Der kleine Musiksaal „Sinngewimmel“ in Refrath hat sich mit selten gehörten Werken der klassischen Moderne und klugen Inszenierungen ein Stammpublikum erarbeitet. Hinter dem leicht skurrilen Namen stecken eine Pianistin und ein Pianist, die mit vielen Projekten in der Musikszene auf sich aufmerksam machen. Nare Karoyan erläutert, was sie antreibt, warum der Klimawandel die Kultur beeinflusst, und warum fühlen und verstehen dasselbe sind.
„Wir organisieren Konzerte, die wir selbst besuchen würden.“ So umreißt Pianistin Nare Karoyan ihre Vision des Sinngewimmel in Refrath. Seit 2017 leitet sie den kleinen aber feinen Kammermusiksaal in der Wilhelm-Klein-Straße. Gemeinsam mit dem Pianisten Florian Noack.
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Sie sind ein internationales Team und haben in Refrath die Nachfolge der Franz-Liszt-Akademie angetreten, die vorher in diesem Raum aktiv gewesen ist. Karoyan stammt aus Armenien, Noack ist Belgier.
Beide studierten Klavier an der Musikhochschule Köln. Sie eint die Vorliebe für eher selten gespielte Werke der klassischen Musik und deren unorthodoxe Inszenierung.
Darauf verweist schon der Name: „Sinngewimmel ist eine dadaistische Wortschöpfung“, schmunzelt Karoyan. Es gehe ihr und Noack um kulturelle Vielfalt, um Verknüpfung verschiedener Genres und Stile, um die Verbindung von Musik und Text – eine besondere Vorliebe von Nare Karoyan.
Aber die Vielfalt müsse eben „Sinn“ ergeben. Kein bunter Potpourri um seiner selbst willen.
Beethoven trifft Schönberg
Klingt etwas eigenwillig, sorgt aber für spannende Konzerte. So erwartet die Zuhörer:innen im März zum Beispiel ein Kammermusikabend, der Beethovens Eroica-Sinfonie in einer Transkription für Klavierquartett der „Ode an Napoleon“ von Arnold Schönberg gegenübergestellt.
Schönbergs Komposition verwendet nicht nur Versatzstücke aus der Marsellaise, der französischen Nationalhymne. Sie zitiert auch aus eben jener berühmten Beethoven-Sinfonie. Und verarbeitet zudem ein Schmähgedicht von Lord Byron auf den französischen Feldherren.
Da prallen musikalische Gegensätze aufeinander, vermengt mit deutlicher Kritik an Herrschaftsstrukturen. All dies formt das Sinngewimmel zu einem harmonischen Ganzen, vielleicht gar zu einer aktuellen politischen Botschaft, wenn man dies in den Plot hineininterpretieren mag.
Diese Form der unkonventionellen Konzertgestaltung zieht sich konzeptionell wie ein roter Faden durch das gesamte Programm des Sinngewimmel. Und macht den Reiz des Kammermusiksaales aus. Qualität und Konzept trifft auf Klassik.
So gab es in den vergangenen Jahren szenische Konzerte mit Lesungen, gemeinsame Konzerte von Musikschülern und Profimusikern. Aber auch Music-on-demand, wobei die Besucher:innen das Konzertprogramm ad hoc und live selbst bestimmten konnten.
Konzertvorschau: 2023 im Sinngewimmel
Donnerstag, 26. Januar, 19 Uhr
Benefizkonzert für Kinder in der Ukraine
Kyiv Tango Orchestra
Eintritt frei, Spende erwünscht
Samstag 28. Januar, 18 Uhr
Kammermusikabend Sergej Rachmaninow
Ella van Poucke (Cello), Caspar Vos (Piano)
Samstag 25. Februar
„Frei aber einsam“
Kammermusikabend für Klarinette und Klavier
Samstag 25. März
Kammermusikabend „Napoleon“
Werke von Beethoven und Schönberg
Tickets (20/10 Euro) an der Abendkasse mit Voranmeldung unter sinngewimmel@gmail.com
Sowie 2-in-1-Konzerte, bei denen im Sinngewimmel Klassik und Jazz kompakt in einem Konzert zu hören waren. „Das kommt gut an“, freut sich Karoyan, „das Publikum weiß, dass wir gute Qualität und spannende Formate bieten.“
Vielbeschäftige Solokünstler
Die beiden Betreiber des Sinngewimmel organisieren die Konzerte parallel zu ihrer Arbeit als freiberufliche Künstler. Florian Noack tritt als Solist bei Recitals und mit Orchestern auf, gewann bereits einen Klassik-Echo und hält eine Professur für Klavier an der Musikhochschule in Lüttich.
Der Fokus von Nare Karoyan liegt auf Kammermusik und Liederabenden sowie auf der Zusammenarbeit mit Schauspielern. Weiterer Schwerpunkt ist die Musik Armeniens.
So hat sie unlängst eine CD mit 24 Etüden der armenischen Komponistin Koharik Gazarossian (1907 bis 1967) aufgenommen. Ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk, viele der Etüden sind damit erstmals auf CD verewigt.
Hörtipp: Nare Kayoran im Gespräch mit dem Deutschlandfunk über ihre aktuelle CD mit 24 Etüden der armenischen Komponistin Koharik Gazarossian (1907 bis 1967), erschienen bei Piano Classics (Hörproben unter dem Link).
Für Nare Karoyan ist diese Auseinandersetzung mit armenischer Musik zudem ihr eigener Weg, um auf die komplizierte politische Situation in ihrer Heimat hinzuweisen.
Klima kontra Kultur
Rund acht bis neun Konzerte pro Jahr realisieren Karoyan und Noack derzeit im Sinngewimmel. Mehr geht angesichts des kleinen Teams derzeit nicht.
Bis zu 70 Besucher:innen kommen dann zu den Konzerten in dem kleinen, etwas verwinkelten Raum, der einen Steinway-Flügel beherbergt und eine passable Akustik aufweist.
Sinngewimmel e.V.
Wilhelm-Klein-Straße 18-20, 51427 Refrath
Newsletter-Abo und Ticketbuchung unter sinngewimmel@gmail.com
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Während der Pandemie sank die Zuschauerzahl. Aber auch das Klima macht dem Sinngewimmel zu schaffen.
„Im heißen Sommer 2022 hatten wir 28 Grad hier im Konzertsaal“, berichtet die Pianistin. Mit Eiswasser und Klimaanlage habe man versucht, den Aufenthalt für die Besucher:innen so angenehm als möglich zu gestalten. Und auch für das Instrument sei das Klima eine Herausforderung, gerade was die Stimmung betrifft.
Unter dem Strich schränke die Temperaturentwicklung den Zeitraum im Jahreszyklus ein, in dem Konzerte mutmaßlich noch stattfinden könnten, so Karoyan. Das sei eine weitere Herausforderung neben der zähen Resonanz des Publikums, das sich nach Corona schwerer mobilisieren lasse. Trotz Stammpublikum und einem Einzugsbereich über Bergisch Gladbach hinaus.
Den Gefühlen trauen
Gleichwohl, für 2023 hat das Sinngewimmel wieder eine Reihe von Konzerten geplant. So soll es Liederabende geben, zudem ist ein Streichkonzert mit Mitgliedern des WDR-Orchesters geplant.
Hinzu kommt Jazz sowie – wenn alles klappt – ein Konzert der Formation Damen und Herren Daffke aus Leipzig, mit Musik aus den 1920er und 1930ern.
„Man muss nicht immer erklären können, warum einem Musik gefällt“, so die Botschaft von Nare Karoyan an die Besucher:innen. Es genüge einfach die Bereitschaft, sich auf eine musikalische Reise einzulassen. „Fühlen und verstehen sind dasselbe!“ macht die Pianistin klar.