Foto: Holger Crump

Der Kultursommer bietet sogar der Musik der Moderne einen Raum: Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire Op. 21“ war gleich zweimal in der Stadt zu hören. Eine mutige Entscheidung, die durch eine fesselnde Aufführung belohnt wurde.

„Einen wundervollen dunklen Nachmittag“, begrüßte Tanja Heesen die Zuschauer am Samstag im Spiegelsaal des Bergischen Löwen. Passend zu Schönbergs „Pierrot Lunaire“, was übersetzt vielleicht „Mond-Clown“ heißen könnte, war der Raum abgedunkelt.

Eine clevere Inszenierung von Heesen, ermöglichte es den Zuhörer:innen doch die volle Konzentration auf Text und Musik. Pierrot Lunaire, das sind 21 Gedichte in drei Zyklen des Lyrikers Albert Giraud, die den „Nachtweg eines Pierrot auf einem alptraumhaften Pfad beschreiben“, so die Regisseurin.

Referenz für atonale Musik

Arnold Schönberg vertonte den Gedichtzyklus als Auftragswerk für Kammerensemble (Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Cello, Klavier) und Sprech- bzw. Singstimme. Das Werk ist ein Wegbereiter der Moderne, auch wenn es noch nicht auf der Zwölftontechnik basiert, die Schönberg erst später entwickeln soll.

Pierrot Lunaire steht für die klassisch atonale Komposition und setzt in dieser Hinsicht Meilensteine in der Tonsprache. Sie ist frei, setzt kaum auf Motive, entwickelt keine Melodien im engeren Sinne, fasziniert vielmehr durch einen impulsiven Duktus, wechselnde Rhythmik, fordernden Klang.

Das verleiht Schönbergs Musik Frische, Kraft, Dynamik. Sie kommt schillernd und eloquent daher, scheint auf einen Urknall zuzulaufen, entführt die Zuhörer:innen bisweilen aber auch weit weg in die Einsamkeit ferner Welten (Klangbeispiel mit Noten).

Purer Musikgenuss

Und diese Welten prallten bei der Entstehung der Komposition 1912 in der Tat aufeinander: Kulturell, aber auch politisch. Schönbergs Musik, entstanden am Vorabend zweier Weltkriege: Es fällt schwer, die Ästhetik nicht als Vorahnung zu deuten. Wenn die Welt dem Abgrund entgegen taumelt, kann auch die Musik nur wenig Halt bieten.

Hatte das Werk bei seiner Uraufführung noch für einen Skandal gesorgt, bietet es aus der Perspektive heutiger Hörerfahrung einfach puren Musikgenuss.

In Bergisch Gladbach perfekt dargeboten durch den musikalischen Leiter der Aufführung, Roman Salyutov. Er führte das Kammerensemble sicher und ohne Mätzchen durch die komplexe Partitur, hatte ein feines Gespür für die nicht einfache weil immens fordernde Dynamik des Werkes.

So gelang dem Ensemble (Nandin Baker – Flöte, Flöte piccolo / Alexander Morogovski – Klarinette / Michael Kibardin – Violine / Jurate Cickeviciute – Viola / Lev Gordin – Cello / Iris von Zahn – Klavier, Anna Herbst – Rezitation) mit verblüffender Leichtigkeit der Spagat zwischen den Extremen der Komposition: Von einem Walzer mit drastischer Kakophonie (Valse de Chopin) bis hin zum leisen Duett zwischen Rezitation und Flöte (Der kranke Mond).

Der Pierrot, wandernd in der Nacht, sinnierend: Da spürte der Zuschauer den kalten Tau, spähte mit Pierrot ängstlich durch das fahle Mondlicht, erdrückende Einsamkeit zum Greifen nah, die Gedanken werden zum Zerrbild.

Exzellente Rezitation

Diese großartige musikalische Leistung des Ensembles wurde auf der Bildebene mit Videoprojekten fortgesetzt. Tanja Heesen knüpfte an die Texte an, fand Bilder von morbider Schönheit, gleich einem Absinthrausch, die nie banal, aber auch nie zu weit weg vom Thema waren.

Eine Wohltat im Vergleich zur Videokunst, die sonst so gerne den Betrachter quält und eifersüchtig dessen Aufmerksamkeit für sich zu pachten versucht – anstatt sie bei der Musik zu belassen.

Unbedingt erwähnenswert die Leistung der Rezitatorin Anna Herbst: Mit traumwandlerischer Sicherheit navigierte sie durch die wahnwitzigen Untiefen des Texts und der Gesangs- bzw. Sprechpartitur.

Herbst sorgte mit einer äußerst präzisen Aussprache für bestes Verständnis der Textebene. Eine unglaubliche Bandbreite an menschlicher Artikulationsfähigkeit, die sie da an den Tag – pardon – an die Nacht legte. Zischend, fauchend, klar und brillant jubiliernd bis hin zu erdenschwerer Sorge, die sie in die Stimme legte.

Pierrot Lunaire im Kultursommer: Da wurde Sprache zur Musik, und Musik zur Sprache.

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ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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2 Kommentare

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  1. Erfreulich, dass Schönberg aufgeführt wurde. Sehr erfreulich sogar. Aber was um Himmels willen soll die „klassische Moderne“ in der Musik sein? Das ist eigentlich ein kunstgeschichtlicher Begriff, der in erster Linie die bildende Kunst betrifft und als Bezeichnung für eine Musikepoche zumindest sehr unüblich ist.

    Zugehörig zur (zweiten) Wiener Schule war Schönberg ein Vertreter der Moderne (oder weiter gefasst der Neuen Musik). Hier und da hatte er eine Nähe zum Neoklassizismus, aber das dürfte wohl kaum gemeint sein.

    Vielleicht kann der Autor hier aufklären.