Der Beigeordnete Ragnar Migenda mit Bürgermeister Frank Stein bei der Wiedereröffnung der Unterkunft auf dem Carpark-Gelände. Foto: Thomas Merkenich

Die Versorgung der Menschen aus der Ukraine und der Flüchtlinge aus anderen Ländern mit Wohnraum, Kita- und Schulplätzen überfordert Bergisch Gladbach zunehmend. Dennoch reagiert die Stadtverwaltung nur zögernd auf Forderungen des Integrationsrats und Sozialausschusses, einen Runden Tisch zum Thema einzuberufen.

1500 Vertriebene aus der Ukraine hat Bergisch Gladbach in einem gemeinsamen Kraftakt von Verwaltung, Hilfsorganisationen und Zivilgesellschaft in den vergangenen zwölf Monaten aufgenommen; zudem bietet die Stadt 700 Flüchtlingen aus anderen Ländern eine Bleibe. Ein großer Erfolg, der allerdings einige dunkle Flecken aufweist und zunehmend unter Druck gerät. Das wurde im Sozialausschussam Donnerstag deutlich.

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Rund zwei Drittel der Menschen aus der Ukraine wohnen in eigenen Wohnungen oder sind privat in Familien untergebracht, „nur 500“ versorgt die Stadt mit Wohnraum. Einige davon in Wohnungen der RBS, einige Hundert aber auch in den Containern auf dem Carpark in Lückerath oder gar in der Notunterkunft „Hermann-Löns-Hallen“. Davon, das berichtete die Verwaltung im Ausschuss, sind auch viele Kinder betroffen: im Carpark wohnen 25, in den Hermann-Löns-Hallen sogar 39.

Seit August auf einen Schulplatz warten

Wieviele Kinder aus der Ukraine keinen Kita- oder Schulplatz haben, dazu macht die Stadt keine Angaben; für die Kita-Aufnahmen sind die jeweiligen Träger zuständig, für die Schulen das Kommunale Integrationszentrum des Kreises. Das hatte zuletzt angegeben, 95 Prozent der Kinder- und Jugendlichen in eine Schule vermittelt zu haben.

Es gibt aber auch andere Fälle. „Ich kenne 15- und 16-Jährige, die seit August auf einen Schulplatz warten“, berichtete Brigitta Opiela (CDU), die in einigen Flüchtlingsinitiativen aktiv ist. Immer noch würden Kinder eingeschult, die kein Wort Deutsch beherrschten und auch keinen Stift halten könnten. Für die Integration dieser Kinder könne und müsse man mehr machen.

Unter den Ukrainerinnen seien viele Frauen, die arbeiten wollten und zum Beispiel als Erzieherinnen auch könnten. Zuvor müssen sie Deutsch lernen und sich einem Anerkennungsverfahren stellen – was sie als Alleinerziehende aber oft nicht können, weil es für ihre Kinder keine Betreuung gebe.

Runder Tisch könnte Ehrenamt mobilisieren

In diesem Zusammenhang verwies Opiela auf eine Forderung des Integrationsrates nach Einrichtung eines Rundes Tisches mit Vertretern von Verwaltung, Politik und Vertretern der Stadtgesellschaft. Damit könne man noch sehr viel mehr ehrenamtliche Kräfte aus der Zivilgesellschaft mobilisieren und die Integration deutlich unterstützen.

Ein Vorstoß, auf den sich der Beigeordnete Migenda nur sehr zögernd einließ. Die Verwaltung sei dazu nur bereit, wenn am Ende konkrete Ergebnisse erzielt würden. Mit einer weiteren Bestandsaufnahme und allgemeinem Wehklagen komme man aber nicht weiter.

„Sonst werden wir es nicht schaffen“

Nach einem Jahr Krieg und der Erkenntnis, dass viele der Vertriebenen so schnell nicht in die Ukraine zurück können sowie steigenden Flüchtlingszahlen aus anderen Ländern sei klar, dass konventionelle Lösungen nicht mehr ausreichen, warnte Migenda: „Wir müssen von den Standards abweichen, sonst werden wir es nicht schaffen.“

Was das bedeutet, erläuterte der Beigeordnete am Beispiel der Kitas. Schon lange gebe es zu wenig Plätze, für das nächste Kitajahr herrscht im Moment ein Defizit von 700 Plätzen. Wie mit den Sofortschulen bei den Grundschulen müsse die Stadt unkonventionelle Wege gehen – und Container aufstellen, „von der Stange“ bauen oder „Pop-up“-Kitas einrichten.

Wobei klar sei, dass die Verwaltung bei jedem dieser Projekte – wie bei den Sofortschulen – Gegenwind aus der Anwohnerschaft erhalte. Das sei auch klar, denn bei dem eng begrenzten Grundstückangebot in der Stadt komme es überall zu Nutzungskonflikten: Wo Sofortschulen oder Sofortkitas gebaut werden, fallen Spielplätze und Freiflächen weg.

Wo Flüchtlinge untergebracht sind könnten keine Kitas gebaut werden. Zum Beispiel das Carpark-Gelände: eigentlich sollte dort eine große Kita gebaut werden. Daraus, so Migenda, werde auf absehbarer Zeit nichts. Statt dessen werde die Containeranlage für die Flüchtlinge weiter ausgebaut.

Zum Beispiel in der Jakobstraße: Dort sollten die uralten Flüchtlingsunterkünfte eigentlich einer Kita weichen. Das Vorhaben sei aber blockiert, weil man die dort lebenden Menschen nirgendwo anders unterbringen könne.

Zwar habe die Stadt einige langfristige Entwicklungspotenziale, etwa durch den geplanten Umzug der beiden Berufsschulen auf das Zanders-Gelände. Aber das bringe erst langfristig Entlastung, jetzt gelte es ganz akut, für die nächsten zwei Jahre handlungsfähig zu bleiben.

Turnhallen bleiben außen vor – so lange wie möglich

Nach wie vor halte die Stadt an der Maßgabe fest, dass Turnhallen nicht wieder zu Unterkünften umfunktioniert werden. Aber angesichts der Weltlage könne man das eben auch nicht völlig ausschließen.

Etwas Entwarnung gab Fachbereichsleiterin Sabine Hellwig. Im Moment erfülle Bergisch Gladbach die Zuweisungsquote mit mehr als 100 Prozent, daher sei kurzfristig nicht mit weiteren Zuweisungen zu rechnen.

Eine Atempause, die vielleicht für die Etablierung eines Runden Tisches genutzt werden könnte. Am Ende der Debatte im Sozialausschuss war nur noch die Frage offen, wer ihn initiieren solle, Verwaltung oder Politik. Eine Frage, die Migenda nicht ad hoc entscheiden wollte – aber nun sehr schnell mit der Verwaltungsspitze besprechen will.

Journalist, Volkswirt und Gründer des Bürgerportals. Mail: gwatzlawek@in-gl.de.

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2 Kommentare

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  1. Ich bin sehr gespannt, ob dieser Runde Tisch echte Verbesserungen bewirkt. Dann müssten alle Beteiligten konstruktiv zusammenarbeiten und realistische Lösungsmöglichkeiten aufzeigen; es dürfte nicht nur geklagt und das aktuelle Vorgehen kritisiert werden. Es bedarf auch eines gewissen Realitätsbewusstseins, um zu erkennen, welche Handlungsoptionen die Beteiligten tatsächlich haben und dass z.B. zusätzliche Plätze in Schulen und Kindertagesstätten (einschließlich der entsprechenden Räume und der Lehr- bzw. Erziehungskräfte) nicht durch bloßes Diskutieren zu schaffen sind. Ich wünsche dem Runden Tisch folglich ein konstruktives Miteinander zugunsten der gesamten Stadtgesellschaft.

  2. Runde Tische sind (fast) immer gut.
    Für alle Bereiche sind sie GELEBTE Demokratie. (auch weil sie „alle“ Beteiligte einbezieht bzw neue gewinnt)
    Für die Ukraine (Flüchtlinge) auch und besonders, da leider leider leider die bisherige Solidarität nachlässt.