Ismail Kaygusuz hat 30 Jahre bei Zanders gearbeitet, zuletzt als Schichtleiter im Kraftwerk. Dort drückte er Ende April den Aus-Schalter des Kessels und fuhr mit der Energieversorgung das Herzstück der Papierproduktion runter. Jetzt führt er eine Taxi-Firma und blickt mit Dank zurück, sieht aber auch Fehler, die zum Untergang führten. Den emotionalsten Moment beim Abschied von Zanders erlebte er nicht in der Firma, sondern in einer Arztpraxis.
Ismail Kaygusuz sitzt an einem Café-Tisch in der Innenstadt, zusammen mit seinem älteren Bruder. Immer wieder klingelt das Handy, Männer kommen vorbei und klären mit ihm geschäftliche Dinge.
Kaygusuz ist Geschäftsführer des Taxi-Unternehmens seiner Famile: „Das Unternehmen wurde vor drei Jahren gegründet“, berichtet er. Er ist 48 Jahre alt und lebt seit seinem 14. Lebensjahr in Deutschland.
Am 2. September 1991 begann er seine Ausbildung in der Papierfabrik Zanders, die er 1995 als Industriemechaniker abschloss. Weiterbildungen an der Abendschule als Kesselwärter, Mechaniker und Kraftwerker brachten ihn letztlich auf die Position des Schichtleiters im Kraftwerk.
Arbeitslos am Tag der Arbeit
„Am Tag der Arbeit wurde ich arbeitslos. Am 30. April 2021 stand um 24.00 Uhr die Anlage“, berichtet er. Dabei handelt es sich um einen Dampferzeuger: eine komplexe Anlage, die Dampf für die Papierproduktion und -trocknung lieferte und zur Stromversorgung von Zanders beitrug.
Zanders hat seine Familie geprägt. „Fragen Sie in der Stadt rund – jeder hat einen Verwandten, der bei Zanders gearbeitet hat, auch bei uns“, meint Ismail Kaygusuz. Sein Vater begann im Jahr seiner Geburt 1973 in der Papierfabrik zu arbeiten. Und er ging bei Zanders in Rente.
„Ich habe mit 14 Jahren meinen Einstellungstest gemacht, konnte wenig Deutsch. Aber mein praktisches Musterstück war das Beste und wurde den nachfolgenden Lehrlingen immer wieder gezeigt“, erzählt Kaygusuz eine Anekdote aus seinen Jugendjahren mit verschmitztem Lächeln.
Er sei bei Günther Flacke in die Lehre gegangen, „ein wichtiger Mann für mich.“ Auch Frank Eschenauer, langjähriger Betriebsratsvorsitzender, habe ihn geprägt, sei für die Mitarbeiter da gewesen. Es habe eine familiäre Stimmung „auf Zanders“ geherrscht.

Interesse an „Rezepten“
Von der Papierproduktion selbst und dem Management habe er im Kraftwerk wenig mitbekommen. Dennoch hat er seine eigene Meinung, wo die Fehler in der Vergangenheit des ehemaligen Familienunternehmens gemacht worden seien. „Mit dem Einsteig von International Paper ging alles los“, berichtet er. IP habe Interesse am Firmennamen gehabt, aber vor allem an der Art der Papierherstellung bei Zanders. „Die nahmen die Rezepte und waren wieder weg“, ist sich Kaygusuz sicher.
Der nächste Eigentümer M-real brachte den Zellstoff, verdiente nach seiner Auffassung aber nichts an Zanders. „Dem Hörensagen nach steckte das Unternehmen monatlich zwei Millionen Euro an Gehältern in Zanders.“
„Die Besitzer wechselten, das Management blieb“, beschreibt Kaygusuz die rasche Abfolge an wechselnden Eigentümern. Mit dem Vorgehen würde man heute keine Restaurant mehr erfolgreich leiten können. Die „Macher“ bei Zanders hätten ausgetauscht werden müssen, dann hätte man den Untergang eventuell aufhalten können.
Preis des Geländes ein „Schnäppchen“
„Auch der Verkauf des Geländes an die Stadt trug sicher mit zum Aus bei“, glaubt der Taxi-Unternehmer. Das Zanders-Gelände sei historisch betrachtet vor der Stadt da gewesen, die Stadt habe sich um Zanders herum entwickelt. So sei eine einzigartige Nähe zwischen Unternehmen und Stadt entstanden, die heute unbezahlbar sei: „In meinen Augen ist das Gelände 300 Millionen Euro wert. Mit dem Ankaufpreis von 25 Millionen Euro hat die Stadt ein Schnäppchen gemacht.
Hintergrund: Über viele Jahrzehnte hinweg war Zanders Bergisch Gladbach, und Bergisch Gladbach war Zanders. Nach 199 Jahren wurde diese Tradition zu Grabe getragen, die zweite Insolvenz hat die Papierfabrik nicht überlebt. In einer dreiteiligen Serie hat das Bürgerportal die Erfolgsgeschichte Zanders nachgezeichnet, und die vielen Jahre des Niedergangs.
Die kurzfristigen Pachtverträge hätten die Investoren verschreckt – so die Einschätzung von Kaygusuz. „Wenn mir mein Vermieter einen Einjahresvertrag für eine Wohnung gibt, investiere ich nicht in eine Einbauküche“, beschreibt er seine Sicht der Dinge. Viele Monate hatten die letzten Zanders-Eigentümer, Investoren aus Schweden, mit der Stadt über einen langfristigen Pachtvertrag gerungen, hatte die erforderlichen Sicherheiten aber nicht erbringen können.

Papierwelt ist nicht zu Ende
Die Auftragsbücher seien noch voll, „die Papierwelt ist noch nicht zu Ende!“, glaubt Kaygusuz. Gerade der e-Commerce würde auf schicke Umverpackungen setzen, da seien Qualitätspapiere wie von Zanders gefragt. Ein Aus für Papier infolge der Digitalisierung – für Kaygusuz kein Thema.
Die Arbeitnehmer seien nun die Leidtragenden. Kaygusuz lobt vor allem die Mitarbeiter, die sich für Zanders ins Zeug gelegt hätten. „Wir haben bis aufs Blut für das Unternehmen gekämpft, auf Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Lohnerhöhung verzichtet, Überstunden geopfert. Alleine bei mir fielen 640 Überstunden der Insolvenz zum Opfer. Das sind drei Monatgsehälter“, rechnet er vor.
Die Kündigungen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter seien dann per Email eingegangen. Am 30. April 2021 sei keiner aus dem Management da gewesen, um den Arbeitern zum Abschied die Hand zu schütteln. Das sei bitter gewesen, sagt Kaygusuz, da habe keiner Haltung bewiesen.
„Dann ist Schicht“
Jetzt ist es vorbei. Dass er auf der Straße stand, hat Ismail Kaygusuz noch nicht verwunden, auch wenn er sich eine neue Existenz aufbaut. „Ich habe am 30. April 2021 meine Mitarbeiter um 00.00 Uhr nach draussen geführt, die Nachtschicht wäre ja eigentlich von 22.00 bis 06.00 Uhr morgens gelaufen. Und das wars dann“, schildert er, und sein Blick richtet sich nach innen. Erinnerungen scheinen wach zu werden.
Dies sei bewegend gewesen, aber nicht der emotionalste Moment beim Abschied von Zanders. „Am letzten Arbeitstag bei Zanders, vor der Nachtschicht am 30. April, habe ich meinen Vater tagsüber zum Impftermin beim Hausarzt begleitet“, berichtet er. Im Wartezimmer habe er ihm dann gesagt: „Ich arbeite heute Abend nur noch zwei Stunden, dann ist Schluss.“
Sein Vater schaute ungläubig, dann seien diesem die Tränen gekommen. Kaygusuz junior fragte ihn nach dem Grund seiner Tränen. „Mein Junge, ich habe Euch mit Zanders-Geld großgezogen“, habe sein Vater erklärt. Und diese Tränen, so sagt Ismail Kaygusuz, hätten ihm beim Untergang von Zanders am meisten weh getan.
Ich vergaß etwas.
Herr Maus sieht den Untergang von ZANDERS in Wettbewerbsmängeln begründet, und bezieht die auf die Energiepolitik in Deutschland gegenüber dem Ausland. Eine wahrlich seltsame Beurteilung. Die ganze Welt – zumindest der denkende Teil – sieht in CO2 Ausstößen den Grund für den Klimawandel, nur Herr Maus ignoriert das, wenn ich seine Ausführungen nicht völlig missverstanden habe. Die Energiepreise und die CO2 Abgabe sind also Deutschlands Untergang, weil wir deswegen „ganze Brachen verlieren“ und die böse böse Energiepolitik Tausende Arbeitnehmer auf die Straße schickt.
Ein wahrhaft düsteres Scenario, das sich 2019 bei Herrn Maus im Bürgerportal noch ganz anders las.
Der Niedergang von ZANDERS kam sicher nicht durch Fehlleistungen der Mitarbeiter sondern durch solche der Führung. Wenn es so war, wie von Herr Kaygusuz geschildert, hatte man genügend Potential in Form von Rezepten und Formeln für konkurrenzfähige wenn nicht -lose Papiere gehabt, aus denen Chromolux herausragt. Mir ist als ehemaliger Unternehmer im Bereich der Verkaufsförderung schleierhaft, wie solche und ähnliche Produkte eine Firma wie ZANDERS nicht am Leben halten konnten. Im Gegenteil könnte Das Unternehmen heute noch gut existieren, wenn klügere Köpfe als die damals vorhandenen die Firma etwas kleiner gestellt und sich auf die wertvollen Papiere wie Chromolux und andere, die sogar noch während der Insolvenz entwickelt wurden, konzentriert hätten. Meine Firma hat für ZANDERS innerhalb von 3 Jahren zwei Mal 3.000 – 4.000 Musterboxen gefertigt, in denen auf 10 Ebenen alle hochwertigen Papiere zu sehen waren. Die gingen an viele Agenturen und Druckereien, die ihren Kunden auf diesem Weg leicht das Spitzenangebot von ZANDERS nahebringen konnten. Chromolux z.B. ist auch heute noch in der Welt der Kosmetik- und sonstiger Verpackungen hochwertiger und teurer Produkte nicht wegzudenken.
Zweifelsohne begannen die Probleme mit den Einstiegen diverser „Investoren“. Die hatten nie die ganze Firma im Auge sondern nur die Teile, die sich versilbern ließen oder Gewinne versprachen. Die Führungskräfte schienen entweder mit Ratschlägen nicht gegen den jeweiligen Investor anzukommen oder sie hatten keine, was der Niedergang des Unternehmens vermuten lässt. Wie Herr Kaygusuz schildert, hätten die „Macher“ ausgetauscht werden müssen.
Mit seiner Schätzung des ZANDERS – Immobilienwertes scheint mir Herr Kaygusuz jedoch etwas zu übertreiben. Eine Stadt ist verpflichtet, wenn sie solche Immobilien erwerben will, ihr Angebot am Markt zu orientieren, und es gab keinen anderen Interessenten, der mehr gezahlt hätte. Auch die Annahme des Schichtleiters, die kurzfristigen Pachtverträge hätten ZNDERS das Genick gebrochen, trifft nicht zu. Keine Verwaltung darf auf Kosten der Steuerzahler auf Teufel komm raus ins Obligo gehen, wenn fest vereinbarte Leistungen des Pächters sogar mehrfach nicht eingehalten werden. Der letzte Investor aus Schweden war schlicht und einfach zu klamm, als dass er sich die Voraussetzungen für längere Pachtverträge hätte leisten können.
Der Untergang von ZANDERS ist der Einschnitt in der Geschichte unserer Stadt, von dem sie sich nur langsam erholen wird. Aber wie immer geht eine andere Tür auf, wenn eine lange offen gebliebene zufällt. Die Nutzung des Filetstückes mitten in Bergisch Gladbach birgt Riesenchancen für Stadt, Bevölkerung und Umfeld. Aber auch und gerade hier bedarf es kluger Köpfe, und manchmal kommt der geneigte Bürger zu der Frage, ob davon ausreichend zur Verfügung stehen oder man sich in Schilda befindet, wenn die Müllkorb-Leerung mit 2 Lastenrädern erfolgen soll!
Ein großes Kompliment an Holger Crump für die bewegende Reportage. Die Leidtragenden einer Insolvenz, die loyalen Mitarbeiter, haben das auszubaden, was zunehmend und sich jahrelang dahinziehender Mangel an Wettbewerbsfähigkeit verursacht.
Diese Dramatik wird sich noch bei vielen energie-intensiven Produktionen wiederholen. Gute, einzigartige, innovative Produkte waren und sind die Basis für Erfolg in den Märkten. Wettbewerbsfähigkeit entscheidet sich heute zunehmend mit den deutschen Energiepreisen und CO2-Mali.
Deutschland wird deswegen ganze Branchen verlieren. Bestenfalls durch Verlagerung, schlechtestenfalls durch Insolvenz.
Das berührende und erschreckende daran sind die fast gleichgültige Hinnahme durch DIE Politik und die bedauernswerten Schicksale der Mitarbeiter — wie die Reportage eindringlich zeigt.