Familien tragen in der Pandemie viel zur Bewältigung der Krise bei. Home Schooling und Home Office senken das Risiko einer Infektionsausbreitung enorm. Doch wie erlebten Eltern die vergangenen Monate? Wo knirschte es bei der Doppelbelastung? Und welche Wünsche haben Eltern an die Politik, wenn die vierte Welle kommt? Die Ferien bieten Zeit für eine Bestandsaufnahme aus Elternsicht.
J. ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Die Kids (11, 12 und 15 Jahre) wohnen seit der Scheidung bei ihr. J. ist mit einer fast vollen Stelle in der Erwachsenenbildung berufstätig. In der Pandemie konnte sie ins Home Office wechseln, was die Situation aber auch nicht einfacher machte.
„Drei Kinder an zwei Schulen parallel zum Job zu betreuen – das war kaum machbar“, blickt J. zurück. „Es musste ja gehen – also ging es“, bringt sie die täglichen Mühen auf den Punkt. Aber es sei weder schön noch bereichernd gewesen. „Es war anstrengend, ermüdend und frustrierend“, so ihr Fazit.
Sie musste zu Beginn der Pandemie zusätzliche Geräte kaufen, damit ihre Kinder überhaupt am parallel stattfinden Home Schooling teilnehmen konnten. Zudem war ein schnellerer Internetanschluss notwendig, der dennoch nicht ausreichte: „Trotz höchster verfügbarer High-Speed-Internetverbindung war es mit vier laufenden Team- oder Zoommeetings und Telefonie über Internet schwer“, berichtet sie. Abbrüche der Verbindung, Neustart der Meetings, all dies reihum bei ihren drei Kids und ihren beruflichen Chats. „The Circle of Home Office Schooling“ nennt J. dies.

Nur das Nötigste
Ein zermürbendes Gefühl machte sich breit: „Meine Grenze war fast erreicht, nur leider geht es ja nicht anders, also schiebt man seine Grenze weiter nach oben“. J. berichtet von dem unguten Gefühl, überall nur das Nötigste geschafft zu haben, wenn überhaupt. „Nie fertig zu werden mit irgendetwas. Fehlende Zeit für die Kinder, fehlende Zeit für die Arbeit.“ Das war ein Dauerzustand in der Pandemie.
Dennoch: J. und ihre Kids haben in der Pandemie gelernt, Verständnis für die Situation der anderen zu entwickeln. Sie wisse nun besser wie hoch die Anforderungen der Schule an die Kinder seien. Und ihre Kinder wüssten nun, was es bedeute, wenn Mama mittags mal „nebenbei“ etwas koche.
Freistellung der Eltern
Sollte es wieder zu einem Lockdown mit Lernen auf Distanz kommen, hat J. ganz konkrete Wünsche, damit das Home Schooling besser funktioniert:
So sollten Eltern für die Betreuung der Kinder zuhause ohne finanzielle Einbußen freigestellt werden, die Schulen richtige digitale Konzepte vorhalten. „Keine abfotografierten Buchseiten als Anhang einer Email“, meint J. bitter. Die Lehrer:innen sollten im Bereich Distanzlernen fortgebildet werden, und alle Kinder die gleichen technischen Voraussetzungen haben.
„Nehmt die Kinder als Mitmenschen wahr, als so wichtigen Teil der Gesellschaft“, so der Appell von J. an die Politik. Ihrer Ansicht nach würde die Politik die Kinder vergessen, ignorieren, in wichtigen Fragen übergehen. Sie verweist auf außerschulische Bildungsangebote, die in Präsenz, ohne Testungen und ohne Masken stattfänden.
Und sieht den Bedarf für Investitionen in die Infrastruktur: „Schulen gehören gut ausgestattet, ordentlich in Stand gehalten und mit ausreichend Technik bestückt,“ fordert die berufstätige Mutter.

Zu wenig Steckdosen
JK ist Vater eines Fünftklässlers. In seinem Haushalt gebe es schnelles Internet und vernünftige Hardware, erzählt er. „Ich weiß aber von vielen Kindern, die durch überlastete Internetleitungen und fehlender Geräte nicht uneingeschränkt am Unterricht teilnehmen konnten. Das Smartphone als einziges Gerät ist nicht angebracht“, so seine Erfahrung.
Auch in den Schulen sei die Ausstattung nicht ausreichend. Es fehle im Klassenraum seines Sohnes an Steckdosen. Das Internet sei zu langsam, um mehrere Schüler:innen online arbeiten zu lassen.
Zwar hätten einige Lehrer:innen mit Kreativität das Lernen auf Distanz gestaltet. Aber: „Nur bedingt nachvollziehbar für uns Eltern ist, dass die Unterrichtsstunden nicht 1:1 wie im Stundenplan umgesetzt wurden. Teilweise gab es nur nur fünf oder sechs gemeinsame Unterrichtssitungen pro Woche“, meint JK. Die Kinder würden eine Tagesstruktur benötigen.
Auch der Umfang der Hausaufgaben sei schwierig gewesen: „Bei online verschickten Aufgaben stimmte oft nicht das Maß und manchmal blieb auch das Feedback zu digital übermittelten Aufgaben aus.“
Stundenpläne 1:1 umsetzen
„Unterricht in der Schule kann nicht ersetzt werden!“ so das Fazit von JK aus dem zurückliegenden Pandemie-Schuljahr. Dauerhaft müssten die Klassen verkleinert werden, die Stundenpläne digital 1:1 umgesetzt werden.
JK ist zudem die Chancengleichheit der Bildung wichtig: „Die Kinder müssen gleich ausgestattet werden, was Programme, Hardware und Internet betrifft.“ Zudem sollten diese stärker geschult werden, der Umgang mit Programmen und Hardware vermittelt und nicht einfach nur vorausgesetzt werden.
JK bedankt sich bei den Lehrer:innen, die „in überwiegender Zahl“ die Kinder durch viel Engagement unterstützt hätten. Es bleibt jedoch ein gewisses Maß an Skepsis: „Die Zukunft wird zeigen, wie unsere Kinder das fehlende Miteinander verdauen und kompensieren.“

Gemeinsam lernen
Familie R. berichtet, dass den Kindern vor allem der soziale Austausch mit den Schulkamderaden gefehlt habe. „Wenn möglich würde ich mich mit anderen Eltern zusammentun, so dass zumindest mit einer Freundin zusammen gelernt werden kann“, erklärt die Mutter.
Auch wenn die Technik-affine Familie gut ausgestattet sei müsse das Equipment optimiert werden, da nicht alle Apps auf allen Geräten laufen würden. Und bei vier parallel stattfinden Videocalls würde auch ihre Internetverbdinung schlapp machen.
„Die Zeit für die Betreuung war immer ein Drahtseilakt“, sie hätten die Home Office-Termine um das Home Schooling „herum gelegt“, so dass es passte. Mit der Impfung könnten nun die Großeltern auch wieder mit eingeplant werden, sollte es nochmal zum Home Schooling kommen.
Andere Schulen hätten das Essensgeld nur von jenen Kindern eingesammelt, die tatsächlich in der Notbetreuung waren. „Ich habe es einfach akzeptiert und hatte keine Energie mich dagegen zu wehren, aber gerecht fand ich es nicht“, meint die Mutter im Gespräch.
Die gemeinsame Zeit zuhause habe Licht und Schatten gehabt. Immer erreichbar, kein richtiger Feierabend, das war weniger gut. Aber es hatte auch positive Seiten: „Je nach Zeit war auch mal ein Nachmittagsausflug unter der Woche drin!“
Familie R. appelliert an die Politik, Schulschließungen nur als allerletze Maßnahme anzugehen, „vor allem bei jüngeren Kindern.“ Statt Schließungen sollte in bessere Konzepte wie Outdoor-Unterricht oder in Luftfilteranlagen investiert werden.
Abwechslung beim Koller
L. berichtet von guten Erfahrungen in der Pandemie. „Das lag sicher an vielen Faktoren, die so leider nicht auf alle Familien zutreffen.“ So könnten sie und ihr Mann von zuhause aus arbeiten, bei freier Einteilung der Arbeitszeit. „Da bleibt meistens auch Zeit, für die Kinder ansprechbar zu sein und im Zweifelsfall helfend zur Seite zu stehen“, berichtet die berufstätige Mutter.
Zudem waren die Lehrer:innen der Schule bei Fragen oder Unklarheiten stets präsent und erreichbar. „Das gab uns ein sicheres Gefühl“, sagt Frau L. Ohnehin seien die Kinder mit den gestellten Aufdgaben gut zurecht gekommen.
Dennoch: Sie berichtet von Dünnhäutigkeit, die sich mit der Zeit breit machte. Von Tagen, an denen sich Stimmung und Motivation „Richtung Keller“ aufmachten. Von Streitigkeiten, die eskalierten. „Aber auch hier war es hilfreich, als Eltern zu zweit zu sein, so dass man sich beim „Koller kriegen“ abwechseln konnte.“
Mehr Planbarkeit und Flexibilität
An die Politik richtet sie den Wunsch, Entscheidungen früher bekannt zu geben, „so dass auch insbesondere die Schulen mehr Zeit haben sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen.“ Zwar sei dies in einer dynamischen Lage nicht immer einfach. „Aber häufig wurden Neuerungen kurz vor dem Wochenende mitgeteilt, wodurch viele Schulen und auch die Eltern nicht selten vor vollendete Tatsachen gestellt wurden,“ so der Eindruck von Frau L.
Zudem appelliert sie an mehr Flexibilität. So hätte man den Unterricht doch in leerstehenden Theater- oder Kinosälen realisieren können. Oder hätte selbstfinanzierte Filteranlagen aufstellen können – wenn nötig bezahlt aus eigener Tasche. Dass dies nicht realisiert werden dürfe, sorgt für Kopfschütteln.
Auch das Vertrauen in die Politik leide. Frau L. verweist auf die „offensichtlich falsch dargestellten Zahlen“ im Kreis. Dies trug zur Unsicherheit bei – was sich kritisch in der ohnehin belastenden Pandemie ausgewirkt habe.
Einschulung in der Pandemie
Familie H. betreute zwei Kinder während der Pandemie im Home Schooling. Das jüngere Kind wurde im Sommer letzten Jahres eingeschult. „Die erste Zeit war ein ziemliches Wirrwarr, Angst und Unsicherheit hatten die Oberhand“, berichtet die Mutter. Die Arbeitgeber hätten sich aber kulant gezeigt, so dass die Betreuung zuhause kein Problem war. OGS nimmt die Familie nicht in Anspruch.
Zur Betreuung habe sie sich zunächst Urlaub genommen, „da wir die Großeltern komplett raus lassen wollten“, berichtet sie. Nach der Einschulung des jüngsten Kindes sei der Lockdown anstrengend gewesen, aber sie habe auch erlebt dass sich die Geschwister gegenseitig Sicherheit und Vertrauen gaben. Man sei davon ausgegangen, dass der Ausfall des Präsenzunterricht nicht allzulange dauern werde.
Schulisch gab es durch den immer länger währenden Lockdwon dann doch Höhen und Tiefen. „Was den Unterricht anbelangt waren alle ziemlich durcheinander. Jetzt merkte man sehr intensiv wie wichtig und gut der persönliche Kontakt ist – schulisch sowie privat“ erzählt Frau H.
Bezüglich des Pensums beim Home Schooling sieht ihr Mann noch Potenzial. Frau H. betreute die Kinder im Distanzunterricht und schätzt es anders ein: „Ich fand gerade gut das dieser Druck nicht ganz so arg da war.“ Die Lehrer:innen hätten ihr Bestes gegeben. Wünsche an die Politik habe man keine. Die Situation sei so noch nie da gewesen, es sei dann schwierig darüber zu urteilen was man habe besser machen können.

Wunsch nach Normalität
Fazit: Die Familien kamen unterschiedlich gut durch die Pandemie, je nach individuellen Ressourcen. Die Doppelbelastung aus Home Schooling und Home Office zehrte an den Kräften. Mal mehr, mal weniger. Über allen Stimmungsbildern liegt der Wunsch nach Normalität.
Deutlich wird auch, dass bei einigen Familien nicht mehr viel Luft nach oben ist. Benötigt werden also clevere Ideen, wie der Ausfall des Präsenzunterrichts bei einer möglichen neuen Corona-Welle verhindert werden kann. Ob die Politik die zweiten Sommerferien in Zeiten von Corona endlich für die Entwicklung neuer Ideen abseits von Lüften und Masken nutzt, ist offen.
@Ein Vater: Die Anschaffungen von technischen Geräten sind für viele Haushalte doch nur ein Problem geworden, weil sich vorher nicht darum gekümmert wurde.
Siehe Mutter J. mit ihren drei Kindern unterschiedlichen Alters. Jedes dieser Kinder hätte schon längst, zum Teil mit Monaten oder Jahren Abstand, auf jeden Fall vor Corona, ein eigenes Gerät haben können (mMn. sollen). Und das müssen keine High-End Geräte sein.
Mein Tipp für Sparfüchse: Nach gebrauchten Thinkpads schauen, aufgrund des Anwenderkreises, meistens in guten Zustand.
@ Kai:
Du schreibst offentsichtlich aus einer sehr priviligierten Blase heraus…. Anders kann ich den Kommentar nicht deuten.
Homeschooling hat in diesem Land gleichermaßen viel Leid gebracht, die Statistiken zeigen es und das Equipement das du aufführst ist, insbesondere für Familien mit vielen Kindern und geringem Einkommen, ganz eindeutig eins -> „Luxusgegenstand“ .
Im Punkt Schulpflicht / Bildungspflicht stimme ich Dir, aus anderen Beweggründen, 100 Prozent zu!
Na, wir haben das Homeschooling sehr gut überstanden, oder anders ausgedrückt, wir würden gerne dabeibleiben. Meine Tochter hat riesige Sprünge gemacht, und ist im Stoff der aktuellen Klasse schon weit voraus. Selbst sie hat keine Lust mehr, in große Klassen zurück zu kehren, und würde sogar, wenn möglich, komplett auf Heimunterricht umsteigen. Leider in Deutschland nicht möglich, da wie üblich in anderen Ländern, es keine Bildungspflicht, sondern Schulpflicht gibt.
Und ein Absatz aus dem Artikel lies mich sauer aufstoßen:
„Zudem sollten diese stärker geschult werden, der Umgang mit Programmen und Hardware vermittelt und nicht einfach nur vorausgesetzt werden.“
DAS ist die Aufgabe der Eltern. Wie kann es sein, das im Jahre 2021, die aktuelle Generation der Kinder, von ihren Eltern keinen Umgang mit aktuellen Alltagsgegenständen vermittelt kriegt. Desktops, Laptops, Tablets und co. im Privatbereich sind schon lange keine Luxusgegenstände mehr, sondern Alltagsgegenstände geworden.