Gewalt gegen Frauen fängt nicht erst bei Schlägen an. Viele Frauen werden vom eigenen Partner kontrolliert, erniedrigt, isoliert. Woran das liegt, was das mit den Betroffenen macht – und wie sich daran etwas ändern kann: Darüber sprechen wir mit Magdalene Holthausen, Leiterin der Frauenberatungsstelle in Bergisch Gladbach.
Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen – sehr häufig innerhalb der eigenen Partnerschaft. Magdalene Holthausen kennt viele solcher Fälle. Sie ist die Leiterin der „Allgemeinen Frauenberatungsstelle für den Rheinisch-Bergischen Kreis“.
Gerade ist die Statistik für das Jahr 2021 erschienen: 464 Frauen wurden im vergangenen Jahr beraten, knapp die Hälfte von ihnen wegen Gewalterfahrungen.
Hinweis der Redaktion: Wir dokumentieren die Statistik weiter unten – und nennen Anlaufstellen für Betroffene.
Frau Holthausen, wer sind die Frauen hinter diesen Zahlen, hier in Bergisch Gladbach?

In unserer Beratungsstelle hatten wir schon die Akademikerin, die von häuslicher Gewalt betroffen war, genauso wie die Mutter, die in Teilzeit in mehreren Minijobs arbeitet. Jede Frau kann Opfer von Gewalt werden, unabhängig von Alter, Religion, Bildung oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Auffällig ist, dass sich letztes Jahr mehr Frauen über 60 an uns gewandt haben – doppelt so viele wie 2020.
Heißt das, es gibt mehr Gewalt gegen ältere Frauen?
Nein, das heißt, mehr ältere Frauen trauen sich, Hilfe zu suchen. Durch Corona ist das Thema häusliche Gewalt mehr in den Medien aufgetaucht. Dadurch fühlen sich mehr Frauen gesehen, eben auch die älteren Frauen.
Was hat sich sonst durch die Pandemie verändert?
Vor allem die Methode – wir beraten mehr am Telefon als in Präsenz. Die Zahl der Anfragen ist tatsächlich gleich geblieben. Corona hat nur einen Trend verstärkt, der sich schon vorher angedeutet hatte: das Problem der Wohnungssuche. Frauen, die sich wegen häuslicher Gewalt an uns wenden, stehen vor der Frage, wie sie schnell aus der Beziehung rauskommen. Und das wird aufgrund der Situation am Wohnungsmarkt immer schwieriger.
Alles drehte sich nur um ihn. Die Frau gab es schon gar nicht mehr.
Madgalene Holthausen
Welche Geschichte hat Sie zuletzt besonders bewegt?
Da fällt mir die Geschichte einer Frau ein, die mit ihren drei kleinen Kindern bei mir in der Beratung war. Der Ehemann hat seine Frau kontrolliert, indem er unter verschiedenen Vorwänden immer wieder angerufen und gefragt hat, was sie macht beziehungsweise ihr gesagt hat, was sie zu Hause tun soll. Er hat ihr immer nur wenig abgezähltes Geld gegeben, wovon sie die Einkäufe tätigen sollte. Sie durfte im Winter nicht heizen. Kontakte zu anderen Menschen durfte sie auch nicht aufbauen.
Alles drehte sich nur um ihn. Die Frau gab es schon gar nicht mehr. Sie war im Laufe der Ehe so verunsichert worden, dass sie kaum glaubte, sich wehren zu können. Ihre eigene Familie lebte im Ausland, das machte ihre Situation noch schwieriger. Der Mann war eine angesehene Persönlichkeit und wurde überall wertgeschätzt. Die drei Kinder waren sehr klein, unter fünf Jahre. Die Frau wusste, dass der Mann sie schlecht behandelt, zweifelte aber, ob sie bei uns richtig sei, weil sie ja nicht geschlagen wurde.
Das geht sehr vielen Frauen so. Es ist für sie eine Erleichterung, wenn ich ihnen sage, dass das Verhalten des Mannes auch Gewalt ist. Psychische Gewalt.
Wie sieht der weitere Weg für eine Frau aus, die bei Ihnen war?
Die Wege der Frauen sind so unterschiedlich wie die Frauen selbst. Wir zeigen ihnen auf, welche Möglichkeiten und Rechte sie haben. Zunächst einmal kann die Polizei den Mann nach einer Gewaltanwendung sofort für 10 Tage der Wohnung verweisen. Dieses sogenannte Rückkehrverbot kann vom Amtsgericht auf drei bis sechs Monate verlängert werden.
Es gibt die Möglichkeit, sich in ein Frauenhaus zu begeben, Strafanzeige zu erstatten, sich durch eine Anwältin oder einen Anwalt beraten zu lassen. Außerdem die familienrechtlichen Möglichkeiten wie Kontaktverbote oder Annäherungsverbote im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes, wie auch eben schon erwähnt die Verlängerung der Wegweisung. Aber auch die Weitervermittlung an andere Stellen wie Jugendämter und andere Beratungsstellen.
Diesen Korb an Möglichkeiten besprechen wir mit den Betroffenen, entweder in einem oder in mehreren Gesprächen. Die Entscheidung darüber, welchen Weg eine Frau einschlägt, bleibt bei der Frau.
Wie ist es mit der Frau weitergegangen, von der Sie eben erzählt hatten?
Diese Frau hat viele Gespräche gebraucht, um für sich anzunehmen, dass sie in einer gewalttätigen Beziehung lebt. Sie war ungefähr vier Monate lang einmal die Woche bei uns.
Am Ende hat sie sich trotzdem entschieden, bei ihrem Mann zu bleiben. Ausschlaggebend war für sie, dass er ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Kindern hatte, ein liebevoller Vater war. Den wollte sie ihren Kindern nicht nehmen. Die Frau wusste, dass sie sich immer wieder an uns wenden kann, hat dies aber nicht in Anspruch genommen.
Eine Gewalterfahrung ist wie eine Wunde. Sie verheilt mehr oder weniger gut, von alleine oder mit Unterstützung.
Madgalene Holthausen
Was macht eine Gewalterfahrung mit den Betroffenen?
Das ist zum einem von der Dauer und der Intensität der Gewalt abhängig und zum anderen von der sogenannten Resilienz der Betroffenen, das heißt der Fähigkeit, Krisen psychisch zu bewältigen.
Eine Gewalterfahrung ist wie eine Wunde. Sie verheilt mehr oder weniger gut, von alleine oder mit Unterstützung eines Pflasters oder Verbands – je nachdem wie groß die Wunde war. Manchmal bleibt ein Druckschmerz, manchmal reißt die Narbe wieder auf. Das Erlebte ist nicht auszuradieren, bei den meisten Menschen bleibt etwas davon zurück. Aber Heilung, psychische Verarbeitung ist möglich.
Warum gibt es überhaupt so viel Gewalt gegen Frauen in unserer doch scheinbar so emanzipierten Gesellschaft?
Wir haben auf vielen Ebenen noch keine Gleichberechtigung: angefangen bei der Sprache – ein Thema, das viel Gegenwehr auslöst – bis hin zur unterschiedlichen Bezahlung in den gleichen Jobs. Das liegt daran, dass wir unbewusst noch immer patriarchale Denkmuster in den Köpfen haben. Die werden über Generationen in Familien weitergegeben. Das zu ändern ist sehr schwierig und langwierig.
Und so gibt es weiterhin Männer, die über Frauen bestimmen wollen und glauben, das Recht dazu zu haben. Und es gibt eben auch Frauen, die denken, dass das ok ist.
Man geht davon aus, dass mindestens 80 Prozent der Fälle von Gewalt gegen Frauen nicht angezeigt werden. Woran liegt das?
Viele Frauen schämen sich. Oder sie haben Angst vor noch mehr Gewalt – zu Recht. Teilweise glauben die Frauen auch – und das ist ebenfalls realistisch – dass ihre Erfahrung nicht anzeigewürdig ist beziehungsweise dass sie sie nicht nachweisen können. Wenn eine Frau mit Verletzungen im Krankenhaus liegt, weil sie von ihrem Partner geschlagen wurde, ist die Sache klar. Bei psychischer Gewalt nicht immer.
Den meisten Frauen, die zu uns kommen, geht es aber nicht um eine Anzeige. Wir müssen ihnen ja teilweise erst sagen, dass das, was sie erleben, Gewalt ist.
Warum kommen Sie dann zu Ihnen? Das ist ja sicher auch nicht einfach.
Das stimmt. Die hohe Dunkelziffer bezieht sich nicht nur auf Anzeigen. Der Leidensdruck muss schon sehr hoch sein, damit Frauen sich überhaupt Hilfe suchen. Viele haben Ängste, die teilweise durch den Mann noch befeuert werden: Du wirst nicht ernst genommen. Du wirst für verrückt erklärt. Ich nehme dir die Kinder weg.
Die Frauen denken auch häufig, dass ihre Männer doch so eloquent und nett sind, dass ihnen sicher alles abgenommen wird, was sie sagen, während ihnen selbst nicht geglaubt wird.
Nur eine Gleichberechtigung auf allen Ebenen kann die Grundlage dafür sein, dass Gewalt gegen Frauen abnimmt.
Madgalene Holthausen
Was muss passieren, damit sich das alles ändert?
Auf struktureller Ebene muss sich die innere Haltung der Menschen ändern. Dafür müssen beispielsweise Frauen in der Sprache vorkommen, dafür müssen Frauen genauso bezahlt werden wie Männer. Nur eine Gleichberechtigung auf allen Ebenen kann die Grundlage dafür sein, dass Gewalt gegen Frauen abnimmt.
Außerdem kann jede:r Einzelne aufmerksam sein im eigenen Umfeld, auf der Straße. In der Öffentlichkeit darüber reden, so wie wir jetzt. Veränderung ist sehr langsam, aber sie ist möglich.
Was kann ich tun, wenn ich glaube, dass meine Freundin, Schwester oder Nachbarin in einer gewalttätigen Beziehung ist?
Zunächst einmal benennen, was man wahrnimmt, und dazu Stellung beziehen: Ich habe das Gefühl, dass das Verhalten deines Partners nicht in Ordnung ist. Nicht die Person selbst in Frage stellen, nur das, was passiert, das gewalttätige Verhalten. Wenn man direkt mitbekommt, wie der Freundin, Schwester oder Nachbarin Gewalt widerfährt, sollte man sich davon überzeugen, dass sie in Sicherheit ist. Im Zweifel auch mit Unterstützung der Polizei.
Wenn sie trotzdem bei dem Mann bleibt und das Thema immer wieder aufkommt, muss man auch auf sich selbst achten und vielleicht sagen: Ich unterstütze dich, wenn du möchtest. Aber ich kann nicht immer wieder hören, was du erleiden musst. Dann kann man sie an unsere Beratungsstelle verweisen, denn hier sitzen Menschen, die sich mit dem Thema auskennen.
Anlaufstellen für Frauen, die von Gewalt betroffen sind (und deren Angehörige)
Die Allgemeine Frauenberatungsstelle für den Rheinisch-Bergischen Kreis richtet sich schwerpunktmäßig an Frauen, denen häusliche Gewalt widerfährt oder die davon bedroht sind, Frauen mit Essstörungen sowie Frauen, die sich trennen oder scheiden lassen wollen.
Telefon: 02202 45112
Email: frauenberatungsstelle-bgl@t-online.de
Die Beratung ist kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht. Auch für Menschen, die von Gewalt betroffenen Frauen helfen wollen. Es gibt auch eine Online-Beratungsstelle.
Die Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt im Rheinisch-Bergischen Kreis bietet Informationen, Beratung und Unterstützung von Frauen und Mädchen zu sexualisierter Gewalt an.
Telefon: 02174 1047
Email: team@frauenberatung-burscheid.de
Die Beratung ist kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht. Auch für Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen helfen wollen. Es gibt auch eine Online-Beratungsstelle.
Wenn Ihnen akut häusliche Gewalt widerfährt, rufen Sie die Polizei unter der 110 an! Diese kann den Täter oder die Täterin sofort für 10 Tage der Wohnung verweisen. Dieser sogenannte Wohnungsverweis kann beim Amtsgericht bis zu 6 Monate verlängern werden.
Dokumentation
Wir dokumentieren die aktuelle Statistik der Frauenberatungsstelle: