Rami Elhanan und Bassam Aramin (Mitte) mit Teilnehmer:innen und Lutz Urbach, Vorsitzender des Städtepartnerschaft Ganey Tikva e.V. und Heinz-D. Haun, Vorsitzender des Beit Jala e.V.

Ein Israeli und ein Palästinenser, die beide im Nahostkonflikt ein Kind verloren haben, gehen zusammen auf Reisen. Auf Einladung des Ganey Tikva- und des Beit Jala-Vereins kamen sie auch nach Bergisch Gladbach und berichten von ihren Erfahrungen.

Es ist ein großes Leid, wenn Eltern den Verlust eines Kindes zu beklagen haben – wahrscheinlich werden sie die Tragödie in ihren Leben niemals vollständig aufarbeiten können.  

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Der Israeli Rami Elhanan und der Palästinenser Bassam Aramin haben beide eine Tochter im Alter von 10 bzw. 14 Jahren verloren, Elhanan durch einen palästinensischen terroristischen Selbstmordanschlag, Aramin durch einen israelischen Scharfschützen. Die Familien fanden – so unwahrscheinlich es klingen mag – letztlich zusammen in ihrer gemeinsamen Trauer.

Aktuell sind die Väter auf Deutschlandreise mit insgesamt 10 Stationen unterwegs, so auch vor wenigen Tagen im Bensberger Ratssaal auf gemeinsame Einladung des Ganey Tikva- und des Beit Jala-Vereins. Sie berichten von ihrem Schicksal , vor welche gewaltige Aufgabe sie sich gestellt sehen und wie sie versuchen ihr Los zu bewältigen.

Hintergrund: Das Veranstaltung wurde in Kooperation mit der Stadt Bergisch Gladbach, dem „Städtepartnerschaft Bergisch Gladbach – Beit Jala e.V.“ und dem „Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach e.V.“ umgesetzt. Es ist Teil des Brückenjahr 2022 der beiden Städtepartnerschaften unter dem Motto „Wanderer zwischen den Welten“ mit weiteren Veranstaltungen.

„Was uns so eng zusammenschweißt“

„Dieser arabische Terrorist zu meiner Rechten”, beginnt Elhanan sein Statement, „ist mein liebster Bruder, Bassam Aramin. Was uns so eng zusammenschweißt, ist der Preis, den wir beide als Ergebnis des andauernden Konflikts zwischen unseren beiden Nationen bezahlt haben.”

Aramin und Elhanan sind Mitglieder im Parents Circle Families Forum, der einzigen Organisation der Welt, die keine neuen Mitglieder sucht …

Rami Elhanan, 72 Jahre alt, geboren in Jerusalem, entstammt einer ultra-orthodoxen jüdischen Familie. Sein Vater war Auschwitz-Überlebender. Elhanan kämpfte als Soldat „in diesem schrecklichen Krieg im Oktober 1973” und ging als sehr verbitterter und wütender junger Mann daraus hervor, zog sich aus allen Verwicklungen zurück ins Private, heiratete; das Paar bekam vier Kinder, darunter Smadar 1983. Sie kam 1997 bei dem Anschlag zu Tode.

Nach der traditionellen siebentägigen jüdischen Trauerzeit standen die Eltern vor der Frage: Was werden sie mit dieser neuen unerträglichen Last auf ihren Schultern tun? Was werden sie mit dieser Wut tun, die sie von innen auffrisst?

„Eine natürliche, menschliche Reaktion besteht in Rache und Vergeltung. Aber dann”, sagt Elhanan: „arbeitet die Frage in dir: Wird das rachegeleitete Töten von jemand Anderem sie uns zurückbringen? Wird es diesen unerträglichen Schmerz irgendwie lindern, wenn man jemandem Schmerzen zufügt?”

Er dachte am Anfang, er könnte sich so verhalten, als wäre nichts passiert, wieder arbeiten und ein normales Leben führen. Aber er war nicht mehr derselbe Mensch, und nichts war mehr normal.

Dann traf er eines Tages einen streng religiösen jüdischen Mann, dessen Sohn von der Hamas entführt und ermordet worden war, worauf er eine Organisation von Menschen gegründet habe, die ihre Angehörigen ebenfalls in dem Konflikt verloren hatten, aber trotzdem Frieden wollten… den Parents Circle for the Bereaved, der Elternkreis der Beraubten. So kam Elhanan zu einem ersten Treffen der Organisation. 

„Zunächst war ich zurückhaltend,” berichtet Elhanan, „aber dann erlebte ich, dass trauernde palästinensische Familien aus den Bussen stiegen, auf mich zukamen, mir die Hand zum Frieden schüttelten, mich umarmten und mit mir weinten … Und ich war zutiefst erschüttert! Zum ersten Mal in meinem Leben – ich war damals 47 Jahre alt – hatte ich das Gefühl, Palästinensern als Menschen zu begegnen. Nicht als Arbeiter auf der Straße, nicht als „Terroristen“, sondern als Menschen, die die gleiche Last tragen wie ich, Menschen, die genauso leiden wie ich! Und ich war so tief bewegt …“

„Seit diesem Moment widme ich mein Leben der Aufgabe, überall hinzugehen, wo es möglich ist, mit allen zu sprechen, die bereit sind, zuzuhören, und auch mit denen, die es nicht sind, um diese sehr grundlegende und einfache Botschaft zu vermitteln: Wir sind nicht dem Untergang geweiht! Es ist nicht unser Schicksal, uns in diesem unserem heiligen Land für immer gegenseitig umzubringen. Das steht nirgendwo geschrieben! Wir können es ändern! Wir können diesen endlosen Kreislauf der Gewalt ein für alle Mal durchbrechen, und der einzige Weg, dies zu tun, besteht darin, miteinander zu reden! Denn es wird nicht aufhören, wenn wir nicht miteinander reden!”

Bassam Aramin stammt aus einem Dorf in der Nähe von Hebron, im Süden des Westjordanlandes. „Als Kinder”, sagt er, „verstanden wir nicht, warum diese fremden Soldaten in unser Dorf kamen, sie sprachen nicht unsere Sprache und rissen unsere palästinensische Fahne immer wieder ab. Wir bewarfen sie mit Steinen, sie antworteten mit Tränengas und scharfer Munition. Sie kamen in Panzerfahrzeugen und kommandierten uns rum. Sie stürmten in unsere Häuser, sperrten sie ab, schlugen alles kurz und klein. Sie verhafteten unsere Väter, Onkel, Brüder. Bei einer Demonstration erlebte ich, wie sie einen Jungen ein paar Meter vor mir erschossen. In mir entstand ein tiefes Verlangen nach Rache.”

Mit siebzehn warf Aramin zusammen mit Freunden Handgranaten, die sie gefunden hatten, auf einen israelischen Jeep, wurde geschnappt, vor Gericht gestellt und kam für sieben Jahre ins Gefängnis.

Während seiner Gefangenschaft lernte Aramin Hebräisch und beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte des Holocaust. Seine Gesinnung wandelte sich, er schwor der Gewalt ab. 1992 wurde er aus dem Gefängnis entlassen und heiratete kurz später. Er wurde zum Kämpfer für Frieden und Gewaltlosigkeit, als solcher zudem einer der Mitbegründer der Combattants for Peace, einer Vereinigung, in der ehemalige israelische Soldaten und ehemalige palästinensische Straßenkämpfer nach Wegen aus der Gewaltspirale suchen. 

Bassam Aramin und seine Frau Salwa bekamen sechs Kinder. 2007 starb ihre Tochter durch ein Gummigeschoss auf dem Weg zur Schule.

„Unser Blut hat die gleiche Farbe“

Der Tod ihrer Töchter führte Elhanan und Aramin letztlich zusammen. Und der Parents Circle. Heute gehören sie zu dessen prominentesten Gesichtern. Sie reisen gemeinsam durch das ganze Land, Israel und Palästina, durch Länder verschiedener Kontinente, gehen in Schulen und Hochschulen und „sagen diesen Kindern, dass unser Blut die gleiche Farbe hat, dass unser Schmerz der gleiche Schmerz ist und dass unsere Tränen genauso bitter sind. Wenn wir, die wir den höchstmöglichen Preis bezahlt haben, miteinander reden können, dann kann das jeder andere auch! Jeder sollte das tun!”

„Was ist die Quelle für die so leidvolle Geschichte im sogenannten Heiligen Land?” fragte Elhanan in den Saal und beantwortete die Frage selbst: „Israelis und Palästinenser haben nicht die gleichen Rechte, die übermächtige Seite dominiert die schwächere, die Quelle all unserer Probleme ist die Besatzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens.”

Ob man ehrlicherweise nicht sagen müsse, die Quelle der Probleme sei der Terrorismus, wurde er aus dem Publikum gefragt. „Ja, wir stimmen zu”, entgegnete Aramin. „Der Terrorismus ist schrecklich, er ist zu verurteilen, er löst keine Probleme. Aber die Quelle des Terrorismus ist die Besatzung.”

Die nach der Veranstaltung genossene Wasserpfeife brachte vorübergehend wohltuende Entspannung in vertrauter Runde.

ist Theatermacher und Theaterpädagoge.

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4 Kommentare

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  1. @Sebastian
    Genauso ist es! Dies sind die hier immer wiederkehrenden Vesuche, Israel zu dämonisieren, indem man auf den ersten Blick ähnlich erscheinende Fälle vergleicht – und dabei deren prinzipiell unterschiedliche, von Ihnen absolut richtig geschilderte Art bewußt ausklammert, um dem Publikum bestimmte Narrative zu vermitteln. Und übrigens die Worte des palästinensischen Gastes, dass die Quelle des Terrorismus die „Besatzung“ sei, sind eine völlige Faktenverdrehung, denn der arabische Terror gegen die Juden fing noch lange vor der Staatsgründung Israels an. Die ganzen Schichten des komplexen jahrzehntelangen geschichtlich-politischen Kontextes werden hier ausgeklammert, um die eigene Agenda durchzubringen.

    Eine ähnliche, nicht selten beobachtete Situation besteht z. B. darin, zwei Gäste einzuladen, von denen der Eine über arabische Flüchtlinge im Zuge des Krieges 1948-49 sprach, und der Andere über den Holocaust. Noch zahlreichere jüdische Flüchtlinge aus arabischen Ländern um dieselben Jahre 1948-49 werden dabei absichtlich ausgeblendet. Und schon alleine der Fakt, dass die beiden vom Charakter her absolut unvergleichlichen Ereignisse in einem Format unmittelbar nebeneinander besprochen werden, ist nichts anderes, als noch ein Versuch, Israel zu delegitimieren und zu dämonisieren.

    1. Sehr geehrter Herr Salyutov
      Nach über 42 des Brückleinbaus zwischen Juden/Jüdinnen und Palästinenser*innen in der Schweiz und vor Ort in Palästina (Westbank, Ostjerusalem und Gaza) sowie Israel vermag ich Ihre Sichtweise nicht zu teilen, dies vor allem durch meine über 30jährigen Tätigkeiten als ehemaliger Mitarbeiter von medico international schweiz, vormals Centrale Sanitaire Suisse CSS Züricb im Bereich der Unterstützung von basismedizinischen Projekten in Palästina sowie zwischen Israel und Palästina. Ich kenne die Situation auf beiden Seiten gut und weiss in etwa, was es heisst seit 1967 täglich die israelische Besatzungsmacht erleben zu müssen. Bin in Zürich in einer jüdischen Familie aufgewachsen und von meiner Mutter s.A. liberales Denken mitbekommen, was für mich heisst: komplexe Situation sind komplex zu analysieren und ebenso anzugehen gehen.
      Mit freundlichen Grüssen
      Jochi Weil-Goldstein, Zürich

  2. Schon schwierig, wenn die Betroffenheit von den Geschichten der beiden Väter, die ihre Kinder verloren haben, am Ende dazu dient, einem am Konflikt unbeteiligten Publikum das Gefühl zu geben, dass ja doch alles gleich und alles gleich schlimm ist.

    Auch ich habe großes Mitgefühl mit den beiden Vätern und kann mir das Ausmaß ihres Verlustes kaum ausmalen. Aber: Das eine Kind wurde bei einem antisemitischen Terroranschlag durch einen Selbstmordattentäter ermordet, das andere Kind starb als Unbeteiligte bei Kampfhandlungen nach einem Angriff palästinensischer Jugendlicher auf israelische Grenzpolizisten. Kampfhandlungen, die im Nachhinein durch ein israelisches Gericht untersucht wurden, welches dabei Fehlverhalten der Polizisten festgestellt, diese verurteilt hat und der Familie der Getöteten eine hohe Summe „Kompensation“ zugesprochen hat. Während die Familien palästinensischer Selbstmordattentäter „Martyrer-Renten“ von Hamas oder PA erhalten. Das ist nicht das gleiche, auch wenn der Verlust für die Familien der gleiche ist.

    1. Lieber Sebastian,
      das Mitgefühl, das du für beide Väter ausdrückst, lässt mich hoffen, das wir gemeinsam dahingehend wirken können, dass in Zukunft keine Eltern mehr, weder israelische noch palästinensische, den gewaltsamen Tod ihrer Kinder betrauern müssen. Ich halte es in diesem Bemühen für wichtig, keine Behauptungen aufzustellen, bei den Fakten zu bleiben und diese vorurteilsfrei und unbefangen zu benennen. Besatzung ist ein Unrecht! Helfen wir daher unseren israelischen Freunden, diese zu beenden