Wer nicht mehr lange zu leben hat, muss nicht automatisch ins Krankenhaus. Betroffene können ihre verbleibende Zeit oft gut und mit mehr Lebensqualität in den eigenen vier Wänden verbringen. Unterstützt werden sie dabei von ambulanten Palliativ- und Hospizdiensten wie dem SAPV-Team des Vinzenz Pallotti Hospitals. Wir haben mit Mitarbeiterinnen gesprochen und sie bei Patientenbesuchen begleitet.

Donnerstagmorgen, viertel nach acht. Martina Weyer-Müller sitzt mit fünf Kolleginnen im Besprechungsraum. Die gelernte Krankenschwester und Palliativfachkraft gehört zum SAPV-Team des Vinzenz Pallotti Hospitals in Bensberg. Die Abkürzung steht für Spezialisierte Ambulante Palliativ Versorgung.

Morgens um acht Uhr leitet Martina Weyer-Müller die Team-Besprechung im SAPV-Team, Foto: Holger Crump

Martina Weyer-Müller hatte in der Nacht Rufbereitschaft für die rund 60 Patientinnen und Patienten, die das Team betreut. Sie haben eine unheilbare Erkrankung, eine „lebensverkürzende Diagnose“, wie es weniger drastisch formuliert wird. Ihr Lebensende ist absehbar.

Sie wollen die verbleibende Zeit zuhause, im Kreis der Familie verbringen. Nicht im Krankenhaus. Das SAPV-Team unterstützt sie dabei. Martina Weyer-Müller berichtet aus der Nacht: Ein Patient ist gestorben. Die Modalitäten für den Totenschein werden besprochen.

Im Anschluss an Rufbereitschaft und Besprechung wird Weyer-Müller heute noch acht Stunden unterwegs sein. Sie wird Sterbenden beistehen, Angst, Übelkeit oder Schmerzen lindern, Wunden zu versorgen, Angehörige beraten, Hilfe koordinieren.

Hinweis zur redaktionellen Arbeit: Für diesen Beitrag haben wir mit den Leiterinnen des SAPV-Teams am Vinzenz Pallotti Hospital, Anne-Kathrin Müller und Stefanie Tillmann, gesprochen. Anschließend begleiteten wir die Palliativfachkraft Martina Weyer-Müller beim Besuch von Patientinnen.

Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte stand stets im Fokus. Die Patienten hatten im Vorfeld dem Besuch durch das Bürgerportal zugestimmt und ihr Einverständnis zur Veröffentlichung von Fotos gegeben.

Zuhause sterben

„Wir unterstützen Patienten dabei, in den eigenen vier Wänden zu sterben“, bringt es Anne-Kathrin Müller auf den Punkt. Sie leitet gemeinsam mit Stefanie Tillmann das SAPV-Team am Vinzenz Pallotti Hospital. Dank ihrer Arbeit kann bei nahendem Tod eine unerwünschte Einweisung ins Krankenhaus oft vermieden werden.

Müller und Tillmann haben wie alle Pflegekräfte aus dem Team zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. „Gesundheits- und Krankenpflege“ heißt das heute. Hinzu kam die spezielle Weiterbildung in „Palliative Care“. „Da geht es um alle Aspekte der Versorgung von Sterbenden,“ schildert Müller.

Anne-Kathrin Müller (li ) und Stefanie Tillmann vom SAPV-Team des Vinzenz Pallotti Hospitals, Foto: Holger Crump

Gemeinsam mit elf Palliativfachkräften und vier Palliativmedizinern ermöglicht das SAPV-Team nun das, was früher einmal selbstverständlich gewesen ist: Den Tod in den eigenen vier Wänden. Hierzu sind sie im gesamten Rheinisch-Bergischen Kreis unterwegs.

„Keiner stirbt wie der andere“

Die heutigen Touren zu den Patient:innen sind im Team verteilt, die Palliativfachkräfte nehmen ihre Medikamentenkoffer und ziehen los.

Das Telefon klingelt während der Besprechung unablässig. Martina Weyer-Müller hat den Hörer am Ohr, spricht mit Angehörigen, gibt Rat zu Medikamenten, berät neue und interessierte Patient:innen und Angehörige.

Seit sieben Jahren gehört sie zum Team. Zuvor arbeitete die 54-Jährige in einem stationären Hospiz in Düsseldorf. „Das wird hier nie Routine“, erzählt sie über ihren Job im SAPV-Team, „in den Familien herrscht stets eine Ausnahmesituation. Und keiner stirbt wie der andere.“

Dann kann auch sie endlich los. Wir suchen ihren Dienstwagen und machen uns auf den Weg. Zum ersten Besuch des Tages. Es regnet in Strömen, als wir in Moitzfeld ankommen.

Parken Sie um die Ecke!

Die Nachfrage nach ihren Diensten sei hoch, berichtet Stefanie Tillmann. Gleichwohl solle das Thema „Palliativ“ bei den Patient:innen nicht immer sichtbar werden: „Parken Sie das Auto um die Ecke“, heiße es oft. Oder Angehörige bitten: „Sagen Sie unserem Patienten nicht, dass Sie vom Palliativteam sind.“

Da schwingt viel Scheu und Befremden beim Umgang mit dem Tod mit. Bei Nachbarn, der Gesellschaft, den Betroffenen. Vor allem wenn die Auseinandersetzung mit dem Ende noch nicht stattgefunden hat, wenn Fragen zum Prozess des Sterbens bestehen.

Medizinische und psychologische Hilfe

Frau K. ist Mitte 50. Sie sitzt im Wohnzimmer in einem Sessel. Sie leidet an einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, hat heute aber einen guten Tag. Eine Enkelin kommt vorbei, es wird gelacht und viel erzählt.

Schwester Weyer-Müller fragt nach ihrem Befinden. „Es wird bestimmt besser“, sagt Frau K. Ihre Augen erzählen etwas anderes.

Herr K. scheint Probleme mit der Gesundheitsbürokratie zu haben. Er spricht viel, auch für seine Frau. Erzählt vom Alltag, den Arztgängen, dem langen Warten auf Bescheide und Heilmittel, die bestellt worden sind.

Martina Weyer-Müller hört ruhig zu, macht sich Notizen. Dann übernimmt sie einen Anruf in einem Krankenhaus.

Ihr Blick fällt auf einen Karton nebem dem TV. Sie weißt mit Nachdruck auf Probleme bei der Lagerung von Medikamenten hin – offenkundig nicht zum ersten Mal.

Mehr ist heute nicht zu tun. Frau K. wirkt gefasst, ruhig, es herrscht kunterbuntes Treiben um sie herum, eher Alltag.

Wäre da nicht Frau Weyer-Müller vom SAPV-Team: „Die Krankheit ist weit forgeschritten, das kann schnell kippen“, erklärt sie draußen vor der Türe.

Erreichbarkeit genügt

„Geplant sind zwei Besuche pro Woche bei unseren Patienten“, erklärt Stefanie Tillmann das Versorgungskonzept. Je nach Lage würde die Besuchsfrequenz angepasst. Bei Bedarf würde das Team auch mehrmals täglich bei den Patienten vorbeischauen. Vor allem wenn es auf das Ende zugehe.

„Davon abgesehen ist unsere Rufbereitschaft permanent erreichbar. 24 Stunden, sieben Tage die Woche, das ganze Jahr hindurch“, sagt Tillmann. Aber oft würde diese Rufbereitschaft überhaupt nicht genutzt.

„Patienten und Angehörigen genügt es meist schon, dass das SAPV-Team theoretisch erreichbar ist.“ Alleine diese Option nehme viel Druck aus der Situation zuhause.

„Bis nächste Woche!“

Wir erreichen nach kurzer Fahrt die zweite Patientin. Frau L. erwartet uns an der Wohnungstür. Die Begrüßung fällt herzlich aus. Langsam geleitet sie uns ins Wohnzimmer, schnappt zwischendurch hörbar nach Luft. Sie leidet an einer Lungenkrankheit.

„Mittwochs ist Schwester-Martina-Tag“, sagt Patientin Frau L. und freut sich auf den regelmäßigen Besuch, Foto: Holger Crump

Die wöchentlichen Besuche sind Zeit, die sie für sich alleine nutzen mag. Eine willkommene Abwechslung im Alltag mit Arztterminen oder Anwendungen. „Mittwochs ist Schwester-Martina-Tag“, sagt sie mit einem Leuchten in den Augen. Die Tür zu ihrem Mann bleibt während des Treffens verschlossen, hier grenzt sie sich ab.

Es sei ein gutes Gefühl unterstützt zu werden, meint sie. Hinterher wird klar, dass Frau L. zuvor mit Erstickungsanfällen häufig ins Krankenhaus musste. Mit der Unterstützung des SAPV-Teams konnte sie diese Klinik-Aufenthalte drastisch reduzieren. Dank kleiner Hilfen wie Meditation oder der Unterstützung bei der Einnahme von Medikamenten.

„Das sind kleine Stellschrauben an denen wir drehen“, sagt Schwester Martina, „aber es führt oft – wie bei Frau L. – zu einem deutlichen Plus an Lebensqualität.Auch jetzt werden die Medikamente für die kommenden acht Tage in einer Box zurechtgelegt.

Die Spenderbox hilft einer Patientin, zur rechten Zeit die richtigen Arzneien zu nehmen. Das kann mitunter lebenswichtig sein, Foto: Holger Crump

Währenddessen plaudert Frau L. über ihr Leben: Sie habe drei wunderbare Kinder, ein weiteres Enkelkind sei unterwegs.

30 Jahre sei sie als Physiotherapeuthin selbständig gewesen. Mit 50 habe sie angefangen zu malen. Die Wohnung wirkt fast wie eine geschmackvoll eingerichtete Galerie, an den Wänden unzählige Arbeiten von Frau L. Sie habe vor kurzem wieder zum Pinsel gegriffen. Hinter uns steht das neue Bild auf einer Staffelei, das wir stumm betrachten.

Die üblichen Utensilien einer Krankheit sind kaum im Raum zu entdecken. Bis auf einen Rollator und eine Kiste voller Medikamente.

„Ich bin nie in der Ecke sitzen geblieben, das mache ich auch jetzt nicht,“ betont Frau L. Warum das SAPV-Team vor Ort ist, das steht eher unausgesprochen im Raum. Es bahnt sich manchmal leise aber unerbittlich seinen Weg. Etwa wenn Frau L. einen ausgesprochenen Gedanken nicht beenden mag, eine resignierte Handbewegung macht.

Aber sie hat auch Wünsche: Ein deftiges, herzhaftes Essen – das wäre es!

Und sie lässt es sich nicht nehmen, uns wieder zur Türe zu bringen und zu verabschieden. „Bis nächste Woche“, winkt sie uns hinterher.

Verbannung kehrt sich um

Zuhause sein Leben beenden – das gehört längst nicht mehr zum Alltag. „Vor 20 oder 30 Jahren verschwand das Sterben hinter Krankenhausmauern. Vielleicht hatten die Menschen mit der fortschreitenden Entwicklung der Medizin einfach Angst, zuhause etwas falsch zu machen“, sagt Anne-Kathrin Müller. Aber auch Ängste vor dem Sterbeprozess und der mentalen Belastung hätten dazu geführt, das Sterben aus dem privaten Umfeld zu verbannen.

„Seit der Pandemie scheint sich dies zu ändern“, ergänzt Stefanie Tillmann. Es würde wieder mehr zuhause gestorben, die Nachfrage nach den Diensten der SAPV-Teams habe zugenommen.

Warum ist das so? „Die Corona-Regeln hatten dazu geführt, dass der Abschied von sterbenden Angehörigen oft am Telefon geschah“, so Tillmann. Das wollten viele Betroffene nicht mehr. Wenn möglich geht man den Weg nun wieder gemeinsam zu Ende. Mit dem Sterben in den eigenen vier Wänden. „Man kann zuhause nicht viel falsch machen“, fügt Tillmann hinzu.

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Letzte Hilfe: Wie kann man sterbende Menschen unterstützen?

Was kann man selbst tun, wenn eine Freundin oder ein Angehöriger im Sterben liegt? Wie kann man Sterbende unterstützen, kleine Hilfen geben, ohne selbst Arzt oder Pfleger zu sein? Ein kompaktes Seminar des Hospizvereins Die Brücke und der Privaten Trauerakademie Fritz Roth gibt Antworten – und zeigt: Sterben darf man immer noch zuhause, Angehörige können so viel nicht falsch machen.

Keine Energie für Mobbing

Auf dem Rückweg ins Vinzenz-Pallotti-Hospital: Frau Weyer-Müller berichtet über ihren Alltag. Einfach sei die Arbeit nicht, mit zunehmendem Alter werde man auch dünnhäutiger.

„Je älter ich werde, desto besser kann ich mich in die Lage der Betroffenen und Angehörigen hineinversetzen, man kennt die ein oder andere Situation aus seinem Privatleben.“ Und die Lebensbilanz, die viele Patient:innen ziehen würden – auch die werde für sie langsam zum Thema. Abhärtung durch den Job? Nein, das laufe eher umgekehrt.

„Eine schwere Arbeit lässt sich in einem guten Team leichter bewältigen als eine leichte Arbeit in einem schlechten Team“, betont die Palliativfachkraft die gute Zusammenarbeit mit den Kolleginnen. „Wir haben gar keine Energie für Mobbing.“ Hier müsse man sich aufeinander verlassen. Und das funktioniere gut.

Da würde auch mal eine Tour übernommen, wenn sich eine Kollegin an einem Tag nicht dazu in der Lage sehen, bestimmte Patient:innen zu besuchen. Ohne dass dies gleich zum Thema werde.

Der Regen hat nachgelassen, als wir am Krankenhaus ankommen. Unsere Wege trennen sich nach intensiven Stunden. Martina Weyer-Müller läuft kurz in die Räume des SAPV-Teams. Danach geht es weiter.

Heute warten schließlich noch eine Handvoll Patient:innen auf ihren „Schwester-Martina-Tag.

Gesten und Blicke

Der Abschied: Er gehört natürlich auch zum Berufsalltag von Anne-Kathrin Müller und Stefanie Tillmann und ihren Kolleginnen und Kollegen dazu. Auch wenn das Team bereits zahlreiche Patientinnen und Patienten betreut hat – einfach ist die Begleitung Sterbender sicher nicht.

Was motiviert die beiden Leiterinnen des SAPV-Teams?

„Die Dankbarkeit und Zufriedenheit der Menschen, das motiviert uns in der täglichen Arbeit“, fasst Müller zusammen. Etwa wenn es um das Lindern des Leids gehe. Aber auch einzelne Gesten und Blicke seien wichtig für sie: „Die Hand, die sich auf meine legt, spricht manchmal Bände.“

Wichtig sei für sie auch die Unterstützung der Angehörigen, ergänzt Stefanie Tillmann. Deren Trauerprozess beginne ja weit vor dem Tod. Zum Beispiel, wenn die lebensverkürzende Diagnose ausgesprochen wird.

„Der Tod zuhause leistet einen wichtigen Beitrag in diesem Prozess.“ Ihr sei wichtig, dies mit ihrer Arbeit zu ermöglichen.

Hilfe für Sterbende und Angehörige

Wer macht was, wo gibt es Hilfe bei der Betreuung von Sterbenden? Einen Überblick mit Adressen und Anlaufstellen im Rheinisch-Bergischen Kreis bietet bietet der Arbeitskreis Hospiz- und Palliativversorgung der Kommunalen Gesundheitskonferenz. Flyer und Broschüre stehen online beim Kreis bereit.

Das Palliativ- und Hospizzentrum des Vinzenz Pallotti Hospitals bietet verschiedene Formen der Unterstützung an:
– Palliativstation
– Tageshospiz
– Ambulante Dienste
– Trauerbegleitung
– Stationäres Hospiz

Die Dienste werden von den Krankenkassen übernommen. Hierzu ist die Verordnung eines Haus- oder Facharztes notwendig. Mehr Infos und Kontaktmöglichkeiten online

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ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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1 Kommentar

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  1. Danke für den Bericht! Die Mitarbeitenden des (Mettmanner) SAPV waren für meinen Vater und meine Mutter die wichtigste professionelle Hilfe während der Krankheit meines Vaters, an der er schließlich starb. Endlich waren da Menschen, die sich einfach um alles rund um die Versorgung meines Vaters gekümmert haben. Das nerven-, zeit- und kräftezehrende Laufen von Pontius zu Pilatus, um eine Verordnung hier und ein Hilfsmittel dort und einen Transport woanders zu bekommen, hatte endlich ein Ende, weil die SAPV-Mitarbeitenden sich um alles gekümmert haben.

    Das hat meinen Eltern gerade in den letzten Lebenswochen meines Vaters die Zeit und Ruhe gegeben, sich voneinander zu verabschieden. Sie wussten, dass der SAPV sich um alles kümmert, was mein Vater braucht, um nicht oder jedenfalls möglichst wenig leiden zu müssen. Eine ganz wichtige Einrichtung!