Auszubildende im Marien-Krankenhaus. Foto: Pascal Nordmann

Auszubildende im Marien-Krankenhaus. Foto: Pascal Nordmann

Die Bundesregierung hat das neue Pflegeberufegesetz auf den Weg gebracht, um die Ausbildung in der Pflege zu vereinheitlichten. So sollen zukünftig die drei Berufe Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einer einzigen Ausbildung zusammengeführt werden: Pflegefachfrau oder Pflegefachmann.

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Die Einschätzungen der Experten über die Veränderungen gehen weit auseinander. So fürchtet die NRW-Landesregierung, dass gerade kleinere Einrichtungen weniger Ausbildungsplätze anbieten werden. Die Kritik aus den Reihen der Praktiker in den Krankenhäusern ist unüberhörbar. Dennoch sind sich alle Beteiligten einig, dass sich etwas tun muss. (Noch mehr Infos zum Hintergrund finden Sie auf der MKH-Website).

Wie gestaltet sich zukünftig der pflegerische Alltag in den Krankenhäusern, wenn sich sie Ausbildung so grundlegend verändert? Wir wagen einen Blick in die Zukunft, wollen aber auch wissen, wie es mit der Ausbildung in der Pflege heute bestellt ist.

Die Fragen beantwortet Bernd Schramm, Leiter der Katholischen Krankenpflegeschule Bergisches Land in Bensberg, die als Verbundschule getragen wird vom Vinzenz Pallotti Hospital, dem Marien-Krankenhaus, der Helios Klinik in Wipperfürth und den Katholischen Kliniken Oberberg.

Bernd Schramm im Gespräch mit Schülern der Katholischen Pflegeschule Bergisches Land. Foto: Beatrice Tomasetti

Bernd Schramm mit Schüler(innen). d. Foto: Beatrice Tomasetti

Herr Schramm, drei Ausbildungsberufe sollen zu einem zusammengefügt werden. Warum soll die Ausbildung ausgerechnet jetzt, nach so vielen Jahren reformiert werden?
Bernd Schramm: Der Gedanke der Zusammenführung der drei traditionellen Berufsbilder „Gesundheits- und Krankenpflege“, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege“ und „Altenpflege“ ist gar nicht so neu.
Im Jahr 2000 schon hatte die Robert Bosch Stiftung Experten aus Praxis, Ausbildung und Wissenschaft beauftragt, in einer „Zukunftswerkstatt zur Verbesserung der Pflegeausbildung“ Vorschläge zu einer an vorausschauenden Bedarfen angepassten Pflegeausbildung zu erarbeiten. In der aus dieser Arbeit hervorgehenden Denkschrift „Pflege neu denken“ wurde die „generalistische Pflegeausbildung“ ausdrücklich als zukunftsweisendes Modell zur Sicherung der zu erwartenden Pflegebedarfe der (immer älter werdenden) Bevölkerung gefordert.

Wie ist denn die aktuelle Gesetzeslage?
Auch für das derzeit gültige Krankenpflegegesetz von 2003 war zumindest die Zusammenlegung der Erwachsenen- und Kinderkrankenpflegeausbildung vorgesehen, was zu einem – zur Zeit noch praktizierten – integriertem Ausbildungsmodell führte. Die Regelung der Altenpflegeausbildung wurde erst im Jahr 2003 aus der althergebrachten Länderzuständigkeit in die Bundesgesetzgebung überführt und stand bislang wegen einer Zusammenlegung der Ausbildungen noch nicht auf der Tagesordnung.

Wie sieht die Pflegeausbildung im benachbarten Ausland aus?
Im EU-Ausland existiert eine Altenpflegeausbildung nach deutschem Muster überhaupt nicht. Einer von vielen guten Gründen pro „generalistische“ Ausbildung, denn als examinierte Altenpflegerin hat man keine Chance, im EU-Ausland mit Absicherung durch ein Tarifgefüge pflegerisch zu arbeiten.

Das hört sich so an als wäre der Schritt längst überfällig?
So ist es, denn schon seit Jahren benötigen Krankenhauspatienten viel mehr altenpflegerische und Bewohner von Altenheimen viel mehr krankenpflegerische Expertise. Und auch für die Kinderkrankenpflege gilt immer mehr der Grundsatz: ambulant vor stationär.

Bernd Schramm im Gespräch mit Schülern der Katholischen Pflegeschule Bergisches Land. Foto: Beatrice Tomasetti

Foto: Beatrice Tomasetti

Was bedeutet das konkret für die Azubis?
Unsere Azubis werden zukünftig in der Theorie deutlich breiter ausgebildet werden müssen: Inhalte der Pflege von Kindern und insbesondere der von alten Menschen müssen quantitativ und qualitativ klar erkennbar mehr berücksichtigt werden. Analog hierzu wird die praktische Ausbildung breiter aufgestellt werden müssen: die Dominanz des Ausbildungsortes Krankenhaus wird verloren gehen und die Tätigkeitsfelder der stationären Altenhilfe und der häuslichen Pflege werden sich zu gleichbedeutenden Ausbildungsfeldern entwickeln.
In den Krankenhäusern, Altenheimen und bei den Menschen daheim werden vielleicht genauso viele oder noch mehr Azubis ausgebildet wie vorher – nur deren Gesichter werden häufiger wechseln.

Und für die Schule und Lehrkräfte?
Wir werden einen Paradigmenwechsel gestalten müssen. Ein Festhalten an „alten Zöpfen“, sprich einer Ausbildung wie seit 50 Jahren, wäre unverantwortlich und vor der Gesellschaft nicht vertretbar. Alten- und kinderkrankenpflegerische Expertise muss in die Schulen geholt werden. Der Lehrplan kann nicht nur einfach „etwas geändert“, sondern muss grundsätzlich „neu gedacht“ werden. Ausbildungsinhalte dürfen nicht nach der „Rasenmähervariante“ alle „ein bisschen“ unterrichtet, sondern müssen begründet exemplarisch und hinreichend vertieft gelehrt werden! Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens, insbesondere die der Recherche und der Auswahl von fundierten Wissensquellen müssen bei den sich schnell verändernden Wissensbeständen erlernt werden.
Rein organisatorisch werden sich unsere Klassen noch differenter als jetzt zusammensetzen: wir werden nicht mehr vor Schulklassen von maximal vier Arbeit gebenden Kliniken unterrichten, sondern möglicherweise vor Klassen, deren Schüler von deutlich mehr verschiedenen Arbeitgebern stammen.

Bernd Schramm im Gespräch mit Schülern der Katholischen Pflegeschule Bergisches Land. Foto: Beatrice Tomasetti

Foto: Beatrice Tomasetti

Das gesamte System soll „durchlässiger“ werden? Wollen die Azubis eher vielseitig eingesetzt werden oder doch lieber hochspezialisiert auf einer Station arbeiten?
Was ein Azubi wirklich in seiner beruflichen Zukunft will, kann sich erst nach einer Praxiskenntnis der pflegerischen Betätigungsfelder herausbilden. Vor der Ausbildung beherrschen doch häufig „Ideen von Pflege“, gefüttert leider oft aus Medien, Fantasien und Vorurteilen, das Bild des Pflegeberufes in den Köpfen des Auszubildenden. Gerade hieraus wird der Wunsch erzeugt, möglichst nur im „Emergency Room“, in der Intensivpflege oder sonstigen, vordergründig spektakulären Arbeitsbereichen arbeiten zu wollen.
Eine Vorstellung davon, dass pflegerische Tätigkeit auch in der häuslichen Pflege, der stationären Altenpflege oder einer internistischen Station einer Klinik zutiefst befriedigend sein kann, lässt sich erst im Durchlaufen einer Ausbildung erleben – natürlich müssen auch hier die Arbeitsbedingungen ein positives Erleben möglich machen und der eigene Nachwuchs darf nicht vergrault werden.

Wie sind die aktuellen Bewerbungszahlen Ihrer Schule?
In den Bewerberzahlen wird – wie in anderen Ausbildungsberufen auch – der demografische Wandel deutlich: die Gesellschaft überaltert nicht nur, sondern die jungen Menschen werden auch immer weniger.
Ich erwarte schon seit Jahren einen deutlicheren Einbruch in den Bewerberzahlen, der aber zu meiner großen Freude so bisher nicht spürbar war. Wir konnten bis jetzt fast immer die 225 genehmigten Ausbildungsplätze komplett besetzen.
Neben den Auftritten unserer Bildungsstätte im Web oder den Printmedien, der Teilnahme an „Berufsbörsen“ und Berufsvorstellungsveranstaltungen gemeinsam mit Azubis scheint vor allem die Mundpropaganda zu wirken: häufig beginnen Geschwister ehemaliger Azubi die Ausbildung und die Bindung an uns reicht mittlerweile soweit, dass 3 Lehrerkollegen ehemalige Schüler sind – jetzt mit abgeschlossenem Studium – und weitere ehemalige Schüler Praktika im Rahmen ihres Studiums bei uns machen.

Hat sich das im Laufe der letzten 5 Jahre verändert?
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass die Bewerberzahlen gleich hoch blieben. Die Bewerbungen entwickeln sich quantitativ weniger und qualitativ schwieriger. Ich kann jedoch nicht behaupten, dass dies ein lineares Phänomen ist, sondern erlebe von Jahr zu Jahr auch ein „auf und nieder“, teilweise unabhängig von Ankündigungen, dass ja „alles schlimmer“ würde.
Dennoch dürfen wir uns nicht auf diesen Eindrücken ausruhen und entwickeln natürlich Ideen, den Standort unserer Bildungsstätte und damit verbunden die Standorte der mit uns verbundenen Kliniken zu erhalten, zu fördern und frühzeitig für neue Entwicklungen bereit zu machen, um Nachwuchs, auch für unsere Häuser, zu sichern.

Was würde die Ausbildung für junge Menschen attraktiver machen?
Zuerst machen gute Vorbilder eine solche Ausbildung (und damit den Pflegeberuf) attraktiv – engagierte Pflegende, die den Azubi ein Vorbild sein wollen und Lehrende, die den jungen Menschen „auf Augenhöhe“ begegnen, Verständnis zeigen und Hilfe anbieten, wo es nötig erscheint. Menschen die vorleben, dass „Pflege“ Spaß und zufrieden macht.
Zweitens müssen die strukturellen Arbeitsbedingungen inklusive der Personalzahlen stimmen: Azubi müssen im Ausbildungsalltag angemessen angeleitet sowie begleitet werden und dürfen nicht „verheizt“ werden – nur so können wir sie im Beruf halten.
Drittens wird die mit dem Pflegeberufegesetz beabsichtigte Möglichkeit eines Pflegestudiums meiner Meinung mittelfristig zu einer erheblichen Aufwertung des Berufes in den Köpfen der Bevölkerung führen.

Sind die neuen Pflegefachleute am Ende ihrer Ausbildung wirklich besser qualifiziert?
Ich kann nur sagen, dass die nach dem neuen Pflegeberufegesetz ausgebildeten Pflegenden breiter ausgebildet sein werden und damit die einmalige Chance haben, sich in einem größeren Fachrichtungsspektrum zu spezialisieren – was schon mit Wahlpflichteinsätzen und Vertiefungseinsätzen während der Ausbildung beginnen wird. Wenn dies so ist, werden zukünftige Pflegende nicht nur horizontal breiter, sondern, beginnend mit dem Ende der Ausbildung, auch vertikal vertiefter ausgebildet sein.

Auszubildende im Marien-Krankenhaus Bergisch Gladbach. Foto: Pascal Nordmann

Auszubildende im Marien-Krankenhaus Bergisch Gladbach. Foto: Pascal Nordmann

Wie erleben Sie Ihre Schüler heute? Was ist denen besonders wichtig?
Es wird immer gerne behauptet, dass die jetzige Schülergeneration immer schlimmer sei, als die jeweilig vorherige. Ich behaupte, dass die Schüler anders sind als vorherige Generationen – was nicht überraschen sollte, denn der gesellschaftliche Kontext, in dem auch Schüler der Pflege eingebettet sind, unterliegt bekanntermaßen ständigen Veränderungen.
Ich erlebe unsere Schüler als motivierte, kritisch-konstruktive junge Menschen, die auch gerne einmal – wie wir alle – einen „Hänger“ haben dürfen. Im Ausbildungsalltag werden andere private Interessen als in meiner Generation deutlich und wichtig scheint zumindest zu sein, dass man als Azubi ernst genommen und in seiner Ausbildung gut begleitet wird.

Warum sollte ein junger Mensch eine Ausbildung im Pflegebereich machen?
Ich werde bisweilen gefragt, ob ich die Pflegeausbildung unter den heutigen Bedingungen wieder machen würde, was ich mit einem klaren „ja“ beantworten kann.
Pflege kann – wenn die strukturellen Bedingungen stimmig sind – Freude machen und hoch befriedigend sein aufgrund der vielen positiven Feedbacks der zu Pflegenden. Der Pflegeberuf bietet eine große Zahl an Qualifizierungs- und Spezialisierungsmöglichkeiten, so zum Beispiel für Tätigkeiten im geriatrischen, intensivmedizinischen, psychiatrischen, pädagogischen, betriebswirtschaftlichen und pflegewissenschaftlich-hochschulischem Feld. Zudem gehört die Pflegeausbildung zu den bestbezahltesten Ausbildungen in Deutschland.

Wer wird zukünftig bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, die hochqualifizierten (akademischen) Pflegefachkraft oder der sehr gut ausgebildete Praktiker?
Wir dürfen hier keinen Unterschied zwischen beruflicher und akademischer Bildung entstehen und diese miteinander konkurrieren lassen. Beide Bildungswege werden ihre Berechtigung haben: beruflich gebildete Pflegende werden nach wie vor bei Arbeitgebern sehr begehrt sein und gleichzeitig werden „Schlüsselpositionen“, so zum Beispiel das Case-, Wund- und Schmerzmanagement mit akademisch gebildeten Pflegenden zu besetzen sein.
Wirklich bedeutsam aber wird zukünftig die Möglichkeit sein, im Pflegebildungssystem „unterwegs“ sein zu können und sich da einzuarbeiten, wo individuelle Interessen verwirklicht werden können – und sei es vielleicht auch in einem Studium nach der beruflichen Ausbildung.

Pflegende sollen zukünftig universell einsetzbar sein? Läuft man nicht Gefahr, dass es durch die Flexibilisierung zu einem „Hopping“ und einer hohen Fluktuation der Pflegekräfte kommt?
Ein „Hopping“ entsteht meiner Meinung nach zu einem hohen Anteil aus einer Unzufriedenheit mit den – leider schon vorhandenen – ungünstigen strukturellen Arbeitsbedingungen. Zufriedene Pflegende an einem gut organisierten Arbeitsort werden nicht häufig die Stelle wechseln. Auch Pflegende wollen wertgeschätzt werden – was sich zuallererst in einer hinreichenden personellen und strukturellen Ausstattung des Arbeitsortes zeigen muss – und wenn sich diese unter den gesundheitspolitischen Bedingungen nur teilweise umsetzen lässt, so bleibt immer noch die wertschätzende Mitarbeiterorientierung, die auch manchmal schwer ertragbare Arbeitsverdichtungen erträglich macht und die Freude am Beruf „am Leben hält“.
Nein, Befürchtungen, dass die Flexibilisierung ein „Hopping“ produzieren würde, kann ich nicht teilen.

Viele christliche Krankenhäuser sind aus Orden oder Mutterhäuser entstanden. Diese haben von jeher stark den Nachwuchs gefördert. Warum sollte sich ein junger Mensch ausgerechnet in der Katholischen Krankenpflegeschule Bergisches Land bewerben?
Den Bestrebungen der Professionalisierung des Pflegeberufs stand lange Jahre der selbstlose Dienst an Gott mittels Ausübung von Pflege diametral entgegen. Wir befinden uns jetzt in einer Zeit, in der tatsächlich Merkmale einer Profession, zum Beispiel das der Akademisierung, in den Vordergrund tritt.
Dennoch haben christliche Werte, auch in der heutigen Pflegeausbildung, ihre grundlegende Berechtigung und meine Kollegen und ich versuchen, diese mit unseren Schülern zu leben:
Wertschätzung gegenüber allen Schülern, auch den leistungsschwächeren oder durch private Belastungen eingeschränkten. Wir sehen „Leistung“ als das, was ein erwachsenes Individuum in der Lage ist, verantwortlich zu geben – ohne die einzelne Person zu gängeln oder ihr unseren Respekt zu entziehen. Im Lernprozess bieten wir Unterstützung und legen gleichsam Wert auf die wechselseitige Einhaltung von Verabredungen und Verbindlichkeiten. Schüler unserer Schule sollen Spaß an der Ausbildung und der Pflege ihrer Klienten gewinnen und christliche Werte authentisch und kritisch-konstruktiv reflektieren und vorleben. Sie sollen Liebe zum Menschen kennenlernen und ihre Haltungen im Kontext ethischer Aspekte hinterfragen können.
Ich bin überzeugt, dass jeder pflegeinteressierte Mensch seine „Nische“ in der Vielfältigkeit des Pflegeberufs finden und positiv ausfüllen kann. Maßgeblich hierbei ist die – nicht selbstverständliche – Freude in der Berufsausübung auf der Grundlage der Interaktion mit dem hilfebedürftigen Menschen.

Herr Schramm, wir danken Ihnen für das interessante und ausführliche Gespräch!

PR-Berater (Deutsche Akademie für Public Relations), Volt-Mitglied

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