Junge Menschen in Bergisch Gladbach leiden immer häufiger und stärker an psychischen Erkrankungen, das Jugendamt ist überlastet, in den Kitas fehlt es an Plätzen und Personal. Wie ernst die Lage der Kinder trotz aller Bemühungen von Verwaltung und Politik ist, wurde jetzt im Jugendhilfeausschuss deutlich. Wir bearbeiten einige Kernfragen dieses Mega-Problems.
Im Jugendhilfeausschuss der Stadt Bergisch Gladbach sitzen jene Vertreter:innen der Fraktionen und der Trägereinrichtungen, die ziemlich gut wissen, wie die Lage der Kinder und der sie stützenden Einrichtungen ist. Und dennoch zeigten sich viele von ihnen schockiert über die Berichte, die ihnen am Donnerstag vom Jugendamt präsentiert wurden. Und mehr als nur frustriert von den mühseligen Versuchen, endlich allen Kindern wenigstens einen Kita-Platz anbieten zu können.
Die Lage ist komplex, vieles hängt mit vielem zusammen, und oft dreht sich die Debatte im Kreis. Daher werfen wir die wichtigsten Fragen auf – und tragen die Antworten zusammen.
Wie geht es den Kindern und Jugendlichen in GL?
Im Jugendamt ist der Fachdienst „Eingliederungshilfe“ für die seelische oder psychische Gesundheit der Kinder zuständig – und zwar immer dann, wenn die Belastungen so groß werden, dass die Teilhabe in der Gesellschaft (und dazu gehört auch die Schule) gefährdet ist. Mitarbeiter:innen des Fachdienstes stellten jetzt im Jugendhilfeausschuss ein kurzes Lagebild vor – mit ein paar drastischen Fakten:
- Die Zahl der Fälle, bei denen eine Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit drohe, sei in den vergangenen drei Jahren um rund 50 Prozent gestiegen, aktuell betreue das Jugendamt mehr als 400 dieser Fälle.
- Der Anteil der Jugendlichen, die unter schweren psychischen Erkrankungen litten, sei deutlich nach oben gegangen – wahrscheinlich in Folge von Corona.
- Die Familien dieser Kinder sind sehr hoch und oft vielfach belastet, etwa durch die steigenden Lebenshaltungskosten oder dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
- Die Zahl der Fälle, in denen Erstklässler bereits am ersten Schultag vom Unterricht „suspendiert“ werden, weil ihr Verhalten nicht tragbar gewesen sei, sei deutlich nach oben gestiegen – und habe in diesem Schuljahr deutlich über zehn gelegen.
Was hat es mit „Schulsuspendierungen“ auf sich?
Diese „Suspendierungen“ als Ausschluss vom Unterricht für bestimmte Zeit komme vor, bestätigen Schulvertreter im Ausschuss. Ein solcher Ausschluss sei extrem hart, aber immer dann nötig, wenn eine Gesundheitsgefährdung drohe, der Betroffenen selbst oder der Mitschüler:innen.
In der Regel werde anschließend eine Schulbegleitung beantragt, wofür aber eine Diagnose einer Psychologin oder eines Psychologen erforderlich ist. Das dauere dann Monate, wenn nicht das ganze erste Schuljahr – und sei für die suspendierten Kinder natürlich eine Katastrophe, erläutert Frau Schewe-Rempe, Fachberaterin der Stadt für psychische Erkrankungen.
Diese Kinder fallen oft bereits in der Kita auf (wenn sie eine besuchen), berichteten Kita-Vertreterinnen im Ausschuss. Die Eltern werden dann frühzeitig beraten und ermutigt, eine Begleitperson bei der Bezirksregierung zu beantragen – was die Familien in der Regel aus Furcht vor einer Stigmatisierung nicht machten.
Wie ist das Jugendamt personell ausgestattet?
Wie viele Dienststellen der Stadt leidet das Jugendamt unter Personalmangel, ausgerechnet die Bezirkssozialarbeit mit der Eingliederungshilfe (Abteilung 5.51) ist besonders stark betroffen. Dazu legte Fachbereichsleiterin Sabine Hellweg nach einer ersten Überlastungsanzeige im Dezember jetzt einen neuen Sonderbericht vor, der als ernster Alarm-Ruf verstanden werden muss.
Die Lage sei seit einigen Jahren „durch massive Fluktuation geprägt“, die Neubesetzung der Stellen werde immer schwieriger. Im Ergebnis müssten immer weniger und immer weniger erfahrene Kräfte immer mehr Fälle bearbeiten. Zum Teil seien gar keine Mitarbeiter:innen mit langer Erfahrung mehr da, um die Neuen einzuarbeiten.
Ende März seien in der Bezirkssozialarbeit 27 Prozent der Stellen unbesetzt gewesen. In Kombination mit Erkrankungen und Urlauben habe das zu „extrem hohen Fallzahlen je Fachkraft“ geführt. Inzwischen sei es zwar gelungen, sieben neuen Mitarbeiter:innen einzustellen, die aber zunächst eingearbeitet werden müssen.
Die hohe Arbeitsbelastung führe verstärkt zu Anträgen auf Teilzeit – weil das Arbeitsaufkommen bei einer vollen Stelle psychisch nicht zu bewältigen sei.
Wie sind die Rahmenbedingungen?
Überall herrsche Mangel, berichten die Jugendamts-Vertreter:innen. Bei den Fachärzten gebe es lange Wartezeiten, was die Diagnostik und den gesamten Hilfeprozess sehr verzögere.
Immer mehr Einrichtungen fahren ihr Angebot zurück oder schließen ganze Gruppen – womit für die Jugendlichen immer „ein Stück Heimat“ verloren gehe.
Es gebe keine spezialisiert stationäre Einrichtung für die Aufnahme von gefährdeten Jugendlichen in Bergisch Gladbach – und zu wenig Plätze in der Region. Daher fresse die Suche nach einem geeigneten Platz bei geplanten stationären Unterbringungen oder Inobhutnahmen in akuten Gefährdungs- und Notsituationen immer mehr Zeit.
Die Arbeitsbedingungen für das Jugendamt in den alten Stadthäusern seien alles andere als optimal.
Wie beurteilt das Jugendamt die Lage?
In seinem Fazit kommt das Papier des Jugendamtes zu einem bürokratisch formulierten, aber alarmierenden Schluss: Es könne „derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass sich die angespannte Personal- und Arbeitssituation auch auf das Gefährdungsrisiko der jungen Menschen und Familien in Bergisch Gladbach auswirkt.“
Auf Nachfragen redet Abteilungsleiterin Anna Ahlers Klartext: Ihr junges Team sei sehr gute ausgebildet und hochqualifiziert, aber die ständige Überlastung führe zur Arbeit im Akkord, die Kontakte zu den Familien ginge verloren „und wir werden zu Fallmanagern – aber genau das wollen wir nicht.“ Die Wartelisten bedeuteten auch, dass eine mögliche Prävention wegfalle und vielen Familien nicht geholfen werden könne.
Wie reagiert das Jugendamt auf die Notlage?
Da es nicht möglich sei, „alle Anliegen und Anträge kurzfristig zu bearbeiten“, werden die Fälle von Anfang an streng priorisiert, heißt es in dem Bericht. Ganz oben an stünden die Fälle, wo eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls zu befürchten ist. Alle anderen Anliegen würden mit „deutlich längeren Bearbeitungszeiten oder verkürzten Abläufen bearbeitet“.
Sie kenne kein Jugendamt, sagt Abteilungsleiterin Ahlers, das eine gute Strategie habe – „aber wir müssen eine Lösung finden“.
Mit einer Lösung kann auch der Beigeordnete Ragnar Migenda nicht dienen. Die Probleme der Demographie und des Fachkräftemangels könne man nicht in Bergisch Gladbach lösen, da müsse die Landes- und Bundespolitik ran.
Der lokalen Politik bleibe nur, im kleinen Rahmen zu regeln, „was geht“. Ein paar Lichtblicke gebe es immerhin: neben den gerade erfolgten Neueinstellungen sei das auch die Perspektive auf den baldigen Bezug eines neuen, modernen Stadthauses.
Weitere Ansätze waren im Verlauf der Sitzung zusammen getragen worden: die Präsenz der Sozialarbeit in den Schulen, eine bessere Vernetzung aller öffentlichen und freien Akteure, Infoabende in Kitas und Schulen, die Einführung von Verfahrenslotsen, die Schaffung stationärer Plätze und die stärkere Arbeit mit den Kindern.
Und verlässliche Kita-Plätze für alle Kinder.
Dokumentation: Die Kita-Pläne der Stadt
Der Jugendhilfeausschuss hat mit Blick auf einen Abbau des Defizits an Kita-Plätzen einige Entscheidungen getroffen, die allerdings erst mittelfristig greifen:
Eine große Kita mit 90 Plätzen soll parallel zum Bau einer 21. Grundschule auf dem Zanders-Areal auf dem angrenzenden Gelände der ehemaligen Kartonfabrik Weig an der Cederstraße geplant werden, beschloss der JHA einstimmig. Sie soll möglichst schon 2025 in Betrieb gehen. Ratsinfosystem
Die Planung für den Bau einer Kita auf dem rechten Teil des Carpark-Geländes in Lückerath (zwischen Flüchtlingsunterkunft und Wohnhäusern/Pflegeheim) befürwortete der JHA ohne Gegenstimme. Einen entsprechenden Antrag der FDP hatte die Verwaltung unterstützt. Ratsinfosystem
Die von der CDU geforderte Planung einer Kita auf dem nördlichen Teil der Lena-Wiese in Lückerath wurde vom JHA mehrheitlich vertagt. Nach einer verspäteten Weiterleitung des Antrags durch die Verwaltung sah die SPD noch Klärungsbedarf. Die Verwaltung warnte vor einem voreiligen Beschluss in dieser Sache und stellte den Bedarf für diese weitere Kita in Lückerath in Frage. Hintergrund

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Die Situation im städtischen Jugendamt ist zweifellos dramatisch. Ursächlich – und deutlich schlimmer – scheint mir aber die Lage unserer Gesellschaft, die dazu führt, dass so viele Kinder unter psychischen Problemen leiden: Eltern, die – oft genug zur Selbstverwirklichung oder aus einer realitätsfernen und romantisierenden Vorstellung heraus solche geworden – mit der Gleichzeitigkeit von Kindererziehung und Arbeit sowie den (tatsächlichen oder vermeintlichen) gesellschaftlichen Ansprüchen überfordert sind und ihnen mit Vernachlässigung oder zu hohem Druck begegnen; pädagogische Kräfte in Kindertagesstätten, Schulen und Offenem Ganztag, die die daraus resultierenden Fehler und Unterlassungen der Eltern ausbügeln sollen und dafür zum Teil heftigen Gegenwind von Eltern ernten; andere Kinder, die mit Aggressivität auf diese ungesunden Umstände reagieren.
Beglückwünschen kann ich Eltern heutzutage wirklich nicht, sondern nur hinterfragen, ob und inwiefern bei ihrer Familien- und Lebensplanung die Verantwortung gegenüber dem Kind eine Rolle gespielt hat.
Die Situation im Jugendamt ist ja nur die konsequenz von vielen Dingen, die davor schon schief gelaufen sind.
– Kita Plätze sind seit Jahren schon Mangelware
– Die Schulen sind bekanntlich ebenfalls schon seit Jahren zu klein und technisch nicht auf den neusten Stand
– Die zusätzliche Belastung durch Globale Krisen hat auch nicht geholfen
Vermutlich können wir die Liste noch ordentlich weiterführen, letztendlich hat sicherlich die Corona Krise und die zwei gestörten Schul und Kitajahre Ihr übriges dazu getan.
Dies zu bewältigen, erfordert schwere und vermutlich auch sehr teurere Maßnahmen, leider liegt der Fokus der Gesellschaft und der Regierung oftmals auf die Wählerstarken Jahrgänge oder auf Gruppen, die einfach verdammt viel Lärm schlagen können.
Der Kommentar von Kim van Keulen ist so falsch, dass ich hier aus Zeitgründen nur auf einen Punkt eingehen kann.
„(tatsächlichen oder vermeintlichen) gesellschaftlichen Ansprüchen“
Die Ansprüche sind tatsächlich da und gehen auch von der Gesellschaft aus. Das liegt daran, dass man über Jahrzehnte zu wenige Kinder hatte. Nun müssen auch die Frauen arbeiten, um den Laden am laufen zu halten.
Alleine aus diesem Grund ist Kritik von den Verursachern der demographischen Probleme an den Lebensentwürfen der „Eltern heutzutage“ ist unangemessen.
Wir haben einen Schulbegleiter im Oktober vor der Einschulung beim Jugendamt beantragt. Uns wurde gesagt, das ist viel zu früh, wir sollen im Frühjahr nochmal kommen.
Was soll ich sagen, es gab zum Schulbeginn keinen Schulbegleiter und wir als Familie haben sehr viel Leid und Stress erfahren, da unser Kind über einen Monat jeden Tag nach 2 Stunden von der Schule abgeholt werden musste. Es hat uns alle traumatisiert.
Ein in dem Artikel nicht beleuchteter Aspekt ist, dass die Stadt, selbst gar keine Schulbegleiter beschäftigt und nicht aus einem Pool von Schulbegleitern schöpfen kann. Die Hauptaufgabe des Personals beim Jugendamt besteht darin Schulbegleiter (und diese sind in den seltensten Fällen qualifiziert) über externe Dienstleister zu finden. Das Geld kommt dann bei den externen Dienstleistern an und die Schulbegleitungen bekommen einen sehr geringen Lohn, wodurch es nur sehr wenige und gute qualifizierte Schulbegleiter gibt, welche erforderlich wären, um den Schulen und Klassen zu helfen.
Jeder logisch denkende Mensch weiß, dass es immer Kinder geben wird, die eine Schulbegleitung brauchen, daher verstehe ich nicht, warum die Stadt hier keinen Pool von qualifizieren Mitarbeitern aufbaut. Bei einem FLS Stundenlohn von 60,80 Euro dürfte es ohne zwischen Dienstleister sehr einfach sein hier Personal zu finden.
Anstelle dessen wird unqualifiziertes Personal eingesetzt, dass die Schüler noch mehr traumatisiert und dem Klassenverbund nicht hilft, so dass am Ende die ganze Klasse leidet.
Vg Mutter eines betroffenen Kindes
Noch vor kurzem hieß es laut: Kinder haben Rechte. In Bergisch Gladbach und überall.
Und was ist die bittere Realität ? Viele Kinder und Jugendliche haben seelische und psyschiche Probleme.
Ich denke die Ursachen sind sehr vielfältig wie das Leben selbst. Und wie die Kinder. Corona hat sicherlich ein bisschen dazu beigetragen.
Doch es sind auch andere Dinge die falsch laufen. Dazu gehören Mobbing, Diskriminierung, Geldangelegenheiten und Leistungsdruck.
Mobbing: Viele Schüler werden heftigst von anderen Mitschülern fertig gemacht über längere Zeit. Und oft schauen Lehrer oder Eltern weg oder bemerken es nicht. So habe ich es leider in meiner Schulzeit erlebt. Mal als Täter mal als Opfer. Heute finde ich es schlimm das so wenig dagegen getan wird.
Diskriminierung: Machen wir uns nichts vor: Wenn du übergewichtig bist oder anders bist dann kann es oft sein das du fertig gemacht wirst. Es geschieht subtil aber es gibt sowas an den Schulen.
Geldangelegenheiten: Keiner wird ausgeschlossen weil er arm ist. Es ist aber so das es einen enormen Gruppenzwang gibt. Da gehts um Nike Airs, Gucci, Königsketten, Lacoste. Und das finde ich falsch. Marken machen leider oft Menschen.
Leistungsdruck: Wer kommt aufs Gymnasium ? Wer schafft die drei in Mathe. Heute weiß ich das Noten wichtig sind Charakter aber umso mehr.
Ein Freund von mir ist Sitzen geblieben und hatte eher so Mittelmäßige Noten. Und er ist es der heute sehr Erfolgreich in der IT arbeitet.
All sowas sind Dinge die viele Jugendliche auch belasten. Und Ich denke man sollte so etwas sehr Ernst nehmen. Von der Politik. VOn den Eltern. Von den Lehrern.
Ich empfehle jeden Jugendlichen sich Hife zu holen. Im Zweifel auch gerne mal Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Psychotherapie ist nichts wofür man sich schämen muss. Man ist nie allein und man sollte niemals Aufgeben.