlehrer Winfried Junge. Augenblicklich war ich ausgesöhnt mit meinen Bild vom Kunstunterricht.

Ihr Kunstlehrer Winfried Junge habe sie durchaus beeinflusst, gestand die heutige Kunsttherapeutin und Heilppraktikerin für Psychotherapie aus Hessen, die auch Kunst macht. Auf die Frage, welche, der hier gezeigten neuen Motive sie am liebsten mochte, wählte sie die Vanitasmotive, denn sie arbeite „aktuell in einer Palliativstation”.

Wie schön, wäre es gewesen, den Hintergrund der ursprünglichen Postkartengeschichten präsentiert zu sehen.

Hoffentlich gibt uns der Künstler in Zukunft dafür noch Gelegenheit. Bis dahin betrachten Sie die Postkarten als an Sie adressiert, geben sie ihnen Namen und philosophieren sie über Kunst und Unterricht, Geschichte und Tagesgeschehen, nicht zwangsläufig in der ersten Reihe, aber unbedingt auch mit ungewohnten Sichtweisen.

Winfried Junge – kleinzeug

08.02 – 17.03.2019

Kunstmuseum Villa Zanders
Konrad-Adenauer-Platz 8, 51465 Bergisch Gladbach
Tel. 02202.142356 / 142334, info@villa-zanders.de

Öffnungszeiten
Di – Sa 14:00 – 18:00 Uhr
Do  14:00 – 20:00 Uhr
Sonn- und Feiertag 11:00 – 18:00 Uhr
und nach Vereinbarung.

Weitere aktuelle Ausstellungen:

Denn sie spinnt Stroh(-halme) zu Kunst: Tina Haase

Philosophie des Sehens: „Ich sehe was, was Du …”

Jörg Extra bringt seine Liebe zum Jazz auf Papier

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1 Kommentar

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  1. Der Einführungsredner Falk Reuter bot mit seiner undifferenzierten (und modischen) Darstellung von Medien und ihrem Angebot an Informationen eine sehr oberflächliche Kritik: Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es eine Zeit, in der wir uns so umfassend informieren konnten. Jederzeit, überall. Zu jedem Thema. Mit Hintergrundmaterial, Abbildungen, wissenschaftlichen Belegen. Man muss es nur wissen wollen. Wer jemals eine umfassende Arbeit während der Ausbildung oder im Studium geschrieben hat, wird sich erinnern an die Schwierigkeit, in der Bibliothek die notwendigen Bücher zu finden oder auf deren Rückgabe durch andere zu warten.
    Unser Problem heute sind nicht „fragmetarische“ Informationen. Es ist im Gegenteil das kaum noch überschaubare Angebot an Informationen. Wichtig ist die gründliche Recherche, was seriöse Informationen, was Fakenews sind. Unser Problem ist, dass wir nicht mehr sagen können, wir hätten etwas nicht gewusst. Wir waren vielleicht nur selber zu oberflächlich. Die seriösen Printmedien, Radio- und TV-Sender, Onlineportale und das Internet bieten jede erdenkliche Information.
    Auf der Rückfahrt von der Vernissage der wirklich sehenswerten, lohnenden Ausstellung hörte ich im Autoradio eine Talkshow, in der eine Journalistin zu der modischen Kritik an den TV-Programmen den Kritikern empfahl, sich noch einmal Fernsehzeitschriften aus den 60er-Jahren anzuschauen.
    Früher war wirklich nicht alles besser.