Das Kunstmuseum Villa Zanders zeigt Werke des Künstlers Martin Noël, der sich zehn Jahre lang mit dem Werk Otto Freundlichs befasst hat. Die Ausstellung, die bis zum 25. August läuft, zeigt, wie aus kopierten Fragmenten eine eigene Bildsprache wird.

Text: Antje Schlenker-Kortum. Fotos: Thomas Merkenich

Es gab und gibt immer wieder große Ausstellungen zu Otto Freundlich, der 1878 bis 1943 lebte. Warum braucht es noch eine weitere? Museumsdirektorin Dr. Petra Oelschlägel kennt mehrere Gründe: Otto Freundlich gilt als Wegbereiter der Moderne, dessen Werk lange von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Auch wenn die Aktualität bei der Ausstellungsplanung damals noch nicht ausschlaggebend gewesen sei, so habe Freundlich in der heutigen Zeit „eine tragische Aktualität“, betont die Kunsthistorikerin.

Hinzu kommt, dass seine Rolle in der Kunst bis heute nicht genügend beachtetet wurde, was aber auch daran liegen könnte, dass Otto Freundlich ein Künstler-Künstler sei und kein Publikumsmagnet.

Dr. Petra Oelschlägel erklärt die Vorgehensweise Martin Noëls in der Serie „Kleine Ottos“. Foto: Thomas Merkenich

„Künstler-Künstler“ nennt man in der Kunstszene die Künstler, die Vorbilder für andere Künstler/innen waren – weil sie etwas geschaffen haben, das so existenziell, so zeitlos ist, dass sich viele Generationen danach darauf beziehen. In der abstrakten Kunst gilt Otto Freundlich als solch ein zündender Faktor – das weiß man heute.

Der Bonner Künstler Martin Noël hat sich bis zu seinem frühen Tod 2010 von Otto Freundlichs Werk nicht nur inspirieren lassen – er hat sich abgearbeitet, zehn Jahre lang, in mehr als 200 Werken. Der Rheinländer, der 1954 geboren wurde, hatte bereits 1994 eine Einzelausstellung in Bergisch Gladbach; diese zweite Ausstellung blickt nun mit Abstand auf die künstlerische Entwicklung Noëls der letzten Jahre.

Künstlerische Freiheit und die Moderne

Was genau ist das Besondere an Otto Freundlich? 1978 in Pommern geboren, schuf er vor allem Gemälde, Holzschnitte, Mosaike und Glasfenster. Früh beeinflusst von der Pariser Avantgarde prägte er seinerseits die Anfänge der geometrischen Abstraktion und der natürlichen Konkretion; außerdem schrieb er philosophische Texte für expressionistische und dadaistische Zeitschriften und pflegte Kontakte zu den Kölner Progressiven.

Wie viele der „Künstler Künstler“ hatte auch Otto Freundlich ein zündendes Schlüsselerlebnis. Er restaurierte alte Bleiglasfenster, wie man sie beispielsweise in alten Kirchen findet. Vor der Arbeit skizzierte er mit dem Pinsel die farbigen Flächen der Gläser und ihre Bleiverbindungen dazwischen. Irgendwann setzte er die Flächen direkt nebeneinander: Stoß an Stoß, also ohne die trennenden Bleieinfassungen.

Und er sah im Nebeneinander der Farben, die ohne trennende Linien ungleich lebendiger erscheinen, eine künstlerische Übereinstimmung mit seinen sozialen Idealen.

„Komposition“, das Glasfenster (mittig) und der dazugehörige Entwurf mit Farbmustern, die mit Pinsel ausgeführt wurden (rechts): Originale von Otto Freundlich. Links „Otto #85 von Martin Noël. Foto: Thomas Merkenich

Freundlichs Texte und Kunst haben die Nationalsozialisten derart provoziert, dass sie ihn schließlich internierten und ermordeten. Freundlichs wohl bekanntestes Werk ist die Skulptur „Der große Kopf“; sie erlangte traurige Berühmtheit auf dem Cover des Katalogs zur „entarteten Kunst“.

Otto Freundlichs Werk wurde erst Jahre später gewürdigt, 1964 wurde es auf der Documenta in Kassel vorgestellt. Heute steht Otto Freundlich mehr denn je für die freie moderne Kunst – sein Tod gilt als Mahnmal für Freiheit, Toleranz und Menschenwürde.

Künstlerische Zitate

Der abstrakte Künstler Martin Noël sieht Otto Freundlich – sein Werk – das erste Mal in einer Ausstellung in Bonn und spürt eine Verwandtschaft zu seiner eigenen Arbeit, die geprägt ist von Linien und ihrem Wechselspiel mit Flächen und Farben. Und Noël begann fortan einen künstlerisch-metaphysischen Dialog mit Otto Freundlich.

Noëls Witwe Margarete und seine Tochter Cora erzählen, dass Noël das Grab besucht hat und Freundlichs Lebensraum, „das, was ihn umgeben und inspiriert hat“ aufgespürt und studiert hat. Im Nachhinein ist es schwierig, genaue Einflüsse zurückzuverfolgen. Im Ausstellungskatalog beschreibt Maria Müller Schareck das künstlerische Zitat als Verfolgung einer Spur, ganz im Sinne von „Spuren hinterlassen“ und „nachspüren“.

Cora Noël (mittig) und Margarete Noël (rechts), Foto: Thomas Merkenich

Martin Noël schuf prinzipiell keine Kopien: anstatt eine künstlerische Handschrift nachzuahmen, wollte er etwas real existierendes zeigen. Schon daher konzentrierte er sich auf einen Ausschnitt des Werks.

Für Noël war das die Linie – die für ihn das kleinste Element eines künstlerischen Ausdrucks ist. Konkret arbeitete Noël mit bestimmten Linien, die er Freundlichs Werken entnommen hat – Linien oder Abgrenzungen, die zwischen den aufeinanderstoßenden Farbflächen entstehen.

Noël überträgt diese nichtlinearen Linien akribisch – wie ein Restaurator – zumeist auf Papier, Linoleum und Holz. Statt vieler Farben, wie sie Freundlichs Kunst ausmachen, konzentriert sich Noël auf wenige Farben: meist die zwei Flächen, welche die „Linie“ begrenzen.

Dadurch ergibt sich ein weiterer Assoziationsraum: Während Freundlichs gleichberechtigte Farben für eine Utopie der Gesellschaft stehen, könnten die wenigen Farben Noëls das Individuum in seinen Wechselbeziehungen darstellen.

Meisterschaft

Noëls Bezüge sind weit verzweigt – ihre Spuren sind für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Noël hat selbst als Restaurator gearbeitet; er hat er seine künstlerische Vorgehensweise in Skizzenbüchern minuziös geplant und dokumentiert: Jeder Strich, jeder Farbauftrag wurde gedanklich vorbereitet und empirisch erprobt.

In der Villa Zanders werden die Arbeiten Noëls denen von Freundlich gegenübergestellt. In Vitrinen finden sich originale Dokumente, die aus Sammlungen geliehen wurden, Fotos, alte Magazine, Literatur – darunter einige mit persönlichen Kommentaren von Martin Noël.

„Die erste Linie kann jeder nachmachen, die zweite liegt im Gedankengut des Künstlers“

Martin Noël

Die Abarbeitung an Vorgängern, ja selbst die Kopie von großen Werken ist seit jeher traditionell im Kunsthandwerk und nicht nur dort. Das Kopieren eines Meisters ist eng mit dem Erlangen der eigenen Meisterschaft verknüpft. Das ist in vielen Kulturkreisen bis heute so.

Hierzulande wurde und wird – je nach Schule – kopiert, denn nicht selten ist „der Meister“ das Aushängeschild und Branding der Schule. Doch vieles kratzt nur an der Oberfläche und erzeugt die Illusion eines Stils.

Martin Noël hat das nicht gereicht. Im Studium habe er seine geistigen Vorbilder nicht gefunden, sagt Margarete Noël; er habe zeitlebens seine Lehrer selbst gesucht und das, was sie ihm beibringen konnten, aufgesogen – vor allem in Ausstellungen und in hunderten Katalogen.

Die Ausstellung der Villa Zanders und der umfangreiche Katalog sind eine echte Fundgrube für alle Kunstinteressierten – erst recht für die Künstler/innen, die auf den Spuren der Abstraktion wandeln.

Die Bildergalerie zeigt weitere Perspektiven der Ausstellung

Martin Noël – Otto Freundlich: Die Entdeckung der Moderne
Villa Zanders
Vernissage: 24. März 2024, 11.30 Uhr
zu sehen bis 25. August 2024
Geöffnet: Di und Do 14 bis 18 Uhr, Mi und Sa 10 bis 18 Uhr, So und feiertags 11 bis 18 Uhr.
https://villa-zanders.de

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3 Kommentare

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  1. was bitte bedeutet der Satz, dass Freundlichs Werk lange „von den Nationalsozialisten verfremdet wurde.“ direkt zu Anfang des Artikels?

    1. Die einfachste Erklärung wäre, dass die Autorin eigentlich „verfehmt war“ oder „verfolgt wurde“ (oder etwas Ähnliches) schreiben wollte, den Text mit „Word“ verfasst und darin leichtsinnigerweise die Autokorrektur aktiviert hat – und schon dachte diese schlecht programmierte Dauerbaustelle von Software mal wieder, sie wüsste es besser als die Autorin. Denn an Otto Freundlichs Werk wurde nichts verfremdet, es wurde als „entartet“ beschlagnahmt und teilweise vernichtet.