2019 war großes Bauhausjahr und – was viele nicht wussten – Zeugnisse dieser Reformschule findet man auch in NRW. In der Villa Zanders wird Stefan Wewerka ausgestellt, der als ein Bauhäusler gilt, obwohl er wie Kuratorin Petra Oelschägel sagt, „gegen den Strich und wider den rechten Winkel dachte“.
„100 Jahre Bauhaus im Westen“ – im Jubiläumsjahr 2019 wurden 40 Projekte realisiert, „um das Erbe der Reformschule mit den Bürgern zusammenzubringen“. Dabei lautet das Motto „Die Welt neu Denken“. Bauhaus steht für eine ästhetische Revolution in einer widersprüchlichen Zeit. Die Zeiten sind heute ähnlich widersprüchlich. Wie aktuell sind also die Ideen der Reformschule?
Mit der Ausstellung „Stefan Wewerka – Dekonstruktion der Moderne” im Kunstmuseum Villa Zanders ist diese Debatte jetzt auch in Bergisch Gladbach angekommen.
In der Villa Zanders wird eine umfängliche Ausstellung von Stefan Wewerka gezeigt, der 1928 in Magdeburg geboren wurde und als Professor an der Kölner FH viele Studierende beeinflusste. Und er war ein Bauhaus-Nachfolger, denn er war ein Generalist, ein Utopist, wie Petra Oelschlägel, die Museumsleiterin der Villa Zanders betont. In seinen Werken hat Wewerka die Welt neu gedacht und seine Ideen reichen tief ins Heute und darüber hinaus.
Seit einiger Zeit widme sich die Kunstwelt auch den kleineren Leuten am Bauhaus, und nicht nur den bekannten Superstars, sagte Thomas Schleper vom Kulturdezernat des LVR bei einer Vorbesprechung der Ausstellung. In der aktuellen Bauhausforschung frage man nach Netzwerkbildungen, Entwicklungsperspektiven, Vorläufern, Anhängern und Nachfolgern. Und es geht um die gesellschaftliche Relevanz.
Norbert Eisold, Leiter des Forums Gestaltung in Magdeburg, betont das schwerlich kategorisierbare Schaffen von Stefan Wewerka: „Es ist so vielgestaltig, dass er für Rezeption kaum greifbar ist. Er war Architekt, Objektkünstler, Designer, Modemacher, Innenarchitekt, Bildhauer, Maler, Grafiker, Filmemacher und Aktionskünstler“.
Schiefe Stühle? Diese Objekte sind alles andere als funktionales Design – sie sind, jedes für sich, ein Kunstobjekt, eine materialisierte Weltanschauung.
Die ausgestellten Exponate sind Leihgaben des Wewerka Archivs, das 2014 vom Sohn des Künstlers, dem Verleger Aleksander Wewerka gegründet wurde. „Auf den ersten Blick wirkt sein Werk wenig zusammenhängend“, erklärt Kurator Eisold – aber er selbst nähere sich den Werken mit einem bestimmten Humor.
Eisold macht vier Grundaspekte aus, die sich auch in der Ausstellung widerspiegeln:
Den ersten Aspekt nennt Eisold den Umbau der Welt. Weil ihn das inhaltlich mit den Bauhäuslern verbindet, wird Wewerka heute als einer der historischen Nachfolger diskutiert: Der Grundtenor besagt, dass Wewerka eine Brücke zwischen der klassischen Moderne des Bauhauses und Ideen eines natur- und menschengerechten Bauens schlüge. „Er suchte eine Verbindung von Architektur und Natur als eine Art utopischen Protest”, sagt Oelschlägel und sie verweist auf „Erdarchitektur” – Zeichnungen, die höhlenartige Räume zeigen (siehe Foto oben).
Den zweiten wiederkehrenden Aspekt in Wewerkas Werk benennt Eisold mit dem doppeldeutigen Begriff Fallstudie, der Künstler als fallender Krieger zum einen, zum anderen eine konstruierte Schräglage. Was im ersten Moment urkomisch wirkt, ist stilistisch als technische Perspektivzeichnung umgesetzt – ein heiterer und ernsthafter Blick in eine andere, verzerrte Welt.
Drittes wiederkehrendes Element sei laut Eisold: Einschwinger – meint eine Drehbewegung – eine Frage nach Form und Bewegung, die ihn als Designer, Bildhauer und Künslter beschäftigt. Eisold nennt Begriffe wie „Zuwenden, um sich selbst drehen, Zuneigung und Abwenden”. Diese Bewegung lässt sich in vielen seiner Werke wiederfinden.
Viertes Merkmal Enzyklopädie – Wewerka widmet sich vielen Themen seriell oder in themengebundene Werkgruppen. Eisold sagt: „Er dekliniert sie.”

„Vive l’Europe!”
„Die Erdkugel halbieren, beide Hälften gegeneinander verdrehen und wieder zusammenkleben.“ Stefan Wewerka (Auszug)
Seine Zerschneidungen praktizierte er an der Welt, an Alltagsgegenständen, sogar an Selbstporträts und immer wieder verblüfft, provoziert er mit einer einfachen Technik und produziert sarkastische Bilderrätsel.
Er zerteilt, um neu zusammensetzten: Beispielsweise das flügelartige, mit Scharnier verbundene, Ost-West-Münzen-Objekt – eine Hommage an Heiner Müller: „Vive l’Europe!” Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, dass das Objekt höchst aufwändig an der völlig verkehrten Seite zusammengesetzt wurde.
Norbert Eisold hat eine verblüffend einfache Leseart: „Dass nach 40 Jahren zusammenkam, was einst zusammengehört hatte, konnte für Stefan Wewerka folgerichtig nicht heißen, dass es auch zusammen passte.“
Fallender Krieger
Schon Wewerkas Vater, selbst Maler der großen Künstlerfamilie, soll ihm gesagt haben, er solle die Welt auf den Kopf stellen erzählt Dr. Schleper. Oelschlägel ist überzeugt, dass Wewerka dabei sein fundiertes Architekturstudium „mit Ratio und Statik” an der Hochschule der Bildenden Künste Berlin zu Gute kam, ohne die er seine komplexen, perspektivischen Zerschneidungen nicht hätte derart universell entwickeln können.
Die Gegenüberstellung lässt ahnen, wie prägend der Vater war und wie unterschiedlich Weltbild und Ausdrucksweisen waren. „Variation meines Portraits” (nach einer Zeichnung von Rudolf Wewerka von 1941) 1971
Der Wert des Nichtfunktionalen?
Wewerka habe nichts mehr gehasst, als in eine Richtung zu sehen, sagt Eisold. Viele der Wewerka Entwürfe sind vom Designermöbelhersteller Tecta realisiert worden und werden heute noch produziert.
Tecta verkauft den dreibeinigen „asymmetrischen Stuhl B1″ als „Produkt für mehrfache Sitzmöglichkeiten” oder mit dem Statement „Da ist kein In-der-Reihe-Sitzen mehr, sondern unterschiedliche Gesprächssituationen sind gefragt”.
Oelschlägel ist fasziniert, denn auch der fächerförmige Schreibtisch sei kommunikativ gedacht: „Ein solcher Schreibtisch macht aus jedem Vorstellungsgespräch etwas völlig anderes. Man kann sich nicht einfach gegenüber sitzen”.
Jedes der von Tecta produzierten Möbelstücke gilt als Designklassiker.
„Wie müssen wir das Haus verändern, sodass es uns tragen kann?“, fragt Thomas Schleper. Es ginge um eine ebensolche schöpferische Auseinandersetzung mit den Dingen und um die existentiellen Fragen danach: „Wie bewegen wir uns, wie positionieren, wie setzen wir uns? Wie viel Platz brauchen wir, um zu leben?”
Viele Gedanken hat Stefan Wewerka in seinen Texten produziert – nur die wenigsten wurden architektonisch umgesetzt. Seine Utopien finden sich in seinen künslterischen Auseinandersetzungen, in den Skizzen und Objekten.
Ein Vorfahr der Tiny-Houses? Oelschlägel und Eisold philosophieren über die Aktualität der Wewerka Entwürfe. Cella mit Küchenbaum und Einschwinger, 1984
Zur Ausstellung gibt es wie immer ein breites Veranstaltungsprogramm. Zum Beispiel die
Wewerka Bar (anlässlich der Kölner Passagen)
Donnerstag, 16.01.2020
18.30 – 22:00 Uhr
Inspiriert von Wewerkas Kunst haben Studierende des bib International College verschiedenste Beiträge gestaltet. Die Drinks beim BarEvent kredenzt das Team der Rosebud Bar Cologne. Eintritt frei. Drinks zum Happy Hour Tarif
Die Ausstellung läuft bis zum 19.4.2020
Kunstmuseum Villa Zanders
Konrad-Adenauer-Platz 8
51465 Bergisch Gladbach
T 02202.142334
info@villa-zanders.de
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Samstag: 14:00 – 18:00 Uhr
Donnerstag: 14:00 – 20:00 Uhr
Sonn- und Feiertage: 11:00 – 18:00 Uhr
Feiertage: Das Museum ist vom 23. – 26.12., am 31.12.2019 sowie am 01.01.2020 geschlossen.
Eine klare und detaillierte Berichterstattung über eine spannende Ausstellung.Sie ist unbedingt sehenswert.