Nicht nur Treppen sind Barrieren für Menschen mit Behinderung, viele Barrieren befinden sich in unseren Köpfen und können zu subtilen Diskriminierungen führen. Im 2. Teil unserer Serie geht Gastautorin Monika Hiller der Frage nach, ob Behinderte einen Beruf und einen Job haben können.
Von Monika Hiller
Auf dem Flur des Rathauses meines damaligen Wohnortes.
Meinem Schwerbehindertenausweis, der bis dato immer lediglich um fünf Jahre verlängert wurde, sollte das Privileg zuteilwerden, unbefristet ausgestellt zu werden. Das bedeutete für seine Besitzerin, nämlich für mich, dass tatsächlich irgendein Entscheidungsträger bemerkt hat, dass ich wohl nicht mehr wachsen werde und sich auch sonst wohlmöglich nichts mehr an meiner Behinderung ändern wird.
Welch sagenhafte und nicht vorhersehbare Erkenntnis. Ich habe jetzt die amtliche Bestätigung. Wer hätte das gedacht!?
Nach einer längeren Wartezeit frage ich höflich in dem Büro, vor dem ich auf dem Flur sitze, nach, wie lange es noch dauern wird. Ich merke an, dass ich allmählich wieder an meinen Arbeitsplatz zurückkehren müsse. Die Verwaltungsangestellte schaut mich voller Verwunderung an „Sie gehen arbeiten?“ „Äh, ja!?“
Hinweis der Redaktion: Monika Hiller ist Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach und als Inklusionsbeauftragte für Inklusion und Abbau von Barrieren in der Stadt zuständig. Sie ist kleinwüchsig und gehbehindert.
Ich erinnere mich an damals, das Abitur fast in der Tasche und ein gereifter Entschluss in den Dienst einer öffentlichen Verwaltung einzutreten. Ja, das könnte mein Ding sein. Erste persönliche Sondierungsgespräche mit zuständigen Menschen einer Personalabteilung.
„Es tut mir sehr leid, aber das ABM-Programm für Behinderte ist ausgelaufen und es ist auch unklar, ob es verlängert wird“. ABM? Arbeitsbeschaffungsmaßnahme!? Ich war irritiert.
Nein, höre ich mich sagen, „ich bin auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz“. „Ach so!“ Mein Gegenüber sah mich an, als hätte ich in einer für ihn unverständlichen Sprache gesprochen. Ich werde nie erfahren, welche Gedanken er tatsächlich hatte, habe aber eine Vermutung.
Szenenwechsel
Nach meiner Knie-OP hatte ich mir in einem Sanitätshaus ein Reha-Sportgerät ausgeliehen, um zu testen, ob es mir bei bestimmten Übungen helfen könnte. Ich habe mich aber dann, vor allem wegen des hohen Kaufpreises, gegen eine Anschaffung entschieden.
Ich meldete dem Sanitätshaus, dass sie das Gerät bitte wieder abholen mögen. Es passierte lange nichts, dann kam ein Anruf. „Wir kommen morgen gegen 10 Uhr und holen es ab“.
„Entschuldigen Sie, aber dann ist niemand zu Hause, können wir einen anderen Termin vereinbaren? Vielleicht mal an einem Nachmittag ab 15 Uhr oder 16 Uhr, das könnte ich grundsätzlich schaffen, morgen ist mir das zu kurzfristig, ich muss ja auch planen.“
„Was glauben Sie eigentlich? Meinen Sie, meine Leute wollen nicht irgendwann mal Feierabend machen? Sie sind doch eh zu Hause und Sie haben doch immer Zeit.“
„Nein“, sagte ich noch und wollte mich erklären, merkte aber, dass mein Gesprächspartner schon aufgelegt hatte. Ich habe noch ein paar Male versucht, jemanden zum Abholen des Gerätes zu motivieren, ohne Erfolg. Dann scheint es ja nicht so dringend und nötig zu sein. Wo mag das Gerät wohl heute sein?
Szenenwechsel
Einmal in einem Café saß neben mir eine Dame mittleren Alters, ebenfalls mit einer Behinderung. Wir kamen ins Gespräch. Nach einer Weile fragte Sie mich, wie ich denn mit der Grundsicherung finanziell zurechtkäme und ob ich damit auskomme.
Ich musste kurz innehalten, um zu überlegen, was ich ihr antworten sollte. Tatsächlich habe ich mich nie damit beschäftigt, wie es sein könnte, mit Grundsicherung auskommen zu müssen. Ich habe mein ganzes Berufsleben gearbeitet und entsprechendes Gehalt bekommen.
Dass es Menschen gibt, die aufgrund ihrer Behinderung nicht im Lohn und Brot stehen, wurde mir mit einem Mal sehr bewusst. Ich antwortete ihr wahrheitsgemäß, dass ich keine Grundsicherung bekäme, sondern ein Gehalt von meinem Arbeitgeber beziehe. Sie schaute mich völlig verunsichert an.

(K)eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt?
Diese Geschichten ließen sich fortsetzen.
Aber warum ist das so? Warum gibt es scheinbar eine Generalannahme, dass Menschen mit Behinderung keiner Tätigkeit nachgehen (können) oder maximal in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten? Können die Meisten wirklich nicht genug leisten oder können sie wohlmöglich gar eine Bereicherung für nichtbehinderte Kollegen sein?
Artikel 27 (Arbeit und Beschäftigung) der UN-Behindertenrechtskonvention besagt:
Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.
Es scheint noch ein weiter Weg zu sein, Menschen mit Behinderung eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt zu geben.
Zu groß sind die Ängste der Arbeitgeber, ob ein behinderter Arbeitnehmer die erwartete und notwendige Leistung erbringen kann.
Zu pauschal ist die Annahme, das gelte für alle Menschen mit Behinderung und zu verführerisch ist der Gedanke, die Verantwortung an die Werkstätten für Behinderte abzugeben. „Die sind doch da viel besser aufgehoben.“
Unvorstellbar, dass es einmal anders sein könnte. Dabei gibt es so gute Modelle.
Wird es sich eines Tages doch ändern? Vielleicht ist es schlichtweg anders oder einfacher, als vermutet. Manche Unternehmen haben es schon geschafft und gute Erfahrungen gemacht, doch es sind noch zu wenige.
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz).
Diese Serie wird fortgeführt, mit Themen aus unterschiedlichen Lebensbereichen.
[Es schreibt der Mensch, der dieses Pseudonym seit mehreren Jahren nutzt und dessen Name der Redaktion vorliegt…]
Sehr geehrter anderer Bensberger,
Schwerbehinderte bzw. Menschen mit anderen Ansprüchen auf Nachteilsausgleiche profitieren aber nicht selten von denjenigen, die hartnäckig bleiben. Leider sind viele Betroffene häufig zu still und werden dann gerne „für die Quote“ vom Arbeitgeber mitgenommen. Und ein gewisser Teil der Menschen fordert eben auch gerne immer mehr, das ist aber nach meiner Einschätzung ein generelles Phänomen.
Ich finde das nicht richtig, als Schwerbehinderte mit Geh-Behinderung und 50 % in der Arbeit drin, keinen blauen Parkausweis zu bekommen. Das geht es ab 70 % Behinderung. Ich arbeite auch und nach der Arbeit einen Parkplatz zu kriegen ist in der Nähe in der Innenstadt fast unmöglich, von Kosten nicht zu sprechen.
Als Schwerbehindertenvertreter im Personalrat meines damaligen Arbeitgebers habe ich aber auch bei Mitarbeitenden Umgekehrtes erlebt: „Ich bin schwerbehindert und habe Anspruch auf …“ Das war zwar im Einzelfall nicht falsch, aber wenn eine (einzelne) Person dauernd neue Forderungen stellt, ist man selbst als Schwerbehindertenvertreter nicht mehr geneigt sich für diesen Mitmenschen einzusetzen. Die anderen Personalratsmitglieder und den Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass nicht alle Schwerbehinderte so sind, ist nicht leicht.
Schön und gut. Aber Hilfe gibt es fast nicht. Ich habe schlimme Arthrose im Fussgelenk. Jeder Schritt tut weh. Ich komme fast nicht mehr vor die Tür. Nur mit Rollator, den ich zur Seitentür ins Auto schieben muss. Manche Parkplätze sind zu eng, um den Rollator auszuheben bzw. Reinzuschieben. Aber keine Hilfe für Parkerleichterung.