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„Stillllleben“ – die neue Ausstellung des AdK unter dem sperrigen Titel wirft einen zeitgenössischen Blick auf ein scheinbar althergebrachtes Sujet der Kunst. Die hintersinnig ausgewählten Exponate von 28 Künstler:innen demonstrieren nicht nur die Weiterentwicklung der Kunstgattung, die heute weit mehr als „schöne Dinge“ zum Gegenstand hat. Sie sind zugleich als Spiegel einer Gesellschaft in der Pandemie zu verstehen.

„Stillleben“ – auf den ersten Blick kommt das Format bieder und angestaubt daher. Geht es darin doch um die Darstellung toter oder lebloser Gegenstände. Um die Vergänglichkeit, Leben und Sterben. „Nature morte“ heißt es nicht umsonst im Französischen. Gemeint ist die künstlerische Komposition unbeseelter, verblichener Dinge. Aber auch die Schönheit der Dinge.

Wer hinter der aktuellen Ausstellung des Arbeitskreises der Künstler (ADK) in der Volkshochschule nun die Tristesse toter Hasen, drappierter Fasane oder leuchtender Obstschalen vermutet, wird eines Besseren belehrt.

„Stillllleben“ – Eine zeitgenössische Betrachtung der alten Kunstgattung
Arbeitskreis der Künstler Bergisch Gladbach e.V.
Bis zum 27. Oktober 2021 in der VHS, Haus Buchmühle
Geöffnet montags bis freitags von 8 bis 21 Uhr
Weitere Infos beim AdK im Web

Die Künster:innen des AdK werfen in ihren Arbeiten einen beherzt frischen Blick auf das Sujet. Und leisten damit einen sehenswerten Beitrag zur Entwicklung dieses Genres. Das wirft die Frage auf: Worin unterscheiden sich zeitgenössiche Stillleben von ihren klassischen Vorgängern?

Weniger Moral, mehr Medien

„In alten Stilleben gab es oft einen versteckten moralischen Hinweis“, erklärt Birgit Voos-Kaufmann vom AdK. Man denke nur an die reifen Früchte als Allegorie der menschlichen Lust.

Dies sei heute kaum noch der Fall, vielmehr spiele man mit expliziten Themen. In der Arbeit von Daphne Koll wird dies besonders deutlich. „Frost“ (2021, Tusche und Tempera auf Papier) stellt Nahaufnahmen des weiblichen Körpers dar, die dennoch nie exhibitionistisch sind. Der Fokus lässt vielmehr neue Strukturen in dem Ensemble erkennen. Erst nach und nach setzt das geistige Auge sie zu einem Ganzen zusammen.

Links: Rosemarie Steinbach-Fuß, Dies ist keine Zeichnung, 2021, C-Print auf Leinwand, 60x80cm; rechts eine Arbeit von Eneka Krämer-Razquin, Foto: Thomas Merkenich

Klar, Stillleben bedienen sich auch neuer Medien. So hat die Fotografie längst Einzug in das Genre gehalten, „Dies ist keine Zeichnung“ von Rosemarie Steinbach-Fuß (2021, C-Print auf Leinwand) sollten Besucher unter diesem Aspekt ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. Die Arbeit ist verblüffend, zugleich von morbider Schönheit.

Abstraktion, Provokation, Ironie

Früher undenkbar, heute kein Thema: „Moderne Stillleben bedienen sich der Abstraktion“, sagt Christine Burlon vom AdK. Die Ausstellung verdeutlicht dies u.a. mit den Arbeiten von Eneka Krämer-Razquin (z.B. „Why not“, 2019, Mixed Media auf Leinwand, siehe Aufmacherbild). Da quellen üppige Bouquets aus der Leinwand, getragen von einem Vexierspiel aus massiven Kristallvasen.

Mary Bauermeister ist mit dem Fluxus-Objekt „Unser tägliches Brot“ (2021) zu sehen und stellt die Knappheit an Nahrungsmitteln dem Irrsinn der Körperoptimierung mit Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln gegenüber.

Alo Renard thematisiert die Konsumgesellschaft, indem er eingeschweißte Fleischstücke kunstvoll und damit umso absurder arrangiert („Verpacktes Stillleben, 2001, Acryl auf Leinwand).

Mechtild Stroß, Vorräte, 2015 bis 2020, Holz Papier, Stein, Eisen, Kunststoff, 21x28x8cm, Foto: Thomas Merkenich

Mechtild Stroß bricht die Inszenierung alter Meister und bastelt ein Stillleben in der Kiste („Vorräte“, 2015-2020, Holz, Papier, Stein, Eisen, Kunststoff).

Gisela Eich-Brands ergänzt in ihrer Arbeit die Komposition von Brot durch Lebensmittelmarken („1948“, 2021, Collage).

„Provokation und Ironie dürfen auch ein Wesensmerkmal heutiger Stillleben sein“, verweist Burlon auf die Arbeiten. Sie kommen teils mit einem Augenzwinkern daher, stoßen Denkprozesse der Betrachter an.

Rahmenprogramm

Führung: im Rahmen der Seniorenkulturwoche GL
Donnerstag, 16. September 2021, 16:30 Uhr, Anmeldung bis 12. September per Mail an b.voos-kaufmann@web.de

Improvisationstheater: Reaktionen des Ensembles „Stegreif + Partner“ auf „stillllleben“, Donnerstag, 30. September 2021, 18:30 Uhr

Recycling

Burlon selbst ist mit Collagen vertreten die zeigen, dass Recycling in den kreativen Prozess einfließen kann. Ihr Werk „Die sogenannte Realität“ (2020/2021, Collage) setzt auf Trouvaillen des täglichen Gebrauchs aus dem Industriezeitalters, die sie gekonnt entblößt (Tüten) oder als verborgene Schönheit entlarvt.

So taucht eine Obstverpackung aus Pappe in völlig neuem Kontext auf. Vielleicht auch ein Verweis auf die Obstschalen der alten Meister in deren Stillleben.

Zwei Werke von Birgit Voos-Kaufmann, links mit dem Titel „Instabil“, 2020, Öl auf Leinwand, 50x60cm, Foto: Thomas Merkenich

Birgit Voos-Kaufmann recyclelt Übertöpfe auf eine ganz andere Art, spielt bei „Instabil“ (2020, Öl auf Leinwand) mit der Schwerkraft und irritiert den Betrachter auf den zweiten oder auch erst dritten Blick. Kurios, fein und meisterlich hintersinnig.

Schönheit der Dinge, Vergänglichkeit

Dennoch: Das zeitgenössische Stillleben hat sich nicht komplett von seiner Historie verabschiedet. Schönheit und Vergänglichkeit der Dinge stellen auch heute noch eine wichtige Grundlage dieses Sujets dar, wie die aufwändig komponierten Arbeiten von Barbara Stewens zeigen („Schattenspiele“, 2021, FineArtPrint auf Aludibond).

Auch bei Elisabeth Schwamborns „Palingenesis“ (2021, Taschenuhr, Spiegelscherben, Tierschädel auf recycelter Kartonage) ist die Endlichkeit wohl inszeniert und führt zugleich auf wohltuende Weise den Kadaver-Kult von Waidmännern vor.

Die Ausstellung „Stillllleben“ des AdK zeigt: Das nunmehr fünf Jahrhunderte überdauernde Sujet ist wunderbar aktuell. Die klug gewählten Exponate des AdK machen deutlich, welch enormes Potenzial eine scheinbar ausgelatschte Kunstgattung noch in sich trägt. Freilich nur, wenn man sich ihr öffnet und die Kunstgattung selbst die Evolution ihrer Inhalte, Techniken und Botschaften zulässt.

Spiegel der Pandemie-Gesellschaft

Vielleicht bietet „Stillllleben“ aber noch mehr: Die ausgestellten Arbeiten können auch als Auseinandersetzung mit der Pandemie, der Stille des Lockdown verstanden werden. So ist der Ausstellungstitel nicht nur als clever gemachte Überschrift zu verstehen.

Künstler:innen der Ausstellung „Stillllleben“ des AdK
Mary Bauermeister, Renate Berghaus, Christine Burlon, Jutta Dunkel, Gisela Eich-Brands, Martin Elsässer, Sigrun Haserich, Gerda Heudorf, Wolfgang Heuwinkel, Myriam Hofer, Edda Jende, Heike Kehres-Woost, Daphna Koll, Karin Koesler-Klietsch, Christel Klemke- Krocker, Eneka Krämer-Razquin, Verena Kupper, Dagmar Laustroer, Helga Mols, Alo Renard, Petra Schiefer, Elisabeth Schwamborn, Gisela Schwarz, Rosemarie Steinbach-Fuß, Barbara Stewen, Mechtild Stroß, Birgit Voos-Kaufmann, Waltraud Wolf

Einige der ausstellenden Künstler:innen des AdK, Foto: Thomas Merkenich

Insofern ist die aktuelle Ausstellung des AdK eine wichtige und mit Freude am Werk inszenierte Schau. Treibt sie das Stillleben doch in seiner Ästhetik voran, verleiht der Entwicklung Impulse, zeigt die volle Breite mit Arbeiten in Öl, Installationen, mit Fotografien, Skulpturen oder Mixed Media.

„Die fünf L bringen den Lesefluss zum erliegen und bremsen das Wort aus“, schreibt Christine Burlon im Vorwort zum Katalog. Ausgebremst war das Leben aller, der Künster:innen und der Betrachter. Die Stillleben, die teils in der Pandemie entstanden sind, sind damit auch als Spiegel einer Gesellschaft in einer Ausnahmesituation zu verstehen.

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ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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1 Kommentar

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  1. Herzlichen Dank an das Bürgerportal für den prägnanten Bericht von Holger Crump zur AdK Austellung in der VHS. Die zahlreichen Fotos von Thomas Merkenich sind, wie stets, ein Lichtblick.