Vor Russlands Krieg gegen die Ukraine sind rund 1500 Menschen bis nach Bergisch Gladbach geflohen, unter ihnen zahlreiche Kinder im schulpflichtigen Alter. Wie sind die Kinder inzwischen angekommen? Was bedeutet das für die Schulen? Welchen Herausforderungen begegnen die Lehrer:innen? Wir haben uns am Gymnasium Herkenrath ein Bild gemacht.
Als vor einem Jahr so viele Menschen auf einmal aus der Ukraine kamen, stand das Gymnasium Herkenrath vor einer großen Herausforderung: „Wir hatten kaum Zeit, uns vorzubereiten“, erinnert sich Romina Matthes, stellvertretende Schulleiterin und Deutschlehrerin. „Innerhalb kürzester Zeit mussten wir alles umplanen, um möglichst vielen einen Platz in unserer Sprachfördergruppe anbieten zu können.“
Diese Sprachfördergruppe (SFG), die Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Altersstufen und verschiedenster Herkunftsländer beherbergt, besteht in Herkenrath bereits seit 2015 – und ist seither auch eigentlich permanent ausgelastet, erklärt Schulleiter Dieter Müller.
1500 Menschen haben seit Beginn des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine in Bergisch Gladbach Schutz gefunden. Darunter sind nach einer Abfrage des Schulministeriums NRW aktuell 242 Kinder und Jugendliche, die an den Schulen im Stadtgebiet untergekommen sind.
Das Problem: „Sprachfördergruppen dürfen das vorgegebene Maximum von 18 Schüler:innen nicht überschreiten“, erklärt Dieter Müller. Zudem kommen weiterhin auch Kinder aus anderen Ländern an die Schulen. 417 sind es laut Schulministerium zur Zeit in Bergisch Gladbach.
Die Zahlen spiegeln sich in Herkenrath wieder: Momentan stammt etwa ein Drittel der Schüler:innen in der SFG in Herkenrath aus der Ukraine, aber auch Kinder aus Indien, Syrien, Afghanistan, Polen und den USA sind Teil der Gruppe.
SFG und Regelklassen
Die SFG hat derzeit einen Klassenlehrer, der durch sechs weitere Lehrkräfte und die Sozialpädagogin Inge Langanki unterstützt wird. In der so genannten Erstförderung geht es darum, die Sprachkenntnisse der Kinder nach und nach aufzubauen und zu erweitern.
Der Großteil der ukrainischen Kinder habe die Sprache von Grund auf neu lernen müssen, sagt Matthes. Mithilfe von Aufgaben unterschiedlicher Anspruchsniveaus können die Lehrkräfte die Kinder individuell fördern. So wird anfangs zunächst mit Bildern gelernt, später setzen sich die Schüler:innen dann mit schwierigeren Themen der Grammatik auseinander.
Zwei Jahre haben die Kinder in der Regel Zeit, in der Erstförderung Deutsch zu lernen. In dieser Zeit haben sie 20 Stunden die Woche Unterricht in der SFG. Zusätzlich werden sie sukzessive in die Regelklassen integriert. Angefangen bei Fächern wie Kunst, Sport, Englisch und Mathematik, wo die deutsche Sprache nicht so essenziell ist.
In den Regelklassen schreiben sie nach und nach auch Klassenarbeiten mit. Die Noten ermöglichen den Lehrer:innen, die Leistungen der Kinder einzuschätzen und zu beurteilen, ob sie nach Ablauf der Erstförderung am Gymnasium bleiben oder besser auf eine andere Schulform wechseln.
„Wenn die Kinder irgendwann so gut sind, dass sie vollständig am Regelunterricht teilnehmen können, werden in der SFG wieder Plätze frei“, erklärt Matthes. Dadurch, aber auch durch Wegzüge können immer wieder neue Schüler:innen aufgenommen werden.
Doppelbelastung für die Kinder
Nachmittags können die Kinder und Jugendlichen AGs besuchen – besonders die Koch-, Hip Hop- und Fußball-AG seien gefragt, sagt Inge Langanki, denn: „Durch die Interaktion mit den anderen Kindern können hier Sprachbarrieren überwunden werden.“
Auch das Lernstudio steht den Schüler:innen der SFG offen, ein Förderkonzept, das es am Gymnasium schon seit Jahren gibt. Kinder und Jugendliche aller Jahrgangsstufen können hier in Betreuung von Fachlehrer:innen ihre Hausaufgaben machen und Fragen stellen.
Viele der ukrainischen Kinder nehmen nachmittags außerdem am Online-Unterricht mit ihren Lehrer:innen aus der Heimat teil. „Für die Kinder ist das eine echte Doppelbelastung und sehr stressig“, sagt Matthes. Ein Teil der Schüler:innen mache derzeit sogar online Abitur.
Vernetzung mit Naturfreundehaus Hardt
Inge Langanki hat in Zusammenarbeit mit dem Naturfreundehaus Hardt für die SFG ein neues Projekt ins Leben gerufen, das auch durch die Stadt unterstützt wird: „Ich, du, wir hier“. Langanki erklärt: „Gemeinsame Aktivitäten wie Bogenschießen, Schnitzen, Bauen und Spielen fördern die Integration und verbessern die Deutschkenntnisse.“



Auch weitere Aktionen wie das gemeinsame Plätzchenbacken in der Weihnachtszeit oder das Kochen in der Schulküche seien bei den Kindern der SFG gut angekommen, sagt die Sozialpädagogin.
An der Unterstufenparty zu Karneval konnten sie außerdem Kontakte zu Kindern außerhalb der SFG knüpfen.
„Mir gefällt es hier sehr gut“
Katerina und Diva haben sich in der SFG kennengelernt und angefreundet. Katerina stammt aus Mariupol in der Ukraine, Diva ist in Indien geboren und mit neun Jahren zunächst nach Dänemark gezogen. Sie besuchen auch die gleiche Regelklasse in der achten Jahrgangsstufe.
„Mir gefällt es hier sehr gut“, sagt Katerina. Der Unterricht, die Lehrer:innen, aber auch die Mitschüler:innen seien toll. Diva ergänzt: „Ich fühle mich auch sehr gut aufgenommen.“ Der Unterricht in Deutschland sei für sie schwerer als in Dänemark. Sie habe dort keine Klassenarbeiten geschrieben, sondern einen Nationaltest, der durch die Regierung gestellt wird.
Schwerpunkt: Ein Jahr Krieg in der Ukraine
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Katerina dagegen findet es deutlich angenehmer als in der Ukraine. „Hier haben wir in der Woche ein bis zwei Klassenarbeiten“, erzählt sie. In Mariupol habe sie vier bis fünf Klassenarbeiten am Tag geschrieben.
Beide gehen sehr gerne in die Regelklassen, auch wenn es nicht immer einfach für sie ist, alles zu verstehen. Mathematik können beide Mädchen aber schon sehr gut. Auch Freunde haben sie bereits gefunden. „Die Leistungen der zwei Schülerinnen sind sehr beachtlich“, lobt Müller.
„Schüler helfen Schülern“
Unterstützung erhalten die Kinder der SFG auch durch Oberstufenschüler:innen. Nach dem Prinzip „Schüler helfen Schülern“ sind sie für die Kinder Ansprechpartner:innen in der Schulzeit und lernen am Nachmittag mit ihnen gemeinsam Deutsch.
Hier gehe es besonders um die Beziehungsarbeit und den persönlichen Kontakt, sagt Langanki. Denn das sei viel mehr wert als die reine Förderung in der Fördergruppe. Den älteren Schüler:innen mache es sehr viel Spaß auszuhelfen.
Rückblick: 2015 bis heute
2015 kamen viele Kinder ohne Familien in Bergisch Gladbach an, sie waren zum Großteil auf sich allein gestellt. Die Sprachbarrieren waren damals deutlich größer, sagt Matthes, denn nur die Wenigsten konnten Englisch sprechen. Die SFG war bunt gemischt. Bis heute sind etwa ein Drittel der Kinder arabischsprachig.
Viele Kinder konnten damals gut integriert werden, andere waren wiederum stark traumatisiert. Sie mussten besonders betreut und unterstützt werden. Das engagierte Kollegium machte es möglich: „Viele der Lehrkräfte haben sich in ihren Freistunden ehrenamtlich um die Kinder gekümmert“, beschreibt Matthes. Sie haben etwa Kontakte zu Ärztinnen, Psychologen und Betreuerinnen hergestellt.
Das habe sich mittlerweile geändert: Für die Arbeit in der SFG werden die Lehrkräfte entlohnt. Elterngespräche und Vorbereitungen im Nachmittagsbereich werden allerdings weiterhin ehrenamtlich geleistet.
„Gegen Putins Krieg“: Schüler:innen formen riesiges Symbol der Solidarität
Statt Karneval zu feiern haben Schüler:innen der Realschule und des Gymnasiums Herkenrath eine besondere Aktion organisiert: Auf dem Schulhof formten sie ein riesiges Peace-Zeichen und eine Ukraine-Flagge. Gemeinsam gedachten sie in einer Schweigeminute der Opfer des Krieges. Sie wollen damit deutlich machen: „Wir stehen hinter der Ukraine, ihrer Freiheit und Souveränität.“ Eine Spendenaktion soll folgen.
Und es gibt weiterhin viel zu tun: Die Schule unterstützt die Ukrainer:innen, die hier angekommen sind, ohne sich zu registrieren. Stellt Kontakt zum Schulamt, Gesundheitsamt und zum Integrationszentrum her.
Immerhin sei die Kommunikation mit den Ukrainer:innen etwas einfacher, sagt Matthes. Viele hätten bereits ein paar Grundkenntnisse in Englisch und Deutsch. Dennoch werde bei wichtigen Gesprächen immer auf Sprachmittler:innen zurückgegriffen.
Die ukrainischen Kindern haben häufig bessere familiäre Strukturen vor Ort. Die meisten sind mit ihren Müttern oder nahen Verwandten nach Bergisch Gladbach gekommen.
Auch die Alphabetisierungsrate ist bei den Kindern deutlich höher als 2015. Kinder aus langjährigen Kriegsgebieten wie Syrien, aus dem Irak oder dem Iran mussten damals nicht nur die deutsche Sprache lernen, sondern auch das Schreiben und Lesen an sich.
Die Erfahrung der letzten Jahre spiegelt sich auch in den Schulbüchern, sagt Matthes: „Mittlerweile gibt es für viele Fächer – nicht mehr nur für das Fach Deutsch – geeignete Materialien für Kinder, die Deutsch als Fremdsprache lernen.“
Fortbildungen
Das Kommunale Integrationszentrum des Rheinisch-Bergischen Kreises bietet ebenso wie verschiedene Universitäten Fortbildungen und Kompaktseminare für Menschen an, die mit Geflüchteten arbeiten, um auf Traumata und Probleme zielgerichtet reagieren zu können. Ein Teil der Lehrkräfte greife auf dieses Angebot zurück, sagt Langanki.
„Es geht besonders darum, die Kinder richtig kennenzulernen und ihnen zuzuhören. Jedes Kind bringt seine eigene individuelle Geschichte mit, und auf jedes Kind muss dementsprechend unterschiedlich reagiert werden“, erklärt sie.
Ein Problem ist momentan vor allem, dass externe Fachkräfte wie Sonderpädagogen, Sozialpädagoginnen und Kinderpsychologen nur schwer zu finden sind.
Zudem wussten die Kinder 2015, dass sie sehr wahrscheinlich in Deutschland bleiben müssen – die Option einer baldigen Rückkehr gab es damals nicht. Einige ukrainische Familien sind dagegen der festen Überzeugung, dass sie bald zurückkehren können. Dadurch sei die Motivation Deutsch zu lernen manchmal nur gering, sagt Matthes.