Die Gaststätte „Zur Post“ und der Germania-Saal (links) 1928. Am rechten Tisch sitzen Christine und Gottfried Quirl.
Wussten Sie, dass die „Alte Post“ schon zur Zeit Napoleons ein Treffpunkt war? Dass Christine Quirl die Gaststätte später 17 Jahre lang alleine führte und hier im Zweiten Weltkrieg eine jüdische Familie versteckte? Deren Sohn wurde später der Fotograf John F. Kennedys. Das spielt hier eine große Rolle, doch eigentlich geht es in der Februar-Folge der Serie „Schildgen wie es war“ um Gasthöfe.
Sechs Groschen kostet „e Kümppche Zupp met nem Höhnerei“, 12 Groschen sind es für den „engelaate Herring met allerhands drenn, wie de Mamm se mäht“. Denn eins wusste man in der Gaststätte Zur Post: „Jot esse un drenke hält Liev un Siel zesamme…“
Sie erinnern sich: In unserer neuen Serie nehmen wir Sie mit auf eine Zeitreise und tauchen ein in die Geschichte(n) des Gladbacher Stadtteils Schildgen.
Hinweis der Redaktion: Die Serie „Schildgen wie es war” erscheint in Kooperation mit dem Begegnungscafé Himmel & Ääd, das für 2019 den gleichnamigen Nostalgiekalender herausgegeben hat. Der Kalender zeigt eine Auswahl aus den über 100 Fotos, die Schildgener BürgerInnen dafür eingereicht haben. Wir erzählen jeden Monat die spannendsten Geschichten hinter den Bildern.
Zum Auftakt der Serie hatten wir in einem Rundumschlag den Weg Schildgens aus dem Nebel der Geschichte aufgezeigt. Dieses Mal haben wir uns, Sie ahnen es bereits, das Thema Gaststätten vorgenommen. Doch: In welcher Epoche mögen wir gelandet sein?
Das Februar-Blatt zeigt (im Uhrzeigersinn) die Gaststätten Cramer, Billstein (später Pohle), Zur Post (heute Irish Pub) und Schankweiler (heute Olivenhof). Diese Geschichte setzt den Fokus auf die „Post“
Versuchen Sie doch einmal die Eingangsszene zu deuten: Wir befinden uns in der Gaststätte Zur Post. Die kennen die meisten noch, heute als Irish Pub. Unsere Karte ist im Bergischen Dialekt geschrieben, und wir bezahlen in Groschen…
Das war allerdings ein kleiner Trick. Die „Bergische Fooderkaat“ stammt nämlich aus dem nicht allzu fernen Jahr 1969. Fritz und Maria Quirl schrieben sie zum 50-jährigen Jubiläum der Gaststätte.
Festgehalten ist das Dokument in einem privaten Fotoalbum, das Fritz Quirls Schwester Betty für ihre Nichte Christel zusammengestellt hat. Christel hat mit ihrem Mann Francesco zusammen später das Schreibwarengeschäft Polito aufgebaut. Aber eins nach dem anderen.
Jetzt sitzen wir erst einmal mit Christel Polito im Café Himmel un Ääd. Sie hat drei Alben voll unvergleichlicher Schätze mitgebracht: Fotos und feinsäuberlich in Schönschrift festgehaltene Erinnerungen ihrer Tante Betty.
Die Anfänge der „Post“: von Napoleon bis Christine Quirl
Als erstes zeigt Polito einen Zeitungsartikel, den Tante Betty kopiert, ausgeschnitten und eingeklebt hat. „Altes Gasthaus feiert Jubiläum“, ist der Artikel überschrieben, und darin erfährt man, dass die „Alte Post“ schon zur Zeit Napoleons „Mittelpunkt des Tagesgeschehens“ war. Damals nicht als Gaststätte, sondern als Pferdewechselstation, mit Tränke und Stallung, an der damaligen Verkehrsstraße Köln – Mülheim – Odenthal – Burscheid.
Als erster Besitzer wird um 1820 herum Adolph Remmel zu Kämpen genannt. Es folgten einige weitere Besitzer, bis das Haus im Jahr 1919 an Christine und Gottfried Quirl überging – Politos Großeltern. Der letzte Vorbesitzer, Jakob Fink, hatte nebenan den Germaniasaal gebaut.
Als die Quirls die „Post“ übernahmen, waren in dem Saal englische Soldaten einquartiert. Christel Polito schlägt ein anderes Album auf. 1919: „Im Eingang links meine Mutter, ich auf dem Schoß von Sharly, daneben die Cousine meiner Mutter, ganz rechts mein Vater“, schreibt Tante Betty.
Gottfried Quirl verstarb bereits 1932. Seine Frau Christine führte das Geschäft alleine weiter, mit den zwei kleinen Kindern – Betty und Fritz, Christel Politos Vater. „Sie muss eine starke Frau gewesen sein“, sagt Polito rückblickend.
Christine Quirl machte sich bald einen Namen. In dem oben genannten Zeitungsartikel von 1959 wird sie gar als „große Repräsentantin des Gaststätten- und Hotelgewerbes genannt“. Eine Zeit, in der ein solches Urteil sicher nicht vielen Frauen zugute kam.
Zweiter Weltkrieg: „Gold-Rad“ und ein berühmter Fotograf
Kurz nach dem Tod ihres Mannes erlangten die Nationalsozialisten die Macht, der Zweite Weltkrieg brach aus. Als die Lage immer schwieriger wurde, zauderte Quirl nicht lange: Sie bot ihre Gaststätte als Notunterkunft und Versteck an.
Im „Sälchen“ der „Post“ kam, durch eine tapezierte Schiebetür vom Schankraum abgetrennt, die Familie Goldmann unter, die in Köln ausgebombt worden waren. Frau, Mann, zwei Söhne. Doch: Zur Familie gehörte auch ein Bestand an Fahrrad-Rahmen und -rädern. Die Goldmanns hatten nämlich ein Fahrradgeschäft geführt, das „Gold-Rad“. So wurde der Germaniasaal während des Zweiten Weltkriegs zum Fahrradlager.
Gaststätte Schankweiler: Das Eckhaus an der Altenberger-Dom-Straße 152 diente schon 1902 als Gaststätte, ab 1906 unter dem Namen Schankweiler. Bekannt war das Lokal vor allem als das „goldene Eck“. Später wechselte mit den Besitzern auch noch einmal der Name, die längste Zeit hieß die Gaststätte Elisenhof. Seit 2018 serviert hier der Olivenhof Tapas.
Unter dem Saal befanden sich mehrere Kellerräume. Im ersten lagerten die Kartoffeln. Weiter hinten, im Heizungskeller, versteckte Christine Quirl die jüdische Familie Lülsdorf. „Meine Cousine erzählte mir später, dass man sich, wann immer jemand aus der Familie Kartoffeln holen ging, die Kitteltaschen mit Proviant füllte und diesen nach hinten zu den Lülsdorfs brachte“, berichtet Christel Polito.
Die Lülsdorfs, Mutter und Sohn, lebten eigentlich in Köln-Riehl und kamen immer, wenn es brenzlig wurde, nach Schildgen. Sohn Jascha war nur wenige Jahre jünger als Fritz Quirl, die beiden freundeten sich an.
Jascha Lülsdorf ging irgendwann – das Datum lässt sich leider nicht rekonstruieren – nach Paris, änderte seinen Namen in Jaques Lowe und reiste 1949 weiter in die USA. Dort gelang dem jungen Rheinländer eine erstaunliche Karriere.
Fritz Quirl hatte in der Zwischenzeit eine Kochlehre in der „Ewigen Lampe“ in Köln absolviert, in der Armee gedient – wo er das Glück hatte, fast immer in der Küche zu arbeiten – und sich dann, nach dem Krieg, in Maria Lukaschewski verliebt. Deren Eltern hatten die Gaststätte an der Diepeschrather Mühle aufgebaut.
Die 1950er-Jahre: Laute Kindheit und eine Isetta
In dem Jahr, als Jascha Lülsdorf alias Jaques Lowe in die USA auswanderte, übernahmen Fritz und Maria Quirl die „Post“. Es war auch das Jahr, in dem Christel Polito zur Welt kam. Genau wie später ihre zwei Geschwister zu Hause, in den Schlafzimmern oberhalb der Gaststätte.
Ihre Kindheit war – ziemlich laut. Polito lacht und sagt: „In dem alten Fachwerkhaus hörte man alles, als ob die Gäste direkt in meinem Zimmer säßen.“ Jeden Tag, außer donnerstags, gab es Mittags- und Abendtisch, später kam die Kegelbahn hinzu und mit ihr die Vereine.
Am einzigen Ruhetag fuhr der Vater zum Schlachthof und zum Großmarkt für Gemüse. Sonntags mussten die Geschwister mithelfen. Spülen, abtrocknen, Sachen aus dem Keller holen – es gab immer etwas zu tun.
Gaststätte Cramer: Seit etwa 1800 liegt das Lokal an der Altenberger-Dom-Straße 278 in der Hand der Familie Fehl. Der Name wechselte mit fast jeder Generation, seit 1942 heißt es Cramer. In den Nachkriegsjahren entstanden Gartenanlagen mit Teichen und Spielwiesen; Obst- und Nussbäume, Hühner, sogar eine Kuh und Schafe sollen zum Gasthof gehört haben. Seit 2011 ist er geschlossen.
Polito erinnert sich: „In den 1950er-Jahren schafften meine Eltern einen Fernseher an. Damals hatte noch nicht jeder ein Gerät zu Hause, und die Leute trafen sich bei uns in der Gaststube, um fernzusehen.“
1958 starb Christine Quirl. Fotos zeigen einen großen Trauerzug. Zahlreiche Schildgener erwiesen der bekannten Wirtin die letzte Ehre und begleiteten ihren Sarg, wie es damals üblich war, bis zur Kirche.
Polito blättert weiter im Fotoalbum und bleibt an einem Bild hängen: „Fahrzeugsegnung am 1. Mai 1963 von Pfarrer Joseph Wirtz“.
Polito lacht und zeigt auf die Isetta: „Da wollte ich immer mitfahren.“ Einige Male durfte sie das auch. Der kleine Flitzer gehörte dem Nachbarsjungen, mit dem sie als Mädchen viel unternahm. „Das war schön“, sagt sie, „er hatte immer Zeit für mich.“

Eine wilde Geschichte hat das Haus Billstein (später Haus Pohle). Vor allem um die Disco „00-dancing“, die hier in den 80er-Jahren residierte, ranken sich viele Legenden: von nackten Frauen auf dem Tablett bis hin zu einem Stierkampf. Ein versteckter Mörder soll gar eine Großrazzia der Polizei ausgelöst haben… Für weitere Details können Sie sich auf unsere November-Geschichte freuen …
„Polito“ und „Irish Pub“: So ging es weiter
Zeit, das war etwas, das in der Gastronomie immer fehlte. Für Christel Polito kam dieser Beruf, trotz einer Ausbildung im Hotelfach, daher nicht in Frage. Nachdem sie Francesco Polito geheiratet hatte, übernahmen die beiden im Jahr 1976 das Schreibwarengeschäft im Germaniasaal von Familie Koschel. Als das Haus abgerissen wurde, zog der Laden an die Ecke Altenberger-Dom-Straße/Kempener Straße, wo er nun seit 1990 fortbesteht.
Aus der Gaststätte der Familie Quirl wurde 2006 das beliebte Irish Pub. Inhaber Diarmaid Cotter ehrt dessen lange Geschichte, denn den ursprünglichen Namen hat er mit übernommen – als „Irish Pub Zur Post“.
Quellenhinweise:
Dem Hauptartikel liegt im Wesentlichen das Gespräch mit Christel Polito zugrunde, außerdem die Erinnerungen aus den Fotoalben ihrer Tante. Die Infos zu den anderen drei Gaststätten stammen aus dem Pfarrarchiv der Herz Jesu Gemeinde Schildgen, von der Webseite des Olivenhofs sowie aus verschiedenen Gesprächen, die Achim Rieks vom Himmel & Ääd mit alteingesessenen Schildgenern geführt hat. Die Fotos von der „Post“ hat Christel Polito zur Verfügung gestellt. Die Kalenderbilder stammen vom Schützenverein Schildgen (der 1907 in Haus Billstein gegründet wurde), Hilde Küffler und aus dem Pfarrarchiv.
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