Monika Hiller. Fotos: Thomas Merkenich

Unsere Kolumnistin hat ein Seminar besucht, in dem es um Barrierefreiheit ging. Und sie hat eine Menge gelernt. Allerdings nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Aber lesen Sie selbst.

Vor einiger Zeit hatte ich mich zu einem Seminar angemeldet. Es ging um das Thema Menschen mit Behinderung und Barrierefreiheit. Es war ein ganztägiges Seminar, welches in einem frisch saniertem Tagungshotel stattfinden sollte, Mittagessen inbegriffen. Also: Hingefahren und angekommen!

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Der Weg vom Eingang zu den Räumlichkeiten war zwar weit, aber immerhin gab es keine baulichen Barrieren. Einen Blindenleitweg konnte ich allerdings nicht entdecken, aber was will der Blinde auch bei einem solchen Seminar? Schließlich wird mit PowerPoint-Präsentation und Flipchart gearbeitet, kann er ja sowieso nicht lesen.

Zu Anfang diese üblichen Einweisungen eines Seminars, wann Kaffeepause, wann Mittagspause, wann Ende usw.. Es ging los! Die Themen plätscherten so dahin, es gab wenig Dozenten, die wussten wovon sie sprachen, beherrschten aber vorbildlich alle DINormen. Gott sei Dank. Die Mittagspause nahte. Man erklärte uns den Weg zum hauseigenen Restaurant. „Sie nehmen den Weg nach rechts, den langen Gang und dann die Treppe hinunter“.

Treppe? Toll! Ich frage nach dem  Lift. Das Tagungshotel ist ja gerade saniert worden.  Ich traf auf einen völlig verwirrten Mitarbeiter des Tagungshotels. Kurz überkam mich die Sorge, ich müsse ihm erklären, was ein Lift sei. Aber ich vernehme ein „Moment bitte“ und dann ein hektisches Telefonat. Als eigentliches Problem stellte sich heraus, es gab keinen Lift, der zum Restaurant führte, nur einen Lastenaufzug.

Der Mitarbeiter musste zunächst an höherer Stelle klären, ob dieser auch für Personen nutzbar ist und ob sicherheitstechnische Probleme geben könnte. Ich sehe ein, dass ich dem Veranstalter des Seminars nicht abverlangen kann, darauf zu achten, ob der Tagungsort barrierefrei ist. Denn, wenn es sich um ein Seminar handelt, welches das Thema „Menschen mit Behinderung und Barrieren“ behandelt, ist es ja völlig abwegig, dass diese auch selbst teilnehmen. Wie töricht gedacht!

Der engagierte Mitarbeiter bekommt von der „höheren Stelle“ das ok, den Lastenaufzug für meinen Transport in den Keller benutzen zu dürfen. Wir steigen gemeinsam ein und fahren in den Keller. 

Zur Autorin: Monika Hiller ist kleinwüchsig und gehbehindert. Sie ist als Inklusionsbeauftragte der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach für Inklusion und Abbau von Barrieren zuständig. Diese Serie soll für das Thema „Barrieren“ sensibilisieren.

Türen öffnen sich natürlich nicht selbsttätig. Aber es ja schließlich ein Lastenaufzug und ich habe ja noch meinen engagierten Mitarbeiter dabei. Naja, die Minuten vergingen. Meine Mitstreiter des Seminars hatten zwischenzeitlich wahrscheinlich schon ihr Mittagsmahl beendet. 

Wir standen mitten in der Küche! Leichte Irritation bei mir und bei den zahlreichen Köchen, doch der engagierte Mitarbeiter lotste mich zielgerichtet durch die Suppenküche, vorbei an den Vorspeisen, Hauptgerichten und der Patisserie. Eine Schwingtür eröffnete mir den Weg zum Restaurant. Ich war tatsächlich angekommen. Der engagierte Mitarbeiter versicherte mir, auch wieder für den Rückweg zur Verfügung zu stehen. 

Ich machte mich auf zum Buffet. Ich versuchte anhand der Halterung der Speisenwärmer, mit der ich auf Augenhöhe war, herauszufinden,  welche Hauptgerichte es wohl geben könnte. Leider waren die Halterungen alle gleich und insofern wenig hilfreich. Ob es anderweitige Beschriftungen gab, werde ich wohl nie erfahren. Aber gut, die Vorspeisen wurden auf einfachen Tischen gereicht. Die Chance für mich, etwas zu ergattern. Viel gab es nicht mehr. Dessert ist auch gut. 

Ich vertraute mich nach meinem spärlichen Mahl, es war ohnehin kaum noch jemand von den Seminarteilnehmern da, wieder meinem engagierten Mitarbeiter an, der mich sicher durch die mittlerweile halbwegs geputzte Küche wieder nach oben führte. 

Finde den Fehler

Das Seminar wurde fortgeführt. Ich bekam Tipps von Fachkompetenzen, was genau Menschen mit Behinderung benötigen, wie man Barrieren abbauen kann und überhaupt, was alles gut ist für diesen Personenkreis. Finde den Fehler: Ich erinnere mich an meine Mittagspause. Lastenaufzug, der Weg durch die Küche? Unerreichbare Speisenwärmer… Ist bald Kaffeepause? Ich habe Hunger, hoffentlich gibt es Kuchen. 

Gegen 15 Uhr ist es soweit. Türen und Fenster werden geöffnet und wir dürfen uns vor der Türe mit Kaffee und Kuchen bedienen. Ich stehe, scheinbar ratlos, vor der Tür, als mich jemand ansprach, ob er mir helfen könne. Ich denke wieder an die Inhalte es Seminars, als ich mich fragen höre „was gibt es denn“?

Ich kann es leider auf Grund der Höhe der Tische nicht sehen. Nachdem der nette Mensch mir ein Kuchenstück gereicht hatte, fragte er mich, ob ich noch Kaffee möchte. Natürlich möchte ich. Aber ich schaue mich um. Wohin ich auch blicke. Stehtische! Fein mit Tischdecke eingedeckt, vielleicht steht dort sogar ein Blümchen. Von unten sehen die Stehtische allerdings eher schlicht aus. Zu vernachlässigen, denn außer mir sieht das sowieso niemand.

Teller mit Kuchen und eine Tasse Kaffee gleichzeitig festhalten? Schwierig.  Ich könnte die Tasse über meinen Kopf hinweg auf einem Stehtisch abstellen. Hmm… wenig motivierend. Ich lehne also dankend ab, Kaffee ist sowieso nicht gesund und gehe zurück in den Seminarraum. Bedauerlich. Finden doch die wichtigsten Gespräch in den Pausen statt. Für mich nicht. Aber was sollte ich schon zum Seminarinhalt beizutragen haben?

Auch dieses Seminar endet irgendwann. Ich mache mich auf den langen, aber baulich barrierefreien Weg zum Ausgang. Draußen vor der Tür mache ich eine Pause. Ich treffe dort einen der Dozenten, der mich voller Sorge fragt. Sie werden doch abgeholt oder kann ich etwas für Sie tun? „Danke“, antworte ich, „mein Behindertentransportfahrzeug kommt gleich, um mich in meine Einrichtung zurückzubringen.“

Ich steige in mein Auto und fahre nach Hause.

In diesem Sinne, bilden Sie sich fort, es lohnt sich!

Alle Beiträge der Serie

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ist selbst kleinwüchsig und gehbehindert. Sie ist Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach und als Inklusionsbeauftragte für Inklusion und Abbau von Barrieren im Stadtgebiet zuständig. Die Texte dieser Serie sind reale Geschichten und sollen auf humoristische Weise für das Thema „Barrieren“...

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5 Kommentare

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  1. Frau Hiller, während ich Ihren ausgezeichnet verfassten Text lese, frage ich mich, woher Sie in dieser Situation immer noch ihren Humor nehmen. Ich selbst bin Rollstuhlfahrerin und empfinde solche Vorkommnisse als unzumutbar und inakzeptabel, insbesondere bei einem Seminar dieser Art.

    Seitens des Veranstalters hätte vorab für eine barrierefreie Location und einen barrierefreien Ablauf gesorgt werden müssen! Es scheint zudem, dass sowohl die unqualifiziert wirkenden Dozent:innen als auch die anderen Teilnehmer:innen jeglichen Verstand ausgeschaltet haben und wenig Solidarität an den Tag legen.

    Es ist bedauerlich, dass in der heutigen Zeit solche Realitäten immer noch existieren und zeigt, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention leider noch nicht in den Köpfen aller Menschen angekommen ist. Ich bin interessiert an den Reaktionen und Erklärungen der Verantwortlichen (z.B. der Veranstalter oder diejenigen, die das Tagungshotel ohne angemessene Barrierefreiheit errichtet haben), wenn sie konkret auf diese Diskriminierung und Missstände angesprochen werden.

    Wenn ich solche Geschichten höre, macht mich das unglaublich wütend und zugleich traurig. Ich hoffe inständig, dass Sie bereits Maßnahmen ergriffen haben und diese diskriminierenden Erfahrungen nicht einfach hingenommen haben.

  2. sehr schön geschrieben! Viel Geduld und Nachsicht müssen Sie haben, Frau Hiller!
    Erschreckend, dass niemandem peinlich ist, dass so ein Seminar so kurzsichtig und gedankenlos vorbereitet wird. Es erinnert mich an ein Inklusionsfilmfestival mit schönen Filmen zum Thema aber in Kinos, die nicht barrierefrei erreichbar waren. Im Cineplex Bensberg!

  3. Eine Frage Frau Hiller, die Sie aber nicht beantworten müssen, warum haben Sie vor Ort nicht den Veranstalter darauf angesprochen?

    Ich habe in meiner naiven Vorstellung mal im Rahmen eines Ausbildung-Projektes die Frage aufgegriffen, wie man die Bürozentrale Barrierefrei gestalten könnte um Menschen im Rollstuhl eine Ausbildung anbieten zu können. Ich hatte das große Glück einen Mentor zu haben, dessen Frau ebenfalls auf einen größeren Rollstuhl angewiesen ist.
    Letztendlich musste ich nach einem längeren Gespräch das Thema ausklammern, weil die Frage alleine ein extrem großes Projekt ist mit vielen tausend Dingen, die mir garnicht bewusst sind. z.B. was macht jemand mit einem Rollstuhl in der dritten Etage und der Feueralarm geht an.

    Danke für den Beitrag.

  4. Liebe Monika,
    sollte man bei solch einem Dilettantismus nicht Ross und Reiter (heißt Veranstalter des Seminars und das Tagungshotel) nennen, wenn die bei dem Thema nicht die durchgängige Barrierefreiheit für alle Teile des Seminarevents realisieren können?

    Danke für den erhellenden Beitrag.

    VG,
    Jürgen

  5. Vielen Dank für den spannenden und humoristischen Artikel. Ich bin selbst Rollstuhlfahrer und SBV in einem IT Unternehmen. Zu Stehtischen habe ich ein ähnlich angespanntes Verhältnis wie Sie. Ich freue mich, noch mehr von Ihnen zu lesen!