Monika Hiller ist Inklusionsbeauftragte der Stadt Bergisch Gladbach. Foto: Thomas Merkenich

Nicht nur Treppen sind Barrieren für Menschen mit Behinderung, viele Barrieren befinden sich in unseren Köpfen und können zu subtilen Diskriminierungen führen. Im 3. Teil unserer Serie berichtet Gastautorin Monika Hiller von ihren Erfahrungen beim Einkaufen.

Von Monika Hiller

Einkaufen gehen. Der Duden sagt: sich durch Kauf gegen Geld mit Waren für den täglichen Bedarf versehen.

Einkaufen gehen ist etwas, was viele tausend Menschen jeden Tag tun. Einkaufen gehen. Die einen machen es gerne, die anderen sehen darin nur die lästige Verpflichtung. Oft geht es um Lebensmittel und Körperpflegeprodukte.

Die Auswahl der Lebensmittel ist groß, neben kleinen Geschäften gibt es vor allem die großen Lebensmittelketten, die mit vier oder fünf Buchstaben und die mit den roten, blauen, gelben oder orangen Farben. Auch im Drogeriebereich gibt es die kleinen Geschäfte, aber auch die großen Ketten mit den zwei Buchstaben oder die eines Buchautoren. 

Große Handelsketten haben oft die Eigenschaft gleicher Strukturen. Einmal ein Leitbildeine Vision geschaffen, findet sich dies in nahezu allen Filialen wieder. Das geht von Geschäftsphilosophie bis hin zur Ladeneinrichtung. Das bedeutet, die Regale sind nahezu identisch, die Anordnung der Waren, die Einkaufswagen, die Kassentische usw. 

Leitbilder sind z.B.

  • Wir handeln für den Kunden – wir sind mitten im Markt!
  • Nah bei den Menschen
  • Unser Engagement zielt darauf ab, die negativen Auswirkungen auf Menschenrechte, zu denen wir beitragen, zu erkennen und zu beseitigen
  • Wir sind immer für unsere Kunden da
  • Wir übernehmen bei unserem Handeln Verantwortung gegenüber den Menschen
  • Die in den Nationalen Aktionsplänen der Länder verankerten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte stellen für uns die Basis dar, an der wir unser Handeln im Sinne der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ausrichten

Ja, ich habe eine Behinderung und ja, ich muss dann und wann auch mal einkaufen gehen. Ich mache es nicht immer gerne, aber bisweilen macht es mir schon Freude, neues zu entdecken.

Im Supermarkt: weit und tief

So auch an diesem Tag. Ich benötige ein paar Zutaten für das Abendessen. Auf dem Heimweg den Parkplatz eines Lebensmittelgeschäftes angesteuert. Prima, denke ich noch so bei mir, der Behindertenparkplatz direkt neben dem Eingang, so wie es auch sein sollte.

Damit ist der Laufweg nicht so weit. Denn alle gewünschten Waren während des Einkaufs in der Hand zu halten, ist mir zu viel.

Mein Blick schweift vom Eingang über den Platz, wo sind nur die Einkaufswagen? Ich sehe aus der Ferne eine Einhausung am anderen Ende des Parkplatzes. Möglichweise beherbergen Sie meine gesuchten Einkaufswagen. Und so ist es auch.

„Für unsere Kunden finden wir Lösungen, die das Leben leichter und angenehmer machen“.

Eine ausgesprochen gute Lösung für die Unterbringung von Einkaufswagen, welche damit verbunden ist, den Kunden, vor allem wenn er eine Gehbehinderung hat, bei Wind und Wetter über den ganzen Parkplatz zu schicken. Es macht das Leben des Kunden auch viel angenehmer und leichter, wenn er diesen Weg am Ende des Einkaufs insgesamt vier mal gegangen ist.

Ich bin endlich am Ziel angelangt und stehe mit einem Einkaufswagen, dem ich kaum Herr werden kann, im Markt. Ein weiteres Leitbild verrät mir „Das macht den Einkauf unkompliziert und entspannt“.

Bei näherer Betrachtung des Einkaufswagens ist meine Entspannung dahin. Mit einer Höhe, die in etwa meiner Körpergröße entspricht, ist er vor allem auch so tief, dass ich zwar Waren für die Verpflegung einer Fußballmannschaft in einem einzigen Wagen unterbringen könnte, es mir aber unmöglich ist, die Waren unkompliziert aus dem Wagen wieder herauszuholen. Es geht schlichtweg nicht.

Ich schaue mich um und finde eine große, leere Gurkenkiste aus der Gemüseabteilung und lege sie umgedreht in den Wagen. Es kann losgehen.

Dass nicht alle Waren in meiner Greifhöhe in den Regalen angeordnet sind, dafür habe ich Verständnis, obgleich es für mich einer größeren Bemühung bedarf. Aber schließlich kann man ja Kunden oder Mitarbeiter fragen.

Wenn denn jemand da ist…. „um als Handelsunternehmen erfolgreich am Markt agieren zu können, müssen wir die Bedürfnisse unserer Kunden kennen. Das können wir nur, wenn wir ihnen mit Aufmerksamkeit begegnen.“  

„Wir pflegen einen direkten Draht zu unseren Kunden und erfüllen deren Wünsche und Bedürfnisse“. Ob ich einfach mal fragen soll, ob sie niedrigere Regale aufstellen können? 

Im Drogeriemarkt: hoch

Aber dieser Einkauf ist irgendwann geschafft und ich sitze wieder im Auto, als mir einfällt, ich sollte noch einen Drogeriemarkt ansteuern.

Gesagt, getan. Der Einkauf verläuft reibungslos, kein überdimensionierter Einkaufswagen, Regalhöhen erträglich. Ich habe alles finden können und begebe mich zur Kasse. Ich stehe in der Schlange und frage mich: „Waren die Kassentische in den Filialen immer so hoch?“ „Nein, ganz gewiss nicht!“

Mit meinen 1,25 m ist das Förderband der Kasse für mich in Stirnhöhe. Es wird für den Rest des Kassentischs nicht besser. Ich bezahle und denke auf dem Heimweg nach. Zu Hause angekommen, setze ich ein Schreiben an die Geschäftsleitung auf und bitte um Erklärung:

Die Antwort lautete wie folgt:

Wir haben in der Tat unsere Kassentische dahingehend verändert, dass wir diese – auch aus Gründen der Ergonomie für unsere Filialmitarbeiter – von einem reinen Sitzarbeitsplatz in einen Steh-/Sitzarbeitsplatz weiterentwickelt haben. Dies ist in enger Zusammenarbeit mit den Filialkollegen und der Berufsgenossenschaft erfolgt. Dabei wurde selbstverständlich auch betrachtet, dass kleinwüchsige oder im Rollstuhl sitzende Menschen weiterhin ohne fremde Hilfe ihre Einkäufe auf die Kassenbänder legen können. In verschiedenen Filialtests wurde dies vor der serienmäßigen Auslieferung auch verprobt und von den betreffenden Kunden für „akzeptabel“ empfunden. Insgesamt sind die Kassentische nicht ganz 9cm „höher“ geworden“. 

Unweigerlich stelle ich mir folgende Frage:

Wenn die Kassentische vorher aus meiner Perspektive in Brusthöhe waren, beträgt wohl bei mir der Abstand von Brusthöhe bis Stirn 9 cm. Bedenklich! Und scheinbar bin ich mit 1,25 m extrem klein-kleinwüchsig. Ein Rollstuhlfahrer wird mit der Höhe des Kassentische auch seine Problem haben, wenn er Waren auf das Band legt.

Aber, erfreulicherweise gibt es den Leitsatz: „Sich die Probleme des Konsumenten zu Eigen machen“

Daher heißt es weiter in dem Antwortschreiben:

„In allen neuen Filialen seit Eröffnungsdatum 01.10.2017 und allen zwischenzeitlich umgebauten Filialen finden unsere Kunden also wieder Kassentische fast in der damaligen Ursprungshöhe vor.“

Finde den Fehler: Der Markt, in dem ich war, wurde 2020 neu eröffnet. 

Die Ziele der Leitbilder sind bemerkenswerte Ziele, sie reichen von der Dienstleistung am Kunden bis hin zur Würdigung von Menschenrechten auf der Ebene der Vereinten Nationen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt solche Menschenrechte für Menschen mit Behinderung. Die (Nicht)Umsetzung der Leitbilder lässt Zweifel aufkommen, ob das Recht z.B. auf Teilhabe (Art. 8 der Behindertenrechtskonvention) für Menschen mit Behinderung beim Einkaufserlebnis gelten soll oder überhaupt damit gemeint ist.

Ist die Behindertenrechtskonvention dem Vorstand großer Lebensmittel- oder Drogerieketten überhaupt bekannt?

Diese Serie wird fortgeführt, mit Themen aus unterschiedlichen Lebensbereichen.

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ist selbst kleinwüchsig und gehbehindert. Sie ist Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Bergisch Gladbach und als Inklusionsbeauftragte für Inklusion und Abbau von Barrieren im Stadtgebiet zuständig. Die Texte dieser Serie sind reale Geschichten und sollen auf humoristische Weise für das Thema „Barrieren“...

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