Natalia, Dmytro und Anna Riabokon in ihrer neuen Wohnung. Foto: Laura Geyer

Vor einem Jahr ist die Familie Riabokon aus der Ukraine nach Bergisch Gladbach geflohen. Wir wollten wissen, was im letzten Jahr alles bei ihnen passiert ist, wie es ihnen geht. Der 18-jährige Dmytro erzählt. Aus der Schule, aus dem Karneval, von seinen Plänen und von seinem Vater in der Ukraine.

Eineinhalb Tage war Dmytro Riabokon gerade in Bergisch Gladbach, als ich ihn kennenlernte. Er war bei einem Treffen in Refrath einer der wenigen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, der Englisch sprach. Das ist ein Jahr her. Als ich ihn jetzt frage, ob wir uns noch einmal treffen können, sagt er am Telefon auf Deutsch: „Bitte kein Englisch, ich habe alles vergessen!“

Wir verabreden uns für Sonntagvormittag in der Wohnung, in der die Familie inzwischen wohnt. Dmytro, 18 Jahre alt, öffnet mir die Tür, lächelt offen und freundlich. Seine Mutter Natalia taucht hinter ihm auf. Auch sie strahlt, begrüßt mich mit einem gut gelaunten „Guten Morgen!“

Tochter Anna, 13, folgt uns ins Wohnzimmer, ein bisschen schüchtern. Sie versteht schon viel, tut sich aber mit dem Sprechen noch etwas schwer, erklärt Dmytro.

„Ich will Deutsch lernen!“

Das Wohnzimmer ist aufgeräumt. Sofa, Fernseher, ein abgedecktes Einzelbett, ein Schreibtisch. Wir setzen uns aufs Sofa. Dmytro streckt die Beine aus, Natalia lacht: Er trägt die hellgrauen Häschen-Puschen seiner Schwester, Anna hat seine dunklen Filzpantoffeln an. Dmytro grinst und wackelt mit den Füßen. Er fragt, was ich wissen will.

Ich möchte wissen, was im letzten Jahr alles bei Familie Riabokon passiert ist. Dmytro zählt auf: „Neue Schule, neue Freunde, neue Wohnung.“

Er ist von der Förderklasse für Flüchtlinge am Albertus-Magnus-Gymnasium (AMG) inzwischen ans Berufskolleg gewechselt, nächstes Jahr geht es auf die Höhere Handelsschule. In seinem Fitnessstudio in Bensberg hat Dmytro einen deutschen Freund gefunden, auch den Sohn seiner Gastfamilie sieht er noch regelmäßig. „Ich sage ihnen immer: Redet nicht Englisch mit mir, ich will Deutsch lernen!“

Sigrid Quest mit Natalia, Anna, Dmytro und deren Großcousin Micha vor einem Jahr. Foto: privat

Zwei Zimmer in Refrath

Zwei Monate hat die Familie anfangs bei Sigrid Quest gewohnt, auch mit ihr habe ich damals gesprochen. Sie half der Familie, eine eigene Bleibe zu finden. Seit Mai wohnen die Riabokons nun in einer Zweizimmerwohnung in Refrath. Natalia teilt sich einen Raum mit Anna, Dmytro schläft in dem Einzelbett im Wohnzimmer. „Das ist mehr als genug für uns“, sagt er.

Bis heute hilft die ehemalige Gastmutter der Familie immer wieder, inzwischen vor allem mit Papieren oder offiziellen Anrufen. Dmytro sagt: „Wir sind ihr sehr dankbar.“

Seine Schwester Anna ist noch am AMG, sie besucht dort die Förderklasse und einzelne Fächer der achten Klasse. Und was macht sie sonst? „Ich spaziere mit meiner Freundin“, erzählt sie. Drei-, viermal die Woche macht sie das. Auch Fahrrad fährt sie gern.

„Ich helfe meinem Land, meinen Leuten“

Mutter Natalia lernt Deutsch an der Euroschule in Bensberg. „Morgen habe ich A2-Prüfung“, sagt sie, nachher muss sie noch dafür lernen. Sie möchte viel erzählen, muss zwischendurch immer wieder Dmytro um Übersetzung bitten oder benutzt aus Versehen ein englisches Wort und lacht dann über sich selbst.

Nach dem Unterricht hilft sie zusammen mit Anna mehrmals die Woche bei einer Organisation in Köln dabei, Pakete für die Ukraine vorzubereiten. Kleidung, Essen, Medikamente, sogar Rollstühle sind dabei. Ich frage, was das für sie bedeutet. Eine schwierige Frage. Mit Dmytros Hilfe sagt Natalia: „Ich helfe meinem Land, meinen Leuten.“

Leider habe sie bislang keine deutschen Freunde. Aber die anderen Ukrainerinnen, mit denen sie die ersten, ehrenamtlichen Sprachkurse in Refrath besucht hatte, sind zu engen Freundinnen geworden. Sie haben viel zusammen erlebt im zurückliegenden Jahr.

Natalia, Anna und Dmytro vor einem Jahr, an ihrem zweiten Tag in Bergisch Gladbach.

Der erste Karneval

Gerade erst sind sie gemeinsam im Refrather Karnevalszug mitgelaufen. Natalia steht auf, holt ihr Handy, zeigt mir Fotos von vielen Frauen und Kindern in blau und gelb, sie sehen fröhlich aus.

Dmytro wollte nicht beim Zug mitlaufen, hat aber in der Schule Karneval gefeiert. „Ich zeige dir auch ein Foto!“ Natalia reißt die Augen auf: „Mir auch bitte!“ Sie lacht. Schließlich holt auch Anna ihr Handy und zeigt ein kurzes Video von der Party am AMG.

Dmytro fragt: „Findet das wirklich jedes Jahr statt?“

Aller Voraussicht nach werden sie es nächstes Jahr wieder erleben. Denn ans Zurückgehen denken die Riabokons nicht. Sie hoffen vielmehr, dass der Vater irgendwann zu ihnen nach Deutschland kommen kann. Er arbeitet als Elektriker bei einer Firma in Dnipro, im Osten der Ukraine, und hält die Stellung im Haus der Familie.

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„Ich vermisse meinen Mann“

Natalia erzählt, dass er sich um den Hund und die Katze kümmert, die sie bei der Flucht zurückgelassen haben. „Seine Freunde“, sagt sie und lacht. Jeden Tag sprechen sie und die Kinder mit ihm.

Ich frage, wie es für sie ist, alleine mit den Kindern zu sein. Sie antwortet: „Meine Kinder sind sehr lieb. Aber ich vermisse meinen Mann.“ Seit 20 Jahren ist sie mit ihm verheiratet. Sie war 18, als sie ihn kennenlernte, 20, als Dmytro auf die Welt kam.

Anna und Dmytro wispern sich etwas auf Ukrainisch zu und kichern. Natalia sagt, „sie lachen über mein Deutsch“ und lacht auch.

Dmytro sagt: „In einem Jahr kann sie richtig sprechen. Dann kann sie anfangen zu arbeiten.“ In der Ukraine war Natalia Ingenieurin bei der Bahn. Die sei dort aber längst nicht so gut ausgebaut wie hier in Deutschland.

Dmytro findet es toll, dass er für ein paar Euro mit der Straßenbahn nach Bonn fahren kann. Oder in weniger als einer Stunde von Köln nach Frankfurt. „Wenn man von Dnipro nach Charkiw fahren will, muss man Tage vorher ein Ticket für den Bus reservieren, und das ist teuer!“

Und jetzt: Pfannkuchen!

Im April reist Natalia das erste Mal seit der Flucht für ein paar Tage in die Ukraine. Zu ihrem Mann. Ich frage, wie sich das anfühlt. Sie sagt „gut“. Dmytro sagt „schlecht“. Er hat Angst um seine Mutter. „Es fliegen immer noch Raketen.“ Die Angriffe sind zwar weniger geworden, aber die Lage ist unberechenbar.

Genau aus diesem Grund möchte er auch nicht wieder in die Ukraine. Er hätte dort letztes Jahr Abitur gemacht. „Natürlich könnte ich da studieren“, sagt er. „Aber wer weiß, was in einem Jahr ist?“ Lieber macht er hier die Schule fertig und schaut danach, was möglich ist. Vielleicht eine Ausbildung im Bereich Sport, das mag er sehr.

„Hast du alle Informationen, die du brauchst?“, fragt Dmytro. Habe ich. „Dann gibt es jetzt Pfannkuchen!“

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Laura Geyer

ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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1 Kommentar

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  1. Liebe Frau Geyer,
    vielen Dank für den einfühlsamen Artikel. Es ist gut, dass Dmytro, Anna und Natalia uns einen Einblick in ihr Leben geben. Die persönlichen Schicksale und die Gesichter der Menschen zu sehen, die unter diesem schrecklichen Krieg leiden, ist so wichtig! Durch Beiträge wie diesen wird einem wieder deutlich, warum wir im Kampf gegen Russland nicht aufgeben dürfen: wegen der ukrainischen Menschen. Ich wünsche Dmytro und seiner Familie alles Gute!